eJournals Transforming cities 2/4

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0079
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2017
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Eine Zukunftsvorstellung von Basis-Technologie-Innovationen

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2017
Siegfried Handschuh
Wie sollte die sichere und intelligente Stadt von morgen aussehen? Welche Dienstleistungen sollten angeboten werden? Welchen Einfluss von Sicherheit und Intelligenz auf unser tägliches Leben und unsere täglichen Routinen sollten wir verstehen und erwarten? Und schließlich – welche Rolle soll Technologie spielen? Wir, Wissenschaftler und Forscher, bieten Lösungen an für Probleme, welche oft noch nicht einmal angesprochen wurden, sowie Antworten auf Fragen, welche noch nicht öffentlich gestellt wurden.
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4 4 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Eine Zukunftsvorstellung von Basis-Technologie-Innovationen Natürliche Sprachverarbeitung, Sprachtechnologien, Semantic Web, Blockchain Siegfried Handschuh Wie sollte die sichere und intelligente Stadt von morgen aussehen? Welche Dienstleistungen sollten angeboten werden? Welchen Einfluss von Sicherheit und Intelligenz auf unser tägliches Leben und unsere täglichen Routinen sollten wir verstehen und erwarten? Und schließlich - welche Rolle soll Technologie spielen? Wir, Wissenschaftler und Forscher, bieten Lösungen an für Probleme, welche oft noch nicht einmal angesprochen wurden, sowie Antworten auf Fragen, welche noch nicht öffentlich gestellt wurden. Es ist eine Herausforderung für mich, einen Beitrag für diese Ausgabe von Transforming Cities zum Thema „Sicherheit im Stadtraum“ zu verfassen. Als erstes erwarte ich, dass es etwas mit Sicherheit 4.0 zu tun hat sowie mit Smart Cities 4.0 - wie auch immer man diese beiden „Abstraktionen“ verstehen will. Meistens bringt man diese mit Big Data und Internet of Things in Verbindung, mit Sensoren und Robotern und - warum nicht? - mit Drohnen. Und die Kombination von beidem, Sicherheit 4.0 und Smart Cities 4.0, sollte etwas noch Aufregenderes sein, auf das man sich freut: wie Sicherheit multipliziert mit Smart Cities, macht 16.0. Städte unterlagen immer Veränderungen - genau wie unser Empfinden nach Sicherheit und Gefahrenabwehr (durchaus zwei verschiedene Dinge). Im 15.-Jahrhundert wurde die stark befestigte Stadt Konstantinopel (später Istanbul) von den Türken belagert. Durch eine Tür, die Kerkoporta genannt und aus Versehen offen gelassen wurde, konnten die Osmanischen Truppen in die Stadt eindringen und sie schließlich einnehmen. Es gibt ein Buch, das gerne von Technologen übersehen wird: „Architektur ohne Architekten. Eine Einführung in die anonyme Architektur“. Zuerst wurde es im Jahr 1964 als Katalog einer Ausstellung im MoMA, des Museum of Modern Art in Manhattan in New York, veröffentlicht. Kuratiert wurde die Ausstellung von Bernard Rudofsky, einem tschechisch-amerikanischen Intellektuellen. Wikipedia beschreibt ihn als „Schriftsteller, Architekt, Sammler, Lehrer, Designer und Sozialhistoriker“ - in einer Zeit, in der man diesen Titel nur bekam, wenn man ihn auch verdient hatte. Rudofsky organisierte unter anderem eine Serie kontroverser MoMA-Aus- © Uni Passau FORUM Standpunkt 5 4 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt stellungen in den 1940ern, 1950ern und 1960ern - eine seiner Vorlesungen handelte von „Wie können Menschen gute Architektur erwarten, wenn sie solche Kleidung tragen? “ Also: Wie können wir Sicherheit in den Städten erwarten, wenn diese so wie gerade im Moment organisiert sind? Oder, um die Frage umzudrehen und sie weniger theoretisch (und praktischer) zu formulieren, als sie es jetzt schon ist: Wie können wir unsere Städte verändern, um sie sicherer zu machen, aber gleichzeitig ihr menschliches Gesicht beibehalten und wo könnten wir sie möglicherweise noch verbessern? Wir wollen uns ein Zukunftsszenario vorstellen: Otto Normalverbraucher, dieser imaginäre Freund von John Smith aus UK und Mario Rossi aus Italien, hat zwei Möglichkeiten: 1. Er kann sein ganzes Leben lang zuhause bleiben, eingesperrt in seinem goldenen Käfig, welcher voller Technologien (alle oben erwähnten) ist, die ihn beschützen vor allem Ungewollten, Unangenehmen und Ungeplanten - aber so ein Leben ist letztendlich elend, richtig? 2. Oder er kann seine tägliche Routine bereichern mit Hilfe von Technologie, die ihn von jungen Jahren bis ins hohe Alter begleiten wird. Letzteres ist eine schönere Vorstellung, die das Leben wertvoll(er) macht. Also wollen wir uns daran halten und ein paar Ideen daraus entwickeln. Ich bin Professor am Lehrstuhl für Informatik, Digital Libraries and Web Information Systems an der Universität Passau. Vor kurzem haben wir ein neues Forschungsprojekt erworben, finanziert von der Europäischen Kommission als Teil des Secure Societies Programm des Horizont2020 Rahmenprogramms. Unser Projekt behandelt die Entwicklung eines Situationsbewusstseins für Cybersicherheit und einer Lösung für den Informationsaustausch, um mithilfe von Advanced Big Data Analytics von regionalen öffentlichen Verwaltungen angewandt zu werden. Wie man sehen kann, ist das ein weites Feld: es könnte jede Art von Forschungsgegenständen einbeziehen, einschließlich - wie schon zu erwarten war - Big Data und IoT. Allerdings sahen wir auch die Möglichkeit, etwas auf den Markt zu bringen, von dem wir denken, dass es bahnbrechende Veränderungen bringen wird: Unser Beitrag zu den Herausforderungen, die solch ein Projekt mit sich bringt, bezieht sich hauptsächlich auf die Bereitstellung einer Schnittstelle zwischen Natural Language und eines entsprechenden Semantic Knowledge Graphs, der Interaktionen durch Natural Language unterstützen kann. Man könnte meinen, dass diese Herangehensweise ikonoklastisch oder unerwartet wäre - aber glauben Sie mir: Sie folgt natürlichen Mustern und - was wir (Wissenschaftler und Forscher) oft vergessen - den Grundbedürfnissen der Menschen, als Antrieb und Motivation unserer Forschung. Wie ich schon eingeräumt habe, ist Sicherheit nicht das Epizentrum meines Lehrstuhls; alle Technologien, die wir entwickeln und bereitstellen, basieren auf Computerlinguistik und Werkzeugen zur Verarbeitung natürlicher Sprache für, unter anderem, Sentiment Analyse und Mining. Solche Anwendungen können in fast allen Bereichen der Informations-Technologien und von Unternehmen gefunden werden. Und wegen dieser Qualität ihrer Verfügbarkeit erachten wir sie als sehr relevant für die Anwendung in der städtischen Umgebung und FORUM Standpunkt 6 4 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt bei allen Interaktionen und Transaktionen, welche Bürger untereinander und mit Unternehmen und Verwaltungen tätigen. Wenn meine Kinder alleine Zuhause sind, weil ihre Mutter und ich noch unterwegs sind - einer macht Überstunden wegen eines unerwarteten Vorfalls in einem Projekt, der andere steht im Stau, nur ein paar Kilometer außerhalb der Stadt, der aber die Heimfahrt um ein bis zwei Stunden verlängern wird - dann sollte es eine Art technologische Assistenz geben, um die Tür zu öffnen und ein Päckchen entgegen zu nehmen von einem menschlichen Postboten oder einem Roboter, der zertifiziert und authentifiziert wurde. Oder, falls es möglich wäre, könnte das Päckchen sofort umgeleitet werden zu einem der beiden Elternteile, mit einer Drohne ins Büro oder Auto (zu dem, der im Stau steht...), so dass die Kinder ihren Feierabend mit Spielen und Lesen verbringen können. In der Vergangenheit hätte man sich das oben beschriebene Szenario als einen Vorgang aus zusammengemixten Dienstleistungen vorgestellt, welche eine leistungsstarke Orchestrierung und eine ebenso erfolgreiche Choreographie verlangen. Hier hat ein gutes Stück Arbeit über die letzten 20- oder 30-Jahre stattgefunden, woraus Bereiche wie Dienstleistungen und Interoperabilität von IT-Systemen, usw. entstanden sind. Innovationen sind in diesen Bereichen herangereift. Was wir jetzt brauchen, ist weiterzugehen und dem Leben, dem echten Leben, wie es tagtäglich in unseren Routinen stattfindet, zu erlauben, die Führung zu übernehmen und die Dienstleistungen zu bestimmen. Man könnte jetzt gerechterweise fragen: und was hat Natural Language damit zu tun? Eine gute Frage, die eine ebenso gute Antwort braucht: Während der letzten 20 oder 30 Jahre hat sich die Sprachtechnologie so entwickelt, dass Ressourcen und Verarbeitungswerkzeuge jetzt klar voneinander getrennt sind. In der Vergangenheit haben regelbasierte Systeme spezielle Lexika enthalten, die wenig zu tun hatten mit am Menschen orientierten Lexika und mit Grammatikregeln, die völlig „unnatürlich“ sind im täglichen Gebrauch der Menschen. Heutige Korpora und Lexika sind sehr nahe am Menschen orientierte Ressourcen, während die Werkzeuge, mit denen sie verarbeitet werden, zu einem erheblichen Grad sprach-unabhängig sind. Was bedeutet das? In einfachen Worten: Man baut ein System, welches für den Gebrauch in Hongkong erstellt wurde und leicht anpassbar ist, um Sprachanforderungen zu erfüllen, wodurch dasselbe System oder eine hybride Anpassung für München oder Barcelona oder Edinburgh angeboten werden kann. Sprache mag immer noch eine Hürde für Menschen sein, aber Maschinen stehen kurz davor diese erfolgreich zu überwinden. Wer auch immer das anzweifelt, müsste sich nur Google Translate ansehen und ausprobieren - um nur ein bekanntes Beispiel zu nennen. Zukünftig wird es viele andere Anbieter geben, die Google Translate übertreffen werden, genauso wie ein Spitzenklasse-Automodell beispielsweise von Mercedes, wenn wir etwa ein aktuelles mit einem der ersten Modelle desselben Herstellers vergleichen. „Semantic Web“, das bisher immer als heiliger Gral angesehen wurde, um die darunterliegende Technologie vieler Denksysteme zu verbessern, wie zum Beispiel die des Bereichs von Sicherheit und Smart Cities, ist kein Allheilmittel für semantische Probleme, da es auf Sprache basiert. Wir können recht gehen in der Annahme, dass heutzutage Technologie mit multimodaler Semantik arbeiten kann. Allerdings bleibt Sprache für die menschliche Kommunikation das wichtigste Mittel und in diesem Sinne ist das semantische Netzwerk, welches Sprache als sein Rückgrat und seinen „Nukleus“ (größtenteils) gebraucht, derzeit das ausdrucksvollste und verlässlichste Werkzeug. Die „Reise“ in der Forschung endet niemals: Vor kurzem haben wir unsere neue Forschungs-Agenda für die nächsten Jahre geplant. Dabei können wir sehen, dass Blockchain, eine Technologie die - fälschlicherweise - mit Bitcoin in Verbindung gebracht wird, eine noch viel größere Rolle spielen wird. Für einige Anwendungen, für welche wir gewöhnlich Barcodes und QR-Codes verwenden, die jetzt schon nicht mehr innovativ sind, werden wir IoT-Sensoren verwenden, um Service und Produktströme von „der Wiege bis ins Grab“ zu verfolgen, und Blockchain- Technologie wird verwendet werden für Basissysteme zur Rückverfolgbarkeit und für Transparenz. Ich möchte diesen Beitrag mit einer Voraussage abschließen: Unsere Städte werden sicherer und viel intelligenter sein als heute. Das einzige, was ich nicht beantworten kann, ist die Frage, ob wir in dieser Zukunft glücklicher sein werden oder nicht. In meiner Eigenschaft als Wissenschaftler und Forscher, aber auch als Professor, der täglich mit jungen Menschen zu tun hat, kann ich sagen, dass wir jeden Grund haben, an diese bessere Zukunft zu glauben! Prof. Dr. Siegfried Handschuh Universität Passau Lehrstuhl für Informatik Digital Libraries and Web Information Systems Kontakt: siegfried.handschuh@uni-passau.de AUTOR