eJournals Transforming cities 3/2

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0038
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2018
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Wassersensible Zukunftsstädte

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2018
Helmut Grüning
Eske Hilbrands
Das Leben in urbanen Räumen wird für Menschen zunehmend attraktiver. Bereits heute leben etwa 50 % der Menschen in Städten. Tendenz zunehmend. Die Vereinten Nationen prognostizieren eine Zunahme der Weltbevölkerung bis 2050 von derzeit 7,5 auf 9,5 Milliarden Menschen. 80 % der Weltbevölkerung werden dann in Städten leben. Ein Großteil der sogenannten Megacitys liegt in Küstennähe und wird von einem Anstieg des Meeresspiegels besonders betroffen sein. Aber nicht nur Megacitys wie Tokio, New York oder Paris werden als attraktiver Platz zum Leben und Arbeiten wahrgenommen, auch Städte wie Münster, Düsseldorf oder Stuttgart stehen vor der Herausforderung, dass weit mehr Wohnraum benötigt wird, als kurzfristig zur Verfügung gestellt werden kann. Das hat zur Folge, dass Grundstückspreise ständig steigen und jeder Quadratmeter bebaut und befestigt wird. Diese Entwicklung hat maßgeblichen Einfluss auf urbanhydrologische Prozesse und das Stadtklima. Veränderungen des globalen Klimas verschärfen diese Situation. Es ist davon auszugehen, dass extreme Wetterphänomene wie Starkregen und längere Hitzeperioden zunehmen werden.
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38 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Extremwetterlagen und Stadtentwicklungen Aus den genannten Entwicklungen resultieren unterschiedliche Folgen:  Niederschlag aus intensiven Regenereignissen wird auf befestigten Flächen gesammelt und unmittelbar in die Kanalisation eingeleitet, die für extreme Ereignisse aber nicht ausgelegt ist. Es kommt zu lokalen Überflutungen.  Kanalisierte und durch Bebauung eingeschnürte kleine Stadtgewässer werden durch intensive Niederschläge zu reißenden Strömen, die erhebliche Schäden anrichten können.  Hitzeentwicklungen im urbanen Raum werden zunehmen, denn durch die enge Bebauung kommt es zu einem geringen Luftaustausch. Außerdem fehlen verdunstungsspezifische Kühlprozesse. In diesem Beitrag werden Risiken und Möglichkeiten der Stadtentwicklung im Zusammenhang mit entwässerungsspezifischen Anforderungen thematisiert. Ein Schwerpunkt sind dabei Überflutungen, die im besiedelten Bereich als „urbane Sturzfluten“ bezeichnet werden. Kanalnetzdimensionierung und urbane Sturzfluten Durchschnittlich fallen in Deutschland etwa 800 mm Niederschlag pro Jahr (= 800 l/ m²). Diese Größenordnung stellt grundsätzlich kein entwässerungsspezifisches Problem dar. Im Gegenteil, die klimatischen Bedingungen sind äußerst günstig. Wassermangelprobleme sind in Deutschland bislang seltene Phänomene in außergewöhnlich trockenen Sommern. Solange sich der Niederschlag gleichmäßig über Wassersensible Zukunftsstädte Überflutungsrisiken und Konzepte zur klimasensitiven Stadtentwicklung Urbanisierung, Klimawandel, Wasserhaushalt, Überflutungen, Regenwassermanagement, Stadtklima Helmut Grüning, Eske Hilbrands Das Leben in urbanen Räumen wird für Menschen zunehmend attraktiver. Bereits heute leben etwa 50 % der Menschen in Städten. Tendenz zunehmend. Die Vereinten Nationen prognostizieren eine Zunahme der Weltbevölkerung bis 2050 von derzeit 7,5 auf 9,5 Milliarden Menschen. 80 % der Weltbevölkerung werden dann in Städten leben. Ein Großteil der sogenannten Megacitys liegt in Küstennähe und wird von einem Anstieg des Meeresspiegels besonders betroffen sein. Aber nicht nur Megacitys wie Tokio, New York oder Paris werden als attraktiver Platz zum Leben und Arbeiten wahrgenommen, auch Städte wie Münster, Düsseldorf oder Stuttgart stehen vor der Herausforderung, dass weit mehr Wohnraum benötigt wird, als kurzfristig zur Verfügung gestellt werden kann. Das hat zur Folge, dass Grundstückspreise ständig steigen und jeder Quadratmeter bebaut und befestigt wird. Diese Entwicklung hat maßgeblichen Einfluss auf urbanhydrologische Prozesse und das Stadtklima. Veränderungen des globalen Klimas verschärfen diese Situation. Es ist davon auszugehen, dass extreme Wetterphänomene wie Starkregen und längere Hitzeperioden zunehmen werden. Auswirkung Örtlichkeit Überflutungshäufigkeiten Gering Agrarland (Acker, Weideflächen) 1 in 2 a Mittel bis stark Wohngebiete 1 in 20 a Stark Stadtzentren 1 in 30 a Sehr stark Kritische Infrastruktur (unterirdische Verkehrsanlagen, Krankenhäuser etc.) 1 in 50 a Tabelle 1: Empfohlene Häufigkeiten für kanalindizierte Überflutungen nach DIN EN 752 und DWA-M 119 [1, 2]. 39 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten das Jahr verteilt, verschwindet der Regen zumeist unbemerkt in der Kanalisation. Problematisch sind intensive Starkregen, die im urbanen Raum zu lokalen Überflutungen führen (urbane Sturzfluten). Die Folgen sind hohe wirtschaftliche Schäden, beispielsweise durch vollgelaufene Keller, bis hin zur Zerstörung von infrastrukturellen Systemen und Gebäuden. Im schlimmsten Fall sind Menschenleben gefährdet. Beispiele dazu wurden in den letzten Jahren verstärkt öffentlich wahrgenommen. Kommt es zu intensiven überregionalen Niederschlägen, die zu einem Hochwasser in Gewässern führen, die teilweise durch urbane Bereiche verlaufen, sind dramatische Situationen wie in Braunsbach und Simbach im Jahr 2016 die Folge. Bei Überflutungen ist grundsätzlich zu unterscheiden, ob die Ursache großräumige Regenereignisse sind, die weitgehend unbesiedelte Flussgebiete betreffen (fluviale Ereignisse) oder ob Siedlungsgebiete und kleine lokale Gewässer betroffen sind (pluviale Ereignisse). Große Gewässer reagieren auf lokale Starkregen kaum. Dagegen können sich kleine Gewässer oder sogar temporär trockenfallende Rinnen (sogenannte „schlafende Gewässer“) innerhalb kürzester Zeit bei lokalen Starkregen in reißende Sturzbäche verwandeln. Extreme Beispiele intensiver Niederschläge mit der Folge urbaner Sturzfluten sind:  Berlin (2017): etwa 150 mm in 24 Stunden  Dortmund (2008): bis zu 200 mm in 6 Stunden  Münster (2014): etwa 300 mm in 7 Stunden Kein Kanalnetz ist für Abflüsse, die bei derartigen Extremereignissen auftreten, ausgelegt. Doch was kann, respektive muss ein Kanalnetz aufnehmen und ableiten? Zur Bemessung der Kanalisation werden Niederschläge statistisch nach Dauerstufen und Wiederkehrzeit ausgewertet. Der Deutsche Wetterdienst wertet Starkregen statistisch auf der Basis langjähriger Niederschlagsmessungen aus und überträgt die Werte auf ein deutschlandweites Rasternetz (KOSTRA-DWD). Die Charakterisierung eines Niederschlagsereignisses erfolgt durch die drei Parameter: Regendauer (D), Wiederkehrzeit (T N ) und Regenhöhe (h N ). Die für die Bemessung zugrunde gelegten Bemessungsniederschläge sind dann ein Kompromiss zwischen technisch/ wirtschaftlicher Machbarkeit und einer Risikoabschätzung. Dabei orientieren sich Wasserwirtschaftler an urbanen Strukturen und legen die statistische Häufigkeit einer möglichen Systemüberlastung fest. Je größer das Risiko eines Schadens, umso seltener das zugrunde gelegte Niederschlagsereignis. Tabelle 1 zeigt diesen Zusammenhang. Der sogenannte „Jahrhundertregen“ ist dabei kein Orientierungsmaßstab, sondern häufigere und damit auch weniger intensive Niederschlagsereignisse. Nach DWA-M 119 sind Starkregen definiert als: „Regenereignisse, die in einzelnen Dauerstufen Regenhöhen mit Wiederkehrzeiten T N ≥ 1 a aufweisen“. Bei der Bemessung eines Kanalnetzes werden je nach Risikoeinschätzung sogenannte Bemessungsregen verwendet, deren Bemessungs- und Einstau-Wiederkehrzeiten zwischen T N = 1 a und 5 a liegen. Bei diesen Regen darf es noch nicht zur Überflutung kommen. Eine Überflutungssituation darf rein statistisch gesehen in Bereichen mit kritischer Infrastruktur nur einmal in 50 Jahren auftreten. Die Angaben in Tabelle 1 dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Überflutungen mit den derzeitigen Möglichkeiten der Simulation nicht eindeutig nachzuweisen sind. Die Abflussprozesse auf der Oberfläche sind zu komplex. Dennoch sind zur Analyse der Überflutungsgefährdung unterschiedlich detaillierte und aufwändige methodische Ansätze verfügbar. Durch Kombination der Kanalnetzberechnungsmodelle mit zweidimensionalen Oberflächenabflussmodellierungen sind Fließwege und überflutungsgefährdete Bereiche zu ermitteln (Bild 1). Diese Instrumente ermöglichen zwar eine Analyse der Prozesse, aber keinen Nachweis der Systeme. In der öffentlichen Wahrnehmung schwierig, ist die Einordnung des Risikos einer Überflutungssituation. Schmitt [4] greift die häufig durch Fehlinterpretationen geprägte Klassifizierung von Extremereignissen durch Wiederkehrzeiten auf. Er Bild 1: Ergebnis einer Überflutungssimulation zur Darstellung überflutungsgefährdeter Bereiche - die roten Punkte stellen Wasseraustritt aus der Kanalisation dar. © Hochschule Bremen [3] 40 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten schlägt einen dimensionslosen Index vor, der mit aufsteigendem Wert eine größere Überflutungsgefahr anzeigt. Mit dieser einfachen Kennzahl wird vermieden, dass sich Betroffene nach einem seltenen Ereignis in Sicherheit wiegen, weil ein Ereignis mit einer bestimmten Wiederkehrzeit in den nächsten Jahren nicht mehr vorkommen würde. Eine Umfrage der FH Münster bei Betroffenen einer Überflutung zeigt, dass diese Haltung durchaus realistisch ist. Darüber hinaus meinen manche Anwohner, dass die Kommune Maßnahmen zu treffen hat, die eine Schädigung des Privateigentums künftig ausschließen. Das Abschieben der Verantwortung ist ein zutiefst menschliches Verhalten. Doch letztlich muss jeder Verantwortung übernehmen und zwar für Entwicklungen in der Vergangenheit und für künftige Maßnahmen:  Der Schutz vor außergewöhnlichen Starkregenereignissen ist nicht nur Aufgabe der Kommune als Kanalnetzbetreiber. Der Schutz des eigenen Gebäudes ist eine Privatangelegenheit.  Für die zunehmende Flächenbefestigung sind nicht nur Städteplaner verantwortlich. Straßen und Wohnflächen nutzt jeder. Hier sind außerdem Verkehrsplaner und vor allem politische Vertreter gefordert. Die Zuständigkeiten für Maßnahmen bei unterschiedlichen Regenereignissen zeigt Bild 2. Bei Regen, die eine Überflutung hervorrufen, müssen sämtliche Akteure aktiv werden. Die Maßnahmen nach der Dimensionierung der Kanalisation reichen dabei von der Einrichtung temporärer Überflutungsbereiche (multifunktionale Flächen) bis hin zu Maßnahmen auf den Privatgrundstücken (zum Beispiel durch druckdichte Kellerfenster). Massive Störung des natürlichen Wasserhaushalts Aufgrund der klimatischen Veränderungen wird erwartet, dass künftig die Häufigkeit und Intensität lokaler Starkregen zunehmen wird. Außerdem werden längere Hitzeperioden in den Sommermonaten prognostiziert [6]. Städtebauliche Entwicklungen verschärfen die daraus resultierenden Probleme.  Durch fehlende Grünflächen und die enge Bebauung wird die kühlende Wirkung von verzögerten Verdunstungsprozessen durch Pflanzen Überstaufreiheit Überstaufreiheitt Bemessungsregen seltene Starkregen außergewöhnliche Starkregen Entwässerungssystem inkl. Rückstausicherungen in Gebäuden Verkehrs- und Freiflächen (temporäre „Nutzung“) gezielter Objektschutz (öffentlich/ privat) Überflutungsschutz Schadensbegrenzung … Bild 2: Aufgabenaufteilung zum Schutz vor Überflutungen. © DWA [5] Bild 3: Degradiertes Stadtgewässer in unmittelbarer Gebäudenähe. © Grüning/ Hilbrands 41 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten aufgehoben, außerdem wird der eingeschränkte Luftaustausch begünstigt. Es kommt zu Hitzestaus, die während heißer Sommermonate die Bewohner belasten.  In Innenstädten wird jede verfügbare Fläche befestigt und bebaut. Innerhalb kürzester Zeit wird der Oberflächenabfluss auf diesen Flächen gesammelt und in die Kanalisation eingeleitet. Verdunstung und Versickerung, die den natürlichen Wasserhaushalt prägen, finden nicht mehr statt.  Oberflächenabflüsse, die in kürzester Zeit in die Kanalisation eingeleitet werden, führen zur Systemüberlastung. Es kommt unmittelbar zu stoßartigen Systementlastungen in naheliegende Gewässer, die anschwellen und über die Ufer treten.  Menschen siedeln bevorzugt in unmittelbarer Gewässernähe, obwohl bekannt ist, dass Gewässer systembedingt Hochwasser führen können. Die Nähe zum Wasser ist praktisch und attraktiv. Gebäude reichen in urbanen Räumen bis unmittelbar an das Gewässerufer (Bild 3).  In der Kulturlandschaft wurde Gewässern der Raum genommen. Sie wurden begradigt, in ein enges Korsett gezwängt und die Auen degradiert. Der enge Raum führt zu höheren Fließgeschwindigkeiten. Bei einem Hochwasser fehlt der Platz.  Vielfach wurden kleinere Fließgewässer sogar schlicht kanalisiert. In Kanäle gezwängt leiten diese ehemaligen Bäche dann Oberflächenabflüsse und den gewässerspezifischen Basisabfluss in Rohrleitungen unterhalb der Verkehrsflächen ab. Diese Entwicklungen führen dazu, dass Prozesse des natürlichen Wasserhaushaltes massiv gestört werden. Das Grundproblem der zunehmenden Flächenbefestigung ist die Einschränkung von Verdunstungsprozessen und die Ableitung statt der Versickerung des Niederschlagswassers. Konzepte, die auch in eng besiedelten urbanen Räumen dazu führen, dass der natürliche Wasserhaushalt unterstützt wird, sind eine wichtige Voraussetzung für angenehme Lebensbedingungen. Hier muss ein Umdenken stattfinden. Wasser in der Stadt darf nicht nur zum Entsorgungsproblem reduziert werden, sondern muss Teil der Gestaltung urbaner Lebensräume sein. Städtebauliches Umdenken - Konzepte gegen Starkregen und Hitze Ziel künftiger Entwicklungen muss eine kombinierte Betrachtung städtebaulicher und entwässerungstechnischer Aspekte sein. Dabei sind neue Konzepte zu entwickeln und „alte Sünden“ zu beseitigen. Zu dem umfangreichen Maßnahmenpaket zählen:  Multifunktionale Flächen und Notwasserwege zum Rückhalt und zur gezielten Ableitung von Oberflächenabflüssen bei Starkregen  Flächenabkopplung (Entsiegelung) und Grünflächen zur Unterstützung der Versickerung und Verdunstung  Maßnahmen an Gebäuden beispielsweise durch Fassaden- und Dachbegrünung  Erlebbare Gewässer durch offene Gewässerführung und Rückbau oder Umgestaltung degradierter Auen und Randzonen Die Komplexität dieses Ansatzes, der ein Umdenken bei vielen städtebaulichen und entwässerungstechnischen Prozessen erfordert, zeigt die Gewässersituation im teilweise dicht besiedelten Ruhrgebiet. Aufgrund der quasi explosiven industriellen Entwicklungen und dem Bevölkerungszuwachs zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden Gewässer im Ruhrgebiet begradigt und kanalisiert. Im Emschersystem sind unter anderem aufgrund der bergbaubedingten Einflüsse auf die Topografie die meisten Gewässer als Teil des Abwasserentsorgungssystems umgestaltet worden. Auf einer Länge von 350 km wurden offene Gewässern zu begradigten, mit Sohlschalen ausgebauten offenen Abwasserrinnen mit natürlichem Bachabfluss. Die Emschergenossenschaft entwickelt in Kooperation mit den Kommunen Konzepte zur naturähnlichen Umgestaltung dieser degradierten Gewässer. Das Dilemma der eingeschränkten Möglichkeiten verdeutlicht Bild 4. Bild 4: Öffnung eines ehemals kanalisierten Stadtgewässers in beengten Verhältnissen. © Grüning/ Hilbrands 42 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Hier wurde ein kanalisiertes Gewässer wieder in das Stadtbild als offenes Gewässer eingefügt. Völlig unnatürlich verläuft dieses Gewässer begradigt und tief eingeschnitten im Straßenquerschnitt. Immerhin ist es aber aus der Kanalisation entflochten, offen und begrünt. Mehr Platz zur Gewässergestaltung war aufgrund der bestehenden Bebauung nicht verfügbar. Derartige Lösungen werden in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. Hier ernten Gewässer- und Stadtplaner nicht nur Lob, wenn der Gedanke der erforderlichen wassersensitiven Stadtentwicklung nicht nachvollzogen wird. Bild 5 Entwurf eines mehrstöckigen Wohngebäudes mit vertikaler Begrünung in München. © Architekturbüro Aika Schluchtmann Bild 6: Dschungel-Stadt Liuzhou in China. © Entwurf des Architekturbüros Stefano Boeri 43 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Prof. Dr.-Ing. Helmut Grüning Fachhochschule Münster - Campus Steinfurt Inst. für Infrastruktur · Wasser · Ressourcen · Umwelt Kontakt: gruening@fh-muenster.de Eske Hilbrands Fachhochschule Münster - Campus Steinfurt Inst. für Infrastruktur · Wasser · Ressourcen · Umwelt Kontakt: hilbrands@fh-muenster.de Ziel muss es sein, Gewässer und entwässerungstechnische Lösungen erlebbar zu machen. Ein Beispiel dafür sind multifunktionale Flächen, die während eines intensiveren Regens als Überflutungsraum mit Retentionswirkung genutzt werden und anschließend wieder zu unterschiedlichen Nutzung (Sport, Spielplatz etc.) verfügbar sind. Doch wie können Gebäude im beengten urbanen Raum künftig wasser- und klimasensitiv gestaltet werden? Konzepte bis hin zu Visionen zeigen Entwürfe innovativer Architekten und Stadtplaner. Der Entwurf eines 16-stöckigen Gebäudes mit vertikaler Begrünung, begrünten Terrassen und einem Dachgarten der Architektin Aika Schluchtmann zeigt, dass eine Symbiose aus Lebensqualität und Ökologie mitten in einer Großstadt möglich ist (Bild 5). Bei knapper Flächenverfügbarkeit bzw. um Flächenbefestigungen gering zu halten, muss Raum durch Höhe geschaffen werden. Dass es möglich ist, Stadtquartiere so zu gestalten, dass dem natürlichen Wasserhaushalt unbebauter Flächen weitgehend entsprochen wird, zeigen Uhl und Wietbüscher [7]. Das Konzept zur städtebaulichen Gestaltung des neues Wohnquartiers Oxford auf der Konversionsfläche einer ehemaligen Kaserne in Münster sieht Dachbegrünungen, Oberflächenentwässerung in offenen Rinnen und Gräben, Regenwasserspeichermulden und ein Wasserspiel im Zentrum des Quartiers vor. Köster et al. [8] berichten über ambitionierte Schwammstadtkonzepte in China. Das von der chinesischen Regierung initiierte Projekt hat das Ziel, dass 70 % des Regenwassers im urbanen Raum zurückgehalten und einer Nutzung zugeführt wird. Zukunftsweisende Konzepte entwickelt der italienische Architekt Stefano Boeri. Vertikale Wald-Hochhäuser nach seinen Entwürfen gibt es schon in der Schweiz und in Mailand. In Süd-China hat der Bau der Dschungel-Stadt Liuzhou bereits begonnen (Bild 6). Hier sind nicht nur Parks, Gärten und Straßen begrünt, sondern auch die Gebäude selbst werden konsequent bepflanzt. Im Jahr 2020 sollen die ersten Bewohner einziehen [9]. Die Bilder 5 und- 6 zeigen, dass hohe Gebäude durchaus ökologische Funktionen übernehmen können. Ein wichtiger Aspekt urbaner Begrünung darf dabei nicht außer Acht gelassen werden: Grün braucht dauerhaft Pflege. Beeindruckenden Bildern innovativer Stadtentwicklungskonzepte stehen irritierende Eindrücke bisweilen verwahrloster Grünflächen im öffentlichen Verkehrstraum entgegen. Hier fehlt es noch an Konzepten. Dabei profitieren von naturähnlich gestalteten urbanen Lebensräumen so viele: das kleinste Insekt und am meisten der Mensch. AUTOR I NNEN LITERATUR [1] DIN (2017) DIN EN 752 Entwässerungssysteme außerhalb von Gebäuden, Deutsches Institut für Normung e. V., Berlin, Juli 2017. [2] DWA Merkblatt DWA-M 119: Risikomanagement in der kommunalen Überflutungsvorsorge für Entwässerungssysteme bei Starregen, Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) Hennef, 2016. [3] HSB: Ermittlung von Überflutungsgefahren mit vereinfachten und detaillierten hydrodynamischen Modellen. Praxisleitfaden, erstellt im Rahmen des DBU-Forschungsprojektes „KLASII“. Lehrgebiet Siedlungswasserwirtschaft, Hochschule Bremen, Oktober 2017. [4] Schmitt T. G.: Starkregenindex zur Kommunikation von Überflutungsursachen und Risiken. In: KA Korrespondenz Abwasser, Abfall (61), Nr. 8, (2014) S. 681-687. [5] DWA: Prüfung der Überflutungssicherheit von Entwässerungssystemen. Arbeitsbericht der DWA-AG ES-2.5. In: KA-Abwasser, Abfall (55), Heft 9, (2008) S. 972-976. [6] IPCC: Managing the Risks of Extreme Events and Disasters to Advance Climate Change Adaption. A Special Report of Working Groups I and II of the Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Cambridge University Press, Cambridge, UK, and New York, NY, USA (2012) pp 582. [7] Uhl M., Wietbüscher M.: Wasser im neuen Wohnquartier Oxford Kaserne in Münster. In: Praxiswissen Herausforderung Regenwasser, (2017) S. 14-19, DIV Deutscher Industrieverlag Essen. [8] Köster S., Elsner K., Feng T., Beier M.: Was bedeutet die Umsetzung des Schwammstadtkonzeptes für das urbane Wassermanagement in Metropolregionen? In: Gewässerschutz - Wasser - Abwasser, Schriftenreihe des Instituts für Siedlungswasserwirtschaft der RWTH Aachen, Band 247, (2018) S. 4/ 1-4/ 15. [9] Kramper, G.: https: / / www.stern.de/ wirtschaft/ immobilien/ china-baut-eine-gruene-dschungel-stadtgegen-den-smog-7514600.html, (2017), besucht am 16.04.2018.