eJournals Transforming cities 3/1

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0012
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München vernetzt sich mit der Sonne

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Andreas Weigand
Die Dekarbonisierung der Energieerzeugung und die damit zusammenhängende, im Wesentlichen auf Erneuerbare Energien fußende Bereitstellung von Energiedienstleistungen ist eine der zentralen gesellschaftlichen Zukunftsaufgaben. Im Rahmen des Forschungs- und Demonstrationsprojektes „C/sells“ im Solarbogen Süddeutschlands wird während einer Laufzeit von vier Jahren gezeigt, wie die intelligente Energieversorgung der Zukunft funktionieren kann.
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30 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Wenn in München an einem klaren, kalten Wintermorgen die Sonne aufgeht, die Alpenkette im Süden zum Greifen nah scheint, wird schnell klar: Es ist ein „C/ sells-Tag“! Bei den Stadtwerken München wird am Leitstand verfolgt, ob die Planung des Vortags die Erwartungen erfüllt. Ein Teil des Heizenergiebedarfs von Power-to-Heat-Anlagen, also Elektrospeicherheizungen und Wärmepumpen, wurde aufgrund der Wettervorhersage und der Strompreisprognosen aus den Nachtstunden verschoben und mit der Erzeugung der Photovoltaikanlagen synchronisiert. Tagsüber fließt jetzt Solarstrom in die Heizungen und sorgt für Wärme an diesem kalten Wintermorgen. Was heute nur unter hohem Aufwand zu realisieren ist, wird bald Alltag in einer vernetzten Energieversorgung sein. Rund 50 Partner aus der Energiewirtschaft, IT-Unternehmen und Forschungsinstitute aus Süddeutschland haben sich im Verbundprojekt „C/ sells“ zusammengeschlossen. Zum Jahreswechsel 2016/ 2017 fiel der Startschuss für fünf Demonstrationsvorhaben in Deutschland, die im Rahmen des Förderprogramms „Schaufenster intelligente Energie - Digitale Agenda für die Energiewende“ (SINTEG) bis Ende 2020 umgesetzt werden. „C/ sells“ ist die größte dieser Modellregionen und erstreckt sich über die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. Baden-Württemberg, Bayern und Hessen bilden den „Solarbogen Süddeutschland“ Mit „C/ sells“ wird demonstriert, wie die Energiewende und der Ausbau von Erneuerbaren Energien in Zukunft großflächig realisiert werden können. Dabei steht das „C“ für Cells und repräsentiert die Zellen, in welche die gesamte Modellregion in Summe gegliedert ist. Sells hingegen verweist auf neue Geschäftsmodelle, die im Rahmen der digitalen Energiewende neue Wirtschaftsstrukturen und -chancen entstehen lassen. Die Zellen sind dabei vielfältig: vom Straßenzug eines Dorfes über Flughäfen hin zu Industriebetrieben und urbanen Quar- München vernetzt sich mit der Sonne Andreas Weigand Die Dekarbonisierung der Energieerzeugung und die damit zusammenhängende, im Wesentlichen auf Erneuerbare Energien fußende Bereitstellung von Energiedienstleistungen ist eine der zentralen gesellschaftlichen Zukunftsaufgaben. Im Rahmen des Forschungs- und Demonstrationsprojektes „C/ sells“ im Solarbogen Süddeutschlands wird während einer Laufzeit von vier Jahren gezeigt, wie die intelligente Energieversorgung der Zukunft funktionieren kann. PRAXIS + PROJEKTE Energie 31 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie tieren. Eine wichtige C/ sells-Demonstrationszelle ist München. In der Isarmetropole zeigen die Stadtwerke München, welches Potenzial in der Vernetzung von Elektrizität und Wärme, der sogenannten Sektorkopplung, steckt. Im C/ sells-Teilprojekt „Intelligente Wärme München“ sollen dazu mehrere hundert Münchner Haushalte mit intelligenter Mess- und Steuertechnik ausgestattet werden. Die Grundidee ist, dass sich Wärme wesentlich leichter speichern lässt als Strom. Wenn Photovoltaikanlagen oder Windräder viel Strom erzeugen, kann das Laden von Elektrospeicherheizungen und Wärmepumpen diese Spitzen auffangen. Auf diesem Weg können unsere Kunden aktiv an der Energiewende teilhaben - ohne dabei auf Wärme und Komfort verzichten zu müssen. Die Bewirtschaftung der Wärmeanlagen beim Kunden erfolgt dabei über das virtuelle Kraftwerk (vKW), das die Stadtwerke München schon seit vielen Jahren erfolgreich betreiben. Von hier aus wird gesteuert und überwacht. Zur Abstimmung zwischen Stromproduktion und -bedarf werden die entsprechenden Informationen mithilfe „intelligenter Messsysteme“ direkt aus den Kundenanlagen übertragen. Auch Wetterdaten und Impulse von den Strommärkten werden herangezogen, um den Heizstrombezug zu optimieren. Aktive Beteiligung des Konsumenten Das Bild der klassischen Energieversorgung von der zentralen Erzeugung in Großkraftwerken über die Verteilung bis hin zum Endverbrauch verändert sich zusehends. Vielmehr zeichnen sich zukünftige Energiesysteme vor allem durch einen verstärkten Energiefluss in beide Richtungen aus - also auch von der Ebene des Endverbrauchs über die Energieverteilung bis hin zu den Transportnetzen. Dank der erhöhten informationstechnischen Vernetzung des Systems können nicht nur relevante Daten ausgetauscht, sondern auch eine aktive Beteiligung des Konsumenten ermöglicht werden. Bei den Stadtwerken München ist Bild 1: Zusammenspiel von virtuellem Kraftwerk und dem Projekt „Intelligente Wärme München“. © SWM © pixabay 32 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie man überzeugt, dass die Energiewende nur gelingen kann, wenn die Bürgerinnen und Bürger mit eingebunden werden. Die intelligente Nutzung der natürlichen Energiequellen, verbunden mit den neuen Möglichkeiten der digitalen Welt, muss auch für sie erlebbar und nachvollziehbar sein. Kooperation mit Wohnbaugesellschaften Bereits im frühen Projektstadium haben die SWM die Kooperation mit Wohnbaugesellschaften gesucht. Die erste Testliegenschaft befindet sich im Stadtteil Pasing. Dort wird ein Wohngebäude mit 27 Parteien derzeit für das Projekt vorbereitet. Neben neuen intelligenten Messeinrichtungen werden auch neue Steuergeräte eingebaut, um die Freigabezeiten der Speicherheizungen zu individualisieren. Darüber hinaus installieren die SWM eine Photovoltaikanlage auf dem Dach des Hauses. Anliegen ist, die Energiewende gemeinsam mit den Privathaushalten zu gestalten und den Kunden transparent machen, wie ihre Speicherheizung bewirtschaftet wird. Später werden diese Informationen auch in einer App abrufbar sein. Der zusätzlich benötigte Strom wird über Biogasbauern, die ihren Strom ins Virtuelle Kraftwerk einspeisen, bezogen werden. Wie in den meisten Großstädten lebt auch in München der überwiegende Teil der Bevölkerung in Mehrparteienhäusern. Da sich die Zählerinfrastruktur in der Regel im Besitz des Vermieters befindet, muss dieser auch in das Projekt mit eingebunden werden. Neben dem komplexen Vertragswerk ist die größte Herausforderung die Vielzahl der verschiedenen verbauten Lösungen. Gerade in der Anfangsphase ist es notwendig, in Terminen vor Ort heraus zu finden, welches individuelle Konzept für die jeweilige Location geeignet ist. Enge Verzahnung mit Forschungsinstituten Für die wissenschaftliche Begleitung zeichnet die Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE) verantwortlich. Das renommierte Forschungsinstitut im Münchner Stadtteil Fasanerie arbeitet an der technischen Konzeption mit und entwickelt die Algorithmen, die später zur Speicherbewirtschaftung herangezogen werden. „Die spannende Frage ist, welche der Lösungen möglichst hohe Transparenz bei gleichzeitig niedrigen Anbindekosten bringt. Schon in der Konzeption entscheidet sich, wieviel Potenzial wir später in der Bewirtschaftung der Wärmestromanlagen heben können“ erläutert Simon Greif, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FfE. Energie- und Verkehrswende als Herausforderung für die Netze Die Energiewende stellt schon heute die Energieversorgung täglich vor die Herausforderung, hohe Erzeugungsleistungen in den Mittel- und Niederspannungsnetzen zu bewältigen. Durch die grundsätzlich unterschiedliche Netztopologie urbaner und ländlicher Energienetze ergeben sich auch für die SWM in München spezielle Anforderungen: Im engmaschigen Versorgungsnetz einer Stadt sind regenerative Einspeiser kein Thema, während die Netze zum Beispiel für die hohen Bezugslasten mehrerer nebeneinander liegender Schnelladesäulen für E-Autos fit gemacht werden müssen. Die Erfahrungen, die jetzt in der Anbindung und Flexibilisierung von Wärmestromanlagen gesammelt werden, fließen bereits heute in technische und strategische Lösungen im Rahmen der Elektromobilität ein. Ein enger Austausch garantiert, dass man sich sowohl prozessual, wie auch technisch auf derselben Plattform bewegt. Da ein Hauptfokus im C/ sells- Projekt die Abstimmungskaskade ist, die im Teilprojekt 4 bearbeitet wird - also ein definierter Abstimmungsprozess zwischen Übertragungsnetz- und Verteilnetzbetreibern und den Marktakteuren - besteht ein wertvoller Erfahrungsaustausch zwischen Theorie, Konzeption und Praxis. Ziel: Massentauglichkeit! Nach grundsätzlichen Fragen im ersten Projektjahr steht 2018 ganz im Zeichen der Skalierung. Um das Ziel zu erreichen, mehrere hundert Münchner Haushalte im Projekt zu bündeln, starten die SWM weitere Projekte mit der Wohnungswirtschaft. Außerdem sind Konzeption und Einbindung von Wärmepumpen und der Kälteversorgung ein Schwerpunkt für das laufende Projektjahr. Nicht zuletzt ist mit dem Aufwuchs auch die Gewinnung und Betreuung von Testkunden verbunden. Die dafür ausgeprägten Prozesse werden mit dem wachsenden Kundenstamm kontinuierlich angepasst und verbessert. Und mit jedem dieser „C/ sells- Tage“ werden die SWM ihrem Ziel, das Potenzial der Sektorkopplung als eine der tragenden Säulen der Energiewende demonstriert zu haben, ein Stück näher kommen. Andreas Weigand Projektleiter Intelligente Wärme München Stadtwerke München Kontakt: Weigand.Andreas@swm.de AUTOR