Transforming cities
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Living LaB Ludwigsburg
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Das Innovationsnetzwerk LivingLaB Ludwigsburg wurde im Jahr 2015 gegründet. Zusammen mit Partnern aus Wirtschaft, Industrie und Forschungseinrichtungen will die Stadt innovative Lösungen für die Herausforderungen durch die Urbanisierung entwickeln, die dann vor Ort unter realen Bedingungen im Stadtraum erprobt werden. Im Interview spricht die Leiterin der Geschäftsstelle, Dr. Andrea Bräuning, über Smart Cities, Chancen und Risiken der Digitalisierung sowie über laufende Projekte des Netzwerks.
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4 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Mit welchem Programm ging das Living LaB Ludwigsburg vor drei Jahren an den Start? Das Living LaB wurde im Jahr 2015 auf Initiative von Oberbürgermeister Werner Spec gegründet. Das Living LaB bezieht sich auf die Gesamtstadt Ludwigsburg, die - als urbaner Raum - für innovative Lösungen genutzt wird, um den Herausforderungen durch die Urbanisierung aktiv zu begegnen. Living LaB ist aber auch ein offenes Innovationsnetzwerk mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Stadtverwaltung. Das Netzwerk wird durch die Geschäftsstelle Living LaB gesteuert. Sie setzt sich zusammen aus Partnern des Innovationsnetzwerks und Mitarbeitern der Verwaltung. Nach einer Benchmark-Studie des Fraunhofer IAO ist diese Konstellation, als integrierter Teil der Stadtverwaltung, einmalig in Europa, vermutlich weltweit. In Ludwigsburg unterstützen wir derzeit Pionierarbeit bei der Erforschung und Implementierung digitaler Lösungen in allen Bereichen der Stadt. Die beschleunigte Entwicklung städtischer Lebensräume und die Bewältigung besonderer Herausforderungen sind zentrale Aufgaben für die Kommune der Zukunft. Vor allem in Ludwigsburg begegnen wir diesem Wandel sehr offensiv und testen viele Möglichkeiten und Lösungen, die durch die Digitalisierung entstehen: Unter dem Motto „Digitalisierung, Beteiligung und Stadt“ ist Ludwigsburg eine von 20 ausgewählten Kommunen Deutschlands, die im Rahmen des Wettbewerbs „Zukunftsstadt“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert wird. Neben der Stadt Ludwigsburg arbeiten mehrere Partner im Netzwerk? In Ludwigsburg gilt der Anspruch: „Höchste Komplexität bei maximaler Gleichzeitigkeit.“ Dem ist nicht leicht zu entsprechen, wie Sie sich denken können! Es klappt nur, wenn alle Beteiligten zusammenarbeiten und sich nicht als Konkurrenz verstehen. Neben Innovationsnetzwerkpartnern aus Wirtschaft und Forschung baut das Living LaB auf die Unterstützung der Gesamtverwaltung sowie der städtischen Unternehmen Stadtwerke und Wohnungsbau Ludwigsburg. Gemeinsam entwickeln wir Projekte in den Schwerpunktthemen Architektur und Gebäude, Energie und Klima, Mobilität sowie IT und eGovernment und setzen diese auch sukzessive und gemeinsam um. Steht Digitalisierung auf dem Weg zur „Smart City“ im Vordergrund? Nein, nicht die Digitalisierung oder die technische Machbarkeit sind Treiber für Smart City in Ludwigsburg, sondern der Nutzen, der für die Bürger daraus entstehen kann, treibt uns an. Aufgrund zunehmender Digitalisierung steigt entsprechend die Vernetzung der Segmente Energie, Mobilität, Informationstechnologie, Gebäude und Sicherheit. Die historisch gewachsenen Segmentabgrenzungen lösen sich auf und können - im Sinne der Nachhaltigkeit - zunehmend vernetzt werden. Das ist eine Chance. Der Stolperstein liegt darin, dass die Strukturen innerhalb und zwischen Organisationen diesen segmentübergreifenden Ansatz noch wenig abbilden. Living LaB Ludwigsburg Das Konzept Smart City im Praxistest Das Innovationsnetzwerk LivingLaB Ludwigsburg wurde im Jahr 2015 gegründet. Zusammen mit Partnern aus Wirtschaft, Industrie und Forschungseinrichtungen will die Stadt innovative Lösungen für die Herausforderungen durch die Urbanisierung entwickeln, die dann vor Ort unter realen Bedingungen im Stadtraum erprobt werden. Im Interview spricht die Leiterin der Geschäftsstelle, Dr. Andrea Bräuning, über Smart Cities, Chancen und Risiken der Digitalisierung sowie über laufende Projekte des Netzwerks. Marktplatz Ludwigsburg. © GDA Peter Albig 5 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Worin sehen Sie die Chancen und Risiken digitaler Stadtstrukturen? Der wesentliche Erfolgsfaktor auf dem Weg zur Smart City liegt im Prozess der Umsetzung von Lösungen, die auf übergeordnete Themen einzahlen - und eben nicht nur im Segment oder Einzelprodukt optimieren. Beispiele, die wir in Ludwigsburg in diesem Sinne angehen, sind Luftqualität, gesamtstädtische Parkraumlösungen oder Quartiersentwicklungen, die von Anfang an Energie-, Smart Home-, Mobilitäts- und Sicherheitskonzepte integriert denken. Da geht es auch um neue Geschäftsmodelle und Rollen für traditionelle Unternehmen in ihren angestammten Branchen. Entsprechend birgt die Entwicklung auch disruptives Potenzial. Welche Impulse ergeben sich daraus für Stadtplanungsprozesse? Wichtig ist der gemeinsame Prozess mit der Stadtverwaltung. Dort entstehen Ideen für Lösungen, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle, die als Pilotprojekt entwickelt, getestet und zur Marktreife gebracht werden. Diese Lösungen unterstützen das Erreichen der Ziele des nachhaltigen Stadtentwicklungskonzepts, das zusammen mit Bürgern bereits vor Jahren aufgesetzt und regelmäßig unter Bürgerbeteiligung weiterentwickelt wird. Können neben Unternehmen auch Kommunen vom wachsenden Markt digitaler Technologien und Produkte profitieren? Wir stellen fest, dass unser Living LaB auf Interesse bei anderen Kommunen stößt. Das zeigt sich an der steigenden Zahl nationaler und internationaler Anfragen aus Verwaltung und Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Presse und Konferenz-Veranstaltern. Obwohl Ludwigsburg, mit knapp 100 000 Einwohnern nicht zu den „Großen und weithin Bekannten“ zählt, ist die Stadt mit dem Living LaB doch ein Vorreiter bei der co-innovativen Stadtentwicklung in Europa - was die eingangs erwähnte Benchmark- Studie von Fraunhofer belegt. Sind neue Formen der Bürgerbeteiligung notwendig, damit Veränderungen breiten Konsens finden? Eine der zentralen Herausforderungen liegt in einer nachhaltigen Flächenentwicklung für Wohnen und Gewerbe. Es gilt Antworten zu finden zu einer angemessenen Siedlungsdichte, den Grenzen des Wachstums sowie qualitätsvollen Grün- und Freiflächen für die Erholung und das Wohlbefinden der in Ludwigsburg lebenden und arbeitenden Menschen. Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen hat die Stadt Ludwigsburg 2004 einen integrierten Stadtentwicklungsprozess mit einer umfassenden Bürgerbeteiligung begonnen. Im Rahmen dieses zweijährigen Entwicklungsprozesses mit rund 1000 interessierten Bürgerinnen und Bürgern entstand das Stadtentwicklungskonzept „Chancen für Ludwigsburg“. Es enthält Leitsätze und Ziele zu elf Themenfeldern, die das gesamte städtische Handeln abdecken - wie Arbeit, Wohnen, Bildung, Mobilität oder Energie. Im Rahmen des integrierten Nachhaltigkeitsmanagements wird der Stadtentwicklungsprozess kontinuierlich weiterentwickelt. Um eine strukturierte Steuerung dieses Prozesses und der Arbeit innerhalb der Verwaltung sicherzustellen, hat die Stadt Masterpläne und eine eigene Software („KSIS“) geschaffen, welche die strategischen Ziele und die Umsetzung erfassen, verfolgen und für alle Beteiligten und Interessierten transparent machen. Welche Projekte laufen derzeit beim Living LaB Ludwigsburg? Im Bereich Architektur setzt Ludwigsburg stark auf das Prinzip von Cradle 2 Cradle. Hierfür gibt es mehrere Projekte im Bereich öffentlicher Gebäude und Wohnen. Ich greife als Beispiel ein Thema heraus, das viele Kommunen betrifft: das kurzfristige Leiterin der Geschäftsstelle Living LaB Ludwigsburg, Dr. Andrea Bräuning. © Helmut Pangerl 6 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Schaffen von nachhaltigem Wohnraum für Flüchtlinge. Die Wohnungsbau Ludwigsburg hat mit wissenschaftlicher Begleitung, der DGNB Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen und einem Architekturbüro ein modulares Holzbau-System entwickelt: Der „Cube 11“ ermöglicht aufgrund der klaren Gebäudegeometrie und der einfachen Tragstruktur einen hohen Vorfertigungsgrad und war nach nur drei Monaten Bauzeit fertig gestellt. Aktuell überlegen wir, wie industrielle Fertigungsprozesse der Automobilindustrie auf den Holzmodulbau übertragen werden können, um so energieeffiziente, schadstoffarme und vor allen Dingen nachhaltige Baukörper weiter zu optimieren. Im Bereich Energie und Klima laufen derzeit mehrere Projekte, die auf das übergeordnete Thema Luftqualität einzahlen. Neben Feinstaubreduzierung, Klimaanpassung und Lärmschutz gehört auch die Reduzierung von Stickoxiden dazu. Das Luftqualitätskonzept setzt dabei auf das Messen und Regeln im Außen- und Innenraum. Ein Beispiel sind die Umweltmessboxen der Firma Bosch, die insgesamt 12 Luftparameter messen. Auf Basis von Messwerten kann eine Immissionskarte entstehen, die unter Einbindung von Raumdaten (zum Beispiel Verkehr, Wetter, Gebäude) ein umfassendes Bild der Luftqualität ermöglicht. Entsprechend können Effekte von Maßnahmen erfasst und diese gezielt platziert werden. Solche Maßnahmen können Wände für Biodiversität sein, wie wir sie derzeit mit Züblin und Helix pilotieren. Ein anderes Projekt sind die Luftqualitätsmess- und Reinigungsgeräte der Firma Mann+Hummel. Zusammen mit dem Fachbereich Hochbau und Gebäudewirtschaft wurden rund 70 Messgeräte in öffentlichen Gebäuden (Rathaus, Schulen, etc.) aufgestellt. Während der einjährigen Pilotphase werden Daten der Innenraum-Luftqualität erfasst, analysiert und mit 50 Luftreinigungsgeräten verbessert. Wir versprechen uns Aufschluss über den Einfluss der Luftqualität hinsichtlich Arbeits- und Aufenthaltsqualität der Menschen, die in diesen Räumen lernen und arbeiten. Im Bereich Mobilität haben wir mit der Firma Swarco Traffic Systems GmbH eine strategische Partnerschaft aufgesetzt. Im Rahmen dieser Partnerschaft laufen Pilotprojekte, die auf übergeordnete Handlungsstränge wirken: Vernetztes Fahren, Parken und Laden sowie Integriertes Verkehrsmanagement. Ein Beispiel für vernetztes Fahren ist die Priorisierung von Einsatzfahrzeugen der Feuerwehr an Lichtsignalanlagen. Derzeit läuft ein Pilot bei dem acht Anlagen auf die Car2X-Technik umgestellt werden - auf dieser Basis kommunizieren Fahrzeug und Signaltechnik direkt miteinander und ermöglichen eine grüne Welle. Eine nächste Phase des Pilotprojektes kann die Priorisierung des ÖPNV sein sowie die Ampelphasenanzeige für PKW und Radfahrer. Im Bereich IT und eGovernment hebe ich drei Projekte hervor, die für den Bürger einen spürbaren Mehrwert bieten und die städtischen Mitarbeiter darüber hinaus entlasten. Gemeinsam mit dem Bürgerbüro arbeiten wir an einem 24/ 7 Terminal, an dem der Bürger seinen beantragten Personalausweis oder Reisepass jederzeit abholen kann, ohne sich an die Öffnungszeiten des Amtes richten zu müssen. Projektpartner ist die Firma Kern, die im Rahmen dieses Piloten ihr Paket-Terminal weiterentwickeln. Wenn der Bürger dann doch mal im Bürgerbüro ist, empfängt ihn ein Service-Roboter zur Erstbegrüßung und als Wegweiser. Schließlich ist ein ganz zentrales Projekt der digitalen Transformation in Ludwigsburg die Smart City Cloud für die derzeit ein Proof of Concept mit der Firma Bosch läuft. Woher kommen die Impulse, Projektideen, Forschungsansätze? Im Jahr 2015 lud Oberbürgermeister Spec Unternehmen und Wissenschaft vor Ort und aus der Region ins Innovationsnetzwerk ein. Seitdem treffen sich Vertreter dieser Organisationen zum regelmäßigen Austausch. Die Netzwerktreffen werden von der Geschäftsstelle Living LaB organisiert. Es gibt ein Format, bei dem die Projektbeteiligten ihre laufenden Aktivitäten vorstellen und ein anderes bei dem Experten übergeordnete Fragestellungen diskutieren und Projekte entwickeln. Das Netzwerk ist offen für jeden, der bereit ist, Innovationen pilothaft im LaB zu entwickeln. Darüber hinaus können Netzwerkpartner natürlich weitere Interessierte mitbringen. Und schließlich haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Stadtverwaltung Austausch mit Fachfirmen, die ebenfalls eingebunden werden können. Kann jeder Bürger mit einer guten Idee zu Ihnen kommen? Theoretisch ja. Alle Projektideen werden nach Kriterien, die wir für Living LaB Projekte definiert haben, bewertet. Zunächst prüfen wir, ob das Ergebnis aus dem Projekt dem Bürger oder der Verwaltung einen Nutzen bietet. Ist dies der Fall, schauen wir auf die Vereinbarkeit mit den Zielen des Stadtentwicklungskonzeptes. Nur wenn eine Zuordnung möglich ist, evaluieren wir als letzten Schritt den Innovations- und Neuheitsgrad sowie potenzielle Skalierbarkeit der Lösung.
