Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0048
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2018
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Niedertemperatur-Wandtemperierung
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Christoph Schmidt
Bodo Groß
Um die energetischen Optimierungspotenziale im Gebäudebestand nutzen und die gesetzten Klimaschutzziele erreichen zu können, muss einerseits die energetische Sanierungsrate sehr deutlich gesteigert und andererseits die verstärkte Integration von Erneuerbaren Energien (kurz EE) in den Gebäudebestand ermöglicht werden. Die Entwicklung von (energetischen) Sanierungsmöglichkeiten für den Gebäudebestand, die gleichzeitig die Integration von EE fördern, erscheint daher als Gebot der Stunde.
tc320085
85 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Die außenliegende Wand- und Lufttemperierung zur energetischen Gebäudesanierung, ein an der Praxis orientierter Ansatz, wurde in mehreren Forschungsprojekten untersucht [1, 2, 3]. Flächentemperierungen erleichtern die Einbindung erneuerbarer Energiequellen und können auf diesem Weg unter anderem die Energiekosten von Gebäuden reduzieren. Der nachträgliche Einbau einer typischen Flächentemperierung ist jedoch nicht immer möglich bzw. mit hohem Aufwand verbunden. In solchen Fällen kann die außenliegende Wandtemperierung (kurz aWT) eine sinnvolle Alternative sein. Außenliegende Wand- und Lufttemperierung Bei der aWT (siehe Bild 1, links) handelt es sich um eine fluidbasierte Flächentemperierung, zum Beispiel aus Kapillarrohrmatten (2), die zwischen unsanierter Außenwand (1) und einem neuen Wärmedämmverbundsystem (kurz WDVS) (3) im Zuge einer energetischen Sanierung des Bestandsgebäudes „von außen“ aufgebracht wird. Die aWT ist somit ein Sonderfall eines thermo-aktiven Bauteilsystems (kurz TABS) [4, 5, 6]. Durch das Aufbringen des WDVS findet gleichzeitig eine energetische Ertüchtigung des Gebäudes statt. Ein wesentlicher Vorteil der aWT ist, dass die Flächentemperierung minimalinvasiv „von außen“ aufgebracht werden kann und die Bewohner des Gebäudes weitestgehend unbeeinträchtigt bleiben bzw. das Gebäude bewohnt bleiben kann. Somit ermöglicht die aWT die Installation von Flächentemperierungen im Gebäudebestand, unabhängig von Raumhöhen und Bodenaufbauten im Inneren und auch unabhängig vom Bewohnungszustand des Gebäudes. Der große Vorteil von Flächentemperierungen (große Fläche, geringe notwendige Temperaturdifferenz zwischen Heizfläche und Raumtemperatur) wird lagebedingt (Außenbauteil und Lage hinter der Bestandswand) bei der aWT noch weiter verstärkt. Eine Weiterentwicklung der aWT ist die sogenannte außenliegende Lufttemperierung (kurz aLT) (Bild 1, rechts). Diese Komponente ermöglicht die Temperierung von Frischluft, durch Schaffung eines Luftspalts (3) zwischen thermisch aktivierter Bestandswand (1- und 2) und WDVS (4). Somit kann auch die Funktion „dezentrales kontrolliertes und temperiertes Lüften“ von außen erschlossen und installiert werden. Anlagentechnisch werden hierfür Klappen, Filter (5-und 6) und ein Ventilator benötigt. Dabei können auch weitere Luftführungsvarianten umgesetzt werden, zum Beispiel „Umlufttemperierung“ oder „Wärmerückgewinnung“. Sinnvolle Wärmequellen für die Komponenten aLT und aWT Der niederexergetische Ansatz der beiden Komponenten aWT und aLT ermöglicht den verstärkten Einsatz von Erneuerbaren Energien für den Gebäudebereich. Insbesondere der Solarthermie und der Niedertemperatur-Wandtemperierung Minimalinvasiver Baustein für die Wärmewende: Integration Erneuerbarer Energien in den Gebäudebestand, zur Abwärmenutzung und zur thermischen Aktivierung der Bestandsstruktur Christoph Schmidt, Bodo Groß Um die energetischen Optimierungspotenziale im Gebäudebestand nutzen und die gesetzten Klimaschutzziele erreichen zu können, muss einerseits die energetische Sanierungsrate sehr deutlich gesteigert und andererseits die verstärkte Integration von Erneuerbaren Energien (kurz EE) in den Gebäudebestand ermöglicht werden. Die Entwicklung von (energetischen) Sanierungsmöglichkeiten für den Gebäudebestand, die gleichzeitig die Integration von EE fördern, erscheint daher als Gebot der Stunde. Bild 1: Schematische Darstellung der außenliegenden Wandtemperierung (links) und der außenliegenden Lufttemperierung (rechts) im Wandquerschnitt. © IZES gGmbH 86 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Bild 2: Fassade im Ausgangszustand (oben links), Fassade mit Kapillarrohrmatten der Wandtemperierung (oben rechts), Einputzen der Matten (Mitte links), Aufkleben der Wärmedämmung (Mitte rechts), Armierung (unten links) und Fassade im sanierten Zustand (unten rechts) © IZES gGmbH 87 2 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Versorgung von Städten Wärmepumpe kommt dieser Ansatz entgegen. Bei der Wärmepumpe gilt qualitativ: Je geringer die benötigte Heiztemperatur, desto höher die Effizienz (COP/ JAZ) der Wärmepumpe. Bei der Solarthermie steigt mit sinkender Temperaturanforderung der spezifische Kollektorertrag, die aWT/ aLT dient in diesem Fall als (ggf. zusätzliche) Niedertemperatur-Wärmesenke. Dies konnte im Rahmen der Forschungsprojekte bereits mittels Simulationsstudien auch quantitativ nachgewiesen werden. Ökonomisch besonders günstig kann Niedertemperatur-Abwärme mit der aWT und aLT genutzt werden. Abwärmeströme unterhalb von 35 °C sind ansonsten kaum nutzbar. Zusammenfassung aWT/ aLT Insgesamt lassen sich derzeit die folgenden interessanten Aspekte der aWT/ aLT identifizieren: Sanierung von außen, im bewohnten Zustand möglich Niederexergetisches System: Niedertemperatur- Wärmesenke für Wärmepumpe und/ oder Solarthermie und Niedertemperatur-Abwärmeströme Heizen und Kühlen möglich Grundlasttemperierung: Einfache Regelstrategien und ein Selbstregeleffekt (vgl. Fußbodenheizung) Thermische Aktivierung der Bestandsstruktur als Speichermöglichkeit für Wärme/ Kälte Thermische Behaglichkeit kann generell durch erhöhte Oberflächentemperaturen gesteigert werden. Entschärfung der Wärmebrückenproblematik im Gebäudebestand. Als Nachteil der außenliegenden Wandtemperierung ist der statische Wirkungsgrad von rund 90 % zu nennen [1, 2] und der damit einhergehende energetische Mehraufwand im Vergleich zu innenliegenden Systemen. Soll die aWT als alleinige Heizfläche im Gebäude verbleiben, können anspruchsvolle Regelstrategien notwendig sein, da es sich um ein sehr träges Heizsystem handelt. Praktische Umsetzung der außenliegenden Wandtemperierung Die Umsetzung eines Demonstrators bildet den Abschluss des Forschungsprojekts. Primäres Ziel des Demonstrators war, die theoretischen Erkenntnisse zu aWT und aLT durch die praktische Umsetzung zu demonstrieren und nachzuweisen. Hier ist auf der einen Seite die praktische Umsetzung vor Ort auf der Baustelle zu nennen. Andererseits wurde die Integration der Komponenten aWT und aLT in ein niederexergetisches Versorgungssystem konzipiert und realisiert. Auf Grundlage der Messergebnisse, kann eine energetische Bewertung der Komponenten und des gesamten Systems erfolgen. Anhand von begleitenden, extrapolierenden Simulationsstudien können zudem Aussagen zu den Potenzialen der Komponenten und des Systems getroffen werden. Danksagung: Die Projekte LEXU und LEXU II wurden gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags unter den Förderkennzeichen: 0327370Y/ T. Wir möchten uns an dieser Stelle für die Unterstützung durch den Fördermittelgeber sowie bei allen Projektpartnern bedanken. Weitere Informationen unter: www.projekt-lexu.de LITERATUR [1] Luther, G., Altgeld, H.: Die außenliegende Wandheizung, In: Gesundheitsingenieur, 1 (2002) S. 8-15. [2] Schmidt, C., Luther, G., Altgeld, H. , Maas, S., Groß, B., Scholzen, F.: „Außenliegende Wandtemperierung“- LowEx-Anwendung zur Temperierung von Bestandsgebäuden und thermischen Aktivierung der Bestandswand: theoretische Grundlagen und Kennwerte, Ernst & Sohn Verlag, Berlin, Bauphysik 39, Heft 4 (2017) S. 215-223. [3] Schmidt, C., Altgeld, H., Groß, B., Luther, G., Schmidt, D.: LEXU II - Einsatz von außenliegender Wandtemperierung bei der Gebäudesanierung, In: Proceedings of CESBP/ BauSim (2016) S. 843-850. [4] Glück,B.: Thermische Bauteilaktivierung, C.F. Müller Verlag, Heidelberg, (1999), ISBN: 3-7880-7674-7. [5] Glück, B.: Möglichkeiten des Energieeinsatzes mit niedrigem Exergiepotenzial zum Heizen und Kühlen von Räumen, in Gesundheits-Ingenieur - Haustechnik, Bauphysik, Umwelttechnik, 122, 1 (2001) S. 3-31. [6] Koschenz, M., Lehmann, B.: Thermoaktive Bauteilsysteme tabs, EMPA Drübendorf, Zürich, (2000) ISBN: 3-905594-19-6. Christoph Schmidt, M.Eng. Wissenschaftlicher Mitarbeiter IZES gGmbH Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme Kontakt: schmidt@izes.de Dr. Bodo Groß Leiter Arbeitsfeld „Technische Innovationen“ IZES gGmbH Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme Kontakt: gross@izes.de AUTOREN
