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Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0080
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Urbane Sicherheit

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Das Deutsch-Europäische Forum für Urbane Sicherheit e. V. (DEFUS) ist der deutsche Zweig des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit (EFUS). Das Städtenetzwerk mit 17 deutschen Mitgliedsstädten öffnet seinen Mitgliedern die Tür nach Europa, bündelt Interessen und erleichtert den Zugang zu Fördermitteln. DEFUS ist für die Akteure der kommunalen Sicherheits- und Präventionsarbeit eine lebendige Plattform für den praxisrelevanten Austausch und eine unbürokratische Zusammenarbeit. Die DEFUS-Mitglieder haben im Juni 2018 Dirk Wurm, Referent für Ordnung und Sport der Stadt Augsburg, zum Vorsitzenden und Christian Kromberg, Beigeordneter der Stadt Essen, zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.
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10 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Was verstehen Sie unter dem Begriff der urbanen Sicherheit? Wenn unsere Bürger sich frei und sicher durch die Stadt bewegen, sich nicht diskriminiert und bedroht fühlen, und das zu allen Tages- und Nachtzeiten, würde ich von einer sicheren Umgebung sprechen. In meinem Arbeitsalltag beschäftige ich mich jede Woche mit Vandalismus durch Graffiti, den Risikofaktoren von Jugendlichen, in Sucht oder Kriminalität abzugleiten und den Bürgern, die sich über Obdachlose und Suchtkranke auf öffentlichen Plätzen beschweren. Und da habe ich mich noch nicht mit dem Ordnungsdienst und Problemen in und um Diskotheken am Wochenende gekümmert. Urbane Sicherheit ist ein breites Thema das von Sauberkeit und Ordnung über Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum, der Prävention von Gewalt gegen Frauen, über Radikalisierung bis hin zu Maßnahmen der Terrorabwehr geht. Und ich finde es wichtig, dass wir dieses Thema auch in seiner Breite betrachten und ihm mit einem integrativen Ansatz begegnen, der Fragen des sozialen Zusammenhalts, von Prävention und Repression zusammendenkt. Wie gelingt urbane Sicherheit? Wir haben in Deutschland und insgesamt auch in Europa das Glück, in friedlichen Städten zu leben. Das Sicherheitsniveau ist bei uns sehr hoch. Aber Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit: Sicherheit will erarbeitet, koordiniert und dauerhaft erhalten werden. Die Herausforderungen, mit denen wir alltäglich konfrontiert sind, zum Beispiel in den Bereichen gewaltbereiter Extremismus, organisierte Kriminalität, Drogenhandel oder Cyberkriminalität entwickeln sich ständig und rasant weiter. Um ihnen weiterhin effektiv entgegentreten zu können, müssen sich auch unsere Gegenstrategien - insbesondere unsere Präventionsmaßnahmen, ständig weiterentwickeln. Wir brauchen innovative Ansätze, die wir mit allen beteiligten Akteuren gemeinsam entwickeln, umsetzen und stetig verbessern. Hier können wir im Austausch mit unseren Kollegen aus anderen europäischen Städten, aber auch mit Wissenschaftlern und der Zivilgesellschaft viel lernen. Sicherheit ist ja eigentlich eine hoheitliche Aufgabe, die von der Polizei erfüllt werden muss. Welche Rolle und Aufgaben haben Kommunen? Sicherheit ist im Grundsatz eine staatliche Aufgabe, in der öffentlichen Diskussion sind aber die Städte und Gemeinden die ersten Ansprechpartner, wenn es um Missstände geht. Die Rolle der Städte und Gemeinden in der Gewährleistung der Sicherheit wird dennoch kaum diskutiert. Dabei sind sie es gerade, die in einem hohen Maße Sicherheit für alle dort lebenden Menschen gewähren. Sauberkeit und Ordnung werden durch die Kommunen organisiert und sind die Basis der urbanen Sicherheit. Aber die meisten unserer DEFUS-Mitglieder leisten darüber hinaus eine wertvolle und wichtige Arbeit in der kommunalen Prävention, die als Austausch und Diskussionsplattform alle Akteure in den Städten an einen Tisch bringt, Projekte umsetzt und Bürgerbeteiligung ermöglicht. Denn die Prävention ist die vernünftige und effiziente Antwort auf Kriminalität und Unsicherheit und das haben viele Städte erkannt. Urbane Sicherheit Interview mit Dirk Wurm, Ordnungsreferent der Stadt Augsburg und neuer Vorsitzender des Deutsch-Europäischen Forums für Urbane Sicherheit Das Deutsch-Europäische Forum für Urbane Sicherheit e. V. (DEFUS) ist der deutsche Zweig des Europäischen Forums für Urbane Sicherheit (EFUS). Das Städtenetzwerk mit 17 deutschen Mitgliedsstädten öffnet seinen Mitgliedern die Tür nach Europa, bündelt Interessen und erleichtert den Zugang zu Fördermitteln. DEFUS ist für die Akteure der kommunalen Sicherheits- und Präventionsarbeit eine lebendige Plattform für den praxisrelevanten Austausch und eine unbürokratische Zusammenarbeit. Die DEFUS-Mitglieder haben im Juni 2018 Dirk Wurm, Referent für Ordnung und Sport der Stadt Augsburg, zum Vorsitzenden und Christian Kromberg, Beigeordneter der Stadt Essen, zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Dirk Wurm, Ordnungsreferent der Stadt Augsburg. © Augsburg 11 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Leider steht die Prävention in der politischen Diskussion meist noch weit hinter präferierten technologischen Sicherheitslösungen. Das ist in meinen Augen Symbolpolitik. Da muss auch auf kommunaler Ebene noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Prävention als kommunale Aufgabe: Wie genau sieht das bei Ihnen in Augsburg aus? Der Kommunale Präventionsrat Augsburg (KPR), der sich 2007 gründete, hat die Kriminalprävention in den letzten zehn Jahren fest in der Stadt Augsburg verankert. Die Geschäftsstelle des KPR hat sich mittlerweile zu einem Büro für Kommunale Prävention weiterentwickelt. Wir wollen den Präventionsgedanken als gesamtgesellschaftliches Handlungsfeld in kommunalen Strukturen etablieren. Das Büro für Kommunale Prävention ist in meinem Referat als Stabsstelle angesiedelt. Es umfasst drei Arbeitsfelder. Dazu gehören  die themenbezogene Arbeit des Kommunalen Präventionsrates,  die kommunale Prävention als Querschnittsthema und Beratungsfeld sowie  die sozialräumliche Präventionsarbeit. Die kommunale Prävention wurde unter meiner Führung noch stärker auf die Sozialräume ausgerichtet. Ziel ist, die Menschen in ihren Quartieren noch besser mit der Präventionsarbeit zu erreichen. Dazu gehören eine sozialräumlich ausgerichtete Radikalisierungsprävention, Konzepte zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Stadtteilen und kommunale Präventionsstrategien zur Schaffung sicherer Lebenswelten vor Ort. Ein Diskurs über Sicherheit als ein gemeinschaftliches Gut steht dabei mehr denn je im Mittelpunkt der Ausrichtung der Präventionsarbeit in Augsburg. In Augsburg ist die kommunale Kriminalprävention schon sehr ausgereift. Wie ist das gelungen? Ausgestattet mit einem wirkungsmächtigen Lenkungsgremium unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters hat der Kommunale Präventionsrat (KPR) die volle Unterstützung der Verwaltung und ist strukturell verankert. Das ist ganz wichtig für eine nachhaltige und erfolgreiche kommunale Präventions- und Sicherheitsarbeit. Kriminalprävention ist in Augsburg nicht optional. Der Stadtrat und die Stadtverwaltung haben sich 2007 via Erklärung dazu verpflichtet, bei allen grundsätzlichen Entscheidungen, die kriminalpräventive Aspekte berühren, den KPR einzuschalten und deren Einschätzung zum Sachverhalt einzubeziehen. Das ist bundesweit einmalig und zeigt, dass Kriminalprävention in Augsburg sehr ernst genommen wird. Wie wird die kommunale Präventionsarbeit von Seiten der Landes- und Bundesregierung unterstützt? Und was bräuchten Städte noch? Die Landschaft der sicherheitspolitischen Akteure hat sich in den vergangenen Jahren sehr ausdifferenziert. Neben den öffentlichen Einrichtungen und der Verwaltung, den Strafverfolgungs- und Justizbehörden leisten heute auch private Sicherheitsdienstleister sowie zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine und Institutionen wichtige Beiträge zur urbanen Sicherheit. Dazu kommt die Forschung, die insbesondere für die Innovation und die Evaluierung eine wichtige Rolle spielt. Die Politik auf Bundes- und Landesebene muss heute die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass all diese Akteure produktiv zusammenarbeiten können, um die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten. Wir brauchen dringend eine Präventionsstrategie der Bundesregierung, die die Rolle der Kommunen anerkennt. Förderzyklen von drei Jahren oder sogar weniger sind im Bereich der Prävention und Sicherheit wenig hilfreich. Auch da könnte eine mit allen Ressorts abgestimmte Präventionsstrategie auf Bundesebene entgegenwirken. Ich würde mir wünschen, dass Kommunen auch inhaltlich entlastet würden, zum Beispiel durch die Stärkung von Präventionsgremien auf Landesebene, die Kommunen beraten und konkret mit Materialien zu aktuellen Themen etc. unterstützen. Das läuft nicht in allen Bundesländern gleich gut und in Bayern haben wir gar kein Präventionsgremium auf Landesebene. Wie haben die Terrorangriffe in europäischen Städten der letzten zehn Jahre Ihre Arbeit verändert? Wie können Städte den damit verbundenen Herausforderungen begegnen? Die Abwehr von terroristischen Anschlägen ist keine originäre Aufgabe der Städte. Insbesondere die finanziellen Belastungen, zum Beispiel Sicherung von Großveranstaltungen, dürfen nicht auf die Städte abgewälzt werden. Die Prävention bei Radikalisierung sowie politischem und religiös begründetem Extremismus ist ein entscheidender Faktor für die langfristige Gewährleistung von Sicherheit im öffentlichen Raum, da sind wir uns in Augsburg sicher. Deswegen verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz, der präventive städtebauliche Maßnahmen mit sozialen und politischen Präventionsmaßnahmen kombiniert. Darin sehen wir die Voraussetzung für die Herstellung tatsächlicher und gefühlter Sicherheit im öffentlichen Raum. 12 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf einen angstfreien Aufenthalt auf den Straßen und Plätzen unserer Städte. Zwar können mögliche Risiken, wie Terror und Gewalt, durch die Polizei und die Kommunen minimiert werden, aber absolute Sicherheit kann in einer freien Gesellschaft nicht garantiert werden - auch nicht durch Poller und Absperrmaßnahmen. Wir dürfen uns davon nicht beeinflussen lassen und müssen weiter Kultur, Sport und Feste im öffentlichen Raum besuchen und genießen. Nur so ist zu verhindern, dass das eigentliche Ziel von Anschlägen, unser freies und offenes gesellschaftliches Leben durch Angst einzuschränken, erreicht werden kann. Dies macht resiliente Städte und Bürger aus. Welche Herausforderungen sehen Sie in der Zukunft für die Sicherheit in Städten? Die Sicherheit war in den Kommunen früher kein so wichtiges Thema, das hat sich in den letzten Jahren deutlich geändert und zwar sowohl in unserer Rolle als Genehmigungsbehörde als auch als Veranstalter. In den letzten Jahren erleben wir viele Veränderungen, die sich gegenseitig befeuern und befördern, wie terroristische Anschläge auf unsere Lebensweise, Einwanderung und Migration, die Folgen der Globalisierung und eine deutliche Verschiebung des politischen Diskurses. Das alles ängstigt unsere Bürger und führt zu einem subjektiven Unsicherheitsgefühl, das aber eigentlich nicht mit den realen Gefahren bei uns vor Ort zu tun hat - die sind nämlich gering. Dennoch beobachten wir eine Übersensibilität, die sich auch in einer Zunahme der Abgrenzung von „Wir“ und „Ihr“ und der Polarisierung der Gesellschaft zeigt. Das macht mir Bauchschmerzen, denn in der Forschung wurde genau das als eine Ursache von Radikalisierung festgemacht. Da müssen wir dranbleiben und die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zusammenbringen. Ein Dauerthema sind für mich auch Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum. Nicht jedes Ordnungsvergehen und jede Ruhestörung ist ein Sicherheitsproblem, genauso wenig wie obdachlose Menschen. Zugleich stelle ich in Augsburg fest, dass die Regeln des Zusammenlebens immer weniger akzeptiert werden und die gegenseitige Toleranz abgenommen hat. Wir müssen wieder stärker in den Dialog mit den Bürgern gehen. Städte und vor allem Innenstädte müssen lebendig bleiben und Platz für alle Bürger bieten. Warum ist es sinnvoll, wenn Städte in Europa bei Sicherheitsfragen zusammenarbeiten? Kommunen und Städte in Europa sind vielfach mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. Das gilt nicht nur für den Bereich der Sicherheitspolitik - Migration und Integration, soziale Spaltung, die Schaffung von ausreichend Wohnraum sind weitere Beispiele. Überall werden Strategien zum Umgang mit diesen Themen entwickelt. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Radikalisierungsprävention ist ein Thema, das für viele Kommunen noch neu ist. Bei Efus hat sich früh eine Gruppe von Städten gebildet, dazu gehörten neben Augsburg zum Beispiel Brüssel, Barcelona, Bordeaux oder Lüttich, die vorangegangen sind und im europäischen Kooperationsprojekt Local Institutions against Violent Extremism (LIAISE) gemeinsam ihre Strategien diskutiert und weiterentwickelt haben. Natürlich funktioniert nicht alles überall auf die gleiche Weise, aber im Austausch miteinander - auch über politische Unterschiede hinweg - haben wir alle für unsere tägliche Arbeit vor Ort viel profitieren können. Ein anderer Aspekt ist das Lobbying. Die kommunale Perspektive muss auf der nationalen und der europäischen Ebene noch viel mehr Gehör finden. Die Arbeit der Praktikerinnen und Praktiker vor Ort, bei uns in Augsburg aber auch in den anderen Kommunen, braucht politisch mehr Würdigung und Unterstützung. Das können wir nur gemeinsam, als Forum europäischer Städte erreichen. Weder Überwachungsmaßnahmen, noch Absperrungen, noch hohe Polizeipräsenz können eine wirklich absolute Sicherheit schaffen. © pixabay