Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0015
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Steuerungsmodell für eine klimaresiliente Smart City
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Veronika Zettl
Natalie Pfau-Weller
Die Steigerung der Resilienz einer Stadt gegenüber klimatischen Veränderungen durch geeignete Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen stellt für viele Kommunen eine große Herausforderung dar. Im Forschungsprojekt SMARTilience wird deshalb ein Steuerungsmodell für die klimaresiliente Stadtentwicklung als Prototyp entwickelt und in den Reallaboren Halle (Saale) (Bild 1) und Mannheim (Bild 2) umgesetzt, das Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen integriert, ressortübergreifend angelegt ist und sozio-technische, smarte Tools einsetzt, um Hürden in der Stadtplanung und -entwicklung zu überwinden. SMARTilience wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.
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40 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die intelligente Stadt Steuerungsmodell für eine klimaresiliente Smart City Planung und Entwicklung klimaresilienter Städte mit Hilfe sozio-technischer, smarter Instrumente Resilienz, Steuerungsmodell, Klimafolgenanpassung, Stadtverwaltung, Ko-Kreation Veronika Zettl, Natalie Pfau-Weller Die Steigerung der Resilienz einer Stadt gegenüber klimatischen Veränderungen durch geeignete Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen stellt für viele Kommunen eine große Herausforderung dar. Im Forschungsprojekt SMARTilience wird deshalb ein Steuerungsmodell für die klimaresiliente Stadtentwicklung als Prototyp entwickelt und in den Reallaboren Halle (Saale) (Bild 1) und Mannheim (Bild 2) umgesetzt, das Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen integriert, ressortübergreifend angelegt ist und sozio-technische, smarte Tools einsetzt, um Hürden in der Stadtplanung und -entwicklung zu überwinden. SMARTilience wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Bild 1: Marktplatz Halle. © Stadt Halle (Saale), Pressestelle THEMA Die intelligente Stadt 41 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Die Folgen des Klimawandels stellen eine große gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Herausforderung dar und insbesondere in Städten, in denen bereits heute der Großteil der Weltbevölkerung lebt, steigt der Veränderungsdruck: Hitzeinseln und drückende Luft in dicht bebauten Straßenzügen belasten die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner und mindern die Attraktivität und den Lebenswert einer Stadt; Extremwetterereignisse wie Starkniederschläge oder Stürme gefährden Leben und wirtschaftliche Werte und können erhebliche Kosten verursachen [1]. Die verheerenden Pfingstunwetter 2016 in Deutschland und die atlantischen Hurrikane Harvey und Irma 2017 haben das Schadenspotenzial von Extremwetterereignissen dramatisch belegt. Bedingt durch den Klimawandel ist in den kommenden Jahrzehnten mit einer Zunahme solcher extremeren Wetterereignisse zu rechnen. Smarte Städte reagieren bereits heute auf die Herausforderungen von morgen. Klimaresilienz in Städten: ein steiniger Weg Um die Resilienz einer Stadt gegenüber klimatischen Veränderungen zu erhöhen, gewinnen Maßnahmen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung zunehmend an Bedeutung. Manche deutsche Städte und Gemeinden gehen den Klimaschutz bereits aktiv an und haben beispielsweise Stellen für die Klimaschutzkoordination eingerichtet, die Bedarfe identifizieren, adäquate Maßnahmen ableiten und ressortübergreifend umsetzen sollen. Doch im Prozess ergeben sich zahlreiche Hürden: Zwischen Klimaschutz und Klimaanpassung bestehen teils Zielkonflikte, die sich zum Beispiel bei der Nutzung von Flächen für konkurrierende Maßnahmen des Hochwasserschutzes und der Gewinnung von regenerativen Energien für Elektromobilität zeigen. Im Klimaschutz und in der Klimaanpassung greift eine Vielzahl von Rahmenbedingungen. Bei der Fülle an Handlungsempfehlungen und Vorgaben wissen Kommunen oftmals nicht, welche der Maßnahmen für die jeweils individuellen Bedarfe passend sind und wie diese umgesetzt werden können [2]. Es fehlt an Erfahrungs- und Wissensaustausch innerhalb und zwischen den Kommunen. Die Komplexität des politischen Systems einer Stadt, in dem eine Vielzahl von Akteuren auf unterschiedlichen Handlungsebenen (Stichwort: Multilevel-Governance) und mit teils unterschiedlichen Interessen mitwirkt, führt zu mitunter langwierigen Planungs- und Entscheidungsprozessen [3]. Die Arbeit in Stadtverwaltungen ist oftmals stark vom Denken in Ressortstrukturen geprägt. Dies erschwert die Planung und Umsetzung integrierter Maßnahmen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung, welche die Fachbereiche für Umwelt, Verkehr, Infrastruktur, Katastrophenschutz und Sicherheit, Stadtplanung oder andere betreffen können. Teilweise konkurrieren die Zielvorgaben der einzelnen Ressorts, es fehlt an Ressourcen für die ressortübergreifende, projektbezogene Zusammenarbeit oder an etablierten Prozessen innerhalb und außerhalb der Stadtverwaltung. Auch Klimaschutzkoordinatorinnen und -koordinatoren stoßen dabei an Grenzen. Die Anpassungsbedarfe in den deutschen Kommunen liegen laut einem Hintergrundpapier zur Klimaökonomie bei jährlich circa 2,5 bis 6 Mrd. Euro [4]. Die angespannte finanzielle Lage deutscher Kommunen erschwert derartige Investitionen in Klimaschutz und Klimaanpassung. SMARTilience schafft Abhilfe: sozio-technische, smarte Tools zur Überwindung der Hürden Im Forschungsprojekt SMARTilience, das vom Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT) der Universität Stuttgart geleitet wird und dessen Definitionsphase seit Mai 2017 läuft, soll gemeinsam mit den Partnern Drees & Sommer, Malik und HafenCity Universität Hamburg sowie den Städtepartnern Halle (Saale) und Mannheim ein Steuerungsmodell für die klimaresiliente Stadtentwicklung konzipiert und in den Reallaboren erprobt werden. Ziel ist es, die kommunalen Entscheidungs- und Handlungsträger beim effizienten Klimahandeln zu unterstützen und ihnen Instrumente zur Verfügung zu stellen, die bei der Überwindung der genannten Hürden helfen. SMARTilience setzt dabei in dreierlei Hinsicht auf smarte, sozio-technische Instrumente: 1. Ressortübergreifende, systematische Nutzung von Geodaten: Die Geodaten deutscher Kommunen stellen große Potenziale dar, die noch nicht umfassend (für die Klimaanpassung) genutzt werden [5]. In SMARTilience werden Instrumente für die datengestützte Steuerung, Planung und Umsetzung von Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen entwickelt und angewendet, die an diesem Potenzial ansetzen. So werden die vorhandenen Daten in den Reallaboren analysiert, ressortübergreifende Synergien und Einspareffekte aufgedeckt, Optimierungspotenziale für Datenbestände identifiziert 42 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die intelligente Stadt wird deshalb zunächst das vorhandene Wissen aus Forschung und Praxis zu Klimaresilienz in Städten systematisiert und der Öffentlichkeit über eine open-access-Plattform zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wird im Projekt der Ansatz des Peer-to-Peer-Learning verfolgt und als Instrument für das sozio-technische Steuerungsmodell weiterentwickelt. SMARTilience baut dabei auf einem Methodenset auf, das bereits in anderen Smart City- Projekten und in den Partnerstädten erprobt wurde. Der Entwicklungsstand der Projektarbeiten in den Reallaboren und die spezifischen Herausforderungen und Risiken werden in drei Zyklen mit einem entsprechenden Befragungsinstrument erhoben. Die identifizierten, zwischen den Städten geteilten Herausforderungen und Risiken werden dann in einem Peer-to-Peer-Workshop aufgegriffen und in einem moderierten Prozess ko-kreativ und ggf. durch Impulse externer Expertinnen und Experten bearbeitet. Um das Verständnis füreinander und für die spezifischen Herausforderungen und Vorgehensweisen in den Reallaboren zu erhöhen, werden die Lernformate Studying, Mentoring und Shadowing vor Ort in den Reallaboren durchgeführt. und anwenderzentrierte Datennutzungsstrategien entwickelt. Diese werden dann in entsprechende Klimaresilienz-Konzepte integriert. Basierend auf Geoinformationsdaten werden Maßnahmen priorisiert und ihre Umsetzung vorbereitet. Darüber hinaus werden Betroffenheiten, Bedarfe und Anpassungspotenziale für die Kommunikation innerhalb und außerhalb der Kommunalverwaltung visualisiert. 2. Innovative Methoden für den systematischen Wissensaustausch Eine große Herausforderung bei Stadtentwicklungsvorhaben ist der fehlende Austausch von Erfahrung und Wissen zwischen Kommunen. In SMARTilience „Ziel ist es, die ressortübergreifend vorhandenen Geodatenbestände systematisch zu nutzen, um die Umsetzung kommunaler Konzepte für Klimaschutz und Klimaanpassung zu fördern. Durch die Visualisierung der Daten und Strategien kann die Kommunikation nicht nur zwischen Ressorts, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit entscheidend verbessert werden“, so Alyssa Weskamp, Projektleiterin für Drees & Sommer in SMARTilience. VISUALISIERUNG Bild 2: Mannheimer Wasserturm. © Stadt Mannheim THEMA Die intelligente Stadt 43 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES 3. Ko-Kreation von Klimaresilienz-Strategien in Städten durch Syntegration Um die verschiedenen Akteure und Ressorts in den Städten und Gemeinden von Anfang an in Stadtplanungs- und Stadtentwicklungsvorhaben für mehr Klimaresilienz einzubinden und Wissenssilos zu überwinden, wird in SMARTilience das Syntegrationsverfahren ® des Partners Malik Institut eingesetzt. In einem dreieinhalbtägigen Großgruppen-Workshop bringen rund 40 Personen, die die verschiedenen Akteurs- und Anspruchsgruppen vertreten, ihr Wissen zusammen, definieren gemeinschaftlich die zu bearbeitenden Themen, identifizieren Schlüsselherausforderungen, erarbeiten ko-kreativ neue Lösungen und leiten eine ressortübergreifende Klimaresilienz-Strategie ab. Malik begleitet, moderiert und unterstützt den Kommunikationsprozess und erarbeitet Diagnosen zu einer Governance, die der wirksamen Umsetzung der erarbeiten Strategie dienen. Durch die zielgerichtete Synthese des Wissens aller beteiligten Akteure können neue, umsetzungsbereite Lösungen erarbeitet werden. Zudem hilft das Syntegrationsverfahren ® den Städten dabei, politische Barrieren zu überwinden und durch Beteiligung Verbindlichkeit und Zusammenarbeit zu fördern. Integration der Tools in die Urban Governance Toolbox für klimaresilientes Handeln Die sozio-technischen „smarten“ Tools sollen in den SMARTilience-Reallaboren Halle (Saale) und Mannheim erprobt, entsprechend den Praxiserfahrungen und -erkenntnissen weiterentwickelt und anschließend in die sogenannte Urban Governance Toolbox integriert werden. Die Toolbox soll für Städte und Gemeinden Werkzeuge zur Verfügung stellen, die je nach Bedarf, Rahmenbedingungen und Voraussetzungen zur Steuerung von Klimaresilienz-Strategien und -Projekten eingesetzt werden können und dabei die verschiedenen Aspekte von Klimaresilienz adressiert, von der CO 2 -Vermeidung über den Umgang mit Starkregen und Hitzeinseln bis hin zu Hochwasser- und Katastrophenschutz. Die Tools sollen Entscheidungs- und Handlungsträgerinnen und -trägern in Städten und Gemeinden darin unterstützen, Maßnahmen der Klimaresilienz integriert und ressortübergreifend zu betrachten, spezifische Bedarfe sichtbar und kommunizierbar zu machen, politische Barrieren zu überwinden und so Städte und Gemeinden auf die Herausforderungen von morgen vorzubereiten. LITERATUR: [1] Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): Klimawandel kostet die deutsche Volkswirtschaft Milliarden. DIW Wochenbericht Nr. 11/ 2007, 74. Jahrgang / 14. März 2007, Berlin. [2] Knieling, J., Roßnagel, A. (Hrsg.): Governance der Klimaanpassung: Akteure, Organisation und Instrumente für Stadt und Region. München, 2014. [3] Holzinger, K. Knill, C., Lehmkuhl, D.: Politische Steuerung im Wandel: Der Einfluss von Ideen und Problemstrukturen, Berlin, 2003. [4] Hirschfeld, J., Pissarskoi, E., Schulze, S., Stöver. J: Kosten des Klimawandels und der Anpassung an den Klimawandel aus vier Perspektiven. Impulse der deutschen Klimaökonomie zu Fragen der Kosten und Anpassung. Institut für ökologische Wirtschaftsforschung und Hamburgisches Weltwirtschaftsinstitut. Hintergrundpapier zum 1. Forum Klimaökonomie, Berlin, 2015. [5] Geodateninfrastruktur Deutschland: Geodaten vernetzen. Online einsehbar unter: http: / / www.geoportal.de/ DE/ GDI-DE/ gdi-de_artikel.html%3bjsessi onid=1EC7BDDE0FE7A7FC01D3420108885E83? lang =de (zuletzt aufgerufen im Dezember 2017). [6] Malik Management Zentrum St. Gallen GmbH: Beschreibung der Schlüsselfaktoren, die die erfolgreiche Planung und Umsetzung von Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen hemmen bzw. fördern. Ergebnis Befragung Definitionsphase SMARTilience, 2017. Agnes Schönfelder, Leiterin der Klimaschutzleitstelle und Projektleiterin in SMARTilience für Mannheim hat die Methoden im EU-Projekt CASCADE mitentwickelt und diese bereits erfolgreich eingesetzt: „Die praktischen CASCADE-Werkzeuge für gegenseitiges Lernen unterstützen Stadtverwaltungen bei der Umsetzung einer guten Governance. In SMARTilience wollen wir diese Tools für Fragen der Klimaresilienz anpassen und weiterentwickeln.“ GOVERNANCE AUTORINNEN Veronika Zettl, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Urban Data & Resilience Fraunhofer Inst. f. Arbeitswirtschaft und Organisation, Universität Stuttgart IAT Kontakt: veronika.zettl@iat.uni-stuttgart.de Dr. Natalie Pfau-Weller Wissenschaftliche Mitarbeiterin Urban Governance Innovation Fraunhofer Inst. f. Arbeitswirtschaft und Organisation, Universität Stuttgart IAT Kontakt: natalie.pfau-weller@iat.uni-stuttgart.de
