eJournals Transforming cities 3/2

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0046
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2018
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Strom und Wärme gemeinsam denken

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2018
Philipp Riegebauer
Thomas Spiegel
Ein Rückgang von fossilen und nuklearen Energieträgern am Primärenergieaufkommen ist die Zielsetzung der Bundesregierung. Dies soll im Wesentlichen durch die fluktuierenden Energieträger Sonne und Wind erreicht werden. Die Integration von zukünftig sehr großen Mengen erneuerbarer Energien kann nur durch Einbeziehung der hohen Nachfrage im Wärmemarkt gelingen. Diskriminierungsfreie Rahmenbedingungen, die Flexibilität zulassen und die Sektorkopplung des Strom- und Wärmemarktes ermöglichen, werden benötigt. Die Stadt mit ihrer hohen Energienachfrage muss Inkubator werden. Konsequent umgesetzt, bringt dies tiefgreifende Veränderungen hinsichtlich des Beitrags von Städten für das Gelingen der deutschen Energiewende mit sich.
tc320078
78 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Strom und Wärme gemeinsam denken Wie Städte helfen können, erneuerbare Energien zu integrieren Sektorkopplung, Integration erneuerbarer Energien, die Stadt als Inkubator, Flexibilität, Verknüpfung von Strom- und Wärmemarkt, Wärmewende Philipp Riegebauer, Thomas Spiegel Ein Rückgang von fossilen und nuklearen Energieträgern am Primärenergieaufkommen ist die Zielsetzung der Bundesregierung. Dies soll im Wesentlichen durch die fluktuierenden Energieträger Sonne und Wind erreicht werden. Die Integration von zukünftig sehr großen Mengen erneuerbarer Energien kann nur durch Einbeziehung der hohen Nachfrage im Wärmemarkt gelingen. Diskriminierungsfreie Rahmenbedingungen, die Flexibilität zulassen und die Sektorkopplung des Strom- und Wärmemarktes ermöglichen, werden benötigt. Die Stadt mit ihrer hohen Energienachfrage muss Inkubator werden. Konsequent umgesetzt, bringt dies tiefgreifende Veränderungen hinsichtlich des Beitrags von Städten für das Gelingen der deutschen Energiewende mit sich. Der Anteil fossiler und nuklearer Energieträger am Primärenergieaufkommen soll deutlich verringert werden. Dieses Ziel der Bundesregierung kann nur durch den Ausbau der Stromerzeugung mit erneuerbaren Energieträgern kompensiert werden. Wenn der zunehmende Strombedarf von beispielsweise elektrischen Autos durch Kohle- oder Gaskraftwerke gedeckt würde und somit zu einem höheren CO 2 -Ausstoß führte, wäre dies ein Pyrrhussieg. Die Sicherung der Energieversorgung von morgen mit erneuerbaren Energien ist grundsätzlich miteinander Verknüpft. Planbare erneuerbare Energieträger wie Wasserkraft und Biomasse sind allerdings in ihrem Potenzial begrenzt. Energie aus Wind und Sonne dagegen ist fast unbegrenzt verfügbar. Im Jahr 2017 wurden bereits 142 Mrd. kWh Strom aus Sonne und Wind erzeugt und im Jahr 2024 sind 206 Mrd. kWh dieses Stromüberangebotes zu erwarten [1]. Eine wesentliche Einschränkung ist, dass dieser Strom nicht gleichbleibend erzeugt wird und manchmal auch gar nicht zur Verfügung steht. Zeiten mit sehr hoher Einspeisung und einem Überangebot wechseln sich mit Zeiten geringer Produktion ab. THEMA Versorgung von Städten © pixabay 79 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Strom Warmwasser Heizwärme Hamburg, Bremen und Berlin. Zur Deckung werden derzeit hauptsächlich Erdgas und Mineralöl genutzt. Aufgrund ihrer hohen Energienachfrage bieten sich Städte an, Inkubatoren zur Integration von erneuerbaren Energien zu werden. Ausgleich fluktuierender Einspeisung durch angepasste Nachfrage Eine hohe Energienachfrage ist jedoch nur eine Voraussetzung für die Integration eines zeitweisen Stromüberangebotes. Die Stromproduktion aus Wind und Sonne ist sehr unregelmäßig. Ein Ausgleich der fluktuierenden Einspeisung durch angepasste Nachfrage ist somit eine weitere Voraussetzung. 0.0 2.5 5.0 7.5 10.0 12.5 15.0 17.5 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500 5000 Energieverbrauch pro Person [Ø MWh/ Person·Jahr] Einwohnerdichte [Ø Personen/ km 2 ] Musterkreisfläche entspricht 5 TWh/ Jahr; 1 TWh = 1 Milliarden kWh; Berechnung auf Basis des Endenergieverbrauches; Datengrundlage 2014 - 2015 Berlin Energieverbrauch der Haushalte in der Stadt [TWh/ Jahr] Bremen Hamburg Energieverbrauch in allen Sektoren der Stadt [TWh/ Jahr] Für den Erfolg der Energiewende wird entscheidend sein, wie diese fluktuierende Einspeisung sinnvoll in das Energieversorgungssystem integriert werden kann. Mit Pumpspeicherkraftwerken lässt sich Strom in potenzielle Energie wandeln. Die Wasserkraft kann bei Bedarf wieder zur Stromerzeugung genutzt werden, um das Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage auszugleichen. Der Einsatz ist aber in Deutschland aufgrund geografischer Gegebenheiten begrenzt und kaum ausbaubar. Power to Gas arbeitet nach heutigem Stand zu ineffizient und die Entwicklung der Elektromobilität folgt nicht den Erwartungen. Damit werden diese Technologien kurz- und mittelfristig keine wesentlichen Potenziale zur Integration eines zeitweise sehr hohen Überangebotes aus fluktuierenden erneuerbaren Energien bereitstellen können. Stromexporte des in Deutschland subventionierten Stroms aus Sonne und Wind auf transeuropäischer Ebene - welche nicht die Systemstabilisierung zum Ziel haben - sind volkswirtschaftlich nicht sinnvoll. Energiehunger der Städte als Senke für erneuerbare Energien Welche sinnvollen Möglichkeiten gibt es also, ein zeitweiliges Überangebot erneuerbarer Energie kurzfristig zu integrieren? Ein Weg ist, den überschüssigen Strom zur Wärmeerzeugung zu nutzen. Fallen künftig sehr große Mengen Energie an, ist eine hohe Nachfrage nach „Power to Heat“ erforderlich. Städte, mit ihrem gewaltigen Energiehunger, könnten Abnehmer großer regenerativ erzeugter Ernergiemengen sein. Aktuell verbrauchen Städte zwei Drittel der weltweit genutzten Energie, sie sind verantwortlich für rund die Hälfte der globalen Treibhausgasemissionen. Die Verstädterung nimmt immer weiter zu - schneller als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte. Im Jahr 2050 werden dei Viertel der Weltpopulation in Städten leben. Der Energieverbrauch von Hamburg, Bremen und Berlin ist in Bild 1 dargestellt. Bild 2 zeigt, dass die privaten Haushalte mehr als vier Fünftel ihres Energiebedarfs benötigen, um Räume zu beheizen. Private Haushalte haben in Deutschland im Jahr 2016 mit 665 Mrd. kWh erneut mehr Energie fürs Wohnen verbraucht als im Vorjahr. Der Anstieg ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Haushalte mehr Energie für Raumwärme nutzten, unter anderem, weil immer mehr Wohnfläche pro Kopf zur Verfügung steht. Berücksichtigt man nur den Heizbedarf, ergibt sich bereits dafür eine Energienachfrage von 60 Mrd. kWh in den betrachteten Städten Bild 1: Energieverbrauch von Hamburg, Bremen und Berlin. © Riegebauer, Spiegel Bild 2: Energiebedarf privater Haushalte. © Riegebauer, Spiegel 80 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Dies verlangt eine vom tatsächlichen Bedarf zeitlich entkoppelte Einspeicherung. Bei Annahme ausreichender Netzkapazitäten ist der Verbrauch von erneuerbarem Strom immer dann stromsystemstabilisierend, wenn dieser in hohem Maße vorhanden ist. Verknüpfung des Strom- und Wärmemarktes Für die Integration bietet die elektrische Wärmproduktion eine Lösung, da durch die thermische Trägheit und eine entsprechende Isolierung die Wärmeproduktion und -abgabe zeitlich verschoben stattfinden kann. Wärmeenergie wird vor allem in der Heizperiode benötigt, und dieser Zeitraum deckt sich grundsätzlich mit der fluktuierenden Einspeisung aus Windenergieanlagen [2]. Überschüssiger Strom aus Photovoltaikanlagen kann für die Deckung des ganzjährigen Warmwasserbedarfs genutzt werden. Die in Bild 2 dargestellte Stromnachfrage eignet sich weniger zur Integration, da diese Mengen nur ein Fünftel der Energienachfrage ausmachen und der Strombedarf unmittelbar gedeckt werden muss, was eine zeitliche Verschiebung erschwert. Für eine flexible elektrische Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser eignen sich Heizungssysteme in Privathaushalten oder KWK-Anlagen der öffentlichen Fernwärmeversorgung. Im Grunde ist eine breite technische Basis dafür - mit den individuellen Heizungssystemen in privaten Haushalten und dem Warmwasserspeicher als Herzstück vieler dieser Anlagen - im Markt vorhanden. In Deutschland verfügen drei Viertel der 19 Mio. mit Erdgas oder Heizöl betriebenen Heizungsanlagen über einen oder mehrere Warmwasserspeicher. Allein diese Marktdaten belegen das große Potenzial, um mit überschüssigem regenerativen Strom fossile Brennstoffe zu ersetzen. Eine Einspeicherung kann durch Nachrüstung der im Markt vorhandenen Warmwasserspeicher oder mit innovativer Technik wie thermischer Bauteilaktivierung oder Hochtemperatur-Stein-Speichern erfolgen [2]. Essentielle Voraussetzung ist, dass intelligente Stromzähler mit Kommunikationsschnittstelle Einzug in die Keller finden. Solche Zähler ermöglichen es, Informationen über Stromüberschüsse vom Erzeuger über den Strommarkt bis hin zum Kunden zu kommunizieren. Auch müssen Energieversorger ihre Beschaffungsstrategien an das flexiblere Strombezugsverhalten ihrer Kunden anpassen [3]. Nur so können Flexibilitätspotenziale im Haushaltsbereich erschlossen und als Folge eine Hebelwirkung im Strommarkt initiiert werden. Hemmnisse und Lösungen Die aktuellen regulatorischen Rahmenbedingungen in Deutschland sind das entscheidende Hemmnis einer Marktintegration von Power to Heat. In Summe resultiert dies in einer wirtschaftlich nicht darstellbaren Wärmeerzeugung durch die Nutzung von Stromüberangeboten aus erneuerbaren Energien im Haushaltsbereich [1]. Der an den Kurzfristmärkten gehandelte Strompreis reagiert flexibel auf die Windenergieeinspeisung, stellt jedoch nur einen geringen Teil des zu entrichtenden Strompreises dar. Es existieren elf Preisbestandteile, die gemeinsam den Preis für Strom bilden, welche weitestgehend fix veranschlagt werden. Diese sind vor allem im Privatkundenbereich in absoluter Höhe beträchtlich. Flexibilitätssignale der Kurzfristmärkte werden dadurch weitestgehend eliminiert. Bild 3: Für eine flexible elektrische Erzeugung von Raumwärme und Warmwasser eignen sich Heizungssysteme in Privathaushalten oder KWK-Anlagen der öffentlichen Fernwärmeversorgung. © commons. wikimedia.org/ Pfeifferfranz 81 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Weiteren maßgeblichen Einfluss hat die unterschiedliche Steuer- und Abgabenstruktur für den Bezug von Strom und Wärme. Aufgrund des Mangels an Flexibilität im Strommarkt dienen oftmals Abregelungen erneuerbarer Energien dem Ausgleich zwischen Stromerzeugung und -nachfrage. Neben der Subvention für die Stromerzeugung erhalten Anlagenbetreiber für ihre reduzierte Netzeinspeisung Entschädigungszahlungen. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es geboten, eine Nutzung des bereits subventionierten Stroms aus erneuerbaren Energien im fossil geprägten Wärmemarkt zu ermöglichen. Die Integration zukünftig steigender Anteile fluktuierender Einspeisung aus erneuerbaren Energien bedingt somit eine neue Abgabensystematik. Diese muss wirtschaftliche Anreize für eine systemdienliche und flexible Stromnachfrage bieten. Diskriminierungsfreie Rahmenbedingungen, die Flexibilität zulassen und damit auch der Sektorkopplung des Strom- und Wärmemarktes dienen, müssen novelliert und technologieoffen formuliert werden. Aus strommarktseitiger Sicht bietet sich eine Argumentation zur Reduzierung von Steuern und Abgaben mit dem Nachweis der ökologischen und systemdienlichen Kriterien von Power to Heat an. Des Weiteren können mögliche Entlastungen auch im Hinblick auf die Wärmemarktseite argumentiert werden. Diese lassen sich vor allem ökologisch begründen, da der Wärmemarkt stark fossil geprägt ist und mit vorzugsweiser Nutzung von Windstrom eine entsprechende Substitution durch erneuerbare Energie erfolgt. Schlussfolgerungen Um die Energiewende erfolgreich zu gestalten, bedarf es einer ganzheitlichen Betrachtung. Neben der allgegenwärtigen Stromwende und der zunehmenden Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien muss auch die Wärmewende in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt werden. Der Wärmemarkt ist bislang fast ausschließlich fossil geprägt. Wird Strom aus erneuerbarer Energieproduktion zur Wärmebereitstellung eingesetzt, wird damit vorwiegend fossile Primärenergie ersetzt. Diese Substitution fossiler Brennstoffe verringert den Primärenergiebedarf und spart CO 2 -Emissionen in beträchtlichem Umfang ein. So ist es energetisch sinnvoller, fossile Brennstoffe im Wärmemarkt durch elektrische Wärmeerzeugung mit einem Wirkungsgrad von 100 % zu ersetzen, als mit Power to Gas-Technologie aufwändig Synthesegas mit deutlich geringerem Wirkungsgrad zu erzeugen. Durch die elektrische Wärmeerzeugung wird einerseits die thermische Dr. Philipp Riegebauer Wissenschaftlicher Mitarbeiter Zentrum für Innovative Energiesysteme Hochschule Düsseldorf Kontakt: philipp.riegebauer@hs-duesseldorf.de Thomas Spiegel, M.Sc., Wissenschaftlicher Mitarbeiter Zentrum für Innovative Energiesysteme Hochschule Düsseldorf Kontakt: thomas.spiegel@hs-duesseldorf.de AUTOREN Trägheit genutzt, um flexibel Strom immer dann zu beziehen, wenn eine hohe Wind- oder Sonnenstromeinspeisung vorhanden ist. Andererseits wird mit der Verknüpfung des Strom- und Wärmemarktes das große Potenzial von Wärmeanwendungen für die Flexibilisierung des Stromsystems erschlossen. Wenn dies konsequent umgesetzt wird, ergeben sich für Städte tiefgreifende Veränderungen. Städte werden Mitgestalter und maßgebliche Teilhaber am Gelingen der deutschen Energiewende. LITERATUR [1] Riegebauer, P.: Connecting the Heat and Electricity Market for Renewable Energy Integration, Bremen, 2016. [2] Adam, M., Riegebauer, P., Spiegel, T.: Energieinfrastruktur der Zukunft: Energiespeicherung und Stromnetzregelung mit hocheffizienten Gebäuden - Windheizung 2.0: Entwicklung von Steuerungssignalen zur systemdienlichen und ökologischen Stromabnahme, Düsseldorf, 2017. [3] Spiegel, T.: Imbalance reduction of energy balancing groups as a means of renewable energy expansion, SDEWES Conference, Digital Proceedings, Dubrovnik, 2017. Bilder 1 und 2 auf Basis eigener Berechnungen mit den Datengrundlagen AGEB, Anwendungsbilanzen für die Endenergiesektoren 2013 bis 2016 sowie öffentlich zugänglichen Informationen der Städte.