eJournals Transforming cities 3/2

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0041
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2018
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Potenzial Digitalisierung

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2018
Ronald Schmidt-Vollus
Florian Goppelt
Thomas Hieninger
In sämtlichen Industriesparten wird von einer zunehmenden Digitalisierung gesprochen. Dieser Trend kann auch auf die Wasserwirtschaft von Städten und Kommunen übertragen werden, wobei hier das Potenzial der Digitalisierung bisweilen noch lange nicht ausgeschöpft ist. Anhand von Beispielen werden in diesem Artikel Ziele der Wasserwirtschaft erörtert und mögliche Lösungsansätze für die Integration der Digitalisierung zur Erreichung dieser Ziele gegeben.
tc320053
53 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten „Digitalisierung“ ist der Wandel vom Analogen hin zum Digitalen. Beginnend mit der Erfassung analoger Informationen und deren anschließender Umwandlung in digitale Daten werden diese gesammelt und gespeichert. Jedoch ist es im Zuge der Digitalisierung zwingend erforderlich, Daten nicht nur zu sammeln, sondern diese Daten auch zu nutzen. Die Datensätze sollten nachfolgend verwertet werden und können damit zur Wissensgenerierung beitragen. Der globale Trend, über alle Branchen hinweg, geht in Richtung einer vermehrten Anhäufung von digitalen Daten, da die Digitalisierung und der damit einhergehende Besitz von Daten als Potenzial zur Prozess- und Effizienzsteigerung und somit als Möglichkeit zur Gewinnsteigerung verstanden wird. Dieser Ansatz wird auch bei Digitalisierungsüberlegungen in der Wasserwirtschaft - gemeint sind kommunale Wasserversorger und Abwasserentsorger - verfolgt [1]. Daraus ergibt sich die Fragestellung, wie sich die Digitalisierung vorteilhaft in die Wasserwirtschaft integrieren lässt. Sinnvolle Zielgrößen sind hierbei die Energie- und Ressourceneffizienz, die Wasserqualität, die Verfügbarkeit und Sicherheit, welche verbessert werden können. Im Folgenden sollen diese Zielgrößen anhand von praktischen Anwendungen aus der Wasserwirtschaft nun veranschaulicht werden. Potenzial Digitalisierung Denkansätze für die kommunale Wasserwirtschaft Digitalisierung, Wasserwirtschaft, Effizienz, Versorgungssysteme Ronald Schmidt-Vollus, Florian Goppelt, Thomas Hieninger In sämtlichen Industriesparten wird von einer zunehmenden Digitalisierung gesprochen. Dieser Trend kann auch auf die Wasserwirtschaft von Städten und Kommunen übertragen werden, wobei hier das Potenzial der Digitalisierung bisweilen noch lange nicht ausgeschöpft ist. Anhand von Beispielen werden in diesem Artikel Ziele der Wasserwirtschaft erörtert und mögliche Lösungsansätze für die Integration der Digitalisierung zur Erreichung dieser Ziele gegeben. © pixabay 54 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Eine Steigerung der Energieeffizienz kann durch geeignete Betriebsplanung und Betriebsweise erreicht werden. Dies darf jedoch nicht zulasten der Verfügbarkeit geschehen. Unter dem Begriff der Verfügbarkeit ist sowohl das Sicherstellen von ausreichend Wasser als auch die Verfügbarkeit von Entsorgungsanlagen bei Extremwetterlagen zu verstehen. Durch datenbasierte prädiktive Steuerstrategien eines Ver- oder Entsorgungssystems lassen sich unter anderem Füllstände von Trinkwasserspeichern, nach geschätzten zukünftigen Tagesgängen, basierend auf ausgewählten Wetterdaten und den jeweiligen Wochentagen vorausplanen. Des Weiteren kann sowohl der Energiebedarf als auch die Leckagerate durch sinnvolle Druckabsenkung in einzelnen Teilen eines Versorgungsnetzes gemindert werden. Möglich ist dies durch entsprechendes Anpassen der Betriebszustände von Pumpen, welche bis zu 90 % des Energiebedarfs in Versorgungsunternehmen verursachen können [2]. Eine große zukünftige Herausforderung, mit der sich kommunale Versorger auseinandersetzen müssen, ist die Ressource Wasser selbst. Einerseits wird die Ressource Wasser zur Senkung des Wasserstresses eingespart, andererseits wird die Ressource Wasser vermehrt benötigt, um den zuverlässigen Betrieb von Abwassersystemen zu gewährleisten. Durch den Einsatz von wassersparenden Technologien in Haushalten und Industrie sowie dem daraus resultierenden Rückgang des Wasserverbrauchs sind die teils stark veralteten Leitungssysteme zunehmend mit dieser neuen Situation überfordert. Ein zu geringer Wasserverbrauch kann zu örtlichen Verstopfungen im System führen, wodurch mittels Spülvorgängen zusätzliches Wasser „verschwendet“ werden muss, um diesen Verstopfungen entgegenzuwirken. Die Digitalisierung kann hierbei helfen, das System automatisiert zu analysieren und somit gezielt Reinigungsvorgänge durchzuführen. Weitere Möglichkeiten, wie die Digitalisierung zur Wasserschonung beitragen kann, stellt eine datenbasierte Leckagendetektion sowie eine flächendeckende Überwachung des Grundwasserspiegels dar. Für die Versorger steht neben der Ressource Wasser auch die Qualität des Wassers im Fokus. Zur Sicherstellung einer hohen Wasserqualität ist es notwendig, dass eine kontinuierliche Überwachung der Brunnenalterung, des Wasseralters in Leitungen sowie von Wasseraufbereitungsprozessen stattfindet. Aufgrund dessen, dass ein Großteil unseres Trinkwassers aus Brunnen gewonnen wird, ist es notwendig, Alterungsprozesse frühzeitig zu erkennen. Zur Sicherstellung der Wasserqualität bei der Aufbereitung mithilfe von Ozon, UV-Bestrahlung oder Filtration ist eine laufende Kontrolle charakteristischer Werte unumgänglich. Hierfür sind Messdaten bereitzustellen, welche Fördermengen, Betriebsstunden, Stromverbrauch, Wasserstand und eine Vielzahl von Qualitätsparametern enthalten. Neben diesen prozessrelevanten Zielgrößen spielt in der Digitalisierung auch der Aspekt Sicherheit eine tragende Rolle. Sicherheit bedeutet zunächst die Sicherheit der gesammelten Daten an sich. Sicherheit meint aber auch den Schutz der Umwelt vor dem Wasser. Was die Datensicherheit betrifft, so sind sensible Daten, welche zum Beispiel durch Bild 1: Aufgaben der Digitalisierung in der Wasserwirtschaft. © Schmidt-Vollus 55 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten digitale Wasserzähler erzeugt werden und einzelne Haushalte betreffen, generell zu schützen. Hingegen können informative Daten wie Wasserqualität, aktuelle Grundwasserstände usw. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, ähnlich der Übertragung von Webcams oder Wetterdaten. Die Steuerung der Anlagen selbst ist jedoch vor manipulativen Eingriffen zu schützen, da aufgrund der wachsenden Digitalisierung die Vernetzung einzelner, zuvor als Inselsystem agierender Anlagen zunimmt. Ein Angriff auf vernetzte und für den Menschen lebensnotwendige Wasserversorgungssysteme kann zu fatalen Folgen führen. Beim Schutz der Umwelt vor dem Wasser besteht vor allem bei den Abwassersystemen Handlungsbedarf. Im Falle von Extremwetterlagen kann es zur ungeklärten Regenwasserausleitung in die natürlichen Gewässer kommen, zudem können lokale Überschwemmungen durch überflutete Stauraumkanäle auftreten. Basierend auf Kurzfristwetterdaten, hydrodynamischen Echtzeitmodellen und prädiktiven Regelungen lassen sich im Allgemeinen für Abwassersysteme optimierte Fahrweisen ableiten. Als Vorzeigebeispiel wäre hier das Projekt Real- Time Control Wien zu nennen [3]. Ebensolche Modelle sind ein wichtiges Werkzeug, um die Digitalisierung effizient zu nutzen. Hierbei ist zwischen datenbasierten Ansätzen und modellbasierten Ansätzen zu unterscheiden. Datenbasierte Ansätze greifen auf gesammelte Datenmengen zu, welche mit entsprechenden statistischen Methoden analysiert und ausgewertet werden. Modellbasierte Ansätze beschreiben Zusammenhänge anhand geltender physikalischer Gleichungen, welche entsprechend parametriert und verifiziert werden müssen. Sie lassen sich gut für die Beschreibung einfacherer Teilsysteme verwenden, wohingegen datenbasierte Ansätze speziell dann eingesetzt werden, wenn physikalische Zusammenhänge nicht mehr ohne Weiteres angegeben werden können. Bei komplexen Systemen wie der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung ist es daher sinnvoll, Hybridmodelle anzuwenden. Entsprechend geeignete Modelle dienen nicht nur zur optimierten Fahrweise von Anlagen, sondern können auch zu Diagnosezwecken herangezogen werden. Beispielhaft zu nennen wären im Abwasserbereich die Detektion von Verstopfungen bei Pumpen oder in Rohrsegmenten sowie im Versorgungsbereich die Erfassung und Beurteilung von Leckagen. Darüber hinaus können sämtliche weitere Aufbereitungsschritte der Ver- und Entsorgung ebenfalls durch daten- und modellbasierte Diagnose- und Regelungskonzepte verbessert werden. „Digitalisierung in der Wasserwirtschaft“ bedeutet neben der Anpassung der prozessrelevanten Vorgänge stets auch den Einbezug und die Unterstützung der Mitarbeiter. So können beispielsweise durch die flächendeckende Einführung von Wasserzählern Auslesevorgänge beschleunigt und vereinfacht werden. Außerdem ist darauf zu achten, dass Mitarbeiter ausreichend geschult und in Digitalisierungsprozesse miteinbezogen werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Digitalisierung als unterstützende Maßnahme konkret dabei helfen soll, sowohl organisatorische als auch technische Prozesse zu verbessern, Mitarbeiter zu entlasten und nachhaltige Lösungen für die Zukunft zu gestalten. Letztendlich wird es dadurch dem Betreiber ermöglicht, die Effizienz zu steigern und Betriebskosten zu senken. LITERATUR [1] German Water Partnership, „Wasser 4.0“ [2] Coelho, B.: „Efficiency Achievement in Water Supply Systems-A Review”, Renewable and Sustainable Energy Reviews, 2014. [3] Fuchs, L. et al.: „RTC - Real-Time Control for the Sewer System of the Vienna City”, 2002. HINWEIS Vortrag „Digitalisierung in der Wasserwirtschaft zur Qualitätsstiegerung und Erhöhung der Ressourceneffizienz“ von Professor Schmidt-Vollus auf den Nürnberger Kolloquien zur Trinkwasserversorgung Termin: 18.09.2018 Ort: Stadthalle Fürth Prof. Dr.-Ing. Ronald Schmidt-Vollus Forschungsprofessur für Steuerungstechnik Nuremberg Campus of Technology Kontakt: ronald.schmidt-vollus@th-nuernberg.de Florian Goppelt, M.Eng. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Nuremberg Campus of Technology Kontakt: florian.goppelt@th-nuernberg.de Thomas Hieninger, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Nuremberg Campus of Technology Kontakt: thomas.hieninger@th-nuernberg.de AUTOREN