Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0070
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Bäume - Luftkühlung ohne Lärm
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Mohammad Rahman
Moderne Städte sind gleich zweifach betroffen – vom Klimawandel und vom Effekt der urbanen Hitzeinseln. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Stadtgrün urbane Hitzeinseln abmildern und somit unsere Städte an klimatische Veränderungen anpassen kann. In der Praxis ist es jedoch oftmals schwierig, die Kühlpotenziale städtischer Bäume richtig einzuordnen, obwohl der kausale Zusammenhang zwischen Stadtklima und urbanem Grün bereits zu Zeiten der hängenden Gärten von Babylon (500 v. Chr.) gesehen wurde. In diesem Artikel soll die experimentelle Annäherung an das Thema beschrieben werden, um einige wichtige Faktoren aufzuzeigen, die bei der Pflanzung von Bäumen in zunehmend wärmeren Städten berücksichtigt werden müssen.
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66 3 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Räume und Flächen Urbane Hitzeinseln Manche Zeitgenossen, vor allem wenn sie in gemäßigten Klimazonen leben, bekommen leuchtende Augen, wenn sie an Sommertage mit Temperaturen denken, die perfekt sind für eine Runde entspanntes Schwimmen oder für ein kühles Glas Bier im Biergarten. Doch die natürlichen Oberflächen werden mit zunehmender Urbanisierung mehr und mehr durch künstliche Strukturen ersetzt. Diese sorgen in Städten für deutlich höhere Temperaturen - ein Effekt, für den sich der Begriff „Urbane Hitzeinseln“ prägte. Beispielsweise können größere Städte wie München (1,5 Mio. Einwohner) verglichen mit der ländlichen Umgebung bis zu 6 °C wärmer sein [1]. Für die menschliche Gesundheit ist dies ein echtes Problem, das bei Landschaftsarchitekten und Stadtplanern wachsende Aufmerksamkeit hervorruft, denn besonders im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Klimawandel werden immer mehr und immer intensivere Hitzewellen erwartet. Insgesamt gesehen, dürfte die Begrünung von Städten die praktikabelste Möglichkeit sein, um urbane Hitzeinseln und die negativen Folgen von Hitzewellen zu entschärfen, denn Bäume können zur natürlichen Luftkühlung beitragen. Stadtbäume zur Klimatisierung Städtische Bäume können den Menschen an heißen Tagen Kühlung verschaffen, Gebäude abschatten und die Intensität der Hitze reduzieren. Untersuchungen haben gezeigt, dass der Schatten von Bäumen den Index thermischer Behaglichkeit für Menschen verringern kann - gemessen an der Physiologisch Äquivalenten Temperatur (PET) von 7 bis 15 °C und den Kosten für Gebäudeklimatisierung von 20 bis 50 % [2]. Das Blätterdach von Bäumen kann die Menge kurzwelliger Strahlung, die bis zur Geländeoberfläche vordringt, um bis zu 90 % reduzieren, indem Strahlen reflektiert (Reflexionsvemögen grüner Blätter > Gebäudeoberflächen) oder abgefangen werden. Zudem nutzen Bäume einen hohen Prozentsatz der abgefangenen Strahlung, um das Wasser, das aus ihren Blattöffnungen kommt, zu verdunsten. Dieser Evapotranspiration genannte Prozess kühlt die Blätter und die umgebende Grenzschicht. Studien haben gezeigt, dass schon ein einzelner Baum das Mikroklima verbessern kann. Ganze Parkanlagen haben dementsprechend einen stärkeren Effekt für die bebaute Umgebung, indem sie die Luft um bis zu 1 °C abkühlen [3]. Das räumliche Ausmaß dieses Kühlungseffekts ist jedoch meist auf einen ziemlich engen Bereich begrenzt. Neben der Größe eines Parks (je größer der Park, desto stärker der Bäume - Luftkühlung ohne Lärm Urbanes Grün, Stadtbäume, Stadtklima, Stadtökologie, Arboristik, Klimawandel Mohammad Rahman Moderne Städte sind gleich zweifach betroffen - vom Klimawandel und vom Effekt der urbanen Hitzeinseln. Allgemein wird davon ausgegangen, dass Stadtgrün urbane Hitzeinseln abmildern und somit unsere Städte an klimatische Veränderungen anpassen kann. In der Praxis ist es jedoch oftmals schwierig, die Kühlpotenziale städtischer Bäume richtig einzuordnen, obwohl der kausale Zusammenhang zwischen Stadtklima und urbanem Grün bereits zu Zeiten der hängenden Gärten von Babylon (500 v. Chr.) gesehen wurde. In diesem Artikel soll die experimentelle Annäherung an das Thema beschrieben werden, um einige wichtige Faktoren aufzuzeigen, die bei der Pflanzung von Bäumen in zunehmend wärmeren Städten berücksichtigt werden müssen. Bild 1: Grüne Fassaden in Tokio: Urbanes Grün hat oberste Priorität in der modernen Stadtentwicklung. © Rahman 67 3 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Räume und Flächen Effekt) sind die Topographie und die umgebende Gebäudestruktur maßgeblich. Deshalb sind Grünflächen innerhalb von Wohnanlagen und auf gewerblichen Flächen so wichtig, um ein komfortables lokales Klima zu erzeugen und übermäßige Hitzebelastungen zu vermeiden. Dabei stellen sich wichtige Fragen, etwa nach der Menge der benötigten Bäume, nach wirksamen Bepflanzungsplänen, nach der Auswahl der Pflanzenarten, usw. Wegen der Verschiedenartigkeit städtischer Gebiete können klimatische Verbesserungen nicht lokal für ein einzelnes Grundstück aus dem Gesamtergebnis abgeleitet werden, denn die Bewertung von Effekten eines gesamten Stadtwaldes, beispielsweise mit der Gesamtzahl der städtischen Bäume, lässt sich nicht einfach auf einzelne kleine Flächen herunterrechnen. Deshalb sind genaue Untersuchungen mit verschiedenen Pflanzenarten sowie Messungen der Einflüsse des Kleinklimas unabdingbar, um die positiven Kühleffekte des Stadtgrüns zu verstehen. Messungen in der Münchner Innenstadt Mit diesem Ansatz wurden während der vergangenen Jahre fortlaufende Messungen der Luft, der Oberfächentemperaturen und der Verdunstung innerhalb und außerhalb von Baumkronen ökologisch diverser Baumarten in verschiedenen Münchner Straßenzügen unter Berücksichtigung biometrischer und edaphischer Variablen unternommen [4, 5, 6]. Erste Erkenntnis war, dass sämtliche Baumkronen die Oberflächentemperatur signifikant reduzieren können, das Ausmaß ist jedoch abhängig von der jeweiligen Baumart und der jeweiligen Oberfläche des Standorts. Wegen ihrer niedrigen spezifischen Wärmekapazität wandeln etwa schwarze Asphaltoberflächen absorbierte Sonnenstrahlung relativ schnell in Wärme um, die sie dann wiederum an ihre Umgebung abgeben und diese so aufheizen. Beim Vergleich der dichteren Baumkronen (> 30 %) von Tilia cordata (schmalblättrige Linde) mit Robinia pseudoacacia (Robinie, Scheinakazie) ließ sich bei den Linden (25 °C) ein doppelt so hohes Potenzial bei der Reduktion der Oberflächentemperatur gegenüber den Robinien (12 °C) feststellen. Dennoch waren verschattete Grasoberflächen lediglich etwa 8 bis 9 °C kühler als besonnte, da Evapotranspiration auch bei Rasenflächen selbst stattfindet, wobei die Differenzen zwischen den Pflanzenarten nicht signifikant sind [4]. Daher wird klar, dass Evapotranspiration einen beträchtlichen Einfluss auf die Temperaturregulation in Oberflächenähe hat - dies ist wiederum abhängig von der Bodenfeuchtigkeit und dem Wasserverbrauch der jeweiligen Pflanzen. Gras besitzt eine dünne Wurzelschicht und geringen stomatären Widerstand, die Messung von Wasserverlusten ist weniger kompliziert als bei Bäumen mit mehrschichtigen Kronen und wesentlich umfangreicheren Wurzelsystemen. Untersucht wurden verschieden alte und große Linden in zwei unterschiedlichen Straßenzügen mit Blockbebauung im dicht besiedelten Zentrum Münchens: Am Bordeaux-Platz (Bild 3), einem offenen begrünten Platz (OGS) und am Pariser Platz (Bild 4), einem runden gepflasterten Platz (CPS). Auf dem OGS lagen Windgeschwindigkeit und Bodenfeuchtigkeit im Vergleich zum CPS deutlich höher, dagegen waren relative Luftfeuchte, Bodentemperatur und ebenfalls der Windtunnel-Effekt niedriger. Sämtliche Variablen hatten starken Einfluss auf die Verdunstungsfähigkeit der Bäume mit Konsequenzen Bild 2: Menschen in Melbourne suchen Schatten neben den heißen versiegelten Flächen der Stadt. © Rahman Bild 3: Experimentierfläche mit kleinblättrigen Linden auf dem Bordeaux-Platz in München. © Rahman 68 3 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Räume und Flächen auf die Kühlwirkung. Bäume auf dem OGS wiesen über den Tag höhere Spitzenwerte mit einer Kühlleistung von 2,3 kW pro Baum auf als auf dem CPS, mit einer Leistung von 1,9 kW pro Baum [5]. Angesichts der Leistung von Klimageräten - zwischen einem und zehn Kilowatt (kW) - ist die Leistung der Bäume beeindruckend, wobei der Unterschied der Kühlleistung je nach Platzbeschaffenheit ungefähr 20 bis 25 % betragen kann. Was bedeuten diese absoluten Werte demnach in Bezug auf die Reduzierung der Lufttemperatur? In den Untersuchungen stellte sich heraus, dass es im Zentrum einer Lindenkrone (mit einem Radius von 4,5 m) um bis zu 3,5 °C kühler ist als im äußeren Bereich, was an der höheren Einstrahlung außen liegt [6]. Eine Klassifizierung der Tage entsprechend der Tageshöchsttemperaturen (DT) zeigte eine um 1,8 °C niedrigere durchschnittliche Lufttemperatur in der Lindenkrone als an einem Referenzpunkt während kühlerer Sommertage (DT < 20 °C), mit einem graduellen Rückgang auf 1,3 °C während heißer Sommertage. Robinien verdunsten im Vergleich zu Linden nur eine Drittel des Wassers, der Temperaturrückgang reicht dabei von 1,5 °C bis zu 0,5 °C. Interessanterweise war die Lufttemperatur auf Fußgängerniveau (1,5 m über dem Boden) über einer Grasfläche unter den Robinien deutlich niedriger als unter den Linden [4]. Anders als die Robinien verbrauchten die Linden das Wasser aus dem Boden schneller durch eine höhere Wasseraufnahme und verringerten gleichzeitig die Verdunstung durch die Grasflächen. Das bedeutet, dass die vorrangige Reduzierung der Lufttemperatur auf Fußgängerniveau während heißer Sommertage nicht hauptsächlich durch die Verdunstung in den Baumkronen geschieht. Vielmehr ist es die starke Verschattung (durch sehr dichte Baumkronen) in Verbindung mit dem Grad der Bodenfeuchtigkeit an der Bodenoberfläche unter den Bäumen. Natürlich ist dichte Verschattung der wichtigste Faktor, um während Hitzeperioden auf versiegelten Flächen tagsüber ein angenehmes Mikroklima zu schaffen. Doch in Bereichen, in denen Bodenfeuchte kein Problem ist und Bäume auf durchlässigem Grund, etwa auf Grasflächen, gepflanzt werden, können Bäume mit weniger dichten Baumkronen und mit einem geringeren Wasserbedarf die bessere Wahl sein, um Stadtbewohnern an heißen Sommertagen einen Schutzraum zu bieten. Fazit Mit den Untersuchungen konnten erste interessante Einblicke gewährt werden, welche Leistungsfähigkeit Bäume und andere Vegetationsformen haben, um ein angenehmes Mikroklima zu erzeugen. Unter anderem wurde aufgezeigt, wie wichtig eine Gesamtbewertung (Grünfläche versus Versiegelung) und die Auswahl der Pflanzenarten ist. Während Ergebnisse wie die Bedeutung von Verschattung auf der Hand liegen, ist überraschend, wie wichtig bewässerte Grasflächen unter den Bäumen sind. So zeigt die weiterführende Forschungsarbeit, dass einheimische schmalblättrige Linden mehr Wasser brauchen, um gut gedeihen zu können, als Robinien, die deutlich hitzeresistener sind. Sollten sich die Bedingungen durch den Klimawandel verschärfen, ist es notwendig neue Pflanzenarten zu finden. Beispielsweise hat sich gezeigt, dass die Silberlinde aus Südosteuropa mit Trockenheit besser zurechtkommt als die schmalblättrige Linde. Deshalb ist die Forschung zur Leistungsfähigeit verschiedener Baumarten eine der wichtigen künftigen Forschungsgebiete. In laufenden Untersuchungen Bild 4: Der kreisförmige Pariser Platz in München mit kleinblättrigen Linden. © Rahman Bild 5: Messungen an Robinien in der Lehrer- Wirth-Straße in München. © Rahman 69 3 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Räume und Flächen wird nach passenden Pflanzschemata gesucht, die sich dazu eignen, für die Abkühlung von Straßenschluchten und versiegelten Plätzen sorgen. Das Forschungsprojekt ist dauf angelegt, klare wissenschaftlich unterlegte Richtlinien für Landschaftsarchitekten und Grünraumplaner zu entwickeln. LITERATUR [1] Pongracz, R., Bartholy, J., Dezsoe, Z.: Application of remotely sensed thermal information to urban climatology of Central European cities. Physics and Chemistry of the Earth 35 (2010), p. 95-99. [2] Rahman, M.A., Ennos, R.: What we know and don‘ t know about the cooling benefits of urban trees, 2016. [3] Bowler, D.E., Buyung-Ali, L., Knight, T.M., Pullin, A.S.: Urban greening to cool towns and cities: A systematic review of the empirical evidence. Landsc. Urban Plan. 97 (2010), p. 147-155. [4] Rahman, M.A., Moser, A., Gold, A., Rötzer, T., Pauleit, S.: Vertical air temperature gradients under the shade of two contrasting urban tree species during different types of summer days. Sci. Total Environ. 633, (2018) p. 100-111. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch die englischsprachige Themen-Ausgabe International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« und »International Transportation« erscheinen bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de [5] Rahman, M.A., Moser, A., Rötzer, T., Pauleit, S.: Microclimatic differences and their influence on transpirational cooling of Tilia cordata in two contrasting street canyons in Munich, Germany. Agric. For. Meteorol. 232, (2017) p. 443-456. [6] Rahman, M.A., Moser, A., Rötzer, T., Pauleit, S.: Within canopy temperature differences and cooling ability of Tilia cordata trees grown in urban conditions. Building and Environment 114 (2017) p. 118-128. AUTOR Dr. Mohammad A. Rahman Wissenschaftlicher Mitarbeiter Technische Universität München Lehrstuhl für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung Kontakt: ma.rahman@tum.de
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