Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0094
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Emotionen als Wegweiser zur lebenswerten Stadt
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Lara Kohn
Habiburrahman Dastageeri
Jan Silberer
Thomas Bäumer
Thunyathep Santhanavanich
Susanne Moulin
Patrick Müller
Volker Coors
Mit steigenden Bewohnerzahlen urbaner Gebiete entstehen Veränderungen, die deren Lebenswert beeinträchtigen. Um ein besseres Verständnis für das subjektive Erleben der Bewohner*innen zu bekommen, sind valide psychologische Instrumente zur Emotionsmessung und innovative Ansätze zur Visualisierung notwendig. Zur Entwicklung passender Erfassungsmöglichkeiten wurden an der HFT Stuttgart mehrere Feldstudien durchgeführt, bei denen verschiedene psychologische und physiologische Maße kombiniert wurden. Das Ziel war, das Erleben von Fußgänger*innen und Pedelec-Fahrer*innen in Echtzeit zu erfassen und darzustellen.
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56 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher mobil Stuttgart ist bekannt als die Stadt des Automobils aber auch des Staus. Im Positiven zeigt sich dies in den wachsenden Einwohneranzahlen [1] und der steigenden Wirtschaftskraft [2]. Allerdings verbrachten Autofahrer*innen zu Stoßzeiten hier im vergangenen Jahr auch durchschnittlich 44 Stunden im Stau [3]. Aber nicht nur die Region Stuttgart ist mit dem Problem der zunehmenden Verdichtung konfrontiert. Es handelt sich um ein allgemeines Problem urbaner Gebiete: Global wachsen urbane Gebiete immer weiter an, die Bevölkerungs- und Bebauungsdichte steigt und damit kommt unter anderem die Infrastruktur an ihre Grenzen [4]. Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit das einen Einfluss auf erlebten Stress und emotionales Wohlbefinden der Bewohner*innen in urbanen Ballungszentren hat. Um Konflikte und Stress zu vermeiden, ist es wichtig, dass sich die Bewohner*innen gerade in solchen dicht besiedelten Gebieten wohlfühlen und ihr Umfeld als lebenswert empfinden. Das bedeutet, dass das Verständnis und die Erfassung von Emotionen der Bürger*innen einer Stadt einen wichtigen Stellenwert bezüglich der Lebensqualität einnehmen und damit einen Wegweiser zur lebenswerten Stadt darstellen. Alle von Stadtplanung betroffenen Stakeholder sollten daher das emotionale Erleben der Bewohner*innen berücksichtigen und daraus ableiten, was Städte lebenswert macht und damit zugleich die Akzeptanz neuer stadtplanerischer Maßnahmen erhöhen. Hierfür werden Tools benötigt, die eine valide Messung von Emotionen ermöglichen und diese gleichzeitig in einer verständlichen Form darstellen, um diese für alle Stakeholder nutzbar zu machen, die an stadtplanerischen Prozessen beteiligt sind. Ein Ansatz zur Entwicklung solcher Tools liegt in der Verknüpfung der beiden Fachrichtungen Psychologie und Geoinformatik. An der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT Stuttgart) geschieht dies als Teil des interdisziplinären Forschungsvorhabens i_city: Intelligente Stadt, in dem der Fokus unter anderem auf der Erhebung und Visualisierung von Emotionen liegt. Die Idee basiert auf den beiden Ansätzen Urban Emotions [5] und EmoMapping [6], die sich insbesondere durch die Erfassung von Stress anhand physiologischer Parameter und deren Darstellung auf Karten auszeichnen. Bei den Erhebungen an der HFT Stuttgart basierte die Erfassung der Emotionen dabei sowohl auf subjektiven als auch auf objektiven Daten, die kombiniert erfasst wurden. Als Erhebungsansatz wurde dabei das Experience Sampling genutzt. Bei der Darstellung wird das emotionale Erleben mit Geodaten verknüpft und in interaktiven Karten visualisiert. Der Ansatz des Experience Emotionen als Wegweiser zur lebenswerten Stadt Ansätze zur Erfassung und Darstellung des emotionalen Erlebens als Impulse für die Stadt der Zukunft Umweltpsychologie, Urbane Emotionen, Physiologische Parameter, Mobile Sensoren, GPS, Emotionale Kartierung Lara Kohn, Habiburrahman Dastageeri, Jan Silberer, Thomas Bäumer, Thunyathep Santhanavanich, Susanne Moulin, Patrick Müller, Volker Coors Mit steigenden Bewohnerzahlen urbaner Gebiete entstehen Veränderungen, die deren Lebenswert beeinträchtigen. Um ein besseres Verständnis für das subjektive Erleben der Bewohner*innen zu bekommen, sind valide psychologische Instrumente zur Emotionsmessung und innovative Ansätze zur Visualisierung notwendig. Zur Entwicklung passender Erfassungsmöglichkeiten wurden an der HFT Stuttgart mehrere Feldstudien durchgeführt, bei denen verschiedene psychologische und physiologische Maße kombiniert wurden. Das Ziel war, das Erleben von Fußgänger*innen und Pedelec-Fahrer*innen in Echtzeit zu erfassen und darzustellen. THEMA Gesund und sicher mobil 57 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Sampling soll im Folgenden kurz allgemein vorgestellt werden. Im Anschluss wird die Idee der Messung und Visualisierung von Emotionen anhand von drei Beispielprojekten vorgestellt, um unterschiedliche Anwendungsfelder zu skizzieren. Experience Sampling ermöglicht eine Echtzeiterfassung Klassischerweise werden Bürger*innen bei der Bewertung ihrer Umgebung durch Umfragen eingebunden. Dies erweist sich allerdings als problematisch, da hier das emotionale Empfinden aus dem Gedächtnis abgerufen werden muss. Für die Befragten ist dies mühsam und die Methode kann zu stark verzerrten Ergebnissen führen. Um dieses Problem zu umgehen, kann hier Experience Sampling eingesetzt werden. Dabei handelt es sich um einen Ansatz, bei dem Daten im Moment des Erlebens erfasst werden. Dies ist heutzutage über Befragungs-Apps und mobile Sensoren möglich [7]. Der Vorteil dieses Ansatzes, Emotionen genau dann zu erfassen, wenn diese erlebt werden, liegt in geringerer Verzerrung durch Erinnerung, da die Messung in Echtzeit erfolgt. Außerdem ist es möglich, multimodal mehrere Datenarten (zum Beispiel subjektiv und objektiv erfasste Emotionen) 1 zur gleichen Zeit zu erfassen und über die Sensoren den Kontext (in diesem Fall, die Umgebung) zu analysieren [8]. Das Experience Sampling wurde an der HFT Stuttgart in drei Anwendungsbeispielen in Form von explorativen Feldstudien verwendet. Diese werden im Folgenden vorgestellt, um die unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten dieses Ansatzes zu illustrieren. Fußgänger erkunden HotSpots im Stuttgarter Stadtgarten Die erste Studie hatte zum Ziel, in einem fest umrissenen Gebiet - dem Stuttgarter Stadtgarten, einem Park im Stadtzentrum - das emotionale Erleben von Proband*innen in Echtzeit zu erfassen [9]. Hier ging es unter anderem um die Fragestellung, ob Parks als Erholungsgebiete einen positiven Einfluss auf das Wohlbefinden von Bürger*innen haben. Außerdem sollten über das Erfassen sogenannter HotSpots Einflussfaktoren identifiziert werden, die das emotionale Erleben positiv bzw. negativ beeinflussen. Hierfür wurden sowohl Befragungen per App (über movisensXS App) als auch Messungen physiologischer Parameter (über movisens Sensoren) durchgeführt. Die Proband*innen sollten Orte oder Objekte, 1 Emotionen zeigen sich nicht nur durch subjektiv erlebte Gefühle, die man ausdrücken kann, sondern unter anderem auch über Prozesse im Körper. Diese haben eine bestimmte physiologische Aktivität zur Folge, zum Beispiel eine erhöhte Herzfrequenz, die objektiv messbar ist. die ihnen im Stadtgarten gefielen oder nicht (Hot- Spots) mittels der App kennzeichnen und bewerten. Wo sich die Proband*innen befanden, wurde dabei kontinuierlich über die App aufgezeichnet. Hierdurch war es möglich, Fragebögen auch speziell bei Eintritt und Verlassen des Stadtgartens auszulösen, das heißt, die Befragung startete automatisch, sobald die Probandinnen den Park betraten. Durchgeführt wurde die Studie im Sommer 2016 und im Winter 2017 mit einer kleinen Gruppe von Student*innen (N=14) der Hochschule. Die Analyse und Visualisierung der erhobenen Daten umfasste die HotSpots, das subjektive emotionale Erleben sowie physiologische Daten als objektive Parameter von Emotionen. Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Anzahl der Kategorisierungen von positiven HotSpots die der negativen um fast das Doppelte übertraf. Dies ist ein Indiz dafür, dass der Park einen positiven Einfluss auf das emotionale Befinden hat und als Erholungsgebiet verstanden werden kann. Auch das Ergebnis, dass Proband*innen, die mehr negative HotSpots aufzeichneten, angaben, weniger zufrieden zu sein, lässt diesen Schluss zu. Bei den physiologischen Parametern zeigt beispielsweise die Herzfrequenzvariabilität einen Zusammenhang mit der Nervosität und der Anspannung der Proband*innen während der Studie. Bezüglich der angewendeten Erhebungsmethoden lässt sich sagen, dass die kontinuierlich erhobenen physiologischen Maße helfen, einen Gesamteindruck des subjektiven Erlebens während des Aufenthalts im Gebiet des Stadtgartens zu erfassen. Dieser kann auf zeitlicher Ebene (vorher/ nachher), aber auch im Vergleich mit anderen Gebieten betrachtet werden. Die subjektiven Erhebungsmethoden eignen sich hingegen dafür, spezifische Orte detailliert zu betrachten und Verbesserungspotenzial abzuleiten. Bild 1: Laufwege, Hotspots inklusive Bildern und Kommentaren auf einer Karte dargestellt. © HFT Stuttgart 58 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher mobil Um die Datenmenge verständlich zusammenzufassen und für stadtplanerische Belange nutzbar zu machen, helfen Visualisierungen (Bilder 1 bis 3). Bild 1 zeigt beispielsweise den Start- und Endpunkt der Studie, die aufgezeichneten HotSpots sowie den Laufweg einer Probandin. Über die Farbe lässt sich die Bewertung des HotSpots erkennen. Ebenso können ein Foto vom HotSpot und ein Kommentar angezeigt werden. In Bild 2 wird zusätzlich der physiologische Parameter Herzfrequenz hinzugezogen und als Heatmap auf dem Laufweg dargestellt: Je roter, desto höher ist die physiologische Erregung, die einen Hinweis auf das Stresserleben gibt. Die Daten einzelner Abschnitte können auch genauer analysiert werden, wie Bild 3 zu entnehmen ist. Eine Weiterentwicklung der dargestellten Studie ist in Bezug auf folgende Aspekte denkbar: Die Befragung kann zum Beispiel durch weitere subjektive Maße ergänzt werden, dazu gehört unter anderem das Stresserleben. Ebenso können objektive Parameter oder Umwelteinflüsse, wie Uhrzeit oder Wetterverhältnisse, hinzugezogen werden. Ein in das Visualisierungstool eingebauter Filter zu diesen Werten könnte die Suche und Anzeige der HotSpots weiter spezifizieren. Veränderungen der Gestaltung des Tools sollten dabei so vorgenommen werden, dass die Benutzerfreundlichkeit für Stadtplaner*innen gewährleistet ist. Nicht zuletzt könnte neben einer Echtzeiterfassung auf lange Sicht auch eine Echtzeitvisualisierung angesteuert werden. Die Idee des Experience Samplings kann auch auf spezifischere Fragestellungen angewendet werden, zum Beispiel zur Untersuchung von Lärmbelastung und des Einflusses auf das emotionale Erleben. In der folgenden Studie wurde dafür die Hush City App [10] verwendet, die mit einem ähnlichen Vorgehen wie bei der vorherigen Studie, Emotionen, Ort und Lautstärke erfasst und visualisiert. Fußgänger bewerten in Soundwalks die Umgebung Welchen bedeutsamen Einfluss der Lärmpegel auf den Lebenswert einer Stadt hat, wird in den im Oktober 2018 veröffentlichten Richtlinien zur Lärmbelastung der Weltgesundheitsorganisation [11] deutlich: Demnach liegen die durchschnittlichen Grenzwerte für Lärmbelastung durch Straßenverkehr tagsüber bei 53 Dezibel, da Lärm ab diesem Wert mit negativen gesundheitlichen Auswirkungen verbunden ist. Um dem entgegenwirken zu können, muss der Lärmpegel zuerst erfasst werden. Hierbei ist neben der objektiven Messung auch die subjektive Erfassung des Lärmerlebens bedeutsam. So war es Ziel der Studie, in sogenannten Soundwalks Orte in Stuttgart zu identifizieren, die aufgrund ihrer Geräuschkulisse als angenehm bzw. unangenehm erlebt werden. Dabei sollte das subjektive Erleben der objektiven Lautstärke gegenübergestellt werden. Denn: Lärm ist nicht gleich Lärm. So kann zum Beispiel Verkehrslärm als störend empfunden werden, während das Geräusch von Wasser (etwa von einem Brunnen) derselben Lautstärke nicht unbedingt als störend empfunden wird. Die Studie fand im Frühjahr 2018 mit Student*innen statt, die in 20 Zweierteams aufgeteilt waren und denen unterschiedliche Gebiete innerhalb Stuttgarts zugeteilt wurden. Zur Erhebung wurde die Hush City App eingesetzt. Diese stellt einen Open Source Soundscape dar [10] und dient zur Erfassung und Einsicht der akustischen sowie der Aufenthaltsqualität unterschiedlicher Orte. Über die App werden sowohl subjektive Befragungsdaten (zum Beispiel subjektives Erleben, Beschreiben der Situation) als auch objektive Umgebungsdaten (Lautstärke über Audioaufzeichnung) erfasst, nicht aber physiologische Daten. Die gesammelten Daten werden in der Hush City Map visualisiert (Bild 4). Eine Farbabstufung von grün zu rot stellt ruhige bis laute Orte dar. Für jeden bewerteten Ort ist eine Anzeige detaillierterer Informationen - zum Beispiel ein Foto, die objektive Lautstärke in der Umgebung und die Antwort auf die subjektive Befragung - möglich. Bild 2: Die durchschnittliche Herzrate der Probanden als Heatmap. © HFT Stuttgart Bild 3: Screenshot des Tools zur Analyse der Herzfrequenz aus Ausschnitten des Laufwegs. © HFT Stuttgart THEMA Gesund und sicher mobil 59 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Mit einer Analyse der einzelnen Erhebungen lassen sich Orte im Stuttgarter Stadtgebiet identifizieren, die sich den Gruppen laut und leise sowie unangenehm und angenehm bzw. Kombinationen aus diesen beiden Aspekten zuordnen lassen. Als laut und unangenehm gelten Verkehr und Baustellen, laut aber angenehm hingegen werden zum Beispiel Orte mit vielen Menschen empfunden. Selbst leiser Verkehrslärm wird als unangenehm empfunden, natürliche Geräusche (Wasser, Wind) hingegen werden als leise und angenehm wahrgenommen. Vergleicht man objektive Lärmmessungen mit dem subjektivem Lärmempfinden, zeigen sich hohe positive Zusammenhänge. Da beide Werte sich jedoch nicht eins zu eins decken, könnte der Zusammenhang durch weitere Faktoren beeinflusst sein, wie etwa der architektonischen Gestaltung eines Ortes, die wiederum Emotionen auslösen könnte. Emotionales Empfinden hängt negativ mit den objektiven Lärmmessungen zusammen, was ein Anzeichen dafür ist, dass Geräusche einen für das emotionale Erleben relevanten Einfluss darstellen. Aus diesem Grund ist das Einbeziehen der Umgebungslautstärke ein wichtiger Ansatz für Stadtplaner*innen, wenn es darum geht, Wohlfühlfaktoren sowie den Lebenswert einer Stadt positiv zu gestalten. Um die Methode der Studie effizient nutzen zu können sind weiterführende Untersuchungen möglich: Es müssten in größerem Rahmen Orte identifiziert und genauer bezüglich objektiver sowie subjektiver Qualitäten untersucht werden. Die Verwendung von physiologischen Maßen wie in der ersten Studie ist hierbei ebenfalls denkbar. Ein Rückschluss auf die Lärmquelle könnte in Zukunft über eine Analyse der objektiven Lärmmessung erfolgen. In dem Projekt CitySounds aus Schottland werden beispielsweise verschiedene Tonerzeuger - Tiere, Menschen, Wind etc. - von Audioaufnahmen aus Grünanlagen extrahiert und daraus Erkenntnisse über das Gesamtbild urbaner Geräuschkulissen gewonnen [12]. Um neben dem objektiven Lärmpegel weitere Einflussfaktoren auf das subjektive Lärmempfinden abzuleiten, sollte die Umgebung genauer betrachtet werden. So könnte der Frage nachgegangen werden, wodurch Lärm als mehr oder weniger stressauslösend empfunden wird. Die bisher vorgestellte Art der Erhebung ist nicht nur für Fußgänger*innen, sondern auch für weitere Verkehrsteilnehmer*innen, wie zum Beispiel Radfahrer*innen möglich. Aufgrund der wenig fahrradfreundlichen Topographie in Stuttgart wurde die folgende Studie - eine Kooperation der HFT Stuttgart und Daimler TSS - mit Pedelecs statt mit Fahrrädern durchgeführt. In Pedelecs können zusätzliche Sensoren verwendet werden Bei der dritten Studie handelte es sich um einen Fahrversuch mit Pedelecs durch Stuttgart. Ziel war es, emotionales Erleben von Radfahrer*innen in Abhängigkeit verschiedener Streckenabschnitte zu erfassen und im Zusammenhang mit physiologischen Parametern zu betrachten. Die Proband*innen wurden per App über eine Strecke navigiert, die Abschnitte mit unterschiedlicher psychischer Belastung (Verkehrsaufkommen/ Stress) und physischer Belastung (Steigung) enthielt. Während der Fahrt wurden Sensoren zur Aufzeichnung objektiver physiologischer Parameter (kardiovaskulär, elektrodermal) sowie Befragungen per App zur subjektiven Erfassung emotionalen Erlebens und zu Stress eingesetzt. Der aktuelle Standort wurde ebenfalls kontinuierlich erfasst, um die Daten auch mit den Orten verknüpfen zu können. Sensoren am Pedelec speicherten Werte wie Geschwindigkeit und Trittkraft. Die Durchführung fand im Herbst 2017 mit 14- Student*innen der Hochschule statt. Zur Analyse wurden subjektiv und objektiv gemessene Daten auf Zusammenhänge überprüft. Allgemein zeigen sich zwar positive Zusammenhänge, allerdings auf einem vergleichsweisen niedrigen Niveau. Dabei weisen kardiovaskuläre Werte höhere Zusammenhänge mit emotionalem Erleben auf als die Werte der Hautleitfähigkeit. Betrachtet man das emotionale Erleben über die vier Streckenabschnitte hinweg (Bild 5), fällt auf, dass sich die Werte der Emotion Angst als einzige signifikant zwischen den vier Streckenabschnitten unterscheidet. Hohe Angst- Werte zeigen sich vor allem auf den Streckenteilen mit erhöhtem Verkehrsaufkommen (Stress). Unterschiede zeigen sich ebenfalls bezüglich des subjektiven Stressempfindens. Hierfür wurden die Proband*innen gefragt, wie stressig sie den vergangenen Streckenabschnitt empfanden. Die Proband*innen bewerteten zudem das subjektiv empfundene Verkehrsaufkommen sowie die Lautstärke während der Fahrt. Erhöhte Werte gehen hierbei mit negativen Emotionen einher. Bezüglich Bild 4: Darstellung der über die Hush City App erhobenen Daten. © HFT Stuttgart 60 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher mobil der am Pedelec befestigten Sensoren ergab sich lediglich, dass erhöhte Geschwindigkeit mit positivem emotionalem Erleben in Verbindung steht. Auch für diese Studie wurde aus der Fülle der Daten ein Visualisierungstool erstellt [13] (Bild 6). Auf der 3D-Darstellung lassen sich Pedelecs lokalisieren und die Sensorwerte anzeigen. Nach der Fahrt können zusätzlich zu diesen Werten sowohl physiologische Parameter als auch die Wetterverhältnisse abgerufen werden (E-Bike Usage Information). Die Darstellung des subjektiven emotionalen Erlebens an den einzelnen Befragungspunkten ist in Bearbeitung und wird in Zukunft visualisierbar sein. Als Weiterführung der Pedelec-Studien wäre es interessant, die Beziehung von emotionalem Erleben mit den Pedelec-Daten noch genauer zu analysieren: Eine mögliche Fragestellung ist, wie sich das Erleben durch die Motorisierung verändert, das heißt, wie es den Stress im Straßenverkehr reduziert. Zudem könnten weitere Einflussfaktoren erfasst und betrachtet werden, wie Umgebungslautstärke, der Abstand zu anderen Verkehrsteilnehmer*innen und das Vorhandensein verschiedener Fahrradwege, die ebenfalls das emotionale Erleben im Verkehr beeinflussen können. Dies alles sind Faktoren, die insbesondere in der Stadt häufig auftreten und daher von großer Bedeutung sein könnten, wenn es um Determinanten emotionalen Erlebens geht. Für die Stadtplanung sind diese Aspekte deshalb interessant, weil durch deren Optimierung mehr Menschen weg vom Autofahren zum Radfahren animiert werden könnten. Wenn es hierdurch gelingen würde das Verkehrsaufkommen insgesamt zu verringern und damit weniger Staus, geringere Schadstoffbelastung und einen niedrigeren Verkehrslärmpegel in Städten zu erhalten, könnte dies den Lebenswert von Städten deutlich erhöhen. Schlussfolgerung Die drei durchgeführten Studien zeigen, dass unterschiedlichste Erhebungsmethoden auch beim Ansatz des Experience Sampling anwendbar sind und unterschiedliche objektive und subjektive Daten gleichzeitig erfasst und visualisiert werden können. Auch wenn die vorgestellten Feldstudien aktuell noch Schwächen bezüglich der Messgenauigkeit und Stichprobengröße haben, zeigen sie den Nutzen solcher Studien für die Anwendung in der Stadtplanung perspektivisch auf. Für Stadtplaner*innen ist es wichtig, emotionales Erleben in Echtzeit in der jeweiligen Situation in städtischer Umgebung zu erfassen. Nur so ist eine optimale Orientierung an den Präferenzen der Bewohner*innen möglich, auf denen insbesondere bei steigenden Einwohnerzahlen der Fokus der Stadtplanung liegen sollte. Wie genau können die Studien und die daraus resultierenden Karten nun im stadtplanerischen Kontext Anwendung finden? Zum einen können aus ihnen HotSpots identifiziert werden. Negativ empfundene Orte können so erkannt und entsprechend verbessert werden. Sowohl aus negativen wie auch aus positiven HotSpots können zudem Einflussfaktoren auf das Erleben von Bewohner*innen abgeleitet werden, die einen Ort als angenehm oder unangenehm wirken lassen. Denn durch die verknüpfte Erfassung ist es unter anderem möglich, bauliche Einflussfaktoren zu identifizieren und mit subjektivem Erleben kombiniert zu erfassen. Auch jahreszeitliche Abhän- Bild 5: Mittelwerte der einzelnen Streckenabschnitte für emotionales Erleben und Stress. Die Skala reichte von eins bis fünf. © HFT Stuttgart THEMA Gesund und sicher mobil 61 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES gigkeiten können über die Methodik erkannt werden. All diese Informationen können für zukünftige Planung verwendet werden, etwa wenn es um das Anlegen von Parks als Ruhezone geht oder - betrachtet man Radfahrer*innen - wenn die Trennung von motorisiertem und nicht motorisiertem Verkehr im Fokus steht. Aber auch bei der Einhaltung von Richtlinien, wie die der Weltgesundheitsorganisation, geben die visualisierten Daten schnell einen Überblick über die Ist-Situation und Stellschrauben zur Soll-Situation. Im nächsten Schritt sollten die verwendeten Studienansätze und Messinstrumente weiterentwickelt werden, um die Messgenauigkeit und Aussagekraft der Studie für die Anwendung weiter zu erhöhen. Die drei Bereiche Stadtplanung, Psychologie und Geoinformatik sollten hierbei zusammenarbeiten, um die Beziehung zwischen Raum und Mensch positiv zu gestalten. Zu diesem Zweck sind weitere Studien möglich, in denen spezifischere Zielgruppen, weitere Visualisierungsmöglichkeiten und die Verknüpfung mehrerer Daten fokussiert werden können. Schwerpunkt sollte weiterhin das emotionale Erleben der Bewohner*innen sein, da dies ein Wegweiser zu lebenswerten Städten ist. Neben einem allgemein erhöhten Lebenswert könnte im Idealfall auch die Verkehrssituation innerhalb der Stadt verbessert und somit dem täglichen Warten im Stau ein Ende bereitet werden. Danksagung Die hier vorgestellten Ergebnisse stammen zum Teil aus dem Projekt „i_city: Intelligente Stadt“, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Förderkennzeichen 13FH9I01lA gefördert und vom Projektträger VDI Technologiezentrum GmbH für das BMBF betreut wird. Wir danken Daimler TSS für die Bereitstellung der in der dritten Studie verwendeten Pedelecs inklusive Messtechnik. Bild 6: Darstellung der Pedelec-Daten sowie der physiologischen Maße an einem bestimmten Standort der E-Bike-Fahrerin. © HFT Stuttgart LITERATUR: [1] Statistisches Landesamt Baden-Württemberg. (30. August 2018). Baden-Württemberg: Einwohnerzahl ist 2017 um 71 500 angestiegen. [Pressemeldung]. Zugriff am 07.10.2018. Verfügbar unter https: / / www.statistik-bw.de/ Presse/ Pressemitteilungen/ 2018197#ftnr-ref1 [2] Statistisches Landesamt Baden-Württemberg. (2018). Bruttoinlandsprodukt und Bruttowertschöpfung. Zugriff am 08.10.2018. Verfügbar unter https: / / www.statistik-bw.de/ GesamtwBranchen/ VGR / LRt- BWSjewPreise.jsp [3] INRIX Research (Hrsg.) (2018): INRIX Global Traffic Scorecard. Zugriff am 07.10.2018. Verfügbar unter http: / / inrix.com/ scorecard/ [4] United Nations (2018). World Urbanization Prospects: The 2018 Revision, Key Facts. 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Wissenschaftlicher Mitarbeiter Zentrum f. nachhaltiges Wirtschaften und Management Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: jan.silberer@hft-stuttgart.de Prof. Dr. Thomas Bäumer Professor für Wirtschaftspsychologie Zentrum f. nachhaltiges Wirtschaften und Management Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: thomas.baeumer@hft-stuttgart.de AUTOR I NNEN Thunyathep Santhanavanich, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Zentrum für Geodäsie und Geoinformatik Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: thunyathep.santhanavanich@hft-stuttgart.de Prof. Dr. Patrick Müller Professor für Wirtschaftspsychologie Zentrum f. nachhaltiges Wirtschaften und Management Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: patrick.mueller@hft-stuttgart.de Dipl. Betriebsw. (FH) Susanne Moulin Wissenschaftliche Mitarbeiterin Zentrum f. nachhaltiges Wirtschaften und Management Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: susanne.moulin@hft-stuttgart.de Prof. Dr. Volker Coors Professor für Geoinformatik Zentrum für Geodäsie und Geoinformatik Hochschule für Technik Stuttgart Kontakt: volker.coors@hft-stuttgart.de [6] Zeile, P., Höffken, S., Papastefanou, G.: Mapping People? The measurement of physiological data in city areas and the potential benefit for urban planning. In Schrenk, M., Popovich, V. V., Engelke, D., Elisei, P. (Hrsg.): Real Corp 2009: Smart, Sustainable, Integrative. Strategies, concepts and technologies for planning the urban future (2009), S. 341-225. [7] Fahrenberg, J., Myrtek, M., Pawlik, K., Perrez, M.: Ambulantes Assessment - Verhalten im Alltagskontext erfassen. Psychologische Rundschau, 58, 1 (2007), S.12-23. https: / / doi.org/ 10.1026/ 0033-3042.58.1.12 [8] Trull, T. J., Ebner-Priemer, U.: Ambulatory assessment. 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ISPRS Annals of Photogrammetry Remote Sensing and Spatial Information Sciences, XLII-4/ W11, (2018) S. 19-26. https: / / doi. org/ 10.5194/ isprs-archives-XLII-4-W11-19-2018 [13] Santhanavanich, T.: Visualization and Analysis of E-bike Usage in 3D City Model by Integration of Heterogeneous Sensor Data. Hochschule für Technik Stuttgart, (2018). Masterarbeit. Zugriff am 10.10.2018. https: / / www.coors-online.de/ wp-content/ uploads/ 2018/ 03/ Joe Thunyathep_MasterThesis_Final.pdf LINKS: • https: / / www.hft-stuttgart.de/ Forschung/ i_city/ • https: / / www.movisens.com/ de/ • http: / / www.opensourcesoundscapes.org/ hush-city/ • https: / / youtu.be/ gEVmtgKRkPY
