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Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0057
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Co-Creation in der Stadtentwicklung

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2017
Sven Dübner
Nora Fanderl
Constanze Heydkamp
Mit dem Trend zur Digitalisierung wird der Konsens, dass urbane Lösungen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gemeinschaftlich zu konzipieren und zu entwickeln sind, zunehmend relevant. Neben einer Vielzahl von Governance-Formaten, die hier ansetzen, schaffen digitale Werkzeuge Optionen zur Integration lokaler Akteure in stadtentwicklungsrelevante Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse. Wie aber sehen entsprechende Formate aus? Und wie wird sichergestellt, dass die Impulse einer heterogenen Akteurslandschaft gleichermaßen beachtet werden?
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12 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Die wachsende Bedeutung von Open Innovation für die Stadtentwicklung Inspiriert durch die Öffnung von ehemals unternehmens- und forschungsinternen Prozessen im Kontext der Open Innovation steigt vor dem Hintergrund von NIMBY (not-in-my-backyard) und DIY (do-it-yourself) die Forderung von Bürgerinnen und Bürgern nach einer stärkeren Beteiligung an stadtentwicklungsrelevanten Entscheidungsprozessen. Gleichzeitig gewinnen die Fragestellungen, mit welchen sich Städte konfrontiert sehen, an Komplexität und können lediglich zusammen mit Nutzern, Anbietern, Planern und Entscheidern bearbeitet werden. Insbesondere der für viele Menschen abstrakte Prozess der Digitalisierung unserer Städte wird unser Leben so tiefgreifend verändern, dass er nicht ohne die Beteiligung der städtischen Akteure an wesentlichen Entscheidungen erfolgen sollte. Während das Konzept Smart City noch in der Kritik steht, stark von IT-Unternehmen getrieben zu sein, hat sich der allgemeine Konsens verbreitet, dass neue urbane Lösungen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gemeinschaftlich entwickelt werden müssen. Dabei ermöglicht gerade die Digitalisierung neue Governance-Formate in der Stadtentwicklung, die Wissen, Bedarfe und Kompetenzen der Bürgerinnen und Bürger sowie der lokalen Wirtschaft, der Wissenschaft und zivilgesellschaftlicher Initiativen berücksichtigen. Hierbei können durch die Transdisziplinarität neue handlungs- und forschungsrelevante Impulse Eingang in die Stadtentwicklung finden, die der städtischen Verwaltung fernen Lebenswelten und Praktiken entspringen. Derartige Impulse sind ausschlaggebend für die Entwicklung innovativer Lösungen zur Erfüllung der heutigen und zukünftigen Nutzerbedarfe. Co-Creation - Gemeinsam etwas erschaffen Das Stufenmodell der Beteiligung von Sherry Arnstein, die „Ladder of Citizen Participation“, welche acht Intensitätsstufen der Partizipation definiert, zeigt deutlich, dass Beteiligung nicht gleich Beteili- Co-Creation in der Stadtentwicklung Co-Creation in der Stadtentwicklung Integrierte Beteiligungsprozesse an der Schnittstelle digital - analog Co-Creation, Stadtentwicklung, digitale Beteiligungsformate, Makeathons Sven Dübner, Nora Fanderl, Constanze Heydkamp Mit dem Trend zur Digitalisierung wird der Konsens, dass urbane Lösungen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gemeinschaftlich zu konzipieren und zu entwickeln sind, zunehmend relevant. Neben einer Vielzahl von Governance-Formaten, die hier ansetzen, schaffen digitale Werkzeuge Optionen zur Integration lokaler Akteure in stadtentwicklungsrelevante Entscheidungs- und Umsetzungsprozesse. Wie aber sehen entsprechende Formate aus? Und wie wird sichergestellt, dass die Impulse einer heterogenen Akteurslandschaft gleichermaßen beachtet werden? FORUM Veranstaltungen 13 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen gung ist. Arnstein definiert als geringste Form von Beteiligung die Informationsbereitstellung, der die vollständige Abgabe der Entscheidungsmacht gegenübersteht. Nach dem Verständnis der Autoren ist Beteiligung als Farbkasten zu interpretieren: Für jede Fragestellung ist eine individuelle Mischung von Beteiligungsintensitäten notwendig, um zu einem erfolgreichen Ergebnis zu gelangen. Die zentralen Aspekte von Co-Creation sind dabei Ideengenerierung und Kooperation. Um gemäß urbaner Herausforderungen neue Lösungen zu entwickeln, steht nach dem Co-Creation-Ansatz die Zusammenarbeit von transdisziplinären Akteuren im Fokus, die gemeinsam Herausforderungen in einem „Prozess des Schaffens“ adressieren. Unabhängig von fachlichen Hintergründen wird hier auf Augenhöhe gemeinsam etwas erschaffen, von der ersten Idee über die Konzeption bis hin zur (prototypischen) Umsetzung. Folgende drei Grundregeln werden von den Autoren dieses Artikels als wesentlich für Co- Creation erachtet:  Kreativität: Antworten auf komplexe Fragestellungen und Herausforderungen zu finden, benötigt ein entsprechend komplexes Set von Fähigkeiten, (Alltags-)Wissen und Expertise. Co-Creation-Formate fördern Kreativität in der Entwicklung von innovativen und an vielfältigen Bedarfen orientierte Lösungen durch die Integration heterogener Akteure.  Identität: In der Gestaltung des direkten Lebensumfelds ist die Identifikation der Nutzer mit dem öffentlichen Stadtraum relevant. Durch das Adressieren von Bedarfen und das gemeinschaftliche Entwickeln von Lösungen kann das Identifikationspotenzial maximiert werden, was wiederum das Verantwortungsbewusstsein für Entstandenes und dessen Kontext zur Folge hat und dementsprechend für die Akzeptanz von neuen Lösungen relevant ist.  Solidarität: Zur Integration heterogener Fähigkeiten, Expertisen und Wissen ist die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure auf Augenhöhe notwendig. Das „voneinander Lernen“ im Schaffensprozess steht im Vordergrund und bezieht sich auf das Alltagswissen von Anwohnern und Nutzern, das Wissen zu formellen Stadtentwicklungsprozessen (rechtlichen Einschränkungen, Prozessabläufen) sowie auf Technologiewissen. Co-Creation kann uns in verschiedenen Kontexten begegnen. In diesem Beitrag soll der Makathon als Veranstaltungsformat thematisiert werden, welcher das Prinzip Co-Creation aufgreift und anwendet. Der Begriff Makeathon setzt sich als Neologismus aus den Wörtern „make“ (engl. machen) und Marathon zusammen. Die Zielsetzung ist, in einem begrenzten zeitlichen Rahmen nicht nur Ideen zu entwickeln und zu konzeptionieren, sondern diese auch prototypisch umzusetzen. Bild 1: 360°-Aufnahme von der Eröffnungsfeier des Stadtlabors © Fraunhofer IAO FORUM Veranstaltungen 14 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Fallbeispiel Ludwigsburg: Drei Makeathons zwischen analoger und digitaler Realität Die Stadt Ludwigsburg nimmt eine Vorreiterrolle in Baden-Württemberg im Sinne einer nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung ein - stets mit einem Blick in die Zukunft. Die Digitalisierung des Stadtraums spielt deshalb inhaltlich eine ebenso wichtige Rolle wie die Methodik des Beteiligungsprozesses. Diese fundamentale Grundidee spiegelt sich auch in einem Forschungsprojekt wider, welches im Rahmen der zweiten Phase des Wettbewerbs Zukunftsstadt in Ludwigsburg durchgeführt wird. Die Zielsetzung des Fördermittelgebers ist, dass die beteiligten Kommunen ein umfassendes Konzept zur Planung und Umsetzung einer in der ersten Projektphase gemeinschaftlich entwickelten nachhaltigen und ganzheitlichen Zukunftsvision 2030+ erarbeiten. Perspektivisch widmet sich die voraussichtlich im Jahr 2018 anschließende dritte Phase der konkreten Umsetzung der Vision in sogenannten „Reallaboren“. Vor diesem Hintergrund werden in Ludwigsburg in der zweiten Förderphase des Wettbewerbs drei aufeinander aufbauende Veranstaltungen im Makeathon-Format durchgeführt, welche einerseits die Zukunft des Stadtraums sowie andererseits die Stadtentwicklung der Zukunft mit einem Fokus auf neuen digitalen Lösungen adressieren. Es gilt zum einen mittels transdisziplinärer Zusammenarbeit zu neuen Erkenntnissen und Handlungsansätzen zu gelangen. Zum anderen sollen innovative Ideen und mögliche Maßnahmen zur „Ertüchtigung“ des öffentlichen Raums identifiziert und hinsichtlich ihres Nutzens und ihrer Potenziale bewertet werden. Ziel des Forschungsprojekts ist es darüber hinaus, den strukturierten Co-Creation-Prozess als neues Governance-Format zu erproben. Damit können weiterhin Impulse für die Stadtverwaltung und -politik gegeben werden, die in Strategien sowie aktuelle Planungen einfließen. Während sich der erste Makeathon im Juli 2017 auf die Gestaltung des sogenannten Stadtlabors bezog, stehen bei der zweiten und dritten Veranstaltung die direkte Umgebung und das Quartier im Fokus. Zusammen mit einer heterogenen Mischung von lokalen Akteuren werden stadtrelevante Fragestellungen bearbeitet und Lösungsideen prototypisch in den Stadtraum übertragen. Die digitale Ebene wird dabei im Sinne einer erweiterten Realität als integrierter Bestandteil der Lösungen verstanden. Entsprechend der Zieldefinition der Makeathons werden folgende Bausteine in ihrer Konzeption und Durchführung als zentral erachtet:  Enabler: Initiiert durch die Stadt Ludwigsburg werden die Makeathons gemeinschaftlich durch das Fraunhofer IAO als Vertreter der Stadtforschung mit dem lokalen Kreativitätsinkubator Tinkertank konzipiert und durchgeführt.  Fragestellung: Als thematische Grundlage dient eine von Seiten der Stadt identifizierte und möglichst offen formulierte Herausforderung bzw. Fragestellung, die dem Kreativprozess ausreichend Raum gibt. Der Anwendungsbezug wird in den Makeathons durch die räumliche und thematische Verortung in der Ludwigsburger Weststadt geschaffen, einem urbanen Quartier, das einer hohen Entwicklungsdynamik ausgesetzt ist.  Akteure: Die Teilnehmenden werden gemäß ihrer Expertise und ihrem Bezug zum lokalen Kontext ausgewählt, um Lösungen entlang der konkreten städtischen Bedarfe zu entwickeln. Sie vertreten die lokale Kreativwirtschaft, ansässige Unternehmen, die Fachbereiche der städtischen Verwaltung sowie die Bürgerschaft aus dem Quartier. Dementsprechend decken sie ein differenziertes Set an Fähigkeiten und Wissen ab.  Prozess: Um in dem 15-stündigen offenen Innovationsprozess zielgerichtet Lösungen zu entwickeln, ist der Ablauf der Makeathons in die drei Phasen Ideengenerierung, Experimentieren und Prototypenentwicklung strukturiert. Jeder Phase geht eine Gruppenfindungsphase voraus, bei der sich die Teilnehmenden gemäß ihrer Expertise und ihres Interesses im Team verorten. Die Integration der Ergebnisse wird durch den kontinuierlichen Dialog zwischen den Arbeitsgruppen sichergestellt.  Stadtlabor: Der Austragungsort der Makeathon- Reihe erfüllt neben einer Werkstatt-Funktion auch eine Ausstellungs- und Informationsfunktion. Der im ersten Makeathon gestaltete Raum stellt die Infrastruktur und Ausstattung für weitere Co-Creation Prozesse bereit und entwickelt sich mit jeder Veranstaltung weiter. Im Projektverlauf wird das Stadtlabor für weitere Veranstaltungen und Formate geöffnet, um Teilhabe an aktueller Stadtentwicklung zu ermöglichen und diese zu verstetigen.  Materialien: Digitale und analoge Materialien sowie die zur Verfügung stehenden Werkzeuge sind die Grundlage für den Kreativprozess. Neben physischen Materialien (Paletten, Pflanzen, Schnüren oder Stoffbahnen) stehen den Teilnehmern digitale Materialien (städtische Datensätze oder Karten) zur Verfügung. Im Prozess werden die Teilnehmer bei Bearbeitung der Materialien und Anwendung der Werkzeuge unterstützt. 15 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Digitale Methoden eröffnen einen neuen Gestaltungsraum Städte sind immer mehr, als mit bloßem Auge wahrgenommen werden kann. Daher ist es naheliegend, die Digitalisierung des Stadtraums durch eine passende Dimension der Visualisierung und Kommunikation zu erweitern. Dieser Ansatz wird durch die Integration von Augmented und Virtual Reality mit deren vielfältigen Einsatzmöglichkeiten in dem Makeathon-Format verfolgt und wird auf zwei Arten eingesetzt: Als prozessbegleitendes Mittel zur Prototypenentwicklung und -erprobung einerseits, andererseits aber auch als Werkzeug zur Entwurfsdarstellung im gebauten Stadtraum. Mit Hilfe von Augmented Reality-Darstellungen, also computergestützten Visualisierungen, welche die reale Welt um virtuelle Aspekte erweitern, kann beispielsweise ein digitaler Stadtspaziergang realisiert werden. Hierbei werden Ideen und Gestaltungsvorschläge aus dem Makeathon in den tatsächlichen Stadtraum integriert und visualisiert, um deren Eignung und Potential in der realen Umgebung zu evaluieren. Zukünftige Entwicklungen wie die Integration von Bäumen oder einer Sitzbank in einem konkreten städtischen Kontext lassen sich dabei ebenso in den Raum projizieren, wie historische Ansichten eines Straßenzugs. Neben ersten Visualisierungen entstehen im Makeathon möglicherweise analoge Prototypen, wie beispielsweise temporäre bauliche Interventionen auf Parkflächen oder sogenannte Pop-Up-Möbel für öffentliche Plätze, die wiederum um digitale Elemente, wie Zusatzinformationen zu vor Ort erfassten Wetterdaten oder verwendeten Baumaterial sinnvoll ergänzt werden können, um einen Mehrwert für Nutzer zu stiften. Virtual Reality hingegen beschreibt die interaktive Darstellung und Wahrnehmung einer computergenerierten Wirklichkeit in Echtzeit. Durch sie können zum Beispiel 360°-Kameraaufnahmen mit einem geeigneten Ausgabegerät (zum Beispiel Head-Mounted-Displays) für Nutzer erlebbar gemacht und mit zusätzlichen Inhalten angereichert werden, ohne dass diese sich am Aufnahmeort befinden müssen (siehe Bild 1). Nicht zuletzt führt eine interaktive Plattform im Projekt diese beiden Ansätze zusammen und bietet einerseits Raum für die Diskussion der in den Makeathons entwickelten Ideen und regt andererseits zur analogen und digitalen Weiterentwicklung dieser Ideen anhand eigener Bedarfe auch außerhalb des Stadtlabors an. Das Hochladen der eigens weiterentwickelten Lösungsvorschläge schafft wiederum eine neue Form der Beteiligung an Stadtentwicklungsprozessen und öffnet sie für neue Zielgruppen. Ein Blick in die Zukunft des Stadtlabors Mit dem Makeathon-Format werden Impulse gesetzt und ein neues Verständnis im Sinne der Co-Creation von gemeinschaftlicher Stadtentwicklung vor Ort etabliert, das auch auf andere Quartiere übertragen werden kann. Dies ist durch temporäre oder mobile Stadtlabor-Einrichtungen möglich, die flexibel eingesetzt werden können. Herausforderung des Makeathon-Formats: Es muss sichergestellt werden, dass die aus der lokalen Umgebung generierten Ideen in einen Stadtentwicklungsprozess mit bestehenden Rahmenbedingungen einfließen können. Analog zur Innovationstheorie von Rogers liegt der entscheidende Schritt hierbei im Übergang von der Erfindung zur Innovation, also der Verbreitung der Erfindung im Raum. Das gemeinschaftliche Erarbeiten einer Lösung durch Anbieter (Stadt) und Nutzer (Bürger, Wirtschaft, etc.) im Co-Creation-Prozess erscheint ausschlaggebend für deren Anwendbarkeit und ist mit der Diffusion der Erfindung gleichzusetzen. Weiterhin ist zu beachten, dass neue Governance-Formate nicht herkömmliche ersetzen, sondern diese lediglich im Zusammenspiel funktionieren. Ähnlich dem Farbkasten-Prinzip der Beteiligungsintensität muss stets die richtige Mischung von Formaten in Abhängigkeit von der Fragestellung ausgewählt werden. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, können zukünftige „Smart-City Themen“ gleich im Entwicklungsprozess adressiert werden, um digitale Entwicklungen entlang der Bedarfe zu lenken, Skepsis gegenüber Unbekanntem zu nehmen und Anwendbarkeit sowie Verständnis zu etablieren. Sven Dübner Fraunhofer IAO, Stuttgart Kontakt: sven.duebner@iao.fraunhofer.de Nora Fanderl Fraunhofer IAO, Stuttgart Kontakt: nora.fanderl@iao.fraunhofer.de Constanze Heydkamp Fraunhofer IAO, Stuttgart Kontakt: constanze.heydkamp@iao.fraunhofer.de AUTOR I NNEN