Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0071
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MaaS kommt in Fahrt
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Marko Javornik
Heutige Verkehrsinfrastrukturen sind vor allem auf den Individualverkehr mit dem eigenen Auto ausgelegt. Die Konsequenz davon: 20 % mehr Staus in Deutschland im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr, laut ADAC. Hinzu kommen immer wieder drohende Fahrverbote durch die Feinstaubbelastung in Innenstädten. Zukünftige Verkehrskonzepte müssen daher den Menschen und seine Transportbedürfnisse stärker in den Mittelpunkt stellen und ein Ökosystem für universelle Mobilität bieten. Hier entsteht ein Markt mit riesigem Wachstumspotenzial für IT-Anbieter, Automobilhersteller und Verkehrsunternehmen.
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70 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Mobility-as-a-Service (MaaS) wird aus Sicht des Endkunden eine durchgängige und integrierte Mobilitätserfahrung sein - mit geringeren Kosten im Vergleich zum privaten Fahrzeug, weniger Stau und einer verringerten CO 2 -Belastung für die Umwelt. Individueller Transport und öffentlicher Nahverkehr verschmelzen hierbei zu einem integrierten Service, der größtmögliche individuelle Flexibilität bietet. IT-technische Grundlage hierfür sind unter anderem Cloud-Plattformen, die Technologien wie offene APIs sowie Big Data und Predictive Analytics nutzen. In den letzten Jahren hat sich bereits eine Vielzahl alternativer Mobilitätsanbieter etabliert wie beispielsweise Uber, BlaBlaCar, Tamyca, Flinkster, DriveNow oder Car2Go. Hinzu kommen Insellösungen einzelner Regionen, wie zum Beispiel Avant2go, eine innovative Car-Sharing-Lösung nur für Elektro- MaaS kommt in Fahrt Mit Mobility-as-a-Service wird die digitale Transformation erfahrbar MaaS, Mobility-as-a-Service, Verkehrskonzepte, Transportsysteme, Mobilität, Elektrofahrzeuge Marko Javornik Heutige Verkehrsinfrastrukturen sind vor allem auf den Individualverkehr mit dem eigenen Auto ausgelegt. Die Konsequenz davon: 20-% mehr Staus in Deutschland im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr, laut ADAC. Hinzu kommen immer wieder drohende Fahrverbote durch die Feinstaubbelastung in Innenstädten. Zukünftige Verkehrskonzepte müssen daher den Menschen und seine Transportbedürfnisse stärker in den Mittelpunkt stellen und ein Ökosystem für universelle Mobilität bieten. Hier entsteht ein Markt mit riesigem Wachstumspotenzial für IT-Anbieter, Automobilhersteller und Verkehrsunternehmen. Bild 1: Car-Sharing- Anbieter wie Car2Go beziehen ihre Attraktivität auch aus der Digitalisierung der gesamten Abläufe: Kunden reservieren und zahlen bequem per Smartphone- App ihr Fahrzeug. © Car2Go THEMA Urbane Kommunikation 71 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES fahrzeuge im slowenischen Ljubljana. Ihre Attraktivität beziehen diese Angebote aus der Digitalisierung der gesamten Abläufe. Kunden bestellen die für sie passende Mobilität per Smartphone-App oder Webbrowser und setzen sich anschließend direkt in das gewünschte Fahrzeug oder lassen sich bequem abholen. Laut einer Untersuchung des Marktforschungsinstituts YouGov hat in 2016 fast jeder fünfte Deutsche (17- %) schon einmal ein Sharing-Angebot aus dem Bereich Mobilität genutzt. Was für eine umfassende Mobility-as-a-Service-Lösung jedoch fehlt, ist eine durchgängige Vernetzung aller Transportinfrastrukturen, inklusive Massentransport, und eine Lösung für die letzte Meile. Gleichzeitig erlebt auch die Automobilindustrie einen Wandel. Für die jüngere Generation gilt das Auto längst nicht mehr als Statussymbol und der Wunsch nach einem eigenen Fahrzeug ist weniger ausgeprägt, so das Ergebnis einer weltweiten Untersuchung der Markenberatung Prophet aus dem Jahr 2015. Auch diese Entwicklung zeigt, dass die Zeit reif ist für neue Mobilitätsdienste. Treiber für MaaS Ein wesentlicher Treiber für MaaS ist die Digitalisierung. Die Nutzung von Smartphones mit Alwayson-Internet und Social Media-Kanälen führt dazu, dass Kunden ständig in Kontakt mit ihrer Mobilitätsplattform stehen. So könnte MaaS zu einer täglich genutzten Lösung rund um den persönlichen Transport werden. Je mehr Angebote schließlich in einer MaaS-Plattform vereint sind und je intelligenter sich die Lösungen auf die individuellen Gewohnheiten des Nutzers einstellen, desto wertvoller wird dieser Dienst für den Endkunden. Lösungen für Predictive Analytics, also vorausschauende Analysen, spielen hier eine wichtige Rolle, denn nur durch die konsequente Auswertung großer Datenmengen im Rahmen von Big Data-Projekten lassen sich die notwendigen Informationen zur Steuerung der Verkehrsströme ermitteln. Außerdem lassen sich die Bewegungsmuster von Nutzern durch die Stadt immer klarer analysieren, sodass Software-Lösungen wiederkehrende Muster erkennen. Dies lässt es nach einiger Zeit zu, sehr präzise Vorhersagen über die Bewegungen der Anwender zu machen. So kann die MaaS-Plattform schließlich proaktiv personalisierte Transportvorschläge unterbreiten, auch ohne Anfrage von Nutzern. Eine übergreifende Verkehrsinfrastruktur könnte so Passagierströme im Berufsverkehr oder bei Veranstaltungen optimal auf die vorhandenen Transportkapazitäten verteilen und damit die Effizienz des gesamten Systems wesentlich steigern. Was wird für MaaS benötigt? Um ein neues Transport-Ökosystem zu etablieren, ist IT-Infrastruktur notwendig - etwa eine Open Mobility Cloud, die alle Marktteilnehmer zusammenbringt. Auf dieser zentralen Plattform erfolgt die Integration neuer MaaS-Angebote über offene Schnittstellen - Stichwort API-Economy. Neue Marktteilnehmer können hier mit innovativen Geschäftsmodellen teilnehmen und erleben durch die Open API-Economy keine wesentlichen Eintrittsbarrieren. Nutzerdaten zu Verkehrswegen und die Auslastung der Transportinfrastruktur bilden die Basis für immer wieder neue und individualisierte Angebote. Mit der Zeit entstehen so auf einer MaaS-Plattform immer mehr Dienste und die Attraktivität der Plattform steigt weiter. Dazu zählen neben den klassischen Angeboten für Mitfahrgelegenheiten, von Fahrdienstleistern und für Car-Sharing beispielsweise auch neue On-demand-Angebote für Minibusse. Ebenfalls wichtig für den Erfolg: Bestehende regulatorische Vorschriften müssen verändert werden, da diese auf ein vom Automobil dominiertes Stadtbild angepasst sind. Hier fehlen heute noch entsprechend modifizierte Regularien, die beispielsweise selbstfahrende Autos unterstützen. Individualisierte Services sichern den Erfolg Die Auswertung von persönlichen Reisegewohnheiten der Kunden erlaubt es den Marktteilnehmern, hoch individualisierte Angebote zu erstellen und gleichzeitig die Komplexität eines multimodalen Transportsystems zu verbergen. Für den Erfolg ist es außerdem entscheidend, dass Nutzer die Angebote sehr einfach über ihre Smartphones oder Webbrowser abrufen können. Dazu zählt auch, den Kunden ein Preismodell in Form einer Pauschale anzubieten, ähnlich einer Monatskarte für heutige S-Bahnfahrten. Bild 2: Eine MaaS- Plattform sollte eine Vielzahl von Dienste unterstützen, wie Mitfahrgelegenheiten, Fahrdienstleister, Car-Sharing oder auch neue Ondemand-Angebote für Busse. © Comtrade 72 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Kommunikation Anwender digitaler Serviceplattformen sind es zudem gewohnt, dass die angebotenen Dienstleistungen persönlich auf sie abgestimmt werden. Dies wird heute schon realisiert bei Online-Serien- und Filmplattformen, bei Social Media-Diensten und Suchmaschinen. Mit der Migration von Mobilität ins digitale Zeitalter sind die Erwartungen an die digitalen Mobilitätsdienstleistungen vergleichbar mit den Plattformdiensten anderer Online-Anbieter. Daher müssen sich die Teilnehmer an einer MaaS-Plattform um einen hohen Grad an Individualisierung und Anpassbarkeit bemühen. Chatbots übernehmen die Beratung Immer mehr Unternehmen setzen für die Kundenberatung sowie für Service und Support auf Chatbots. Über einen Webbrowser oder eine Messaging-Plattform auf dem Smartphone interagieren Anwender mit den Chatsystemen und erhalten Antworten auf ihre Fragen. Der Eindruck von Intelligenz der Chatbots kommt durch die semantische Analyse der Benutzereingaben zustande. Mögliche Lösungen und Antworten für das jeweilige Fachgebiet werden in Dialogen hinterlegt, die den Nutzer ähnlich wie ein Service-Mitarbeiter durch ein Beratungsgespräch führen. Erkennt ein Chatbot beispielsweise, dass der Nutzer ein Tarifsystem im öffentlichen Nahverkehr nicht versteht, fragt er typische Probleme ab, die sich in Verkaufsgesprächen mit anderen Kunden ergeben haben. Im Dialog geht der Bot dann weitere Fragen durch, grenzt das Problem ein und liefert zuvor hinterlegte Antworten. Wird ein Chatbot innerhalb einer MaaS-Plattform eingesetzt, ist der Gesprächspartner des Bots bekannt. Somit können weitere Kontextinformationen aus dem Anwenderprofil verwendet werden, wie zum Beispiel bevorzugte Transport- oder Zahlungsmittel oder ein möglicher VIP- oder Vielfahrerstatus. Auch ist es möglich, die Standortinformation eines Smartphones auszuwerten, sodass der Weg zur nächsten Servicestelle mit einem menschlichen Berater angezeigt wird. Im Fall automatisierter Verkehrskonzepte werden Chatbots zum universellen Mobilitätsberater. Diese Systeme helfen dem Kunden rund um die Uhr dabei, transportmittelübergreifend die schnellste Route oder die kostengünstigste Alternative aufzuzeigen. Dies alles in Form eines Chats in natürlichsprachlicher Form, also ohne Spezialkommandos und ohne umständliche Eingabemasken. Big Data-Analysen sorgen für mehr Intelligenz IT-Systeme für Big Data und Predictive Analytics werden in künftigen MaaS-Ökosystemen eine wichtige Rolle spielen. Nach Schätzungen von Comtrade Digital Services könnten sich damit bis zu 80- % aller Reisen vorhersagen und so durch das System planen lassen. Für den Anwender ergeben sich kürzere Transportzeiten und verringerte Wartezeiten in Staus oder beim Umsteigen. Städte könnten Verkehrsströme besser steuern und blockierte Straßen vermeiden, während Autovermieter und Car-Sharing-Dienste ihren Fuhrpark optimal einsetzen. Bild 3: Mobility-as-a- Service wird den Massentransport weiter stärken und dem Endkunden durch Predictive Analytics optimale Verkehrswege vorschlagen. © Deutsche Bahn AG THEMA Urbane Kommunikation 73 3 · 2017 TR ANSFORMING CITIES Bis zur Haustüre fahren Eine der größten Herausforderungen von MaaS bleibt jedoch die erste und die letzte Meile. Der individuelle Transport bis vor die Haustür erfolgt häufig noch durch ein Taxi, den eigenen PKW, ein Fahrrad oder ganz klassisch zu Fuß. Künftige Lösungen könnten elektrische Roller wie E-Scooter oder Fahrräder zur Miete umfassen, aber es sind auch autonome Micro-Cars für ein bis zwei Personen denkbar, die nur den Transport vom Bahnhof bis zur Haus- oder Bürotür übernehmen. Neue Geschäftsmodelle entwickeln Wie die vielfältigen Anforderungen künftiger Transportkonzepte zeigen, sind neue Geschäftsmodelle dringend notwendig. Besonders für Startup-Unternehmen bieten sich hier vielfältige Chancen, mit frischen Ideen Kunden zu überzeugen und etablierte Marktteilnehmer zu mehr Innovationen zu bewegen. Um neue Ideen zu diskutieren, veranstaltete Comtrade Digital Services im Juni 2017 in Berlin einen Business Hackathon für neue MaaS-Geschäftsmodelle. Auf dem Event entwickelten internationale und interdisziplinäre Teams neue Vorschläge für ein digitales und vernetztes Ökosystem für alle Mobilitätsanbieter. Eine der Ideen ist die Internet-Plattform Move4- Less, die verfügbare Mobilitätsanbieter wie Sammeltaxis, öffentliche Verkehrsmittel bis hin zum Fahrradverleih mit Datenanalysen verbindet. Für den Nutzer ergibt sich eine nahtlos ineinander übergreifende Mobilitätserfahrung und Ticketabrechnung. Ergänzt wird dies von einer datengesteuerten Anzeigenplattform, über die Unternehmen zielgruppengenau und basierend auf dem Zielort des Reisenden individuelle Werbung ausspielen können. Ein weiteres Ergebnis ist das Konzept für PackShare. Mit diesem Geschäftsmodell könnten die Herausforderungen rund um die Auslieferung von immer mehr Paketen und Waren in Stadtgebieten adressiert werden. Hierfür würde PackShare eigene Logistik-Hubs außerhalb der Stadtgrenzen betreiben, während intelligente und elektrisch betriebene Transporter mit optimierten Routen die Pakete innerhalb der Stadt ausliefern. Auf dem ersten Platz der entwickelten Ideen ist MoveYa gelandet: Bei dieser Idee können Nutzer ihre persönlichen Anforderungen und Präferenzen bei der Verwendung von Transportmitteln definieren. Über eine MaaS-Plattform lassen sich die verfügbaren Transportoptionen filtern und die Reiseplanung erfolgt anbieterübergreifend auf Basis der individuellen Wünsche. So entsteht ein hoch individualisierter Mobilitäts-Service, wie er auch innerhalb dieses Beitrags diskutiert wird. Ausblick Zu den größten Herausforderungen bei neuen Mobilitätslösungen zählt die Transformation von einer fahrzeugzentrierten Betrachtung hin zu einem Modell, bei dem der Endanwender im Mittelpunkt steht. Ein erfolgreiches MaaS-Konzept muss daher Predictive Analytics und Big Data einsetzen, um personalisierte Dienste automatisiert zu realisieren. Außerdem sind neue Arten der Interaktion mit dem Kunden notwendig, um beispielsweise mit Chatbots auch die jüngere Generation anzusprechen. Die Bundesregierung von Deutschland unterstützt die Entwicklung übergreifender Mobilitätskonzepte. So forderte Verkehrsminister Alexander Dobrindt Anfang 2017 deutschlandweite Mobilitätsplattformen, die überregional Fahrgastinformationen verknüpfen. „Wir müssen die Digitalisierung und die Vernetzung in diesem Bereich voranbringen“, so die zentrale Aussage. Neue Geschäftsmodelle innerhalb des Ökosystems sollten daher einen Digital-first-Ansatz wählen und dem Kunden von Anmeldung über Reservierung bis zum Bezahlen eine digitale Prozesskette bieten. MaaS wird damit zu einer stärkeren Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln führen, während individuelle Lösungen dabei helfen, die letzte Meile zu überbrücken. Elektrisch betriebene Transportmittel, darunter auch autonome Fahrzeuge, dürften künftig zu einem festen Bestandteil urbaner Mobilität werden und damit helfen, Lärm und Feinstaubbelastung zu reduzieren und die Lebensqualität in der Stadt zu steigern. Bild 4: Die Verbreitung von Smartphones führt dazu, dass Kunden ständig in Kontakt mit ihrer Mobilitätsplattform stehen. So wird MaaS zu einer täglich genutzten Lösung rund um den persönlichen Transport. © Comtrade AUTOR Marko Javornik Vice President und General Manager Mobility & Travel Comtrade Digital Services Kontakt: marko.javornik@comtrade.com
