Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0095
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Vom Stecker zur Spule
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Wolfgang Schade
Christian Scherf
Die Ladeinfrastruktur gilt als Schlüssel zum Erfolg der Elektromobilität. Um das kabellose oder induktive Laden ist es in jüngster Zeit jedoch ruhiger geworden. Zu leistungsarm, zu verlustreich, zu teuer und zu wenig standardisiert – so lauten die gängigen Kritiken. Dabei passt induktives Laden ideal ins Stadtbild von morgen. Vorteile liegen nicht nur im Komfort, sondern auch in der Eignung für autonomes Fahren und als urbane Infrastruktur. Die langsamere Entwicklung gegenüber leitungsgebundenen Lösungen ist eine Chance zu rechtzeitigem Handeln.
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THEMA Gesund und sicher mobil 63 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES Noch vor wenigen Jahren schienen sich viele Fachleute der Elektromobilität einig, dass die Induktion herkömmliches Laden per Kabel bald ablöst. Allzu umständlich sind Kabel und Stecker, vor allem im öffentlichen Raum bei Nässe und Kälte. So wie einst das schnurlose Telefon zur Normalität wurde, glaubten viele, werde auch das induktive Laden den Standard in der E-Mobilität setzen. Doch der Wandel blieb bislang aus. Noch immer sind E-Fahrzeuge mit Säulen und Kabeln verbunden, die über Bürgersteigen liegen und anfällig für Vandalismus sind. Ist das smart? Im Folgenden möchten wir die Hauptargumente für und gegen das induktive Laden kurz zusammenfassen, aktuelle Anwendungen aufzeigen und drei Thesen zur Diskussion stellen. Vom Stecker zur Spule Drei Thesen zur Zukunft des induktiven Ladens Elektromobilität, Ladeinfrastruktur, Induktion, Innovation, autonomes Fahren Wolfgang Schade, Christian Scherf Die Ladeinfrastruktur gilt als Schlüssel zum Erfolg der Elektromobilität. Um das kabellose oder induktive Laden ist es in jüngster Zeit jedoch ruhiger geworden. Zu leistungsarm, zu verlustreich, zu teuer und zu wenig standardisiert - so lauten die gängigen Kritiken. Dabei passt induktives Laden ideal ins Stadtbild von morgen. Vorteile liegen nicht nur im Komfort, sondern auch in der Eignung für autonomes Fahren und als urbane Infrastruktur. Die langsamere Entwicklung gegenüber leitungsgebundenen Lösungen ist eine Chance zu rechtzeitigem Handeln. Elektromagnetische Induktion in der Elektromobilität Induktion im Kontext der Elektromobilität meint das berührungslose Aufladen des Fahrzeuges durch eine auf dem Boden liegende bzw. eingelassene Ladeplatte mit Primärspule und eine im Fahrzeug befindliche Sekundärspule. Das Induktionsprinzip ist seit Langem bekannt und findet bei vielen elektrischen Alltagsgeräten vom Smartphone bis zur Zahnbürste Verwendung. Im Industriebereich ist die Induktion auch für Fahrzeuge, etwa für elektrische Transportwagen, eine gängige Ladetechnik. Der Verschleiß ist gering. Die Spulen sind flach verbaut und benötigen kaum zusätzlichen Raum. Die Pro-Argumente beziehen sich daher zumeist BMW 530e iPerformance. Plug-in-Hybrid. © BMW 64 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher mobil auf den Komfortgewinn: Es sind keine losen Kabel und daher auch keine freiliegenden Steckdosen erforderlich. Die Nutzer*innen brauchen außer der korrekten Platzierung des Fahrzeuges über der Primärspule nichts zu tun - und auch das wird automatisiert. Für das Laden moderner E-Fahrzeuge sind allerdings höhere Leistungen und Sicherheiten als bei herkömmlichen Anwendungen notwendig. Die Contra-Argumente beziehen sich meist auf technische Grenzen: Gegenüber kabelgebundenem Laden sind die Energieverluste höher. Die Fortschritte der Induktion können mit dem Trend zu zeitsparendem Schnellladen (noch) nicht mithalten. Aufladungen auf 80 % Akkustand in 20 Minuten, wie sie moderne Schnellladestationen erlauben, sind per Induktion aktuell kaum praktikabel. Während bei kabelgebundenen Schnellladestationen Ladeleistungen bis zu 350 kW diskutiert werden, liegen die angedachten Leistungsklassen für das induktive Laden von PKW bei bis zu 22 kW ([1] S. 31). Bei größeren Fahrzeugen wie zum Beispiel Omnibussen sind hingegen höhere Ladeleistungen möglich. Der Maßstab für die Induktion ist aber nicht die Schnellladung für Langstrecken, sondern das gemächliche Laden über Nacht oder wiederholte Teilladungen in enger zeitlicher Taktung. Erste Anwendungen bei Premium-PKW und ÖPNV-Bussen Ein Beispiel für die erste Anwendung ist die Sonderausstattung, die BMW seit diesem Jahr für die Plug-in-Limousine BMW 530e iPerformance zum Leasing anbietet. Die Ladeplatte mit Primärspule (GroundPad) kann daheim - vorzugsweise in privaten Garagen, aber auch auf eigenen Freiflächen - platziert werden. So soll die Batterie des Plug-in mit einer elektrischen Reichweite von bis zu 50 km in etwa dreieinhalb Stunden vollgeladen werden. Der Wirkungsgrad wird mit 85 % angegeben. Beim kabelgebundenen Laden werden heute etwa 92 % erreicht [2]. Die Positionierung des BMW über der Induktionsfläche ist in die kameragestützte Einparkhilfe integriert. Der Ladevorgang startet bei Deaktivierung des Antriebes automatisch. Gelangen Fremdkörper zwischen GroundPad und Auto stoppt der Vorgang. Der Preis für die stationäre Ladeplatte mit Primärspule liegt bei rund 2000 EUR, jener der Sekundärspule im Auto bei etwa 750 EUR netto [2]. Die zweite Anwendung ist die Induktion bei Nahverkehrsbussen, die unter anderem in Berlin getestet wird. Die Busse des Typs Urbino 12 electric des Herstellers Solaris laden an den beiden Endhaltestellen einer etwa 6 km langen Buslinie durch das Primove-Ladesystem von Bombardier mit einer Ladeleistung von 200 kW. Die E-Busse laden im Schnitt vier bis sieben Minuten lang mehrmals täglich in den Betriebspausen an den Endhalten. Das Projektkonsortium gibt eine Effizienz von über 90 % an ([3] S.-4). Beide Beispiele - die Langzeitladung als Zubehör für Premium-PKW und die häufige Kurzzeitladung im ÖPNV - sind mögliche Einstiege zu weitergehenden Anwendungen. Da die Induktion für E-Fahrzeuge noch keinen anerkannten internationalen Standard hat, ist die Verbreitung in beiden Fällen noch eingeschränkt. Mehrere Gründe sprechen trotzdem für die Berücksichtigung in der Stadt- und Verkehrsplanung, aus der sich folgende Thesen formulieren lassen: These 1: Induktives Laden ist besonders routinefähig. Der Erfolg digitaler Anwendungen wie Suchmaschinen und Smartphone-Apps zeigt, dass Produkte dann erfolgreich sind, wenn sie eine „Nutzung ohne Nachdenken“ ermöglichen und ihr Mehrwert unmittelbar überzeugt. Der Reiz intuitiv funktionierender Anwendungen, die praktisch sofort zur unbewussten Alltagsroutine werden, ist kaum zu überschätzen. Wer schaut heute noch ins Adressbuch, wenn er eine Telefonnummer sucht? Wer geht ins Reisebüro, wenn er eine Zugreise buchen möchte? Digitale Suchfilter und Assistenten sind allgegenwärtig geworden. Den Menschen wird Arbeit abgenommen. Es sind Handlungserleichterung und Komplexitätsreduktion, die Innovationen erst ein gesellschaftliches Gewicht verleihen. Was bislang vor allem bei Information und Kommunikation funktioniert, wird zukünftig für alle Dienstleistungen zum entscheidenden Faktor: Alles, was zusätzliches Nachdenken erfordert und nicht sofort zur Routine wird, findet die Mehrheit nicht akzeptabel. Das induktive Laden erfüllt diese hohen Anforderungen. Schon heute braucht der Anwender nichts weiter zu tun, als das Fahrzeug möglichst exakt über die Ladeplatte zu fahren. Dabei helfen Assistenzsysteme. Bald schon könnte gar kein manueller Eingriff mehr nötig sein. Das Laden von E-Fahrzeugen wird in vorhandene Handlungsroutinen integriert. These 2: Induktives Laden und autonomes Fahren ergänzen sich. Neben der Elektromobilität ist das autonome Fahren ein weiterer Megatrend der Mobilität. Induktives Laden passt hierzu besonders gut, da es sich leichter automatisieren lässt, als die manuelle Anbindung per Stecker. Es ist schwer vorstellbar, dass fahrerlose Fahrzeuge in Zukunft noch manuell verkabelt werden. Auch die Automatisierung THEMA Gesund und sicher mobil 65 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES über Roboterarme - das sogenannte Hands-Free- Charging - ist weniger flexibel, bedarf ebenfalls hoher Standardisierung und wäre höchstens eine Zwischenlösung. Mechanische Elemente scheinen im Zweifel wartungsintensiver und störanfälliger als rein elektronische Lösungen. Bei induktivem Laden könnten die autonomen Fahrzeuge nicht nur fahrerlos exakt über den Ladeflächen parken, sondern auch selbstständig umparken, wenn sie geladen sind. Auch das Aufladen während der Fahrt (dynamische Induktion) wurde bereits auf einer Teststrecke in Versailles bei Paris erfolgreich erprobt [4]. Das automatische Nachladen während der Fahrt kommt aufgrund der Kosten nur auf Teilstrecken in Frage. In jedem Fall wird das Laden aber Teil der vorhandenen Infrastruktur. These 3: Die Langsamkeit induktiven Ladens ist seine Stärke. Was bleibt, ist die Kritik an geringen Ladeleistungen, Energieverlusten sowie langsamer Durchsetzung aufgrund hoher Kosten und fehlender Standards. Diese Kritikpunkte sind sachlich richtig, greifen aber zu kurz, denn eigentlich sind sie Chancen. Gerade weil die Massentauglichkeit und Bezahlbarkeit erst in einigen Jahren erwartet wird, bleibt Zeit zur Anpassung urbaner Infrastrukturen. Damit sollte aber heute begonnen werden, um die für Ladeinfrastruktur zusätzlich benötigten Stadtflächen zu minimieren. Die Infrastrukturen des Verkehrs werden langfristig geplant: Straßen, Plätze, Brücken und sonstige Verkehrsbauten sind zumeist viele Jahrzehnte in Betrieb. Wenn Straßenbeläge und Parkplätze bereits heute auf induktive Ladetechnik ausgelegt werden, kann verhindert werden, dass ein neues „Henne-Ei-Problem“ entsteht - die gegenseitige Hemmung zwischen geringer Flottengröße und unpassender Ladeinfrastruktur. Auch die Langsamkeit beim Laden selbst ist nur dann ein Nachteil, wenn die Performance mit Verbrennungsautos verglichen wird. Herkömmliche PKW sind für Langstrecken von mehreren hundert Kilometern mit seltenem Nachtanken ausgelegt. Solche „australischen Anforderungen“ sind in Metropolen und Ballungsräumen kaum gegeben. Hier überwiegen kurze und mittlere Distanzen mit häufigen Zwischenstopps sowie Stop-and-go-Verkehr. Diese Nutzungsweisen schaffen unzählige Möglichkeiten für induktives Laden zwischendurch: Auf stark frequentierten Hauptstraßen, an Ampeln oder in Parkhäusern. Durch häufiges Nachladen können die Batterien kleiner und leichter sein. Auch für die Lebensdauer der Batterien sind mittlere Ladestände und langsames Laden förderlich. Der Wunsch nach schnellem Laden geht zu sehr vom Privatauto aus, das durchgehend von denselben Personen genutzt wird. Die Zeichen der Verkehrswende deuten aber darauf hin, dass Mobilität in Zukunft multi- und intermodaler ist als heute, das heißt, Menschen werden mal dieses und mal jenes Fahrzeug wählen. Ausleihen, Abstellen und Weiterfahren mit wechselnden Fahrzeugen wird zum Normalfall. Wer sich so fortbewegt, macht seine Ziele nicht von Steckerarten und Säulenstandorten abhängig. QUELLEN [1] DKE, BDEW, ZVEI, ZVEH (Hrsg.): Der Technische Leitfaden Ladeinfrastruktur Elektromobilität. Version 2, Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik in DIN und VDE, 2016. Online unter: https: / / www.dke.de/ de/ themen/ mobility/ praxisnaher-leitfaden-ladeinfrastruktur-fuer-elektromobilitaet (letzter Zugriff am 24. Oktober 2018). [2] Soller, G.: Erster! BMW startet induktives Laden, in: Vision Mobility. Onlineartikel vom 28. Mai 2018. Online unter: https: / / www.vision-mobility.de/ de/ news/ erster-bmw-startet-induktives-laden-1656.html (letzter Zugriff am 24. Oktober 2018). [3] BVG, BMVI, Senatsverwaltung Berlin, Solaris, TU Berlin, Vossloh Kiepe: Vier grüne Gelbe für die Hauptstadt - Solaris Elektrobusse für die Linie 204 in Berlin vorgestellt. Pressemitteilung vom 1. Juli 2015. Online unter: https: / / www.stadtentwicklung.berlin.de/ aktuell/ pressebox/ includes/ docs/ doc598_150701pm_ ebus_fahrzeugvorstellung.pdf (letzter Zugriff am 24. Oktober 2018). [4] Köllner, C.: Qualcomm erprobt dynamisches Induktiv- Laden, in: Springer Professional. Onlineartikel vom 22. Mai 2017. Online unter: https: / / www.springerprofessional.de/ ladeinfrastruktur/ elektrofahrzeuge/ qualcommerprobtdynamisches-induk tiv-laden/ 12302026 (letzter Zugriff am 24. Oktober 2018). Dr. Wolfgang Schade Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics Kontakt: wolfgang.schade@m-five.de Dr. Christian Scherf Wissenschaftlicher Mitarbeiter M-Five GmbH Mobility, Futures, Innovation, Economics Kontakt: christian.scherf@m-five.de AUTOREN