eJournals Transforming cities 2/4

Transforming cities
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2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2017-0080
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Transforming Security

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Stefan Pickl
Bahnhöfe funktionieren künftig wie Innenstädte – mit dieser Aussage wollte ich meine Studenten zu Beginn einer Vorlesung zum Nachdenken zu bringen. Allerdings erreichte ich (zunächst) das Gegenteil: Kopfschütteln, Desinteressiertheit: „Bahnhöfe sind doch langweilig, eigentlich immer schon“. „Gut, dann können wir ja hier aufhören“, entgegnete ich. Bis eine Studentin meinte: „Halt, moderne Bahnhöfe werden doch immer öfter außerhalb gebaut: Kassel Wilhelmshöhe, Frankfurter Fernbahnhof und beispielsweise der Hochgeschwindigkeitsbahnhof Hefei in China. Also, was meinen Sie damit?“
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7 4 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt City to Go Lange Zeit galten Städte als Orte des Flanierens. Man konnte in der Innenstadt spazieren gehen und auf dem Marktplatz ungezwungen verweilen. Zum Glück wurden nicht alle Marktplätze vor 50 Jahren zu Durchgangsstraßen gemacht, doch nahm das Automobil mehr und mehr Besitz von unseren Innenstädten. Dies führte nicht nur dazu, dass mehr und mehr Entwicklungen auf das Auto abgestimmt wurden, sondern auch, dass heute vor allem Autos den Stadtraum immer mehr blockieren und beeinträchtigen. Vor und nach einem 90 Minuten langen Fußballspiel steht man heute fast genauso lange in einem Parkhaus und wartet erst auf die Eindann auf die Ausfahrt. Und so entwickeln sich Bahnhöfe zunehmend von reinen Verkehrsflächen zu urbanen „Innenhöfen“, in denen neben Zügen vor allem Geschäfte zu finden sind und man eingeladen wird, auch zu flanieren. Und dies geschieht primär außerhalb der Innenstädte, an größeren zentralen Verkehrsknotenpunkten mit der Integration von Geschäften, teilweise Kinos und natürlich komplexen Bahnsteigzugängen. Bahn-Hof als Innen-Hof Diese Entwicklung ist derzeit intensiv zu beobachten und teilweise sogar so erfolgreich, dass Bahnhöfe damit die Debatte um die Ladenöffnungszeiten bestimmen. Was hat dies nun mit dem Thema Sicherheit zu tun? Es ist nur eine Seite der Medaille, dass sich Bahnhöfe immer mehr zu sogenannten „Einkaufstempeln“ wandeln. Auf der anderen Seite sind es Verkehrszentren, die zunehmend an das neue Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen werden, das in Deutschland hoffentlich bald in einer ähnlichen Bahnhöfe funktionieren künftig wie Innenstädte - mit dieser Aussage wollte ich meine Studenten zu Beginn einer Vorlesung zum Nachdenken zu bringen. Allerdings erreichte ich (zunächst) das Gegenteil: Kopfschütteln, Desinteressiertheit: „Bahnhöfe sind doch langweilig, eigentlich immer schon“. „Gut, dann können wir ja hier aufhören“, entgegnete ich. Bis eine Studentin meinte: „Halt, moderne Bahnhöfe werden doch immer öfter außerhalb gebaut: Kassel Wilhelmshöhe, Frankfurter Fernbahnhof und beispielsweise der Hochgeschwindigkeitsbahnhof Hefei in China. Also, was meinen Sie damit? “ Die Frage, wie das gemeint ist, soll auch Leitfaden für diesen Artikel sein. Wir alle beobachten, dass sich Städte derzeit massiv verändern bzw. „transformieren“. Veränderte Arbeitszeiten der Bewohner, E-Mobility und vor allem der Internethandel beeinflussen derzeit auch die moderne Stadtentwicklung und stellen Herausforderungen an speziell angepasste neue Sicherheitskonzepte. Einerseits werden die neuen Bahnhöfe die Knotenpunkte des Hochgeschwindigkeitsnetzes sein und verlangen nach einer erhöhten Sicherheit und „architektonischen Klarheit“. Andererseits verbindet man Bahnhofsflächen mit modernen Einkaufskonzepten und es wird den Sicherheitsmanagern schwer gemacht, ihre Aufgaben direkt zu erfüllen. Bahnhöfe waren lange die Zentren und zeichneten sich durch eine unmittelbare Anbindung zu den Innenstädten aus. Nun werden sie einer gänzlich neuen Rolle zugeführt. Dieses veränderte Rollenverständnis soll in diesem Artikel als Ausgangspunkt genommen werden. Damit geht jedoch auch ein anderes komplexeres Sicherheitsverständnis einher, das dann hauptsächlich thematisiert werden soll. Transforming Security Bahnhöfe sind die Innenstädte der Zukunft Sicherheitsmaßnahmen, Risikoreduzierung, Bahnhöfe, Verkehrsknoten, Öffentlicher Raum Stefan Pickl © UniBw 8 4 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Form ausgebaut wird, wie wir es schon länger in Frankreich beobachten können. Auch wenn sich der Autor bewusst ist, dass diese beiden Länder geographisch nicht vergleichbar sind, soll an dieser Aussage etwas festgemacht werden: Eine 200 Kilometer lange Hochgeschwindigkeitsstrecke wird nicht nach der erreichbaren Höchstgeschwindigkeit beurteilt, sondern nach dem langsamsten Streckenabschnitt - auch wenn der nur 20-Kilometer lang ist. Hochgeschwindkeitsnetz 2040 Entfernen wir uns vom Hauptthema oder umzingeln wir es gerade? Einerseits das Hochgeschwindigkeitsnetz, andererseits die Einkaufstempel: Sorgt man sich um die Sicherheit beim Hochgeschwindigkeitsnetz, verändert dies die Infrastruktur des Bahnhofs, sie wird zunehmend komplexer. Die Entwicklung des Hochgeschwindigkeitsnetzes ist (nach Meinung des Autors) eines der spannendsten Themen, das mit großen Veränderungen in Europa in den nächsten Jahren verbunden sein wird. ICE, TGV treten in Konkurrenz zum Flugzeug. Dies geschieht hinsichtlich der Schnelligkeit, des Komforts, des Preises, aber, und nun kommen wir zum Thema, auch hinsichtlich der Sicherheit und der integrierten Sicherheitskonzepte. Nicht umsonst wird von der Bahn als größtem Konkurrenten des Flugzeugs gesprochen. Und in der Tat ist auch der Vergleich mit Flughäfen doppelt gegeben. Bereits vor 20 Jahren wurde erkannt, dass man mit Flughäfen primär im Retail-Bereich Geld verdienen kann. Also richtete man mehr und mehr Geschäfte ein. Bei den Bahnhöfen ist es anders. Hier gab es schon immer Geschäfte und nun macht man sich Gedanken um die Sicherheit. Diese soll nun im Kontext von Transforming Security speziell behandelt werden. Der Bahnbetrieb war schon immer besonderen Sicherheitsvorkehrungen unterworfen: Personen können ins Gleisbett fallen, Fußballfans sind nicht immer die besten Reisebegleiter und auch Taschendiebe werden durch die Bahnreisenden angezogen. Neben Flughäfen ziehen jedoch auch Bahnhöfe und Hochgeschwindigkeitszüge vermehrt das Interesse von Terroristen auf sich. Die Frage, die sich hier stellt, ist, wie geht man damit um - und vor allem, wie wird sich dies in Zukunft entwickeln? Der Autor vertritt die Auffassung, dass sich die Verantwortlichen dieses Problems derzeit äußerst bewusst sind und ihm bereits hochprofessionell begegnen. Zwar sollte man sich klar machen, dass der Anteil von Terrorismus weltweit gegenüber Todesfällen durch Alkohol oder im Vergleich zur Kindersterblichkeit im allgemeinen eher zu vernachlässigen ist. Jedoch ist die Bedrohung ernst zu nehmen, da die Lage emotional sehr aufgeladen ist. Das bedeutet daher nicht, dass man die Zahlen nivellieren sollte. Hauptbahnhof Frankfurt. © Pixabay 9 4 · 2017 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt System of Systems Sicherheit ist kein Randthema, ganz im Gegenteil: Sicherheitskonzepte und Sicherheitsbewusstsein werden sich künftig verändern. Man wird nicht den Zug als solches absichern und auch nicht den Bahnsteigbereich, sondern wahrscheinlich ganze Zugangszonen. Eine komplexe Aufgabe, denn man kann zwar die Hautpzugänge absichern, aber kleinere Bahnhöfe werden dabei eher außen vor bleiben. Im Rahmen von Forschungsprojekten werden „Netze von Netzen“ derzeit an der Universität der Bundeswehr München (UniBW) untersucht und mit Kollegen des dortigen RISK-Centers diskutiert und weiterentwickelt. Terroristische Anschläge auf den ÖPNV erzeugen ein wachsendes Verunsicherungspotenzial bei Kunden und verstärken die Forderung nach mehr Sicherheit, vor allem im Bereich der Hochgeschwindigkeitssysteme. Dabei gilt es stets zwischen den anfallenden Kosten für Sicherheitsmaßnahmen und -technologien und der dadurch zu schaffenden Risikoreduzierung abzuwägen. Eine detaillierte Analyse ist aufgrund der großen Menge an Einflussfaktoren sehr komplex, weshalb wir uns im Rahmen des deutsch-französischen Verbundprojekts „REsilience of the Franco-German High Speed TRAIn Network“ (REHSTRAIN) dieser Aufgabe in speziellen Kontexten widmen. Das Projekt ist seitens Informatik, Wirtschaftsinformatik und insbesondere Operations Research eine große Herausforderung. Heutzutage steht man technischen Innovationen oft sehr skeptisch gegenüber. Ob dies gerechtfertigt ist? Wenn man sich klar macht, dass auch bei Tankstellen, Banken und Kinos verschiedene Sicherheitssysteme eingesetzt werden, könnte man sich ein größeres Objekt, wie einen Bahnhof, einfach als eine große Tankstelle vorstellen. Verschiedene Sicherheits-Szenarien untersuchen wir in einem internationalen Expertenkontext, entwickeln dabei Planspiele, berechnen Sensornetzwerke und wägen Vor- und Nachteile von Investionen ab. Aspekte, vor rund 10 Jahren als spieltheoretische Konzeption vorgestellt und teilweise belächelt, haben sich heute im strategischen Management fest etabliert und werden zum Teil sogar von der Wirklichkeit überholt. Der dafür entwickelte Begriff lautet: „Transforming Security“ oder auch „vorgelagerte Sicherheit“. Vorgelagerte Sicherheit Von dem ehemaligen Sicherheitschef des Frankfurter Flughafens hörte ich den Satz: „Wenn Sie mit Ihrem Auto den Flughafen erreicht haben, haben Sie den gefährlichsten Teil ihrer Reise bereits hinter sich und (nun) den sicheren Bereich erreicht.“ Bei Bahnhöfen wird es künftig ähnlich sein. Nicht die Fahrt im ICE wird den sicherheitsrelevanten Kernbereich darstellen, sondern die Bahnhöfe und verschiedenen Zugangsbereiche im Vorfeld. Welche Konzepte dazu entwickelt werden, kann man derzeit nur erahnen. Zugangskontrollen am Zug und auch auf dem Bahnsteig sind denkbar, auch wenn das manchen zu weit geht. Doch wenn schon Weihnachtsmärkte in unbedeutenden Vororten mit Betonkübeln geschützt werden, lohnt es sich auf jeden Fall, über Alternativen nachzudenken. Deutsch-Französisches Forschungsprojekt REHSTRAIN Im Rahmen des deutsch-französischen Forschungsprojektes REHSTRAIN, das auf dem RIKOV Projekt aufbaut, ist dies an mehreren Stellen erfolgreich geschehen und wird hoffentlich in einem dynamischen Forschungsverbund in Kooperation mit dem RISK Center der UniBW München und dem HOLM (House of Logistics and Mobility) weiter entwickelt. Ein Beispiel: Systeme von Google und Amazon können bereits heute sehr individuelles Verhalten erfassen und auch vorhersagen. Mit solchen Systemen lässt sich beispielsweise auch auffälliges Verhalten feststellen. Weiteres Beispiel: In kleineren Gemeinden hat man in den Innenstädten das Durchfahrttempo zu Zeiten von 50-km/ h auf 30 km/ h heruntergesetzt, um das Gefährdungspotenzial zu reduzieren. Dies war zwar mit Einschränkungen für den Autoverkehr verbunden, von der Einführung von Fußgängerzonen gar nicht zu sprechen. Wenn Bahnhöfe die neuen Marktplätze bzw. Innenstädte werden, dann kommen wir nicht umhin, auch Fragen hinsichtlich der Einführung einer sogenannten „Schrittgeschwindigkeit“ zu überdenken. Man kann nicht nur die Vorteile einer Veränderung aufnehmen. Manchmal gilt diese Schrittgeschwindigkeit auch nur für LKW, um eine gewisse Analogie herzustellen. Welche Einschränkungen sind wir bereit am Bahnhof auf uns zu nehmen, damit wir sorgenfreier flanieren und reisen können? Welchen Preis sind wir bereit dafür zu bezahlen? Das sind die beiden Kernfragen der „Transforming Security“. Prof. Dr. Stefan Pickl UniBW München, Risk Center Lehrstuhl für Operations Research, COMTESSA Kontakt: stefan.pickl@unibw.de AUTOR