Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0021
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Wann ist smart wirklich smart?
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Klaus Füsser
In diesem Beitrag wird am Beispiel der Mobilitätsplanung dargelegt, dass Probleme der Mobilitäts- und Stadtentwicklung systemische Probleme sind, die grundsätzlich nicht mit neuen smarten (im Sinne von intelligenten und digitalen) Techniken zu lösen sind. Aktuelle Aufgaben beispielsweise zur Entwicklung nachhaltiger Mobilitätssysteme werden eher durch kooperative und faire Kommunikationsstrukturen und dementsprechende Handlungen bewältigt. Smarte Kommunikationsverfahren der Vernetzung und Organisation können dann darauf aufbauend Entwicklungschancen ermöglichen, etwa durch Sharing-Ökonomie, intelligente Regelung von Verkehrsströmen oder Kooperationen in sozialen Netzwerken. Wenn Probleme deutlich zu Tage treten, ist es kontraproduktiv im alten Modus zu verharren – in aller Regel sind dann Systemsprünge notwendig. Ein Eins-zu-Eins-Austausch von Systemelementen (beispielsweise Elektromotor statt Verbrennungsmotor) reicht dazu nicht aus.
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68 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die intelligente Stadt Technische und soziale Systeme Verkehr wird oft als die „Ortsveränderung von Personen, Gütern und Informationen“ bezeichnet, Mobilität als die „Häufigkeit des Unterwegsseins“. Während Verkehrsplanung vorwiegend Verkehrsmittel und Verkehrsanlagen betrachtet, legt Mobilitätsplanung ein besonderes Augenmerk auf die Beeinflussung von Verkehrsteilnehmern. Verkehrsplanung orientiert sich in ihren Theorien eher an technischen Systemen, Mobilitätsplanung an sozialen. Verkehrsplanung betrachtet beispielsweise Kraftfahrzeuge, die von rational handelnden und berechenbaren Maschinenführern gelenkt werden oder Planungsprozesse, die wie ein technischer Regelkreis funktionieren. Jede Planerin und jeder Planer erfährt allerdings, dass oft nicht die „beste“ Ingenieurslösung zum Zuge kommt, sondern das, was Gesellschaft, Wirtschaft und Politik - oft nach kaum vorhersehbaren Kriterien - aushandeln. Die Mobilitätsplanung benötigt daher ein neues theoretisches Basismodell zur Beschreibung und zum Verständnis von nicht rational berechenbaren Handlungen. Dazu können wir auf die Theorie sozialer Systeme von Niklas Luhmann [1, 2] zurückgreifen. Luhmann beschreibt die moderne Gesellschaft als funktional differenziert: In der Neuzeit haben sich aus einem vormodernen Gesamtsystem (feudale Gesellschaft) gesellschaftliche Teilsysteme gebildet. Dies war notwendig, um der zunehmenden Komplexität der Gesellschaft gerecht zu werden. Wichtige Teilsysteme sind Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Recht, Religion und Kunst. Jedes dieser Systeme arbeitet nach einer eigenen inneren Logik, mit dem es auf äußere Einwirkungen reagiert. Das Wirtschaftssystem etwa betrachtet alles unter dem Blickwinkel des Geldverdienens. So bekommt man bei der Bank nur einen Kredit, wenn zu erwarten ist, dass man ihn auch zurückzahlen kann, und nicht etwa, weil man ein netter Mensch ist oder für ein ethisch sinnvolles Projekt Geld braucht. Wann ist smart wirklich smart? Anregungen zur smarten Mobilität aus Sicht der Systemtheorie Mobilitätsplanung, Smarte Mobilität, Systemtheorie, Systemsprung, Kommunikation, kooperatives Handeln Klaus Füsser In diesem Beitrag wird am Beispiel der Mobilitätsplanung dargelegt, dass Probleme der Mobilitäts- und Stadtentwicklung systemische Probleme sind, die grundsätzlich nicht mit neuen smarten (im Sinne von intelligenten und digitalen) Techniken zu lösen sind. Aktuelle Aufgaben beispielsweise zur Entwicklung nachhaltiger Mobilitätssysteme werden eher durch kooperative und faire Kommunikationsstrukturen und dementsprechende Handlungen bewältigt. Smarte Kommunikationsverfahren der Vernetzung und Organisation können dann darauf aufbauend Entwicklungschancen ermöglichen, etwa durch Sharing-Ökonomie, intelligente Regelung von Verkehrsströmen oder Kooperationen in sozialen Netzwerken. Wenn Probleme deutlich zu Tage treten, ist es kontraproduktiv im alten Modus zu verharren - in aller Regel sind dann Systemsprünge notwendig. Ein Eins-zu-Eins-Austausch von Systemelementen (beispielsweise Elektromotor statt Verbrennungsmotor) reicht dazu nicht aus. © pixabay THEMA Die intelligente Stadt 69 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Mobilität können wir nicht gänzlich einem der obigen Teilsysteme zuordnen. Güterverkehr könnte man als Teilsystem der Wirtschaft (Logik des Teilsystems: Geld) betrachten, ebenso wie den Personenverkehr als Berufs-, Geschäfts- und Einkaufsverkehr. Der Freizeitverkehr jedoch, der mehr als die Hälfte aller Verkehrsleistungen im Personenverkehr ausmacht, ist eher ein Teilsystem der Gesellschaft (Logik des Teilsystems: Anerkennung) 1 . Welchem System Mobilität nun zugeordnet ist, hat erheblichen Einfluss auf Strategien der Mobilitätsplanung und des Mobilitätsmanagements. Während im Wirtschaftssystem das Ziel meist möglichst schnell erreicht werden soll, kann im Gesellschaftssystem der Weg mit seinen Erholungs- und Erlebniseffekten selbst zum Ziel werden. Der Hinweis „Der Weg ist das Ziel“ ist im Stau des motorisierten Berufsverkehrs unpassend, im Freizeitradverkehr auf einer landschaftlich reizvollen Route jedoch sinnvoll. Mobilitätssysteme werden auch kaum auf Appelle einer ökologischen oder ethischen Dimension reagieren. Sie können als Teilsysteme der Wirtschaft allerdings über Reisezeiten und Reisekosten angeregt werden, in der gesellschaftlichen Dimension über Lebensstilvorschläge und Imagewerte. Die Struktur von Systemsprüngen Wenn ein soziales System von seiner Umwelt irritiert wird, reagiert es in seiner eigenen Logik auf diese Herausforderung. Dies funktioniert in der Regel gut, solange Art und Intensität der Störung dem System bekannt sind. Es kann diese leichten Irritationen sinnvoll verarbeiten. Bei außergewöhnlichen Störungen oder in Situationen, in denen die Eigenlogik des Systems sich von seiner Umwelt so weit entfernt hat, dass es deren Informationen/ Störungen nicht mehr versteht, kann ein System in eine Krise geraten, die ggf. sogar zur Zerstörung des Systems führt (zum Beispiel Dauerstau, Treibstoffverknappung, Klimawandel). Bisherige Lösungsansätze funktionieren nicht mehr, neue Lösungen sind noch nicht vorhanden oder werden noch nicht erkannt, manchmal werden altbekannte Lösungsansätze selbst zum Problem, da „ein immer mehr desselben“ ein System in immer größere Krisen treiben kann (Aufschaukeln des Systems). In der Managementtheorie würde man von einem Lock-in eines Entwicklungspfades sprechen [3]. Lock-in bedeutet, dass die alten Kausalitäten „Wenn das geschieht, mache das“ nicht mehr funktionieren. 1 Teilsystem Gesellschaft: Bei Luhmann [1] ist Gesellschaft das Gesamtsystem, das die Teilsysteme Politik, Wirtschaft usw. beinhaltet. Für unsere Zwecke ist es sinnvoll, zusätzlich eine „kleine Gesellschaft “ als Teilsystem einzuführen. Wenn ein System an eine Grenze gekommen ist, sind Lösungsansätze notwendig, die einen Systemsprung ermöglichen. Lösungsstrategien können sich dann deutlich von dem unterscheiden, was bisher als Lösung funktioniert hat. Oft spricht man dann von Lösungen 2. Ordnung [4], nämlich Lösungen, die den bisherigen Rahmen sprengen. Ein anregendes Konzept zur Beschreibung der Struktur des Systemsprungs (siehe Beispiel) findet man bei Staemmler und Bock [5]. Vom Dorf zum Städtenetz Bis zum Mittelalter war Verkehr ein Verkehr der kurzen Wege, in der Stadt fußläufig und auch im Umland meist auf die Entfernung von einer halben Phase 1: Stagnation Bisher hat alles funktioniert. Nun tauchen Probleme und Konflikte auf. Das bisherige Handlungsrepertoire zur Steuerung eines Systems funktioniert nicht mehr. Phase 2: Polarisation Man probiert etwas Neues aus, oft das Gegenteil vom Alten. Vertretern von Altem stehen Vertreter von Neuem gegenüber. Mal setzt sich die eine Seite durch, mal die andere. Es entsteht eine Pattsituation. Oft wird heftig gerungen und gestritten. In der Gesamtbilanz verändert sich jedoch wenig. Phase 3: Diffusion Das System schaukelt sich auf, die Konflikte nehmen zu und dies trotz allen Agierens. Es ist eine Phase der Ratlosigkeit. Niemand weiß mehr, wie den Problemen beizukommen ist. Phase 4: Kontraktion Die Situation kann sich noch weiter zuspitzen. Es gibt offensichtlich zur Zeit keine Lösungsmöglichkeit. Letztendlich bleibt nichts anderes übrig, als die Ratlosigkeit zu akzeptieren. In dieser Phase ist es sinnvoll, sich ganz auf das notwendige Alltagsgeschäft zu beschränken, in Kommunikation mit allen wichtigen Akteuren zu bleiben (vor allem auch mit denen, die man bisher als Verursacher des Problems betrachtet hat). Wenig sinnvoll ist es, Großprojekte oder groß angelegte Aktionen durchzuführen. Hilfreich ist oft, viele Verbesserungen in kleinem Maßstab auszuprobieren und zu evaluieren. Phase 5: Expansion Nach dem Phasenmodell folgt der Kontraktion die Expansion. „Am Horizont dämmert eine unerwartete Lösung auf “. Die alte Struktur wird überwunden und das System springt auf eine neue Ebene. BEISPIEL: STRUKTUR UND PHASEN DER VERÄNDERUNG 70 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die intelligente Stadt bis ganzen Tagesreise zu Fuß begrenzt. Städte konnten in dieser biologischen Ordnung 2 nur so groß werden, wie das Umland sie versorgen konnte. Das heißt auch, dass ein Verkehrssystem so leistungsfähig sein musste, dass Waren schnell genug (um nicht zu verderben) und effektiv genug (um Transporteure und Zugtiere zu versorgen) in die Stadt gelangen konnten. Mit der Industrialisierung und dem Eisenbahnverkehr wuchsen Städte entlang der Schienenwege, mit dem Kraftfahrzeugverkehr und entsprechender Straßeninfrastruktur noch einmal und vor allem in der Fläche. Im sogenannten „Scrambled Egg City Model“ 3 wird dies beschrieben (Bild 1). Mit einer neuen Phase der Globalisierung entstehen weltweite Verkehrsbeziehungen, die globale Urbanisierung nimmt weiter zu, aus Millionenstädten 2 Biologische Ordnung: Diesen Begriff habe ich von Robert B. Marks übernommen, der sich auf Fernand Braudel bezieht und damit das Zusammenspiel von Stadt und Land in der vorindustriellen Zeit beschreibt. 3 nach Cedric Price, britischer Architekt 1934-2003. werden Megastädte und Städtenetze. Heute werden Siedlungen, die ans globale Verkehrsnetz angeschlossen sind, über weltweite Verbindungen ver- und entsorgt. Diese Veränderungen der Stadtstruktur in Abhängigkeit von den zur Verfügung stehenden Verkehrsmitteln können als Systemsprünge eines Siedlungs-Verkehrssystem interpretiert werden. Während in der BRD in den letzten Jahren in vielen Bereichen der Wirtschaft die CO 2 -Emissionen trotz Wirtschaftswachstum deutlich sanken 4 , sind im Verkehrssektor kaum Einsparungen zu verbuchen. Dies liegt neben anderem an der Zunahme europäischer Ost-West-Verkehre sowie globaler (Güter-)Verkehre seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts. Heute wird eine geringe Erhöhung des Wirtschaftswachstums mit stark überproportionalem Gütertransport bezahlt 5 . Im Personenverkehr ist die Lage auf einen andere Art unbefriedigend: Während auf der einen Seite ein Markt für emissionsärmere Personenkraftwagen und emissionsfreie Fahrräder etabliert wurde, entwickelte sich der Verkauf von wenig nachhaltigen SUVs (Sport Utility Vehicles) deutlich überproportional. So lässt sich Mobilität heute mit der Phase der Polarisation innerhalb der Struktur der Veränderung beschreiben. Kräfte stehen sich gegenüber, es geschieht „Positives“ und „Negatives“, in der Gesamtschau bleibt es allerdings beim Patt. Der aktuelle „Dieselskandal“ deutet darauf hin, dass das 4 Daten VIZ 2017/ 2018 [6]: 2005: Straßenverkehr: 160 Mio. t CO 2 Haushalte und Kleinverbraucher: 159 Mio. t CO 2 2015: Straßenverkehr: 159 Mio. t CO 2 Haushalte und Kleinverbraucher: 127 Mio. t CO 2 5 Transportindex: Das Umweltbundesamt verwendet den Transportindex zur Beurteilung der Effektivität eines Transportsystems. Der Transportindex ist der Quotient aus Verkehrsleistung und Bruttoinlandsprodukt. In der BRD nimmt im Personenverkehr der Index ein wenig ab, im Güterverkehr stark zu. Bild 1: Scrambled Egg City Model nach Cedric Price. © Klaus Füsser Bild 2: Sammeltaxi der Zukunft? Teilautonomes Testfahrzeug. © Klaus Füsser Das Ei in der Schale: Die fußläufige Stadt mit Stadtmauer im Mittelalter Das Spiegelei: Die stark entlang der Schienenwege gewachsene Stadt im Eisenbahnzeitalter Das Rührei: Die flächenhaft zersiedelte Stadt im Zeitalter des Autoverkehrs THEMA Die intelligente Stadt 71 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Mobilitätssystem (zumindest in Europa und für den Bereich des MIVs (Motorisierter Individualverkehr)) in eine Phase der Diffusion oder Kontraktion eingetreten ist. Hier entscheidet sich dann wahrscheinlich, ob ein Systemsprung gelingt oder das System im Alten verhaftet bleibt und untergeht [7]. Mögliche Mobilitätsstrukturen nach einem Systemsprung Seit der Einführung weltweiter individuell genutzter Kommunikationsnetze (inkl. Smartphone) besteht die Möglichkeit, dass Stadt-Verkehrssysteme auf eine neue Ebene springen. In dreißig Jahren könnte Mobilität wie folgt aussehen: Sie bestellen per App ein Fahrzeug zu Ihrem Standort. Dieses fährt autonom aus einem nahe liegenden Parkhaus vor. Sie haben ein Einpersonenfahrzeug gewählt, hätten jedoch auch eine selbstfahrende Sammeltaxe bestellen können, die auf Ihrem Weg noch weitere Personen mitnimmt. Der Verkehr ist gering, so entscheiden Sie sich das Fahrzeug selbst zu steuern. Das Fahrzeug wird elektrisch mit Batterien betrieben, die sich bei Wartepflicht an Lichtsignalanlagen per Induktionsschleifen aufladen. Da der Verkehr nun dichter wird, wechselt das Fahrzeug von sich aus in den autonomen Modus, um sich mit anderen Fahrzeugen zu koordinieren. Im Besonderen auf der Stadtautobahn werden die Fahrzeuge dann mit engem Abstand gekoppelt, was zu einer deutlichen Erhöhung der Leistungsfähigkeit führt. Private Kraftfahrzeuge sind selten geworden, obwohl sich viele Privatpersonen im Freundeskreis oder mit der Nachbarschaft ein gemeinsames Fahrzeug teilen. Im Stadtviertel wird viel Mobilität zu Fuß, per Rad oder E-Bike - oft mit Witterungsschutz und großem Gepäckbehälter - abgewickelt. Die Stadt der kurzen Wege ist im Stadtteil Wirklichkeit geworden, unter anderem auch, da dezentral ein Teil des Gemüseanbaus in Urban-Farming-Glashochhäusern stattfindet, auch ist eine Kleinindustrie auf der Basis von 3-D-Druckern und Recylingprozessen entstanden. Autoverkehr findet in aller Regel in der Region statt, ab 150 km Entfernung benutzt man meistens den gut - auch im ländlichen Raum - ausgebauten Schienenverkehr, am Zielort kann unproblematisch in ein autonomes Sharing-Fahrzeug umgestiegen werden. Flugverkehr findet nur noch über große Entfernungen statt - der Hochgeschwindigkeitsschienenverkehr bis 2000 km ist konkurrenzlos günstig. Auf den Autobahnen verkehren lange Schlangen gekoppelter PKWs und LKWs im mittleren Geschwindigkeitsbereich, denn für lange Strecken wird der deutlich optimierte und beschleunigte Schienengüterverkehr bevorzugt. Der städtische Güterverkehr der letzten Meile wird oft mit Lastenfahrrädern oder autonom fahrenden Kleinfahrzeugen abgewickelt. Zudem ist ein flächendeckendes Netz von Packstationen für Online-Bestellungen entstanden. Supermärkte und Warenhäuser werden nachts durch die ultraleisen autonomen Lastcontainer bedient. Auf den Autobahnen werden Fahrzeuge mittels in der Fahrbahnoberfläche eingelassener Stromschienen mit Energie versorgt, während sich zugleich die Batterien der Fahrzeuge aufladen. Mobilitätskosten werden monatlich abgerechnet und vom privaten Konto abgebucht. Viele Städte bieten ihren Bürgern eine günstige Mobilitätsflatrate für den regionalen Bereich an. Da die meisten Fahrzeuge Sharingfahrzeuge sind, hat der Fahrzeugbesitz von 500 PKW/ 1000 Einwohner auf 50 abgenommen. Straßenraumparken hat sich dadurch beinahe erübrigt und auch Verkehrsbelastungen im Straßenraum sind deutlich reduziert. Autofahrer haben sich an das gemeinsame Fahren in jeder Zeit verfügbaren autonomen Sammeltaxen gewöhnt. Der Besetzungsgrad von PKW-ähnlichen Fahrzeugen ist von 1,3 auf fast 3 gestiegen (Bilder 2 und 3). Stadt und Kommunikation Soziale Systeme agieren allein über Kommunikation [1, 8]. Kommunikation bedeutet Austausch mittels Sprache, Schrift und anderer Medien ebenso wie durch Güter- und Warenaustausch, Finanztransaktionen oder Energieflüsse. Stadt und Mobilität werden durch diese Kommunikationen geregelt. Städte entstehen, indem Menschen gemeinsam einen Ort entwickeln, der größer, dichter und heterogener als ein Dorf ist und zudem Markt und Regierungssitz wird. So entstehen neue Formen der Kommunikation, über die die Stadt vom Umland versorgt wird und zugleich sich und das Umland strukturiert. Dabei ziehen Menschen, die ihre dörfliche Eingebundenheit aufgeben, in die Stadt und treffen dort auf Menschen, die ihnen fremd sind. Mit diesen Fremden, die aus anderen Dörfern, Regionen, Milieus und Kulturen kommen, müssen sie nun ein neues soziales Miteinander entwickeln. Dies geschieht über Kommunikation. Gelingt diese nicht, scheint Bild 3: Elektrisch betriebener Streetscooter der Deutschen Post: Einstieg in einen nachhaltigen Lieferverkehr der letzten Meile? © Füsser 72 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die intelligente Stadt Integration [9] nicht möglich. Oft ziehen Fremde deshalb auch anfangs in die Stadtteile, in denen sie Netzwerke von Verwandten und Landsleuten finden, um zur neuen Welt besseren Zugang zu finden. Gelingt es nach einiger Zeit Wohlstand zu erreichen, scheint Integration gelungen. Oft zieht man dann Bild 5: Verknüpfungspunkt im ländlichen Raum. © Füsser in besser angesehene Stadtteile. Verbleibt man jedoch in ärmlichen und an den Rand gedrängten Strukturen, verstärken sich konservative Einstellungen. Man lebt dann in einer modernen Großstadt im Stil längst vergangener Zeiten einer idealisierten Heimat. Integration ist dann nicht gelungen. Voraussetzung für die Integration von Fremden ist die Möglichkeit zu Gelderwerb und gesellschaftlichem Aufstieg. Funktionstüchtige Wohn-, Verkehrs-, Bildung- und Sozialsysteme sind dafür notwendig. Die Stadt entsteht und lebt durch gelungene Kommunikation. Bei vielen Stadt- und Mobilitätsprojekten gelingt diese Kommunikation jedoch nicht mehr (vgl. beispielsweise das Scheitern des Bebauungskonzeptes Tempelhofer Feld in Berlin). Hinter formal rationalen Begründungen in Planungsprozessen stehen oft mehr oder weniger unbewusste Eigeninteressen aus Politik, Wirtschaft und Planung und damit eine Unehrlichkeit, gegen die viele Betroffene verständlicherweise emotional und „postfaktisch“ rebellieren. Pankaj Mishra beschreibt in seiner Analyse der Gegenwart „Das Zeitalter des Zorns“ Ursachen dieser Entwicklung [10]. Er weist dabei auf „blinde Flecken“ westlicher Eliten hin. Letztendliche Ursachen sieht Mishra darin, dass ganze Kulturen bzw. Bevölkerungsgruppen mit ihrem Selbstverständnis keinen Platz mehr in einer modernen Welt gefühlsloser Rationalität, übermächtiger Kapitalinteressen und sinnlosem Konsum finden. Jürgen Habermas schlägt in seiner „Theorie des Kommunikativen Handelns“ [2] nun eine hilfreiche Kommunikationskultur vor. Kommunikation muss „ehrlich“ sein, man muss das sagen, was man meint. Im Dialog können dann intersubjektive (nicht etwa objektive! ) Wahrheiten gefunden werden, d. h. Ergebnisse festgelegt werden, mit denen alle Beteiligten leben können. Dadurch wird erreicht, dass die gemeinsam erarbeiteten Ergebnisse von allen getragen und nicht etwa hinten herum torpediert werden. Dieses kooperative Handeln 6 unterscheidet sich vom konkurrierenden strategischen Handeln. Es setzt sich das durch, was für alle angemessen ist und nicht das, was eine Mehrheit bestimmt oder gar eine starke Minderheit erzwingt. 6 Kooperatives Handeln: Wenn hier von Kooperation oder kooperativem Handeln gesprochen wird, meint dies ein faires Handeln, was auf eher partnerschaftlichen Strukturen des Miteinanders aufbaut und einen gerechten Interessensausgleich sucht. Rein theoretisch sind natürlich auch autoritäre Verfahren kooperativ, wenn nämlich die eine Seite befiehlt und die andere willig ausführt. Auch Kommunikation ist nicht per se fair und partnerschaftlich. Habermas´ Kommunikatives Handeln geht jedoch davon aus, dass in modernen freiheitlichen Gesellschaften Kommunikation so zu verstehen ist (bzw. so verstanden werden soll). Bild 4: Nonverbale und verbale Kommunikation in der Stadt. © Füsser THEMA Die intelligente Stadt 73 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Moderne und weltoffene Städte müssen auch in der Kommunikation einen Systemsprung wagen und städtebauliche und verkehrliche Planung kooperativ entwickeln. Bürger dürfen nicht nur informiert werden, sie müssen ihre Interessen auch in Planungsprozesse einbringen. Dies ist notwendig, damit Beteiligte sich mit Projekten identifizieren und sich für das Gemeinwohl in städtischen Räumen verantwortlich fühlen. Dieser Kommunikationsprozess muss klar strukturiert sein. Aufgaben, Verantwortungen, Mitsprachemöglichkeiten sind deutlich zu definieren. Dabei müssen alle relevanten Akteure sinnvoll in Planungsprozesse eingebunden werden. Dazu sind auch Kommunikationsformen jenseits des bekannten Repertoires notwendig. Digitale Kommunikationsangebote sind dabei hilfreich, wenn sie bisher planungsferne Akteure einbinden können und/ oder aktiven Akteuren den Zugang erleichtern. Schlechte Beteiligungsverfahren nur „smart“ aufzuhübschen ist im Sinne gelungener Kommunikation und kooperativen Handelns hingegen kontraproduktiv. Verfahren der Beteiligung müssen weiterentwickelt und dann auch formal in Planungsverfahren integriert werden. Dazu können die Veröffentlichungen von Schulz von Thun zum „Miteinander reden“ erste Anregungen geben [11]. Heute steht herkömmlicher Planung im Top-Down-Modus 7 oft Gegenplanung im Bottom-Up-Modus entgegen. Planungsverfahren könnten durch faire und kooperative Kommunikationsverfahren auf eine höhere Systemebene springen und aktuelle Prozesse des Gegeneinanders überwinden. Fazit und Ausblick Rein technische Ansätze smarter Mobilität möchten unter anderem durch Informationsvernetzung, verkehrstechnische Regelungen, Unfall vermeidende automatisierte Fahrzeugtechniken und Energieeffizienz Mobilitätssysteme in nachhaltigere Bereiche lenken. Lösungsansätze dieser Art funktionieren wahrscheinlich nicht, da sie - ähnlich wie ein forcierter Straßenbau - Lösungen eines „immer mehr desselben“ sind. Sie werden Probleme von Mobilitätssystemen, die bereits an ihrer Grenze agieren, in ihrem Dilemma belassen. Verbesserungen in der Leistungsfähigkeit werden fast immer durch Rebound-Effekte 8 aufgehoben. Sinnvoll sind dagegen 7 Top-Down und Bottom-Up: Top-Down meint „Regieren von Oben“ , etwa durch hierarchische Verwaltungsstrukturen, Bottom-Up meint „Regieren von Unten“ etwa durch den Druck der Öffentlichkeit. 8 Rebound-Effekt: Ein Beispiel: Autonome Fahrzeuge steigern die Leistungsfähigkeit von Straßen. Autofahren wird attraktiver. Der Fahrzeugkauf und/ oder die Fahrzeuganmietung steigt, Gewinne in der Leistungsfähigkeit werden aufgezehrt. Maßnahmen, die Mobilitätssysteme unterstützen, notwendige Systemsprünge zu vollziehen. Ansatzpunkte dazu könnten Multimodalität, Sharing-Ökonomie sowie regionale - mit Mobilitätssystemen gekoppelte - regenerative Energie- und Produktionssysteme sein. Hybride Verkehrssysteme (Mischsysteme von MIV und ÖPNV) könnten den klassischen MIV und ÖPNV ablösen. Ökonomisch erfolgreiche Mischsysteme sind in der Stadt und sogar auf dem Land denkbar (Bild 5). LITERATUR [1] Luhmann, N.: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main, 1998. [2] Rosa, H., Strecker, D., Kottmann, A.: Soziologische Theorien. Konstanz, 2007, S. 130-150, S. 173-215. [3] Steinmann, H., Schreyögg, G.: Management. Grundlagen der Unternehmensführung. Wiesbaden, 2005, S. 262. [4] Watzlawick, P., Weakland, J. H., Fisch, R.: Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Bern, 1974. [5] Staemmler, F.-M., Bock, W.: Ganzheitliche Veränderung in der Gestalttherapie. Köln, 2004. [6] Bundesministerium für Verkehr (verschiedene Jahrgänge): VIZ (Verkehr in Zahlen). Bonn bzw. Berlin. [7] Grabitz, M.: Das Autozeitalter geht zu Ende. Gespräch mit Elzbieta Bienkowska (EU-Kommissarin für Industrie). Tagesspiegel vom 20.11.2017. [8] Füsser, K.: Mobilitätsplanung und Systemtheorie. In: Forum Geo-Bau 7. Berlin, 2016, S. 71-84. [9] Saunders, D.: Arrival City. München, 2011. [10] Mishra, P.: Das Zeitalter des Zorns. Eine Geschichte der Gegenwart. Frankfurt am Main, 2017. [11] Schulz von Thun, F.: Miteinander reden 1-3. Reinbek bei Hamburg, 1981, 1989, 1998. Bauassessor Klaus Füsser Lehrbeauftragter Verkehrswesen Fachbereich III Bauingenieur- und Geoinformationswesen Beuth Hochschule für Technik Berlin Kontakt: kfuesser@beuth-hochschule.de AUTOR