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Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0026
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Urbane Mobilität

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Städte stehen weltweit vor großen Herausforderungen sozialer, politischer und wirtschaftlicher Natur. Ganz aktuell sind Verkehrsüberlastung und gesundheitsschädliche Emissionen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren vielerorts im Fokus. Wie Verkehrssysteme ganz neu gedacht werden müssen, um ein funktionierendes und umweltverträgliches Mobilitätsangebot zu schaffen, erörtert Ralf Frisch, Solution Director MaaS – Mobility as a Service bei der PTV Group, Karlsruhe, im Interview.
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4 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Wo stoßen die Verkehrskonzepte, wie wir sie bisher kennen, an ihre Grenzen? Die Beobachtung, die wir machen ist, dass Menschen immer mobiler werden. Ein bemerkenswertes Phänomen ist, dass die Mobilität mittlerweile alle Altersgruppen durchzieht. Während früher mit steigendem Alter der Bewegungsradius deutlich abnahm, sind heutzutage vor allem ältere Generationen umtriebig und erkunden die Welt. Das ist zum einen dem gestiegenen Wohlstand, der allgemeinen Gesundheit, aber vor allem auch der Einfachheit des Reisens geschuldet. Trotzdem gilt für viele nach wie vor: wenn du mobil sein willst, nimm das Auto. Durch die gestiegene Reisebereitschaft sind immer mehr Fahrzeuge auf unseren Straßen unterwegs, da ist es nicht verwunderlich, dass Großstädte und Ballungsräume wie das Ruhrgebiet vor einem Mobilitäts-Kollaps stehen. Wenn sich nichts nachhaltig ändert, wird der Straßenverkehr als logische Konsequenz in nur ein paar Jahren zusammenbrechen. Urbane Mobilität Städte als Anbieter multimodaler Verkehrssysteme zur Gewährleistung sozial und ökologisch nachhaltiger Mobilität Städte stehen weltweit vor großen Herausforderungen sozialer, politischer und wirtschaftlicher Natur. Ganz aktuell sind Verkehrsüberlastung und gesundheitsschädliche Emissionen von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren vielerorts im Fokus. Wie Verkehrssysteme ganz neu gedacht werden müssen, um ein funktionierendes und umweltverträgliches Mobilitätsangebot zu schaffen, erörtert Ralf Frisch, Solution Director MaaS - Mobility as a Service bei der PTV Group, Karlsruhe, im Interview. Eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken, ist, den Öffentlichen Personennahverkehr attraktiver zu gestalten. Wenn das Angebot so überzeugend ist, dass Pendler, Reisende und Co. für ihre Wege lieber den ÖV nutzen, als das Auto zu nehmen, dann haben wir nicht nur unseren Straßen etwas Gutes getan, sondern die komplette Grundhaltung der Menschen verändert. Wie wir das anstellen? Mit Innovation und Vernetzung. Welches sind die hauptsächlichen Treiber für Veränderungen? Veränderungen passieren immer dann, wenn eine Situation für den Nutzer unbefriedigend ist. Aus der Unzufriedenheit entstehen Ideen, die wiederum durch technologische Innovationen umgesetzt werden. Für uns im verkehrlichen Umfeld gab es drei Treiber: Treiber 1: Die „jungen Wilden“ wie Uber und Lyft haben den kompletten Markt umgestülpt. Sie haben erkannt, auf was ihre potenzielle Kundschaft gewartet hat: Flexibilität in der Fortbewegung, verknüpft mit der einfachen Nutzung eines Smartphones. Ohne gesetzliche Restriktionen haben sie ihre Vision in kürzester Zeit auf die Straße gebracht. Der kommerzielle Erfolg gibt ihnen Recht. Was das wiederrum für die Städte, den Verkehr, die traditionellen Angebote und die Umwelt bedeutet, ist eine andere Frage. Aber unterm Strich ist es ihnen zu verdanken, dass die Mobilitätswelt aufgerüttelt und Mobility as a Service salonfähig wurde. Treiber 2: Unsere bereits angesprochene gestiegene Mobilität ist ein Grundtreiber für das wechselnde Angebot. Taxen, wie sie bisher unterwegs sind, sind nicht mehr zeitgemäß und damit für den Kunden unattraktiv. Sie sind zu teuer, zu unflexibel, nicht kostentransparent und je nach Gebiet schwer zu kriegen. Treiber 3: Wir sind 24/ 7 überall auf der Welt vernetzt. Als Endverbraucher kann ich Informationen über verschiedene Endgeräte (Smartphone, Smartwatch, Tablet, etc.) jederzeit abrufen und teilen. Und ja, auch im Angebot tut sich was. Autonome Fahrzeuge erreichen spätestens mit der Einführung von 5G einen straßentauglichen Zustand. Auch hier ist vor allem die Vernetzung eine treibende und entscheidende Kraft. Wie werden digitale Technologien das Verkehrsgeschehen verändern? Ich würde gerne ein Beispiel aus dem letzten Jahrhundert anführen. Es gibt eine Aufnahme der 5th Avenue aus dem Jahr 1900 und 1913. Während 1900 ein Automobil in Mitten von zig Postkutschen zu se- Ralf Frisch Solution Director MaaS. © PT V Group 5 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview hen ist, ist es nur 13 Jahre später genau andersrum: In Mitten von hunderten Automobilen findet sich nur noch eine Postkutsche. Ich glaube, wir stehen heute an einem ähnlichen Punkt. Das Verkehrsgeschehen wird aktuell komplett neu erfunden. Ausgelöst durch die Faktoren, die ich bereits nannte, ist die Mobilität dabei, sich um 180-Grad zu drehen. Die Veränderungen passieren dabei immer schneller und schneller. Welchen Stellenwert haben große Datenmengen, die von städtischen Infrastrukturen erfasst werden (können)? Daten sind in unserer Zeit das digitale Gold. Für uns als Softwarefirma haben Daten einen sehr hohen Stellenwert. Je mehr Daten wir zur Verfügung haben, umso besser sind unsere Verkehrsmodelle, umso genauer können wir das Verkehrsgeschehen prognostizieren. In der Prognose liegt auch der Unterschied zu anderen Anbietern wie zum Beispiel Google, deren Verkehrslage alleine auf Daten beruht. Erst im Zusammenspiel mit einem Modell ist eine qualitativ hochwertige Prognose möglich und es können auch temporäre Netzeinschränkungen wie etwa eine Baustelle adäquat berücksichtigt werden. Wie sollten multimodale Verkehrssysteme für Städte konzipiert werden? Multimodale Konzepte werden ohne eine nachhaltige Verknüpfung mit dem vorhandenen ÖPNV einer Stadt nicht bestehen können. Das bedeutet aber vor allem für die etablierten Betreiber, dass sie ihr Angebot anpassen und ausbauen müssen. Wenn dies nicht schnell genug von statten geht, übernehmen den Job andere. Dabei ist es doch eine grandiose Chance für die Betreiber. Wenn sie beispielsweise ihre schienengebundenen Angebote clever mit ondemand Services ergänzen, werden sie vom Betreiber zum umfassenden Mobilitätsdienstleister und verzeichnen damit bestimmt sogar mehr (begeisterte) Fahrgäste. Aus meiner Sicht ist der Sharing- Ansatz Dreh- und Angelpunkt der neuen Mobilität. Er ist nicht nur Zeichen für eine neue Denkweise und Geisteshaltung, er wird auch ein wichtiger Bestandteil sein im Kampf für saubere Luft und Staueindämmung. Dazu gibt es bereits mehrere Studien. Die bekannteste: die Lissabon-Studie der OECD, „Organisation for Economic Co-operation and Development“. In der Untersuchung, an der die PTV Group als Mitglied des Corporate Partnership Boards mitwirkte, wurden die Auswirkungen, die die Einführung von Shared Mobility, MaaS und autonomen Fahrzeugen auf den traditionellen Verkehr zur Folge haben, prognostiziert. Das Ergebnis dieser und auch von Folgestudien ist im Ansatz immer das gleiche: Sharing und die Verknüpfung mit dem bestehenden ÖV ist der Schlüssel. Die Wichtigkeit und Bewertung solcher Ansätze ist für alle Beteiligten entscheidend: Städtische Verwaltungen, Verkehrsbetriebe sowie Flottenbetreiber und Automobilhersteller sind von dieser Entwicklung gleichermaßen betroffen. Ist die Sharing Economy - also etwas zu nutzen, statt es zu besitzen - aus Ihrer Sicht ein starker Trend oder doch nur zeitweiliger Hype? Die Umsetzung wird entscheiden, ob der Trend zur Gewohnheit wird oder als Übergangsphase in Vergessenheit gerät. Aktuell wird der Hype von allen kritisch beäugt. Eine vernünftige Einführung und ein funktionierender Betrieb werden ausschlaggebend sein, wenn es darum geht, die Fahrgäste von den neuen Angeboten zu überzeugen. Die Vorreiter kämpfen mit rechtlichen Restriktionen, die den Betrieb erschweren oder manchmal sogar ganz aufhalten. Ich glaube aber, dass es tatsächlich ein starker Trend ist und kein Hype. Aktuell möchte keine Stadt oder Region diese Bewegung verpassen und investiert daher in entsprechende Piloten. Es muss aber auch im Interesse des ÖV-Betreibers liegen, sich zum Mobilitätsdienstleister wandeln zu können. Die neuen Angebote werden, wenn sinnvoll aufeinander abgestimmt, zu mehr Fahrgästen bei reduzierten Kosten, bzw. zu mehr Fahrzeugauslastung führen. Das sollte im Sinne jedes ÖV-Betreibers liegen. Wird Individualverkehr in Städten künftig die Ausnahme sein? Ich hoffe ja. Aber das wird am Ende vom Angebot abhängen, das Städte und Verkehrsbetreiber umsetzen werden. Ist das Angebot so gut, dass ein Umdenken stattfindet, dann wird ein Paradigmenwechsel eingeläutet, der zur Folge hat, dass der IV zum großen Teil reduziert werden kann. Damit wird eigentlich klar: Der Kern des Mobilitätsgedankens muss sich nah am Nutzerverhalten/ -anspruch orientieren. Stichwort: Mobility as a Service. Wird das Mobilitätsangebot zunehmend von vielen verschiedenen Marktteilnehmern bestimmt werden? Verkehr ist ein Multi-Player Geschäft. Es gibt bereits viele Anbieter und es werden noch mehr hinzukommen. Der Schlüssel wird sein, dass diese Player in die aktive Kommunikation gehen und miteinander reden müssen. Um die Frage von vorhin aufzugreifen: Die Abstimmung zwischen den Anbietern wird ebenfalls darüber entscheiden, ob der Sharing- 6 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Ansatz ein Hype bleibt oder ein Trend wird. Ich gehe nicht davon aus, dass eine Stadt in der Regel nur einen Anbieter haben wird. Nehmen Sie Hamburg als Beispiel, hier soll die Mobility Platform nach dem Wiener Modell (Upstream) von der Hamburger Hochbahn betrieben werden, als Player waren unter anderem Moia, IOKI und Moovel im Gespräch. Letztendlich hat Moia den Zuschlag erhalten und darf nun sein Ride-Pooling-Konzept mit Elektro-Shuttles ab Anfang 2019 auf Hamburgs Straßen realisieren. 1 Wie groß könnte der Anteil autonomer Verkehrsmittel werden? Irgendwann einmal wird es nur noch autonome Fahrzeuge geben. Beweist sich die Technologie, und davon gehe ich aus, dann wird es über Kurz oder Lang für die Betreiber verpflichtend. Es gibt ein Zitat von Bundeskanzlerin Angela Merkel 2 : „Wir werden in 20 Jahren nur noch mit Sondererlaubnis selbstständig Auto fahren dürfen.“ Da der Autofahrer, also wir selbst, das größte Risiko auf unseren Straßen darstellt, ist dieser Gedanke gar nicht weit hergeholt. Wem gehören bei MaaS die „Produktionsmittel“, also Infrastruktur, Technik, usw. - wer ist also (rechtlich) für was verantwortlich? Das ist ein wunder Punkt. Diese Frage beschäftigt derzeit die gesamte Industrie. Es gibt unterschiedliche Ansätze und Modelle, die gegensätzlichsten sind: Der Wien-Ansatz: Die Stadt selbst betreibt eine Plattform für Open Shared Mobility: Upstream ist eine öffentliche Plattform mit dem Ziel, alle digitalen Mobilitätsservices zusammenzubringen und somit für Transparenz und Vernetzung zu sorgen. Das hat klare Vorteile. Die Stadt hat die Verkehrshoheit und weiß, was auf ihren Straßen passiert und kann bei Bedarf regulierend gegensteuern. Es ist aber rechtlich (noch) nicht möglich, die Teilnahme verpflichtend zu machen, das schränkt die Einflussnahme natürlich ein. Der Manchester-Ansatz: Sehr viel offener ist da die Stadt Manchester an die Sache rangegangen und mit ihr London, New York und viele weitere Großstädte. Die Stadtverwaltung hatte von Beginn an kein klar definiertes Konzept und hat den Playern viele Freiräume gewährt. Das bringt viel Innovation, vor allem die Bürger waren zufrieden, für die Straßen kann es aber auch eine erhebliche Mehrbelastung bedeuten. 1 Quelle: https: / / ecomento.de/ 2018/ 04/ 30/ elektroauto-ride-poolinghamburg-genehmigt-vw-fahrdienst-moia/ 2 https: / / www.welt.de/ politik/ deutschland/ article165359594/ Als- Merkel-in-die-Zukunft-blicken-soll-lacht-das-Auditorium.html Was können Kommunen tun, damit urbane Mobilität nicht ausschließlich zum Wirtschaftsfaktor wird, sondern weiterhin in Form kommunaler Daseinsvorsorge den Bürgern zugutekommt? Ich glaube, der Wien-Ansatz ist ein gutes Vorbild. Durch das Mitspracherecht der Stadt muss die kommunale Daseinsvorsorge mittels Subventionen sichergestellt sein. Speziell bei der kommunalen Daseinsvorsorge wird die Thematik „autonomes Fahren“ zum Tragen kommen. Fällt der Fahrer bei diesem Angebot weg, spart der Betreiber eine Menge Geld, da gerade der Fahrer das Teuerste am ganzen Angebot ist. Hier wird die Rechnung wieder spannend. Und: Welche Chancen und Möglichkeiten gibt es für kommunale Akteure? - Etwa im fachübergreifenden Zusammenspiel verschiedener Behörden und Institutionen? Es gibt eine interessante Kollaboration von Wien und Hamburg. Da Wien auf diesem Feld bereits viel Erfahrung sammeln konnte, unterstützt die Stadt jetzt Hamburg mit ihrer Expertise. Die Städte arbeiten enger und vor allem offener zusammen, sogar über Ländergrenzen hinweg. Das ist ein interessanter Aspekt, der so nicht zu erwarten war. Wie wichtig ist die strategische Kooperation zwischen Kommunen, Technologieanbietern und Fahrzeugherstellern? Diese Frage wird darüber entscheiden, ob MaaS als Konzept funktionieren wird oder nicht. Ob es ein vorübergehender Hype ist oder ein Trend bleibt. Aus meiner Sicht ist die strategische Kooperation aller Akteure entscheidend für den Erfolg. Wird mit den angesprochenen Konzepten eine Verkehrswende - hin zu einer sozial und ökologisch nachhaltigen Mobilität zu schaffen sein? Natürlich. Wenn alle Verkehrsteilnehmer miteinander vernetzt sind, die Nutzung auf ein handelbares Minimum reduziert wird, dann brauche ich kein Auto, das den Großteil des Tages nutzlos rumsteht. Dann können Parks und Spielplätze aus den Parkflächen entstehen und für ein lebenswertes Umfeld sorgen, das wiederum der Zufriedenheit aller dient. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal die Lissabon-Studie anführen: Die Ergebnisse belegen, dass durch den Einsatz eines solchen Mobilitätsformats die Luftqualität verbessert wird und „tote“ Räume, wie Parkflächen, plötzlich frei werden. Diese können für andere, zwischenmenschliche und soziale, Zwecke genutzt werden. Das ist ein Ziel, auf das wir gerne hinarbeiten.