Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0037
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Rigole für Industrie und Innenstadt
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Barbara Sahler
Der in Zukunft wohl bedeutendste Baustein zur Regenwasserbewirtschaftung in bestehenden Siedlungsgebieten, in dicht bebauten Industrieregionen und ebenfalls in neu zu erschließenden Flächen von Ballungsräumen ist die Retention des Niederschlagswassers.
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34 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Sammeln und Zurückhalten (lat. retinere) ermöglicht mehrere dezentrale Bewirtschaftungsmethoden, die gemäß technischem Regelwerk DWA-A 102/ BWK-A 3 [1] mit hoher Wahrscheinlichkeit ab 2019 in Deutschland Voraussetzung für Baugenehmigungen sein werden: Die verzögerte Ableitung, die Versickerung und zunehmend auch die Verdunstung. Neu ist dann, dass alle drei Versionen zugleich realisiert sein müssen, und zwar in dem Verhältnis der lokalen Wasserbilanz, das vor der Bebauung im ungestörten Zustand vor Ort gegeben war. Erforderlich ist in jedem Fall eine Speicherbzw. Retentionsanlage, in der das Wasser zur weiteren Bewirtschaftung bereitgehalten wird - allerdings soweit gereinigt, dass es in Grund- und Oberflächengewässer eingeleitet werden darf. Zur Nachverdichtung in Industrie und Innenstadt brauchen wir dazuhin Lösungen, die ohne Oberfläche auskommen und den Niederschlag in die Trennkanalisation oder - mit Ausnahmegenehmigung - in den Mischkanal einleiten, wie im nachfolgend beschriebenen Beispiel. Retention im Tunnel Gefragt sind also unterirdische Speicherräume, um die immer kostbarer werdenden urbanen Geländeflächen für andere Zwecke freizuhalten. Dennoch sollen die Speicher belastbar sein, denn der Platz darüber wird erfahrungsgemäß für Verkehrsflächen genutzt, in der Industrie auch als Materiallager. Tiefbau-Unternehmen haben bei derartigen Anforderungen traditionell Rigolen (der Begriff stammt laut Duden aus dem niederländischen und französischen) mit Grobkies oder Schotter gebaut und dabei Material einer einzigen Sieblinien-Fraktion ohne Feinanteile verwendet. So konnten die Zwischenräume der Steine Wasser aufnehmen. Allseitig war ein wasserdurchlässiges Geotextil erforderlich, damit in die Hohlräume von außen nicht Erde oder Sand eingeschwemmt wurde. Doch diese Bauweise hat Nachteile: Nur etwa 30 % des Rigolenvolumens sind Hohlräume. Außerdem belasten Gewinnung und Transport des mineralischen Materials die Umwelt mehr als die heute übliche Rigole für Industrie und Innenstadt Regenwasser-Retention ist Pflicht, auch wenn oberirdisch die Fläche fehlt Barbara Sahler Der in Zukunft wohl bedeutendste Baustein zur Regenwasserbewirtschaftung in bestehenden Siedlungsgebieten, in dicht bebauten Industrieregionen und ebenfalls in neu zu erschließenden Flächen von Ballungsräumen ist die Retention des Niederschlagswassers. Bild 1: In einem hoch verdichteten innerstädtischen Industriegebiet in Stuttgart wurde die unterirdische Retention des Niederschlagswassers eingesetzt - der in Zukunft wohl bedeutendste Baustein dezentraler Regenwasserbewirtschaftung. © König 35 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Lösung: In modularer Bauweise werden statisch ideale Kunststoffelemente mit mehr als 90 % Hohlraum zusammengefügt und nach außen durch ein Geotextil geschützt. Das Rigolenvolumen und damit der Aushub beträgt nur noch ein Drittel. Diese Module sind umso beliebter, je weniger tief sie eingebaut, je leichter sie zu handhaben und je kompakter sie zu transportieren sind. Im Wettbewerb stehen Blockrigolen aus kubischen Elementen - übergroßen Bierkästen gleich, deren Hersteller sich leicht anhand der Materialfarbe ermitteln lässt - und ein gelbes Tunnelsystem. Ableitung mit Drossel Überlastete Kanalnetze führen dazu, dass beim Nachverdichten in Bestandsgebieten Baugenehmigungen die Auflage zur dezentralen Regenwasserbewirtschaftung enthalten. Wenn aber die bestehenden Möglichkeiten ausgeschöpft sind und die Versickerung aus geologischen Gründen nicht möglich oder wegen Altlasten im Untergrund nicht zulässig ist, bleibt nur der Kanalanschluss mit gedrosselter Ableitung - wie im vorliegenden Fall in einem hoch verdichteten innerstädtischen Industriegebiet eines Stuttgarter Sportwagenherstellers. Die Stadtentwässerung Stuttgart hat die Regenwassereinleitung bei diesem Objekt auf den Maximalwert von 37,7 Liter pro Sekunde beschränkt. Marian Dürrschnabel, Teamleiter des Produktmanagements beim Rigolen-Hersteller BIRCO GmbH, entschied sich für eine statische Drossel mit Lochblende: „Diese reguliert zuverlässig den Ablauf des zurück gehaltenen Regenwassers. Wir haben sie leicht zugänglich für die Inspektion in einem separaten BIRCO-Systemschacht untergebracht.“ Stauraumdimensionierung im Nachweisverfahren Die Stadtentwässerung will bei Niederschlag keine größeren Volumenströme im Mischkanal haben als zuvor. So musste auf dem Gelände des expandierenden Betriebes ein Stauraum her, aus dem Regenwasser automatisch und zeitverzögert erst dann eingeleitet wird, wenn die Kläranlage den ersten Schwall aus der Umgebung bereits verarbeitet hat. Im Interesse der Bauherrschaft sollten weder Geländefläche noch umbauter Raum dazu geopfert werden. Die Planer für Technische Gebäudeausrüstung der Deerns Deutschland GmbH haben sich dieser Herausforderung angenommen. Zur Dimensionierung des erforderlichen Stauraums gilt das Arbeitsblatt DWA-A 117 [2]. Wo früher noch das einfache Verfahren angewandt wurde, bedient man sich heute der in- Das Arbeitsblatt DWA-A 117 [2] ist im Bereich der gesamten Abwasserableitung zwischen der Grundstücksentwässerung und dem Gewässer anwendbar. Es regelt die Bemessung und den Nachweis von Regenrückhalteräumen. Gründe für die Anordnung von Regenrückhalteräumen sind zum Beispiel die Begrenzung von Gebietsabflüssen, Kosteneinsparungen beim Bau von Entwässerungssystemen, der Anschluss von Neubaugebieten an ausgelastete Entwässerungssysteme oder die Sanierung überlasteter Kanalnetze. Angesichts der Investitionen, die für den Bau von Abflusssystemen und Rückhalteräumen erforderlich sind, kommt einer nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichteten Konzeption und Bemessung von Rückhalteräumen große Bedeutung zu. Einflüsse auf das Bemessungsergebnis könnten sich aus möglichen Auswirkungen des Klimawandels ergeben. Die heute vorliegenden Niederschlagsprojektionen weisen eine sehr große Variabilität auf. Für die Bemessung von Rückhalteräumen ist dabei insbesondere die Zunahme von lokalen Starkregenereignissen von Bedeutung, die zu einer Erhöhung der erforderlichen Rückhaltevolumina führen könnten. Aufgrund der großen regionalen Variabilität und der großen Unsicherheiten der prognostizierten Niederschlagsentwicklung wird jedoch von einem Klimawandelzuschlag im Bemessungsgang abgeraten. Vielmehr sind bei der Planung - auch im Hinblick auf die Ziele einer integralen Siedlungsentwässerung - Möglichkeiten zur späteren Erweiterbarkeit des Rückhalteraums und zur Verringerung des Niederschlagswasseranfalls zu berücksichtigen. Eine detaillierte Darstellung der möglichen Auswirkungen ist auch im DWA-Themenband „Klimawandel - Herausforderungen und Lösungsansätze für die deutsche Wasserwirtschaft“ enthalten. Das Arbeitsblatt richtet sich insbesondere an planende Ingenieure, Aufsichtsbehörden und Kommunen. Quelle: http: / / www.dwa.de/ dwa/ shop/ REGENRÜCKHALTERÄUME UND STARKREGENEREIGNISSE zwischen detaillierteren Niederschlagsdaten und schafft mit Hilfe deutlich verbesserter Rechnerkapazitäten Ergebnisse nach dem so genannten Nachweisverfahren. Der Planungsaufwand dabei ist deutlich höher, aber gerechtfertigt, da für den Betreiber das Risiko unkalkulierbarer Schäden infolge Unterbemessung ebenso reduziert wird wie kostspielige Überbemessungen. Bild 2: Geländeschnitt mit Regenentwässerung von Hausdach und befestigter Fläche, Kontrollschacht inklusive Sandfang sowie Anschluss an den unterirdischen Stauraum. Dieser dient hier mit allseitiger Abdichtung als Retentionsrigole, bei anderen Objekten ohne Abdichtung als Versickerungsrigole. © BIRCO 36 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Schwerlast oben, Grundwasser unten Der Auftrag an den Generalunternehmer Moser GmbH & Co. KG enthielt unter anderem den Bau eines unterirdischen Rückhalteraumes von 75 m³ Volumen mit Abflussdrossel inklusive Anschluss der Regenentwässerung eines neuen Gebäudes und des asphaltierten Innenhofs (der für Lieferverkehr sowie als PKW- Parkplatz genutzt wird). „Gefordert war eine Rigole in flacher Bauweise wegen des hohen Grundwasserstandes. Zugleich sollte darüber, und das bei nur wenig Überdeckung, Schwerlastverkehr möglich sein“, erinnert sich Andreas Olmosi, Projektleiter beim Bauunternehmer MOSER. „Da gibt es kaum Alternativen, wenn die Bauherrschaft wie hier auch noch zusätzlich die Möglichkeiten einer Kamera-Inspektion und einer leichten Zugänglichkeit für Wartung wünscht“. Bei nur 405 mm Scheitelhöhe werden immerhin 880 L Speichervolumen pro Tunnelelement erreicht. Ein Element ist an der Basis 2300 mm lang und 865-mm breit. Überdeckt wird es beispielsweise mit Schotter der Körnung 16 - 32 mm. Das durch das DIBt in Berlin zugelassene Rigolen-Produkt Nr. Z-42.1-525 ermöglicht dauerhaften Schwerlastverkehr SLW 60 bei einer Mindestüberdeckung von nur 1,00 m. Für Transport und Lagerung sind die Einzelteile kompakt. Auf eine Palette passen 40 Tunnelelemente SC-310 mit einem Speichervolumen von 36 m³. Eine Person allein kann die Tunnel verlegen und verbinden - dank des geringen Gewichts von 17,5 kg pro Element und der kraftschlüssigen Steckverbindung. Für Großprojekte können so innerhalb kurzer Zeit selbst große Rigolen wirtschaftlich installiert werden. Abdichtung nach allen Seiten Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass BIRCO Rigolentunnel von StormTech ® auch für die Regenwasserbehandlung mit anschließender Versickerung konzipiert wurden. Aus diesem Grund wird die Anlage mit einem Schutzvlies umhüllt, welches das Eindringen Bild 3: Abdichtung der Retentionsrigole nach unten und zur Seite. Die schwarze Dichtungsbahn wird abschnittsweise auf einem Schutzvlies ausgelegt und verschweißt. © BIRCO Bild 4: Sieben Reihen BIRCO Rigolentunnel von StormTech ® SC- 310 mit insgesamt 75 m³ Retentionsvolumen, davon vier Reihen als Sedimentationstunnel mit Zulauf DN 315. © BIRCO Bild 5: Die oberseitige verschweißte Dichtungsbahn der Rigole wird mit Schutzvlies abgedeckt. © BIRCO Bild 6: Anschluss BIRCOsir Punkteinlauf 40 x 40 cm mit Gussabdeckung E 600, für die Entwässerung der Verkehrsflächen, mit zusätzlicher Entlüftungsfunktion. © BIRCO 37 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur von Erde und Sand von außen verhindert, Wasser jedoch von innen her allseitig gut austreten lässt. Als Stauraum mit verzögerter Ableitung zur Kanalisation funktioniert die Rigole allerdings nur dank einer dauerhaften, verschweißten Abdichtung. Hier wurde eine glatte schwarze Folie aus PE HD mit 2,0 mm Dicke und DIBT-Zulassung verbaut. „Sie ist wurzelfest, beständig gegen Nagetiere und wird vor allem bei Lagerhallen, Gefahrgutlagern sowie im Straßen- und im Deponiebau eingesetzt. Als Schutzlage haben wir ein Multicolor-Faservlies mit 400 g Flächengewicht verwendet“, sagt Frank Müller, geschäftsführender Gesellschafter der F+T Müller GmbH. Sein Betrieb erfüllt die Qualitätsziele der Überwachungsordnung des Arbeitskreises Grundwasserschutz e.V. Zusammenfassung Regenwasserbewirtschaftung ist objektspezifisch. Auch in Innenstädten und Industriegebieten geht es darum, Niederschläge dem natürlichen Wasserkreislauf möglichst umweltverträglich zur Verfügung zu stellen. In vielen Fällen profitiert das Stadt- und Gebäudeklima, die Kanalisation wird entlastet. Wassergesetze, Verordnungen und kommunale Satzungen sind ebenso darauf ausgelegt wie die Regeln der Technik. Dennoch wird in Einzelfällen, vor allem bei nachträglicher Verdichtung im Bestand von Siedlungs- und Gewerbegebieten, ein Kanalanschluss für die Regenableitung erforderlich sein und auch genehmigt werden - allerdings mit vorgeschalteter Rigole als Puffervolumen und mit gedrosselter Ableitung. Bei unterirdischer Ausführung müssen Bauweise und Material dauerhaft beständig und statisch ausreichend belastbar sein. Systemen, bei denen Schächte, Hohlkörper, Leitungen und Drosselorgan ebenso wie Schutz- und Dichtungsfolien als Einheit angeboten werden, gehört die Zukunft - zumal, wenn sie sich schnell und unkompliziert verarbeiten lassen, mit einer geringen Bauhöhe auskommen sowie für Inspektion und Wartung vollständig und leicht zugänglich sind. LITERATUR [1] Entwurf Arbeitsblatt DWA-A 102/ BWK-A 3: Grundsätze zur Bewirtschaftung und Behandlung von Regenwetterabflüssen zur Einleitung in Oberflächengewässer. DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V., Hennef. In Zusammenarbeit mit BWK Bund der Ingenieure für Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Kulturbau, Düsseldorf, Okt. 2016. [2] DWA-A 117: Bemessung von Regenrückhalteräumen (Dez. 2013). DWA Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V., Hennef. Korrigierter Stand: Feb. 2014. [3] Umwelt - Behandeln, Rückhalten und Versickern. Intelligentes Regenwassermanagement. Hrsg.: BIRCO, Baden-Baden, Juni 2016. LINKS • Baudokumentation als Zeitraffervideo auf YouTube: www. birco.de/ einbau-stuttgart • Wartungs- und Reinigungsfilm auf YouTube: www.birco.de/ rigolentunnel-wartung Der globale Wasserkreislauf ist der Antrieb allen Lebens auf der Erde. Er bestimmt Klima, Fauna, Flora und Bodenzusammensetzung - von seinem Funktionieren hängt auch das menschliche Leben ab. Kondensation: Das aufsteigende Wasser kühlt in den höheren Luftschichten ab und kondensiert - Wolken entstehen. Je kühler die Luft ist, desto weniger Wasser kann sie aufnehmen. Sind die Wolken bereits mit Wasser gesättigt, kommt es zu Niederschlag. Verdunstung: Vor allem über den Meeresoberflächen verdunsten riesige Wassermengen, in geringeren Teilen auch über dem Festland. Die Verdunstung wirkt zusätzlich auf das Mikroklima - lokal senkt sie die Temperaturen um bis zu 2 Kelvin. Der Wasserdampf steigt in die kühlere Atmosphäre auf. Versickerung: Wie gut das Niederschlagswasser versickern kann, hängt von vielen Faktoren ab: unter anderem von Treibhauseffekt, Emissionen, Umleitung natürlicher Wasserwege und Bodenversiegelung. Niederschlag: Regen ist die häufigste Form des Niederschlags. Täglich werden enorme Mengen atmosphärischen Wassers in einem riesigen Kreislauf umgesetzt. Allein in Deutschland fallen rund 800 mm im Jahr - das sind 800 Liter pro Quadratmeter. Starkregen: Plötzlicher heftiger Niederschlag führt zu urbanen Sturzfluten und damit zu Gefahren für Verkehr und Bausubstanz - bei oft unterdimensionierter Kanalisation. Abhilfe: Dezentrale Regenwasserbewirtschaftung und/ oder Retention mit verzögerter Ableitung. Quelle: Umwelt - Behandeln, Rückhalten und Versickern [3]. GLOBALER WASSERKREISLAUF, BEGRIFFE Barbara Sahler Sachverständigen- und Fachpressebüro König Kontakt: mail@klauswkoenig.com AUTORIN Bild 7: Anschluss BIRCOsir Punkteinlauf 40 x 40 cm mit Gussabdeckung E 600, für die Entwässerung der Verkehrsflächen, mit zusätzlicher Entlüftungsfunktion, verschweißt mit der oberseitigen Dichtungsbahn der Rigole. © BIRCO
