Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0081
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Die kostbare Ressource Wasser
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Christa Hecht
Die Kanadierin Dr. Maude Barlow ist seit 30 Jahren Vorsitzende der Bürgerrechtsbewegung Council of Canadians mit über 100 000 Mitgliedern. Sie ist Vorstandsmitglied des International Forum on Globalization und Mitbegründerin der Umweltschutzbewegung Blue Planet Project sowie Mitglied im World Future Council. Im Jahr 2005 hat sie den Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis) erhalten. In der Zeit von 2008 bis 2009 war sie Beraterin des Präsidenten der UN-Generalversammlung in Wasserfragen.
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13 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Obwohl die Erdoberfläche zum größten Teil mit Wasser bedeckt ist, steht vielen Menschen sauberes Wasser nicht in ausreichendem Maß zur Verfügung. Welches sind die größten Probleme bei der Wasserversorgung? Übernutzung? Verschmutzung? Wir sollten zunächst bedenken, dass 71 % der Erdoberfläche mit Wasser bedeckt ist. Von diesem Wasser sind 97,5 % Salzwasser, dessen Salzkonzentrationen so hoch sind, dass es nicht als Trinkwasser, zur Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen oder zur industriellen Produktion verwendet werden kann. Nur 2,5 % sind Süßwasser. Davon sind bis zu 68,7 % Wasser allein in Gletschern, in der Arktis und Antarktis in Eis und Schnee gebunden und für uns unzugänglich. Auch 30 % des im Grundwasser vorhandenen Süßwassers sind nicht zugänglich, da sie zu tief im Untergrund liegen. 0,3 % des Süßwassers befinden sich in Oberflächengewässern wie Flüssen, Seen und Bächen und ein sehr kleiner Teil in der Atmosphäre, in lebenden Organismen und Pflanzen. 10 % des verfügbaren Süßwassers werden für den privaten Gebrauch in Haushalten zur Trinkwasserversorgung und -hygiene, 70 % für die Landwirtschaft und 20 % für die industrielle Produktion verwendet. Solange die natürlichen Selbstreinigungskräfte des Wassers funktionieren konnten, reichte das Wasser aus, um die menschlichen Bedürfnisse mit geringem oder gar keinem Behandlungsaufwand zu befriedigen. Die Übernutzung durch zu sorglosen Umgang mit Süßwasser und vor allem, wenn nicht darauf geachtet wird, dass nur so viel Wasser aus Grundwasserleitern entnommen wird, wie die Natur wieder auffüllen kann, ist heute ein großes Problem in der Welt. Aber auch die Verschmutzung des Süßwassers ist dramatisch. Der jahrhundertelange Bergbau, Abwässer aus der industriellen Produktion, der übermäßige Einsatz von Pestiziden, Düngemitteln und die Verteilung von Gülle auf den Feldern belasten zunehmend auch Flüsse, Seen und das Grundwasser. Beide Probleme sind für die Wasserversorgung bedrohlich, beides muss vermieden werden. Die größte Gefahr besteht für die Menschen in den Slums und in armen ländlichen Gemeinden in Lateinamerika, Asien und Afrika. Immer mehr Menschen fliehen vor den Folgen von Klimawandel und Hunger in die Armenviertel, die sich am Rande der meisten Großstädte der Entwicklungsländer gebildet haben. Da ihre traditionellen Wasserquellen trocken oder verschmutzt sind und sie sich die teure, kürzlich privatisierte Wasserversorgung nicht leisten können, trinken diese Menschen Wasser, das durch ihren eigenen unbehandelten Kot und durch Giftstoffe aus der industriellen Produktion verunreinigt ist. Welche Interessensgruppen nehmen Einfluss auf die Wasserreserven? Das sind zum einen genau die, die ich bereits oben beschrieben habe: die Menschen, die alle täglich sauberes Trinkwasser benötigen, Industrie, Land- und Forstwirtschaft, einschließlich Tier- und Die kostbare Ressource Wasser Ein Gespräch mit Maude Barlow, Wasseraktivistin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises Christa Hecht Die Kanadierin Dr. Maude Barlow ist seit 30 Jahren Vorsitzende der Bürgerrechtsbewegung Council of Canadians mit über 100 000 Mitgliedern. Sie ist Vorstandsmitglied des International Forum on Globalization und Mitbegründerin der Umweltschutzbewegung Blue Planet Project sowie Mitglied im World Future Council. Im Jahr 2005 hat sie den Right Livelihood Award (Alternativer Nobelpreis) erhalten. In der Zeit von 2008 bis 2009 war sie Beraterin des Präsidenten der UN- Generalversammlung in Wasserfragen. Bild 1: Dr. Maude Barlow. © Barlow 14 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Pflanzenzucht, aber auch die meisten Dienstleister, Krankenhäuser, Arztpraxen und so weiter. Jeder Mensch braucht sauberes Wasser für sein Überleben, für die Hygiene, bei der Herstellung von Waren. Und auch die Produktionsfirmen für Getränke, Tafel- und Mineralwasser bilden eine große Interessengruppe, die Zugang zu den Wasserreserven hat. Solche Konflikte sind im Film „Bottled Life“, an dem ich beteiligt war, beeindruckend zu sehen, in dem es um die Nutzungskonflikte der lokalen Wasserressourcen zwischen der Bevölkerung und Nestlé geht. Die Kommerzialisierung erschwert auch den Zugang zu Wasser, insbesondere für diejenigen, die kein Geld haben. Viele arme Länder wurden von der Weltbank aufgefordert, die Wasserversorgung an private, gewinnorientierte Unternehmen zu vergeben. Einige Staaten versteigern sogar ihre Wasserrechte an internationale Bergbauunternehmen, die dann das Wasser besitzen, das zuvor allen gehörte. Und viele Staaten etablieren Wassermärkte, in denen Wasserlizenzen - oft im Besitz von Privatunternehmen oder Industriebetrieben - gehortet und gehandelt werden, auch auf dem internationalen Markt. In Deutschland gibt es, wie mir gesagt wurde, ein sehr umfangreiches Wassergesetz, das vorschreibt, dass die Trinkwasserversorgung der öffentlichen Wasserwirtschaft immer Vorrang hat und dass die Verwendung von Wasser genehmigt werden muss. Und ich habe von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts gehört, in denen es bereits vor mehr als 30 Jahren ausdrücklich heißt, dass die gewinnorientierten Interessen von Privatpersonen in den Hintergrund treten müssen, wenn die öffentliche Trinkwasserversorgung durch die private Nutzung leiden könnte. Das ist vorbildlich und leider in vielen anderen Ländern der Welt nicht so geregelt. Warum haben selbst Länder mit großen Wasservorräten Wasserprobleme? Tatsächlich gibt es kein wasserreiches Land der Welt, das nicht in Schwierigkeiten ist. Die Probleme beschränken sich nicht nur auf die südliche Hemisphäre. Je größer die Einkommensunterschiede in den Industrieländern sind, desto häufiger wird das Wasser für die Armen abgeschnitten. Zehntausende Einwohner Detroits haben kein fließendes Wasser, weil sie sich die hohen Tarife nicht leisten können. Die Arbeitslosenquote in den betroffenen Gemeinden liegt bei 50 %. Die Bewohner sind gezwungen, Wasser mit Schläuchen aus benachbarten Grundstücken zu beziehen oder Wasserkanister in öffentlichen Toiletten zu füllen. Es ist schon einmal vorgekommen, dass ein Jugendamt Kinder in Pflege nahm, nur weil es in ihrem Haus kein fließendes Wasser gab. Auch in Europa sind immer mehr Bürger von der Wasserversorgung abgeschnitten, weil Sparmaßnahmen die Kosten der Grundversorgung so stark in die Höhe getrieben haben, dass viele sie sich nicht mehr leisten können. Die Kommerzialisierung der Wasserversorgung hat verheerende Folgen für all diejenigen, die Wasser brauchen, aber zu wenig Geld haben. Private Unternehmen und ihre halbstaatlichen Entsprechungen müssen erhebliche Gewinne aus den Dienstleistungen herausschlagen, die ein echter öffentlicher Dienstleister ohne Gewinn bereitstellt. So reduzieren sie die Zahl der Mitarbeiter, begrenzen die Dienstleistungen, sparen beim Umweltschutz oder erhöhen die Wassergebühren. Auch Städte und Gemeinden in Nordamerika und Europa haben solche Erfahrungen mit der Privatisierung gemacht. Obwohl diese Maßnahmen ihnen von der Weltbank nicht auferlegt wurden, scheuen viele Kommunen in Zeiten knapper Kassen die Ausgaben für die dringend benötigte Infrastruktur. Investitionen von Privatunternehmen sind unter diesen Bedingungen sehr willkommen. Doch noch lange Die Gewässer sind nachhaltig zu bewirtschaften, insbesondere mit dem Ziel, ... 4. bestehende oder künftige Nutzungsmöglichkeiten insbesondere für die öffentliche Wasserversorgung zu erhalten oder zu schaffen. Urteil zum Vorrang der öffentlichen Wasserversorgung: Bundesverfassungsgericht - Urteil zur Nassauskiesung - Beschluss des Ersten Senats vom 15. Juli 1981 - 1 BvL 77/ 78 - (BVerfGE 58, 300) WASSERHAUSHALTSGESETZ: § 6 ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE DER GEWÄSSERBEWIRTSCHAFTUNG ABS. 1 Bild 2: Das Salzwasser der Meere ist nicht als Trinkwasser, zur Bewässerung landwirtschaftlicher Flächen oder zur industriellen Produktion geeignet. © C. Hecht 15 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview nachdem sich diese Investitionen bezahlt gemacht haben, sorgen die hohen Verbrauchergebühren für einen angemessenen Gewinn des Unternehmens. Food & Water Watch stellte fest, dass private Wasserunternehmen 33 % mehr für Wasser und 63 % mehr für die Abwasserentsorgung verlangen als kommunale Unternehmen. Darüber hinaus steigen die Wasserpreise privater Unternehmen im Laufe der Jahre rapide an. Dennoch greifen viele europäische Länder unter dem Gebot staatlicher Sparmaßnahmen zum Verkauf ihrer Wasserunternehmen, wodurch zukünftige Generationen mit extrem hohen Wassergebühren belastet werden und den Wasserunternehmen sichere Gewinne garantiert werden. Wozu führen die globalen Warenströme in Hinsicht auf sogenanntes „Virtuelles Wasser“? Rund 90 % des Wassers werden von der stark wasserabhängigen Rohstoffindustrie genutzt - vor allem von der Agrarindustrie, aber auch von Warenproduzenten, dem Bergbau, der Öl- und Gasindustrie, Zellstoff- und Papierfabriken und den großen Stromerzeugern. In den meisten Ländern fallen für „Rohwasser“ geringe oder keine Gebühren an. Der Grund dafür ist, dass der Zugang zu billigem Wasser die wichtigsten Unternehmensinteressen berührt und nur wenige Regierungen bereit zu sein scheinen, sich mit ihnen anzulegen. Das in der Landwirtschaft verwendete Wasser geht meist für immer für das Einzugsgebiet verloren. Mit dem Verkauf von Agrarprodukten in andere Regionen oder sogar Kontinente kehrt es nicht mehr in den lokalen Wasserkreislauf zurück. 140 Liter werden für eine Tasse Kaffee und 2400 Liter für einen Hamburger verwendet. Der globale Handel mit Lebensmitteln veranlasst Staaten und Bevölkerungsgruppen, sich auf die Wasserressourcen anderer Staaten und Regionen zu verlassen, um ihren Bedarf zu decken. Virtuelles Wasser ist in allen Dienstleistungen und Produkten enthalten, von der Energie bis zur Kleidung. Die Produktion eines T-Shirts benötigt 2400 Liter Wasser, auch die Produktion eines Computerchips benötigt viel Wasser und noch mehr die Kühlung beim Betrieb der gigantischen „Serverfarmen“ in riesigen Gebäudekomplexen. In einer Welt, die unter Wasserknappheit leidet, ist der Import wasserintensiver Produkte eine geheime Machtquelle für einen Staat, da er seine eigenen Wasserressourcen schonen kann. So ist beispielsweise Deutschland, das nicht unter Wasserknappheit leidet, ein Nettoimporteur von virtuellem Wasser. In Ländern wie Brasilien, der Elfenbeinküste und Indien, wo Kaffee, Baumwolle und andere Waren eingekauft werden, hinterlässt es einen Wasserabdruck. Zwei Drittel des Wasserfußabdrucks Großbritanniens stammen aus Importen, ebenso stammt der größte Teil des Wasserfußabdrucks Saudi-Arabiens und Japans aus Importen. Reiche Länder sind in der Lage, ihre Wasserversorgung zu sichern, indem sie wasserintensive Produkte aus anderen Ländern beziehen. Welche Auswirkungen wird der Klimawandel auf die weltweiten Wasservorräte haben? Wasser ist ein wesentliches Element des Klimawandels, und auf der anderen Seite beeinflusst der Klimawandel bereits die regionalen Wasserressourcen. Entscheidend ist jedoch, wie wir mit Wasserressourcen und anderen natürlichen Ressourcen umgehen, die sich auf das Klima auswirken. In China sind seit 1990 durch menschliche Eingriffe mehr als die Hälfte der Flüsse verschwunden. Obwohl Brasilien als das Land mit dem meisten Wasser der Welt gilt, herrscht im Süden eine große Dürre, weil im Amazonasgebiet so viel Regenwald abgeholzt wurde. Und auch Nordamerika steckt in großen Schwierigkeiten, wie insbesondere in Kalifornien, wo es drei Jahre lang nicht geregnet hatte. Kanada und die Vereinigten Staaten gehören beide zu den zehn wasserreichsten Ländern der Welt, aber in Alberta geht uns das Wasser aus. Die Großen Seen ziehen sich zurück. Der Winnipeg-See, der zehntgrößte See der Welt, ist das am stärksten bedrohte Binnengewässer der Welt. Nach der neuesten Grundwasserstudie ist zu befürchten, dass die Großen Seen in Nordamerika in 80- Jahren ganz verschwinden. Ursachen sind Klimawandel und Übernutzung. So wird beispielsweise Bild 3: Wasser formte die Höllentalklamm. © M. Mautsch 16 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview der Ogallala Aquifer in Kalifornien zur Bewässerung großer landwirtschaftlicher Flächen und zur Wasserversorgung von Megastädten in jeweils wasserarmen Regionen genutzt. In Teilen Europas und Deutschlands regnete es im vergangenen Sommer wochen- und monatelang nicht, es herrschte Dürre und Wasserknappheit. Die Wasserstände in Flüssen und Seen sind noch sehr niedrig. In mehr als 100 Ländern verbreiten sich Wüsten rasant. Die Sahara breitet sich in alle Richtungen aus und betrifft Tunesien, Marokko und Algerien. Der Savannengürtel im Sahel schrumpft und bedroht Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Der Tschadsee ist zu 90 % ausgetrocknet und gefährdet die Lebensgrundlage von 30 Mio. Westafrikanern. In Zentralasien mussten Hunderttausende Menschen wegen der Austrocknung des Aralsees ihre Heimat verlassen. Wie groß ist die Gefahr von zunehmenden Konflikten um die Ressource Wasser? Die große Frage unserer Zeit ist, ob wir um die schwindenden Ressourcen unseres Planeten konkurrieren werden, was unweigerlich zu einem Krieg führen wird, oder ob wir darin eine Chance für Zusammenarbeit und Frieden sehen werden. Wasserknappheit, verschmutztes Wasser, Überschwemmungen können Staaten destabilisieren und regionale Spannungen verschärfen. In Flussregionen, insbesondere im Mittleren Osten, Asien und Afrika, kann Wasser zu einer Waffe der Nachbarn am Oberlauf von Flüssen werden, indem der Durchfluss verringert oder ganz blockiert wird. Ob in Zentral- oder Südostasien, es gibt regionale Spannungen zwischen den Nachbarn, die das Wasser der Flüsse für die Versorgung ihrer schnell wachsenden Bevölkerung beanspruchen. Im Nahen Osten ist Wasser seit Jahrzehnten Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen und wird als Kriegswaffe eingesetzt. Pläne zum Bau von 23 Dämmen am Oberlauf des Euphrat und Tigris entlang der türkisch-syrischen Grenze bedrohen die Region. In Ägypten spielten die Privatisierung von Wasser sowie Umleitungen zugunsten der Reichen eine wichtige Rolle beim Ausbruch des „Arabischen Frühlings“. Auch in Syrien war kriminelle Misswirtschaft rund um das Wasser eine der tieferen Ursachen für den Aufstand. Im gesamten Gazastreifen gibt es kein sauberes Wasser und die Krise stellt eine Bedrohung für die Wasserressourcen in der gesamten Region dar. Forscher der Oregon State University fanden jedoch heraus, dass Wasserkonflikte zwischen zwei oder mehr Ländern in den letzten 50 Jahren zu viel mehr Kooperation als zu gewalttätigen Konflikten geführt haben. Und eine Gruppe von Wissenschaftlern bewies, dass Streitigkeiten um Wasser, auch zwischen bitteren Feinden, in der Regel friedlich beigelegt werden. Denn Wasser ist viel zu wichtig, um es im Streit zu verlieren. Wasser hat sogar zu vertrauensbildenden Maßnahmen und stärkeren Interaktionen zwischen den Konfliktparteien beigetragen. Das gibt Anlass zur Hoffnung. Wie lässt sich der Anspruch auf sauberes Trinkwasser und auf Sanitärversorgung als Menschenrecht begründen? Die Menschenrechte auf Wasser und sanitäre Einrichtungen ergeben sich aus dem Recht auf einen angemessenen Lebensstandard sowie dem Recht auf Leben und Menschenwürde. Jahr für Jahr sterben mehr Menschen an verunreinigtem Wasser als an Gewalttaten, einschließlich Kriegen. Diejenigen, die ihr Leben ohne sauberes Wasser führen müssen, sind in vielerlei Hinsicht beeinträchtigt, und ihr Recht auf Leben, Gesundheit und Würde ist massiv bedroht. In vielen Ländern verbringen Frauen fünf bis sechs Stunden am Tag damit, Wasser zu holen, oft unterstützt von ihren Töchtern, die daher nicht zur Schule gehen können. In der heutigen Welt können wohlhabende Menschen und Unternehmen so viel Wasser konsumieren, wie sie wollen, während Millionen Menschen leer ausgehen, weil sie es sich nicht leisten können oder weil nicht genügend Wasser verfügbar ist. Das Recht auf Wasser bedeutet, den Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Einrichtungen für den persönlichen, privaten Gebrauch zu gewährleisten. Damit sollen die Regierungen in die Pflicht genommen werden, die Wasserversorgung und Bild 4: Regierungen sollten in die Pflicht genommen werden, die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung ihrer Bürger zu gewährleisten und Schäden an den Wasserressourcen zu verhindern. © C. Hecht 17 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Abwasserentsorgung ihrer Bürger zu gewährleisten und Schäden an den Wasserressourcen zu verhindern. Es geht um Gerechtigkeit, nicht um Nächstenliebe. Vor über sieben Jahren hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen (VN) mit der Resolution A/ 64/ 292 dieses Menschenrecht anerkannt. Wie weit ist die Umsetzung bisher gelungen? Gibt es Fortschritte? Die Kampagne über zwei Jahrzehnte hinweg war ein harter Kampf gegen Rückschläge und gegen Interventionen seitens der Mineralwasserindustrie und der Unternehmen, der Weltbank, des Weltwasserforums und einiger Regierungen der Ersten Welt, darunter Kanada, die USA und Großbritannien. Deutschland verhielt sich ganz anders. Das Land hat das Menschenrecht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung von Anfang an unterstützt. Dafür sind wir sehr dankbar. Inzwischen haben vier Dutzend Staaten das Recht auf Wasser in ihrer nationalen Verfassung verankert oder in den Rechtsrahmen aufgenommen. Im Jahr 2015 wurde die Anerkennung der Menschenrechte auf dem Gebiet der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung einstimmig in den endgültigen Text der Agenda der Vereinten Nationen 2030 (Sustainable Development Goals - SDGs) durch die Vereinten Nationen aufgenommen. Dies war das Ergebnis unermüdlicher Bemühungen zivilgesellschaftlicher Gruppen, darunter eine Petition, die von 621 Organisationen aus der ganzen Welt unterzeichnet wurde. All dies ist fragil und alles ist gefährdet, wenn die Kontrolle über das Wasser und die Entscheidungen über den Zugang zu Wasser auf Privatpersonen oder transnationale Unternehmen übertragen werden, die es nicht als ihre Aufgabe ansehen, Wasser für die Armen bereitzustellen. Und ich glaube nicht eine Minute lang, dass all diese Probleme weit von uns entfernt sind. Wir alle stehen vor einer äußerst kritischen Situation mit sinkender Wasserversorgung, wachsender Armut und steigenden Wasserpreisen. Die Weltbank und die großen privaten Wasserversorger sind nach wie vor aggressiv hinsichtlich der Förderung der privaten Wasserversorgung im globalen Süden. Fehlt in vielen Ländern noch der politische Wille zum Schutz des Wassers? Es gibt zwar Anzeichen von Hoffnung, aber es gibt auch wesentliche Gründe für die langsamen Fortschritte bei der Verwirklichung der Menschenrechte in den Bereichen Wasser und Abwasser. Viele Regierungen haben andere Prioritäten, sie geben Lippenbekenntnisse zu diesen Rechten ab, ignorieren sie offen oder agieren noch schlimmer. Am gravierendsten ist, dass sich die meisten Regierungen - und auch globale Finanzinstitutionen wie die Weltbank - weiterhin an eine makroökonomische und industrielle Politik halten, die lokale Wasserquellen zerstört und den Unternehmen mehr Rechte gibt als den Armen. Der weltweite Absatz von abgefülltem Wasser steigt jährlich um rund 8 %. Im vergangenen Jahr stieg der Verbrauch um 465 Mrd. Liter. Der Wasserhandel wächst in vielen Ländern. Dies ist ein Prozess, bei dem das öffentliche Gut Wasser in eine Ware umgewandelt wird, die auf dem freien Markt gekauft und verkauft wird. Auch der Handel mit Rechten zur Wasserverschmutzung nimmt zu. Auf diese Weise können Verursacher die Umwelt weiter belasten. Sie zahlen für das Recht, die Umweltverschmutzung aufrechtzuerhalten oder über ihren derzeitigen Verschmutzungsgrad zu verhandeln. Viele Regierungen bevorzugen Militär- und Sicherheitsausgaben gegenüber der Bereitstellung von Grundversorgungsleistungen für ihre Bevölkerung. Die globalen Militärausgaben belaufen sich heute auf 1,76- Billionen Dollar pro Jahr. Das ist deutlich mehr als die 10 Mrd. bis 30 Mrd. Dollar pro Jahr, die nach Schätzungen der UNO gebraucht würden, um eine Grundversorgung mit Wasser bereitzustellen. Von besonderer Bedeutung ist die neue Generation von Handelsabkommen, die den Unternehmen Bestes Trinkwasser aus der Leitung statt aus der Flasche. © M. Mautsch 18 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview das Recht einräumen, gegen Regierungen zu klagen, die ihre Wasserressourcen schützen wollen, um so Gesundheit und Wohlergehen ihrer Bevölkerung zu erhalten. Die Bestimmungen des Investor-State Dispute Settlement (ISDS) behandeln Unternehmen und Regierungen im Wesentlichen als gleichwertig und privatisieren das Streitbeilegungssystem zwischen den Nationen. Unternehmen haben diesen Mechanismus bereits genutzt, um in über 600 Fällen Regierungspolitik zu unterlaufen und in einer Reihe von Fällen Gesetze oder Vorschriften zum Schutz von Wasser und dem Menschenrecht auf Wasser anzufechten. Dazu gehören beispielsweise das Vorgehen gegen die Anordnung einer Regierung, die Obergrenze für den Wasserpreis festzulegen, damit auch der ärmere Teil der Bevölkerung Zugang zur Wasserversorgung hat, gegen ein Fracking-Moratorium und gegen ein Verbot von Rasen-Pestiziden. Erfolgreich beschieden wurde sogar die Entschädigungsforderung eines Unternehmens, das seine „Wasserrechte“ nicht mehr nutzen konnte, als es seinen Betrieb aufgab. Ein weiteres systemisches Problem, das der Umsetzung beim Menschenrecht auf Wasser und auf sanitäre Einrichtungen im Wege steht, ist die Macht, die transnationale Unternehmen gegenüber internationalen Institutionen, insbesondere der UNO und der Weltbank, haben. Was hat sich die Initiative „Blue Communities“ zum Ziel gesetzt? Die Initiativbewegung der Blue Communities ergreift Maßnahmen zum Schutz des Wassers als Allgemeingut und als öffentliche Aufgabe. Dieses Projekt ermutigt Gemeinden und Organisationen, vier Prinzipien zu übernehmen: Anerkennung von Wasser und sanitären Einrichtungen als Menschenrechte. Förderung der öffentlich finanzierten, in eigener Verantwortung betriebenen Wasser- und Abwasserdienstleistungen, Verbot oder schrittweise Einstellung des Verkaufs von abgefülltem Wasser in kommunalen Einrichtungen und bei kommunalen Veranstaltungen, die Entwicklung internationaler Öffentlich-Öffentlicher Partnerschaften. Wenn sich eine Gemeinschaft verpflichtet, diese Grundsätze auf lokaler Ebene einzuhalten, trägt sie dazu bei, den Zugang zu sauberem Wasser und zu grundlegender Abwasserentsorgung für alle Menschen, eine nachhaltige Nutzung, gerechte Verteilung und angemessene Behandlung zu verwirklichen, um Wasser für die Natur und zukünftige Generationen zu erhalten. Die Gemeinschaften unterstützen mit diesen Grundsätzen die Umsetzung des Beschlusses der Vereinten Nationen. Wie groß ist das Netzwerk inzwischen? Weltweit? Der Council of Canadians, das Blue Planet Project und die Kanadische Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst (Canadian Union of Public Employees - CUPE) haben 2009 das Blue Communities Project initiiert. Eau Secours ist Partner des Blue Communities Project in Quebec. Die Blue Communities-Bewegung ist international gewachsen, Paris in Frankreich, Bern in der Schweiz und andere Gemeinden auf der ganzen Welt werden „blau“. Schulen, Religionsgemeinschaften und religiöse Gruppen haben ebenfalls diese Prinzipien angenommen, die Wasser als Gemeingut behandeln, das allen gehört und in der Verantwortung aller liegt. Mittlerweile gibt es weltweit etwa 50 Blue Communities, und zuletzt haben sich vier deutsche Städte als Blue Community verpflichtet. Und die Bewegung wächst. Was können Kommunen zu einer nachhaltigen Wassernutzung beitragen? Das gesamte Wasserdargebot ist lokal. Gemeinschaften, die in Wassereinzugsgebieten leben, wissen das am besten. Sie müssen mit Instrumenten zum Schutz ihrer Ökosysteme ausgestattet werden. Indigene Völker haben das Wissen, ihre Kenntnisse und ihre Lehren müssen respektiert werden, wenn wir eine alternative Wirtschaft schaffen wollen. Überall war der Widerstand der Indigenen gegen Wasserprivatisierungen, Fracking, große Dämme und Tagebaue entscheidend, um Regierungen zu zwingen, mit Wasserwirtschaft und Menschenrechten auf eine andere Weise umzugehen. Um den Fortbestand der Ressource Wasser zu sichern, ist mehr Zusammenarbeit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit bei der Energieerzeugung, beim Anbau von Nahrungsmitteln, beim grenzüberschreitenden Handel und der Produktion von Waren und Dienstleistungen erforderlich. Dies wiederum erfordert eine robustere demokratische Regierungsführung sowie eine stärkere Kontrolle der lokalen Wasserreserven. Wasser sollte als das Geschenk der Natur an die Menschheit gesehen werden, um uns zu lehren, wie wir auf der Erde besser leben können - in Frieden, mit Respekt füreinander und mit wahrer Gerechtigkeit. Christa Hecht Geschäftsführerin Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e.V. (AöW) Kontakt: hecht@aoew.de AUTORIN
