eJournals Transforming cities 3/1

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0023
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Digitalisierung - ein unaufhaltsamer Megatrend

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Thomas Dandekar
Martin Kaltdorf
Hervorgerufen durch den langfristigen Erfolg der Menschheit, die beschleunigte Entwicklung, sowie die entstandenen Auswirkungen durch die Megatrends Religion, Geld und Imperien ergeben sich weitere Aspekte, die sich unter der Definition Megatrends begreifen lassen: Der Trend zur Urbanisierung der Gesellschaft und die Digitalisierung unserer Welt.
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78 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die intelligente Stadt Digitale Agenda und Digitalisierung Der stetige Fortschritt von Technologien geht einher mit einer stetigen Weiterentwicklung unserer kommunikativen Möglichkeiten. Die Allgegenwärtigkeit moderner Computer in Form von PCs, Smart Phones und Wearables bringt moderne Softwareplattformen mit sich, die es ermöglichen, in Echtzeit mit unzähligen Menschen auf der ganzen Welt gleichzeitig zu kommunizieren. Auch wenn für uns heute diese Möglichkeiten und Technologien selbstverständlich sind und scheinbar urplötzlich im Laufe des letzten Jahrzehnts unser aller Leben durchdrungen haben, sind sie doch „nur“ das Resultat einer Jahrtausende und sogar Jahrmillionen währenden Entwicklung: Leben entwickelt immer neue Ebenen der Kommunikation [1], ausgehend vom universellen genetischen Code für die Herstellung von Proteinen (seit etwa 3 Mrd. Jahren) über die ersten Nervensysteme in Vielzellern wie Quallen (etwa seit 800 Mio. Jahren, [2]) zur menschlichen Sprache (etwa 1 Mio. Jahre). Der Drang des Menschen Informationen zu teilen ist damit bei weitem älter als er selbst. Als die ältesten nachweisbaren bildlichen Zeugnisse zählen die Höhlenmalereien der Steinzeit (ab ~40.000 v. C.). Mit die ersten bekannten Schriften der Welt sind die der Sumerer (4000 v. C., Keilschrift) und die Hieroglyphenschrift der alten Ägypter [3]. Es folgen die Runen der Germanen, die griechische und die römische Schrift. Der Trend geht zu immer komplexeren Formen von Sprache und Schrift, über Buchdruck und Schreibmaschine zu den ersten Computern nach dem zweiten Weltkrieg, zum Internet (seit den Neunzigern) und zu einer zunehmenden Globalisierung und der heute weltweit gegenwärtigen Form der digitalen Kommunikation. Die zuvor unerreichte Einheitlichkeit der digitalen Informationen hebelt dabei lange gültige Vorbehalte gegen die Risiken dieser Technologie aus. Durch die Bequemlichkeit des Gedankenaustausches und die soziale Komponente der modernen Kommunikationsplattformen hat es der Mensch erstmals in seiner Geschichte geschafft, die allgemeine Vorsicht und Aversion vor Überwachung zu überwinden, da die Vorteile der modernen Formen der Kommunikation im Alltag überwiegen. Die Möglichkeit bequem und schnell soziale Kontakte zu knüpfen und aufrechtzuerhalten, sich überall und jederzeit mit allen benötigten Informationen zu versorgen und jederzeit „online“ zu sein, stellt dabei einen großen Vorteil dar. Dies heißt jedoch keineswegs, dass nicht erhebliche Risiken existieren: Profile auf sozialen Plattformen, Suchmaschinen und Online- Großhändler sammeln Daten über jeden einzelnen Digitalisierung - ein unaufhaltsamer Megatrend Teil 2: Der Einfluss der Digitalisierung auf die Stadt der Zukunft: Chancen und Risiken für die menschliche Gesellschaft Megatrend, Digitalisierung, autonome Fahrzeuge, Verstädterung, digitale Agenda Thomas Dandekar, Martin Kaltdorf Hervorgerufen durch den langfristigen Erfolg der Menschheit, die beschleunigte Entwicklung, sowie die entstandenen Auswirkungen durch die Megatrends Religion, Geld und Imperien ergeben sich weitere Aspekte, die sich unter der Definition Megatrends begreifen lassen: Der Trend zur Urbanisierung der Gesellschaft und die Digitalisierung unserer Welt. © pixabay THEMA Die intelligente Stadt 79 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Menschen. Individuelle Interessen und Gewohnheiten, persönliches Gedankengut, Konsum und Vorlieben, nichts bleibt verborgen. Bereits heute kann kaum jemand vollständig nachvollziehen, welches Wissen über ihn im Umlauf ist, geschweige denn eine weitere Verbreitung verhindern. Diese Entwicklung hin zum gläsernen Menschen kann gefährlich sein. Spätestens wenn staatliche Einrichtungen den Menschen bis auf das letzte Detail bewerten und basierend darauf die Pflichten und bereitgestellten Dienste definiert werden, ist die Freiheit der Bürger so weit eingeschränkt, dass dies im Licht zumindest unserer hiesigen westlichen Werte nicht erstrebenswert ist. Die Möglichkeiten und Gefahren des Missbrauchs dieses vielfältigen Wissens sind nicht zu unterschätzen, denn: Wissen ist Geld und Macht. Vermeintlich kostenlose Inhalte bezahlen wir somit unwissend mit unseren persönlichen Informationen. Totales Wissen bedeutet sogar totale Macht und Kontrolle [4, 5]. Die Datenflut persönlichkeitsbezogener Profile ermöglicht Unternehmen und Regierungen die Big Data-Auswertung unzähliger Menschen, was Vorhersagen über deren Verhalten mit weitreichenden Konsequenzen ermöglicht. Durch eine individuelle Veränderung der bereitgestellten Informationen für jeden einzelnen Bürger ist es möglich, unbewusst und bewusst die Überzeugung und Denkweise der Bürger zu beeinflussen (Big Nudging). Eine Tatsache, welche die Anfälligkeit unseres modernen Systems gegenüber jeglicher Art von Missbrauch aufzeigt und die bis zur Unmündigkeit führen kann. In Verbindung mit dem Trend hin zur Vernetzung von Dingen („Internet of Things“), dessen Beginn die Smartphones einleiteten und der sich mittlerweile auf Smart Homes und Smart Factories ausgeweitet hat, ist die intelligente Automatisierung der Gesellschaft nicht mehr nur ferne Zukunftsmusik sondern steht konkret bevor. Als zukünftige Entwicklung von Smart Cities und gar denkbaren Smart Nations weitergedacht, ergibt sich als wenig anzustrebendes Szenario nicht nur die Beeinflussung der Bürger, sondern auch die mögliche Kontrolle der gesamten Umgebung bis hin zu einem intelligenten Planeten. Bei unbedachtem Gebrauch dieser Technologien überwiegt auf lange Sicht die kulturzerstörende Wirkung der Beschneidung des persönlichen Rechts. Bei intelligenter und verantwortungsvoller Umsetzung allerdings eröffnen sich noch ungeahnte Möglichkeiten, das Leben auf der Erde der Zukunft umweltfreundlicher, gerechter und friedlicher zu gestalten. Einen Gesamtüberblick für diese wichtigen positiven Aspekte für die moderne Stadtentwicklung sind direkt der digitalen Agenda [6) entnommen und in einer Tabelle zusammengefasst: Sehr viele und recht diverse Aspekte der modernen intelligenten Stadt profitieren von einem Umsetzen der Aufgaben der digitalen Agenda (Tabelle 1). Dies soll nun durch einen Blick auf Einzelbeispiele etwas weiter konkretisiert werden. Auswirkungen der Digitalisierung auf die moderne Stadt Betrachtet man die vielfältigen und rasanten gegenwärtigen Entwicklungen moderner Informationstechnologien und die Möglichkeiten, die sich daraus auch für deren Anwendung in unterschiedlichsten Fällen ergeben, werden die Städte der Zukunft völlig anderen Voraussetzungen genügen müssen, als dies heute noch der Fall ist. Um die großen Chancen der Digitalisierung der Städte und deren Infrastruktur auf eine sichere und von der breiten Masse der Menschen akzeptierte Basis zu stellen, bedarf es der Einhaltung einiger Schlüsselpunkte, sodass dem vielfältigen Missbrauch der mit den neuen intelligenten Systemen möglich wird, von vorn herein vorgebeugt wird: Ganz im Geiste unserer kulturellen Werte sollen die Städte der Zukunft Orte der digitalen Freiheit mit abgesicherten Persönlichkeitsrechten sein. Die staatliche Kontrolle sollte möglichst effektiv auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zugeschnitten sein, deren Anfragen und die Verwaltungsarbeit im Hintergrund übernehmen, ohne die Freiheit der Menschen zu beschneiden. Die neuen Möglichkeiten sollten den Beginn einer neuen Zeit einläuten, die zentralisierte Top-Down- Kontrolle durch ein föderales System - basierend auf freien Mehrheitsentscheidungen - ablösen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich die absolutistische Kontrolle der Bevölkerung nur für Systeme mit geringer Komplexität eignet. In Anbetracht der heutigen Vielfalt von Kulturen und freien Meinungen scheint diese Form nicht mehr geeignet. Mit der wirtschaftlichen und kulturellen globalen Vernetzung entwickelt sich die gesellschaftliche Komplexität jedoch stetig weiter. Die Gesellschaft der Zukunft sollte auf diese Soziodiversität aufbauen und dieses Potenzial nutzen, um weiterhin innovative Ideen zu entwickeln und umzusetzen. Citizen Science, Crowd Sourcing und Online- Diskussionsplattformen sind daher eminent wichtige neue Ansätze, um mehr Wissen, Ideen und Ressourcen nutzbar zu machen. Kollektive Intelligenz benötigt einen hohen Grad an Diversität. Diese wird jedoch durch heutige personalisierte Informationssysteme zugunsten der Verstärkung von Trends reduziert. Soziodiversität ist genauso wichtig wie Biodiversität. Auf ihr beruhen nicht nur 80 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die intelligente Stadt − Dezentralisierung als Prinzip in der Stadtarchitektur: • Wieder hin zum gemeinsamen Wohnen (z. B. alle Generationen, Einheimische, Zugereiste, ...) • Wohnen in kleinen, autarken Strukturen mit eigener ärztlicher Versorgung, lokalem Einkaufszentrum und eigenem Erholungsbereich • Digitalisierung: Nebeneinander von lokalen Subnetzen (wichtige lokale Versorgungs- und Kommunikationsdaten; einschließlich Firewall, das wäre neu und wichtig) • Eine darauf aufbauende zentrale Vernetzung (z. B. für Schadstoffdaten, Klimadaten, Verkehrslenkung) − Informationelle Selbstbestimmung und Partizipation unterstützen: • Stadtarchitektur, die zur Kommunikation einlädt: Brunnen und Parks, nette Wirtschaften und Biergärten, breite Bürgersteige und Alleen, öffentliche Plätze mit guter Atmosphäre einschließlich Sitzgelegenheiten, ausreichend Licht, Spielplätze • Informationsstrukturen: sowohl lokale Netze und Foren wie globale Vernetzung • Neben Transparenz auch Anreize für aktive Bürgerbeteiligung − Verbesserte Transparenz für eine erhöhte Vertrauenswürdigkeit • Transparenz im e-government und bei allen Entscheidungen der Stadtverwaltung • Transparenz bei der Verkehrslenkung • Transparenz bei allen Umweltdaten, z. B. Müllbeseitigung − Informationsverzerrungen und -verschmutzung reduzieren • Stadt-News, Informationen über Theater, Konzerte, Kinos, aber auch Aktivitäten, Baustellen, Rennovierungen, Preiserhöhung, Gastronomie, Tourismus • Pluralität bei allen Informationsquellen über die Stadt fördern, einschließlich Förderung der lokalen Tageszeitungen (elektronische und Printmedien) • Förderung der Stadtbibliothek / Videothek und auch hier wieder den Pluralismus unterstützen − von den Nutzern gesteuerte Informationsfilter ermöglichen • Browser, Informationsbeschaffung: Intelligent, einschließlich Verhinderung von Echoräumen, zu beengte Suche vermeiden • Kreuzvernetzung zwischen Foren unterstützen • Browser-Pluralität fördern Tabelle 1: Digitale Agenda und die moderne intelligente Stadt. − Gesellschaftliche und ökonomische Vielfalt fördern • Start-Ups: dabei sowohl spezifische High-Tech- Regionen sowie die direkte Vielfalt in allen Stadtvierteln fördern • Anreize für Kulturschaffende setzen, Unterhalt (bei Großstadt über 100 000 Einwohner) von Theater, Kino, Oper, Stadtbücherei • Forum, Platz und Möglichkeiten für Parteien und Vereine zur Verfügung stellen − Technische Systeme zur Zusammenarbeit verbessern • Bessere Modularität • Bessere Vernetzungsmöglichkeiten • Gleichzeitig bessere Firewalls, Virusschutz, Backups − Digitale Assistenten und Koordinationswerkzeuge erstellen • Bessere Verkehrsflussplanung, Steuerung (grüne Welle etc.), autonomes Fahren, ÖPNV • Nachhaltigkeit durch smarte Technologie schützen • Wasser: Wasserversorgung und Abwasserbehandlung, Wasserqualität überwachen • Luft: Luftreinhaltung, Reizstoffbelastung; CO 2 - Ausstoß • Müll: Mülltrennung, Müllverbrennung, Wertstoff- Recycling • Digitale Informationsassistenten, digitaler Informationsaustausch (die Stadt-App für • das Handy, WLAN im ganzen Stadtgebiet, Breitband-WLAN) • Digitale Notfallpläne erstellen und parat halten (Krankheit/ Epidemie, Feuer/ Katastrophe, Krieg/ Evakuierung, Demonstration/ Polizeigroßeinsatz etc.) • Digitale Werkzeuge für die Verwaltung: Termin buchen, Online-Abgabe von Erklärungen, digitale Signatur, statt LIMS (Laboratory Information Management System) ein CIMS (City Information Management System) • Digitale Werkzeuge für nachhaltige Bewirtschaftung und umweltfreundliche Energieversorgung (Solar/ Wind/ Geo; Fernwärme) − Kollektive Intelligenz unterstützen und Mündigkeit der Bürger in der digitalen Welt fördern -„digitale Aufklärung“ • Bessere Möglichkeit zur politischen Partizipation • Information und Transparenz über alle Vorhaben der Stadt • Freizeit und Austauschbörsen, informelle digitale Märkte • „City-Cloud“ für Datenspeicherung und Computerversorgung • City-Cloud für emergente kollektive Information und Einsichten der Stadtbürger, aber auch virtual Meeting-Place Prinzipien der digitalen Agenda [6] • Die Funktion von Informationssystemen stärker dezentralisieren • Informationelle Selbstbestimmung und Partizipation unterstützen • Transparenz für eine erhöhte Vertrauenswürdigkeit verbessern • Informationsverzerrungen und -verschmutzung reduzieren • Von den Nutzern gesteuerte Informationsfilter ermöglichen • Gesellschaftliche und ökonomische Vielfalt fördern • Die Fähigkeit technischer Systeme zur Zusammenarbeit verbessern • Digitale Assistenten und Koordinationswerkzeuge erstellen • Kollektive Intelligenz unterstützen und • Die Mündigkeit der Bürger in der digitalen Welt fördern - „digitale Aufklärung“ Abgeleitete Innovationen für die Smart City THEMA Die intelligente Stadt 81 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES kollektive Intelligenz und Innovation, sondern auch gesellschaftliche Resilienz - also die Fähigkeit, mit unerwarteten Schocks zurechtzukommen. Die Verringerung der Soziodiversität reduziert oft auch die Funktions- und Leistungsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft. Dies ist der Grund, warum totalitäre Regimes oft in Konflikte mit ihren Nachbarn geraten. Typische Langzeitfolgen sind politische Instabilitäten und Kriege, wie sie in unserer Geschichte immer wieder auftraten. Pluralität und Partizipation sind also nicht in erster Linie als Zugeständnisse an die Bürger zu sehen, sondern als maßgebliche Funktionsvoraussetzungen leistungsfähiger, komplexer, moderner Gesellschaften. Direkt aus dieser „Digitalen Agenda“ ergibt sich die Aufgabe für die Stadt (Tabelle 1), die Bewohner aus den Echoräumen des Internets herausholen; die moderne Stadt sollte zu realen Begegnungen einladen. Dies gilt auch für den Verwaltungsbereich: Wie lässt sich eine gute E-Governance und gleichzeitig gute oder sogar bessere persönliche Begegnung mit den Bürgern einer modernen Stadt erreichen? Hierzu sind insbesondere gute Plätze und Begegnungsmöglichkeiten wie beispielweise Fußgängerzonen notwendig. Die moderne Stadt sollte nicht Bürger und Besuchergruppen - etwa durch missglückte oder chaotische Verkehrsführung - in Menschenmengen durch die Stadt leiten, sondern Freiräume zur Begegnung anbieten, sodass jeder selbst bestimmen kann, welches Angebot er zu welcher Zeit annehmen möchte. Autonome Fahrzeuge Der Straßenverkehr in der Stadt nimmt immer mehr zu. Neue Konzepte sind dringend nötig, damit es nicht zum Verkehrskollaps kommt. Das selbstfahrende oder autonom gesteuerte Auto könnte eine Lösung sein [7]. Im Idealfall benutzt man bei Bedarf ein autonom gesteuertes Auto und verzichtet auf sein privates ausschließlich selbst genutztes Auto. Dies könnte den Stadtverkehr um über die Hälfte verringern [8]. Somit ließen sich auch große Parkplatzflächen sparen. Autonome Fahrzeuge sind selbst smarte Lösungen für die Stadt, denn sie senden beispielsweise per WLAN die Ankündigung, die Kreuzung queren zu wollen. Fahrziel und Zeit werden zentral gesammelt, der elektronische Kreuzungsmanager gibt die Fahrspur frei. Fahrspuren sind fest eingestellt, ebenso wie Sicherheitsabstände bei Pulks von Fahrzeugen oder bei Bremsungen (tempoabhängig) und bei Kreuzungsquerungen. So steuert jedes Fahrzeug automatisch seinen „freien slot“ an, und, falls alle Autos im System integriert sind, gibt es immer eine „Grüne Welle“. Im Idealfall kann dank Digitalisierung Verkehr deutlich schneller und reibungsloser fließen, wie Tests beispielweise in Singapur zeigen [9]. Sharing Economy Einen weiteren Aspekt bringt die konsequente Umsetzung der Sharing Economy. Heute fährt jedes einzelne private Auto nur etwa eine Stunde am Tag auf der Straße und steht ansonsten auf innerstädtischen Parkplätzen. Mit smarten Techniken und modernen Kommunikationsplattformen lassen sich sowohl Car Sharing als auch Ride Sharing fördern. Mit einer Kombination dieser Ansätze und einer Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) wäre eine Reduzierung der innerstädtisch Parkplätze von über 30 % leicht möglich. Dies schafft neue Räume für Grünflächen und Fußgängerzonen, für Orte der Begegnung oder zur Bewirtung. Risiken Gefahren der allgemeinen Digitalisierung sind auch für autonome Fahrzeugen denkbar, insbesondere Computerviren und Hackerattacken. Ganz allgemein besteht gegenwärtig ein sehr großer Nachrüstungsbedarf bei der Virenabwehr im Bezug auf smarte Haus- und Versorgungstechnik aber auch bei Banken, Online-Bankautomaten und so weiter. Dies liegt daran, dass man häufig aus Kostengründen die Sicherheitsausrüstung spart. Hier kann man bei dem eher hochpreisigen Konsumgut Auto aus den gleichen Gründen vorsichtig optimistisch sein. Ganz allgemein sollte übrigens hier festgehalten werden, das smarte Technologie oder auch moderne Computer generelle und feste Grenzen bei ihrer Entscheidungsfähigkeit haben. Insbesondere können sie nur Turing-berechenbare Probleme lösen und werden auch mit Gödel-Unentscheidbarkeitsproblemen nicht fertig [10, 11]. Dies sind ganz klare Grenzen für solche Maschinen, die durch Gödel und Turing in den 1930er Jahren bewiesen wurden. Daraus folgt: Alle wirklich schweren Entscheidungen, insbesondere Werturteile, fundamentale Entscheidungen, etwa über sich selbst oder komplexe Probleme, einschließlich ethischer Entscheidungen, kann ein Computer nicht leisten. Deshalb geht auch das autonome Fahren nur solange gut (einschließlich Schadenersatz bei Unfällen oder Schutz von Passanten vor dem Überfahrenwerden), wie alle wichtigen Entscheidungen von einem Menschen getroffen werden. Dies kann der Fahrer sein. Falls dieser aber zum Beispiel im autonom fahrenden Auto lieber Zeitung lesen möchte, ohne aufzublicken oder ohne etwas entscheiden zu müssen, während das Auto fährt, kann die Entscheidung auch extern von einem © pixabay 82 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die intelligente Stadt Kontrollzentrum aus getroffen werden. Wichtig ist zu erkennen, dass Computer bei bestimmten Entscheidungen grundsätzliche Einschränkungen haben, die nicht durch mehr Technik ausgeglichen werden können. Eine mögliche spezifische Entwicklung des autonomen Fahrens könnte sehr großer Kundenzuspruch sein, was zu einer wachsenden Menge autonomer Fahrzeuge, eventuell aber auch zu einem Rückgang des ÖPNV führen könnte. Da bei Kauf- und Nutzungsentscheidungen für ein Auto oft auch psychologische Faktoren im Spiel sind, wie Prestige- Denken oder der Wunsch nach Freiheit und Autonomie, dürfte autonomes Fahren solchen Bedürfnissen weniger entgegenkommen als möglicherweise das assistierte Fahren. Für eine nachhaltige Stadtentwicklung wären rationale Entscheidungen zielführend, die insbesondere auf eigene aktive Bewegung (zu Fuß, Fahrrad) oder den ÖPNV setzen. Solche Aktivitäten sollten demnach viel mehr mit Hilfe von smarten Technologien gefördert werden. Beispielsweise wird derzeit bei einem Projekt am Lehrstuhl für Bioinformatik untersucht, wie man Ladestationen für E-Bikes verbessern und smarter zugänglich machen kann. Siedlungsarchitektur Auch bei der Siedlungsarchitektur lassen sich smarte Lösungen für Stadtviertel entwickeln, etwa: 1. Intelligenter Mix aus Fachgeschäften, Online- Shops, Supermärkten und positiv gestalteten Fußgängerzonen für den Einkauf und als Begegnungsorte 2. Smarte Wohnungen in Kombination mit betreutem Wohnen, optimal intergriert in lebendige Wohnviertel für die ältere Generation statt Heimunterbringung 3. Moderne smarte Architektur für Universitäten, Hochschulen und Bildungseinrichtungen mit nachhaltigem Mobilitätskonzept, smarter Gebäudetechnologie und moderner, behindertengerechter Ausstattung Verwaltung Mit Hilfe von „E-Governance“ lassen sich Behördengänge und Wartezeiten einsparen, wenn Formulare online ausgefüllt und abgegeben werden können, Beispiel Online-Steuererklärung. Neben der Infrastruktur muss allerdings auch eine Unterstützung beim Ausfüllen der Formulare gewährleiste sein. Nachteile Digitalisierung kann negative gesellschaftliche Auswirkungen haben, etwa die Vereinsamung von Menschen, die nicht mehr physisch mit Mitmenschen in Kontakt treten. Groß-Britannien hat seit dem 17. Januar 2018 als erstes Land in Europa einen „Minister for Loneliness“ (Tracey Crouch) - also einen Einsamkeitsminister. Eine weitere ungute Entwicklung ist die Isolation in der virtuellen Welt in sogenannten Echoräumen, in denen sich nur Gleichgesinnte treffen und keine neuen Meinungen mehr aufnehmen. Ebenso gefährlich ist die Steuerung der Inhalte, die man bei der Suche im Internet über Internet- Browser angezeigt bekommt, gesteuert durch große Firmen wie beispielsweise Google, Facebook und Amazon - einschließlich zielgerichteter Werbung (sogenanntes „Nudging“). In autoritären Staaten wird sogar die Bürgertreue über die Vernetzung in sozialen Netzwerken ausgerechnet. Der sogenannte „Citizen Score“ in China steigt beispielsweise, wenn man mit einer wachsenden Zahl von Regimetreuen vernetzt ist und sinkt mit Kontakten, die nicht regime-kompatibel sind. Die digitale Agenda [6] zeigt diese und andere Gefahren für die moderne, intelligent gesteuerte und vernetzte Stadt deutlich auf. Vorteile Positive Effekte sind mehr Individualität und Freiheit, sich in der Stadt zu bewegen, ihre Angebote zu nutzen und zu wählen; mehr Möglichkeiten für den Bürger in die Lebenswelten der Stadt einzutauchen, sowohl virtuell wie konkret. Bessere Lebensqualität, gleich ob medizinisch, in der Umwelt oder einfach für den Genuss. Zugang zu modernen Technologien, die das Leben erleichtern. Gute Vernetzung mit den Freunden, mit sozialen Diensten, mit Nachrichten aus der Region und der ganzen Welt und freier Zugang zur Mobilität, wobei Wahlfreiheit zwischen Auto, autonomen Fahrzeug, ÖPNV, Fahrrad, e-Bike und Bewegung zu Fuß besteht. Smarte Innovationen Welche Rolle werden smarte Innovationen wie das autonome Fahren spielen? Im Einzelnen ist das schwer vorherzusagen, aber der Megatrend geht klar zu noch mehr Digitalisierung: Sicher wird es immer mehr Geräte geben, die mit Smart Cards ausgestattet sind, Haushaltsgeräte, Gebäude aber auch Fußgängerüberwege, Brücken, usw. Diese Geräte existieren nicht isoliert, smarte Netze werden mit der Zeit noch weiter wachsen und insbesondere für die Umweltüberwachung und die Medizin gute Dienste leisten. Smarte Innovationen sind auch bei Gefahren des Internets zu erwarten: Besserer Schutz von Smart Cards und smarten Geräten gegen Computerviren, © pixabay THEMA Die intelligente Stadt 83 1 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Trojaner und ähnliche Bedrohungen. Essentiell ist hier besonders, die Energie- und Wasserversorgung besser zu schützen, ebenso die Internet-Hauptverbindungen (Hub-Nodes und Server). Wichtig sind auch Innovationen, die Menschen davor schützen, im Internet gefangen zu sein - etwa Browser, die durch geschickte Algorithmen ihre Nutzer nicht nur mit der immer gleichen Meinung konfrontieren. Schließlich sind auch Innovationen wichtig, die für eine Robustheit und möglichst geringe Störanfälligkeit all der smarten Systeme in einer modernen Stadt sorgen. Auch hier besteht im Vergleich mit biologischen Systemen ein gewaltiger Nachholbedarf. Diese offenkundigen Mängel können zu einem gewissen Teil das Produktivitätsparadoxon der letzten Jahre zum Beispiel in den USA erklären. Denn zunächst gab es keinen Zuwachs in der Wertschöpfung trotz Digitalisierung. Sicher sind dafür auch strukturelle Gründe anzuführen, außerdem gibt es bei jeder Neuerung Anlaufphasen. Doch vermutlich werden hier erstmals auch die negativen Auswirkungen der Digitalisierung stärker spürbar. Schließlich sollte nicht vernachlässigt werden, das gute Kommunikation nicht unbedingt als Wertschöpfung quantifizierbar ist und deshalb möglicherweise steigende Produktivität gar nicht so einfach messbar ist, selbst wenn die Qualität der Kommunikation steigt [12]. Schlussfolgerungen Die historische Perspektive zeigt auf: Die „Smart City“, die moderne intelligente Stadt, ist eine Folge von wichtigen Errungenschaften der menschlichen Zivilisation, insbesondere der Megatrends Geld, Religion und Imperium, die alle die Entwicklung von Städten voranbringen. Zusätzlich haben wir die „neuen Megatrends“ Verstädterung und Digitalisierung. Interessanterweise kann man durch die Reflexion über die Gefahren der Digitalisierung recht konstruktive Maßnahmen für eine nachhaltig positive Stadtentwicklung ableiten. Das Konzept des autonomen Autos unterstützt die Stadtentwicklung. Dies zeigt an einem innovativen Beispiel die Möglichkeiten, aber auch Grenzen der digitalen Stadtentwicklung. Das digitale Manifest klärt hier recht gut über die Gefahren der Digitalisierung auf. Da über 50 % der Weltbevölkerung seit 2005 in Städten leben und bis zum Jahre 2050 zahlreiche neue Megacities von 10 Mio. bis zu etwa 100 Mio. Einwohnern (z. B. Delhi in Indien) gerade in den Entwicklungsländern entstehen werden, ist die weitere Digitalisierung und die „Smart City“ essentiell, um hier für eine gedeihliche Entwicklung der Stadt der Zukunft zu sorgen. QUELLEN [1] Dandekar, T. und Kunz, M.: Bioinformatik. Ein einführendes Lehrbuch Springer Verlag, 2017. ISBN 978-3- 662-54698-7. [2] Boero, F., Schierwater, B., Piraino, S.: Cnidarian milestones in metazoan evolution. Integr Comp Biol. 2007 Nov; 47(5): 693-700. [3] Visible Language. Inventions of Writing in the Ancient Middle East and Beyond, Oriental Institute Museum Publications, 32, Chicago: University of Chicago, p. 13, ISBN 978-1-885923-76-9. [4] Orwell G.: Nineteen eighty-four. A novel. Secker & Warburg, London, 1949. [5] Orwell G.: Nineteen eighty-four. Thomas Pynchon (Foreword); Erich Fromm (Afterword). Plume - Penguine Books USA, 2003. ISBN 0-452-28423-6. [6] Helbing, D., Frey, B. S., Gigerenzer, G., Hafen, E., Hagner, M., Hofstetter, Y., van den Hoven, J., Zicari, R.V., Zwitter, A.: Digitale Demokratie statt Datendiktatur. Spektrum der Wissenschaft 1 (2016), S. 50-61. [7] Ratti, C., Biderman, A.: Straßenverkehr: Wie werden autonome Autos die Städte verändern? Spektrum der Wissenschaft 12 (2017), Seite 78-83. [8] Santi, P. et al.: Quantifying the Benefits of Vehicle Pooling with Shareability Networks. In: PNAS 111, S. 13290-13294, 2014. Online unter http: / / www.pnas. org/ content/ 111/ 37/ 13290. [9] Spieser, K. et al.: Toward a Systematic Approach to the Design and Evaluation of Automated Mobilityon-Demand Systems: A Case Study in Singapore. In: Meyer, G., Beiker, S. (Hg: ) Road Vehicle Automation. Lecture Notes in Mobility, Springer, Heidelberg 2014. Online unter https: / / dspace.mit.edu/ handle/ 1721.1/ 82904. [10] Turing, A.: On computable numbers, with an application to the Entscheidungs-problem, Proceedings of the London Mathematical Society, Series 2, Volume 42 (1937) pp. 230-265. [11] Hofstadter, D. R.: Gödel, Escher, Bach - ein endloses geflochtenes Band, Klett Cotta Verlag, 20. Auflage, 2015. ISBN: 9783608949063. [12] Star, S. L.: Macht, Technik und die Phänomenologie von Konventionen. In: Sebastian Gießmann, Nadine Taha (Hrsg.): Susan Leigh Star: Grenzobjekte und Medienforschung. transcript, Bielefeld, 2017,S. 259. Prof. Dr. Thomas Dandekar Lehrstuhlinhaber Lehrstuhl für Bioinformatik Universität Würzburg Kontakt: dandekar@biozentrum.uni-wuerzburg.de Martin Kaltdorf Doktorand Lehrstuhl für Bioinformatik Universität Würzburg Kontakt: martin.kaltdorf@uni-wuerzburg.de AUTOREN