Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0060
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Neue Indikatoren für Städte
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Hans Haake
Kai Ludwigs
Katharina Schleicher
tc230021
21 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Städte, ob als geographische, soziale oder politische Einheit, bauen nicht nur angesichts der rapide fortschreitenden Urbanisierung ihren Einfluss stetig aus- [1]. Entsprechend werden auch fortlaufend Debatten darum geführt, was eigentlich Ziele und Aufgaben von Städten sind, und wie diese in konkreten Messsystemen verankert werden können. Dabei spiegeln diese Debatten die nationalen und internationalen Arbeiten an Indikatorensystemen „beyond GDP“ wieder- [2, 3]. Einige Städte haben sich sowohl Wohlstand bzw. Wohlbefinden (Well-Being) als auch Nachhaltigkeit (Sustainability) als übergreifendes Ziel gesetzt, mit dem Potenzial, bisher dominante Wirtschaftszahlen besser einzuordnen und teilweise zu relativieren. Die zugehörigen Indikatorensysteme (Beispiel: wellbeing.smgov. net für Santa Monica oder www. happycity.org.uk für Bristol) sind meist ein Zusammenführen vorhandener statistischer Indikatoren zu einem breiten Themenspektrum (vgl. Bild 1). Auf diesem Weg kann mit vertretbarem Aufwand eine andere Ausrichtung des Handelns von Politik, Verwaltung und Stadtgesellschaft unterstützt werden. Durch Lücken in der Verfügbarkeit von Daten entstehen allerdings gewisse Verzerrungen. Eine der zentralen „Lücken“ in diesen (urbanen) Indikatorensystemen sind Informationen zu den subjektiven Wahrnehmungen der Bürger. Sie sind aus mindestens zwei Gründen von Bedeutung: Zum einen ist die subjektive Lebenszufriedenheit (kurz: Glück) Teil fast aller vorgeschlagenen Indikatorensysteme, liegt aber auf Ebene von Städten kaum vor. Für (Bundes-)Länder gibt es Daten aus weltweiten Befragungen. Zum anderen wird in Städten sehr deutlich, dass die Statistiken nur einen Teil der Wahrheit erzählen. Eine gute Kriminalitätsstatistik allein schafft kein Sicherheitsgefühl, hohes durchschnittliches Einkommen kompensiert fehlenden sozialen Zusammenhalt nicht. Zwar dürfen Befragungsdaten keine „alternativen Fakten“ werden, sie sind jedoch unverzichtbar für die Bewertung und Einordnung der Entwicklung einer Stadt. Informationen dazu, wie glücklich die Menschen in einer Stadt sind, welche Faktoren dazu beitragen und wie dieses Glück mit anderen Faktoren zusammenhängt, ermöglichen eine bessere Kalibration jeglicher Indikatorensysteme. Glücklich in Wuppertal - die App Seit Mai 2017 gibt es für die Stadt Wuppertal eine neue App für iOS und Android, die das Erheben von subjektiven Wahrnehmungen erleichtert, eine direktere Form von Neue Indikatoren für Städte Glücklich in Wuppertal - Eine App für Glück, Wohlstand und Beteiligung Hans Haake, Kai Ludwigs, Katharina Schleicher Einkommen Zufriedenheit Sicherheit Arbeit Wohnen Bildung Freizeit Gemeinschaft Gesundheit Engagement Umwelt Bild 1: Exemplarische Dimensionen eines urbanen Indikatorensystems. © Wuppertal Institut © pixabay 22 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Feedback an Politik und Verwaltung ermöglicht und eine Diskussion um Glück in Wuppertal anregen soll. Sie kombiniert vier Module, die weitgehend frei kombiniert werden können: Ein Fragebogen, der intuitiv und schnell beantwortet werden kann, mit Fragen zum subjektiven Wohlbefinden auf verschiedenen Skalen der Glücksforschung, Bewertungen verschiedener Aspekte der Stadt Wuppertal (orientiert an „Wohlstandsdimensionen“, Bild 1) und zuletzt demographischen Daten Ein Glückstagebuch, dass über eine Woche jeden Abend den Ablauf des Tages mit den zugehörigen Stimmungen erfasst Momentaufnahmen, für die viermal am Tag Aktivitäten und Stimmungen abgefragt werden Ein selbst initiiertes Feedback, dass jederzeit zu Zuständen oder Ereignissen in der Stadt gegeben werden kann, die glücklich oder unglücklich machen Die Module 1 bis 3 können viermal im Jahr wiederholt werden. Wenn die App, unterstützt durch die Anreizstruktur (siehe unten), auf einem hohen Anteil der Endgeräte installiert bleibt, entsteht so in einem Teil des Datensatzes ein Panel, in dem über Befragungsperioden hinweg Vergleiche gezogen werden können. Die App baut auf Infrastruktur und Erfahrungen der Happiness Research Organisation auf, die in verschiedenen Bereichen Pionierarbeit bei der digitalen Erfassung von Glück leistet. Die Anpassung an Wuppertal in einem Prozess mit Stakeholdern und die Zusammenführung mit einem breiteren Set von Wohlstandsindikatoren wird vom Wuppertal Institut durchgeführt, unterstützt von lokalen (Stadtsparkasse Wuppertal und Wuppertaler Stadtwerke) und regionalen (Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung) Partnern. Glücklich in Wuppertal - lokale Einbindung und Anreize zur Nutzung Natürlich ist eine intuitiv zu nutzende App, die an den aktuellen Stand der Glücksforschung und der Entwicklung alternativer Wohlstandsindikatoren anknüpft, nur ein Baustein des Projektes. Im Sinne einer transformativen Wissenschaft, die sich gemeinsam mit lokalen Partnern in gesellschaftliche Transformationsprozesse einbringt, geht es auch darum, die App in der Stadt Wuppertal bekannt zu machen und eine Nutzung ihrer Ergebnisse zu ermöglichen. Das begann schon bei der Entwicklung der App in einem Prozess, in dem einerseits die lokalen Partner ihre Expertise einbringen konnten, andererseits in zwei Workshops und Gesprächen mit Stakeholdern (Zivilgesellschaft, Verwaltung, Statistik...) besonders relevante Themen identifiziert wurden. Auch die Einbindung in weitere laufende Projekte zu Wohlstandsindikatoren für Wuppertal knüpft an einen breiten Partizipationsprozess an. In der Bewerbung der App seit Mai 2017 zeigen sich die Vorteile einer starken lokalen Vernetzung: Ob durch Berichterstattung in den Medien, Poster und Postkarten in der Stadt oder sogar Info-Bildschirme an Geldautomaten: Die App wurde über Dutzende von Kanälen bekannt gemacht. Für die Nutzer wurde ein attraktives Bündel von Anreizen geschnürt: Die Möglichkeit, die eigene Stadt zu unterstützen und zu beeinflussen Ein Anreiz, sich selber bewusster mit dem eigenen Glück auseinander zu setzen und persönliche Auswertungen zu erhalten Für die ersten 1000 Nutzer ein Guthaben von 5 EUR pro Quartal, die an Wuppertaler gemeinnützige Projekte gespendet werden können Auch Politik und Verwaltung waren frühzeitig eingebunden, was besonders für die Verwertung der Ergebnisse aus der App zentral ist. Hier wird sich in den nächsten Monaten zeigen, ob die App ihr Potenzial jenseits der Wissenschaft entfalten kann - als ein Bild 2: Serie von Screenshots aus der App. © Wuppertal Institut 23 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Hans Haake Gastwissenschaftler und Doktorand Wuppertal Institut für Klima, Energie, Umwelt GmbH hans.haake@wupperinst.org Kai Ludwigs Direktor Happiness Research Organisation info@happiness-research.org Katharina Schleicher Wissenschaftliche Mitarbeiterin Zentrum für Transformationsforschung und Nachhaltigkeit schleicher@uni-wuppertal.de zusätzliches Instrument für Bürgerbeteiligung im weiteren Sinne. Denn eine solche App ermöglicht es nicht nur, neue Zusammenhänge zwischen Glück und diversen Entwicklungen in einer Stadt zu erkennen, sie gibt Politik, Verwaltung aber auch Zivilgesellschaft in einer ganz neuen zeitlichen und räumlichen Auflösung „Feedback“ von einer großen Zahl von Menschen. Auch wenn Repräsentativität im ersten Schritt nicht komplett zu gewährleisten ist, so sind Rückmeldungen von idealerweise mehreren Tausend Bürgern ein durchaus relevanter Bezugspunkt. So könnte eine Verwaltung spezifische Problempunkte zeitnah identifizieren und angehen. Politische Debatten um die Entwicklung einer Stadt können anders geführt werden. Glücklich in Wuppertal - Status und Zeitplan Von Mai bis Anfang Juli hat die App in Wuppertal den Zielwert von 1000 Nutzern der App erreicht, etwa 200 weitere Fragebögen wurden auf der Website ausgefüllt. Eine erste Analyse der Daten zeigt, dass grundsätzlich viele gesellschaftliche Gruppen aus allen Stadtteilen teilgenommen haben, und dass die Ergebnisse an vielen Stellen sowohl in sich als auch im Abgleich mit der internationalen Glücksforschung plausibel sind. Nach der nächsten Befragungsrunde Ende August wird die Analyse im Detail beginnen und deren Ergebnisse im Herbst der Öffentlichkeit vorgestellt. An dieser Stelle wird sich zeigen, welche Rückschlüsse die Daten erlauben und wie diese Rückschlüsse von der Stadt insgesamt und besonders der Wuppertaler Politik aufgenommen werden. Nur wenn ein klarer Mehrwert vor Ort entsteht, ist es sinnvoll, die App auch über die einjährige Pilotphase weiterzuführen, hin zum Verlässliche und exakte Echtzeitdaten als Schlüssel zum intelligenten Netzwerk. Aktuelle Kommunikationsplattformen für mobile oder stationäre Funkauslesung, zum Aufbau einer zukunftssicheren, erweiterbaren Infrastruktur. Info.de@sensus.com www.sensus.com ersten dauerhaften „urbanen Wohlbefindenspanel“ weltweit. Die Beschäftigung mit Glück und Wohlstand ermöglicht es einer Stadt, immer wieder die Frage danach zu stellen, was sie eigentlich leisten kann und will und wohin ihre Entwicklung gehen soll. Jede Transformation braucht eine solche Selbstvergewisserung. LITERATUR [1] WBGU - Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen: Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte. Berlin, 2016. WBGU. [2] OECD: How ’s Life? : Measuring Well-Being. Paris, 2011, OECD Publishing. [3] Stiglitz, J. E., Sen, A., Fitoussi, J.-P.: Report by the Commission on the Measurement of Economic Performance and Social Progress, 2009. AUTOREN