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Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2018-0099
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Sichere Trinkwasserversorgung

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2018
Christian Hähnlein
Ulrich Roth
Eine zuverlässige Wasserversorgung ist nicht nur Voraussetzung für eine hohe Lebensqualität, wie sie in Deutschland selbstverständlich ist, sondern auch für eine stabile Wirtschaft. Die Versorgungsinfrastruktur in West- und Mitteleuropa ist generell vorbildlich organisiert. Unter den günstigen klimatischen Bedingungen reichen die Wasserressourcen im Regelfall für die Versorgung aus. Allerdings benötigen fast alle großen Städte Zulieferungen aus ihrem Umland. Im trockenen Sommer 2018 zeigten sich die Kapazitätsgrenzen von Anlagen zur Wassergewinnung und -verteilung. Es wurde deutlich, dass Optimierungsbedarf besteht – oft wurden bestehende Optimierungsplanungen bestätigt, zum Beispiel zum Aufbau von Reservekapazitäten und Redundanzen.
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78 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Bild 1: Historischer Trinkwasserbrunnen (Quellwasser), Bad Ems 1839. © Roth Sichere Trinkwasserversorgung Aktuelle Aspekte der Versorgungssicherheit am Beispiel der Rhein-Main-Region Trinkwasserversorgung, Versorgungsinfrastruktur, Versorgungsnetze, Versorgungssicherheit, Wasserbedarf, Klimawandel Christian Hähnlein, Ulrich Roth Eine zuverlässige Wasserversorgung ist nicht nur Voraussetzung für eine hohe Lebensqualität, wie sie in Deutschland selbstverständlich ist, sondern auch für eine stabile Wirtschaft. Die Versorgungsinfrastruktur in West- und Mitteleuropa ist generell vorbildlich organisiert. Unter den günstigen klimatischen Bedingungen reichen die Wasserressourcen im Regelfall für die Versorgung aus. Allerdings benötigen fast alle großen Städte Zulieferungen aus ihrem Umland. Im trockenen Sommer 2018 zeigten sich die Kapazitätsgrenzen von Anlagen zur Wassergewinnung und -verteilung. Es wurde deutlich, dass Optimierungsbedarf besteht - oft wurden bestehende Optimierungsplanungen bestätigt, zum Beispiel zum Aufbau von Reservekapazitäten und Redundanzen. Verbraucher in Deutschland sind daran gewöhnt, dass die Versorgung mit einwandfreiem Trinkwasser zu jeder Tageszeit gewährleistet ist. Die Wasserkrisen in Kapstadt und anderen Megacities schienen weit entfernt, bis uns der Sommer 2018 wieder vor Augen geführt hat, dass auch unsere Wasserversorgung bei außergewöhnlichen Witterungsereignissen an ihre Grenzen kommen kann. Dabei ist eine sichere Wasserversorgung Voraussetzung nicht nur für eine hohe Lebensqualität sondern auch für eine stabile Wirtschaft. Die demografische Entwicklung und die sich ändernden klimatischen Randbedingungen führen zu neuen Herausforderungen bei der Sicherstellung der Trinkwasserversorgung. Auch Änderungen der rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen für den Betrieb der Gewinnungsanlagen und Verteilungsnetze können Erschwernisse verursachen. Eine sichere Trinkwasserversorgung setzt auch voraus, dass die Stromversorgung für Pumpen und Aufbereitungsanlagen sowie Mess- und Regeltechnik jederzeit zuverlässig gewährleistet ist. Dabei sind in Bezug auf die „Sichere Trinkwasserversorgung“ grundsätzlich verschiedene Aspekte zu unterscheiden:  Aus technischer, betrieblicher und wasserwirtschaftlicher Sicht die Sicherstellung der Wasserversorgung im Hinblick auf Menge, Qualität und Druck (zum Beispiel [1]),  In Bezug auf die Sicherheit kritischer Infrastruktursysteme das Risiko- und Krisenmanagement im Hinblick auf die Bedrohungen durch Katastrophen und äußere Einflüsse (zum Beispiel [2, 3]). Hierfür werden Maßnahmenpläne erstellt, beispielsweise für die Situation bei extremem Hochwasser oder für den Schutz vor Sabotageakten oder Terrorangriffen. 79 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Der Artikel enthält einen Überblick über die Einflussfaktoren für eine sichere Trinkwasserversorgung aus technisch/ wasserwirtschaftlicher Sicht am Beispiel der Rhein-Main-Region. Schwerpunkt ist die Analyse von Schwachstellen im Versorgungssystem, wie sie im heißen und trockenen Sommer 2018 deutlich wurden. Abschließend werden Optimierungsansätze aufgeführt, die geeignet sind, die gewohnt hohe Sicherheit der Trinkwasserversorgung auch in Zukunft zu gewährleisten. Rechtliche und organisatorische Grundlagen Die öffentliche Wasserversorgung ist in Deutschland eine Pflichtaufgabe der Kommunen im Rahmen der Daseinsvorsorge (vgl. Grundgesetz, Artikel 28). Im Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und in den Landeswassergesetzen ist unter anderem geregelt, dass die ortsnahe Wassergewinnung Vorrang vor dem Wasserbezug von außerhalb hat. Dieser ist jedoch zulässig, wenn es erforderlich oder sinnvoll ist. Mit diesen Regelungen wird den natürlichen Gegebenheiten, darunter vor allem den physikalischen und hygienischen Eigenschaften des Wassers, Rechnung getragen. Wasser-Ressourcen und -Infrastruktur sind ein natürliches Monopol der Kommunen. Der überwiegende Teil der Wasserversorgungsunternehmen (WVU) in Deutschland ist kommunal bzw. in kommunaler Trägerschaft, auch wenn - vor allem in größeren Städten - oft eine private Rechtsform wie GmbH oder AG besteht. Für die interkommunale Zusammenarbeit werden in der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung meist Verbände gegründet, daneben auch privatrechtlich organisierte Unternehmen. Struktur der Wasserversorgung in der Rhein-Main-Region Ausgehend von der Notwendigkeit, die Städte und Gemeinden mit ausreichenden Mengen hygienisch einwandfreien Wassers zu versorgen, hat sich in der Rhein-Main-Region schon seit Anfang der 1870er Jahre ein Verbundsystem entwickelt, über das die wesentlichen Wasserlieferungen aus den Dargebotsgebieten mit den großen Wasservorkommen in die Bedarfsgebiete erfolgen, in denen die Menschen leben und arbeiten. Fast alle Kommunen in der Rhein-Main-Region sind heute an dieses System angeschlossen. Dabei kommen für das Zusammenwirken zwischen Eigengewinnung und Fremdbezug alle denkbaren Varianten vor: Es gibt Kommunen, die sich vollständig aus Eigengewinnung versorgen. Andere werden vollständig aus dem Verbund versorgt. In vielen Kommunen und Ortsteilen gibt es eine Kombination aus Eigengewinnung und Fremdbezug. Dabei sind neben technischen auch qualitative Gesichtspunkte relevant. Die wichtigsten Teile des regionalen Verbundsystems sind [1, 4]:  die Riedleitung, über die seit 1964 Wasser aus dem Hessischen Ried in die Räume Frankfurt am Main und Wiesbaden transportiert wird,  die Vogelsberg-Leitungen, über die seit 1911 Wasser aus dem westlichen Vogelsberg in den Raum Frankfurt transportiert wird,  die Kinzig-Leitung, über die seit 1873 Wasser aus Vogelsberg, Spessart und Kinzigtal in den Raum Frankfurt transportiert wird,  die Leitungen im Rheingau-Taunus-Kreis, über die seit Mitte der 1970er Jahre Wasser aus dem Hessischen Ried von Wiesbaden in den Rheingau und den Untertaunus transportiert wird. Die zentralen Teile des Verbundsystems, über die das Trinkwasser für rund zwei Millionen Menschen im Ballungsraum Rhein-Main bereitgestellt wird, werden von der Hessenwasser GmbH & Co. KG betrieben, einem Gemeinschaftsunternehmen der kommunalen WVU von Darmstadt, Frankfurt und Wiesbaden und des Landkreises Groß-Gerau. Die Trinkwasserabgabe der Hessenwasser lag um 2010 bei rund 100 Millionen Kubikmetern jährlich [5] und hat zuletzt auf rund 107 Mio. m³ (2017) zugenommen [6]. Rund 64 % des Trinkwassers wurden 2017 in eigenen Wasserwerken gewonnen. Rund 36 % stammten von Vorlieferanten, vor allem der Oberhessischen Versorgungsbetriebe AG (OVAG, Friedberg (Hessen)), dem Wasserbeschaffungsverband Riedgruppe Ost (Einhausen) und dem Wasserverband Kinzig (Wächtersbach). Hessenwasser beliefert Wasserversorgungsunternehmen (meist Stadtbzw. Gemeindewerke, die die örtliche Wasserversorgung betreiben) und Wasserverbände, die ihrerseits Ihre Mitgliedskommunen beliefern. Die größten Abnehmer sind die Bild 2: Redundante Pumpensätze in einem modernen Wasserwerk. © Roth 80 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben kommunalen WVU in den Großstädten, also die Mainova AG in Frankfurt, die ESWE AG in Wiesbaden und die entega AG in Darmstadt. Bedeutung der ortsnahen Wassergewinnung Die ortsnahe Wassergewinnung bildet generell die historisch gewachsene Grundlage der Wasserversorgung in den Städten und Gemeinden. Allerdings besteht heute in vielen Kommunen ein Missverhältnis zwischen der Einwohnerzahl und somit dem Wasserbedarf und den Möglichkeiten, einwandfreies Trinkwasser in ausreichender Menge zu gewinnen. Viele Städte und Gemeinden sind deshalb auf Zulieferungen aus dem Verbund angewiesen. Aspekte für die gewinnbaren Wassermengen sind die natürlichen topographischen und hydrogeologischen Gegebenheiten, die Gemarkungsfläche, die Bevölkerungsdichte sowie die Grundwassergefährdung durch die Flächennutzung mit ihrem Einfluss auf die Wasserqualität. In den Großstädten mit ihrer intensiven Flächennutzung wurden die Wasserwerke meist an den Stadtrand verdrängt. In den Mittelgebirgen beschränken die Untergrundverhältnisse die Grundwasserneubildung und damit die Möglichkeiten zur Wassergewinnung. Deshalb sind praktisch alle Städte und Gemeinden im Taunus - vor allem die Städte im Nahbereich von Frankfurt und Wiesbaden - auf Zulieferungen aus dem Verbund angewiesen. Vor allem oberflächennahe Gewinnungsanlagen wie Quellen, Schürfungen und flache Stollen erweisen sich bei längerer Trockenheit als unzuverlässig. Gerade dann, wenn bei heißem Sommerwetter der Wasserbedarf ansteigt, geht das Dargebot dieser ortsnahen Gewinnungsanlagen zurück. Die betroffenen Kommunen sind dann verstärkt auf Zulieferungen aus dem Verbund angewiesen. Auftreten von Spitzenlastereignissen und Wassernotständen Ausgeprägte Trockenjahre mit hohem Spitzenwasserbedarf treten in Deutschland statistisch nur etwa alle 10 bis 15 Jahre auf. Beispiele für solche Jahre sind in der Rhein-Main-Region 1976, 1990, 1991, 2003 und 2018. In manchen Jahren - zum Beispiel 2015 - gibt es kurze Hitzeperioden mit entsprechend hohem Wasserbedarf. Abfolgen mehrerer Trockenjahre werden als Trockenperiode bezeichnet. Wassernotstände treten im Rhein-Main-Raum heute im Wesentlichen in Gemeinden oder Ortsteilen auf, die nicht an den Verbund angeschlossen sind. Dies sind vor allem Ortschaften, die ausschließlich oder überwiegend aus Quellfassungen versorgt werden oder aus ähnlichen Gewinnungsanlagen, die unmittelbar vom Niederschlag abhängig sind. Wenn im Sommer der Wasserbedarf steigt und zugleich die Schüttung der Gewinnungsanlage sinkt, reicht das Wasser nicht mehr für die Versorgung aus. Erforderlich wird eine Notversorgung zum Beispiel mit Tankwagen. Hiervon betroffen sind vor allem Gemeinden im Taunus, im Odenwald und im Spessart. Für die Lösung dieses Problems gibt es zwei Hindernisse. Das eine ist die Frage, ob es möglich und sinnvoll ist, ein mehr oder weniger abgelegenes Dorf über eine relativ lange Leitung an den Verbund anzuschließen. Das andere ist die oft negative Einstellung der Bevölkerung zu einem Wasserbezug - und sei es auch nur aus der Nachbarkommune. Man schätzt die Qualität des eigenen Quellwassers, auch wenn die Realität eine andere ist. Man lehnt also den Anschluss an den Verbund ab - und steht im nächsten Trockenjahr vor dem gleichen Problem. Höhe des Spitzenwasserbedarfs und technische Auslegung der Versorgungssysteme Für die Höhe des Spitzenwasserbedarfs im Vergleich zum mittleren Wasserbedarf gibt es eine große Zahl von Erfahrungswerten, die im DVGW-Arbeitsblatt W- 410 zusammengefasst sind [7]. Für einzelne Versorgungsunternehmen liegen detaillierte Untersuchungen vor (zum Beispiel [8]). Die Höhe des Spitzenwasserbedarfs ist abhängig von der Einwohnerzahl der Kommune bzw. des angeschlossenen Versorgungsgebietes. Zudem ist er umso höher, je kürzer der Betrachtungszeitraum ist - die höchsten Bedarfsspitzen treten in der Pause von wichtigen Fußballspielen auf, die im Fernsehen übertragen werden. Die WVU müssen solche Bedarfssituationen zuverlässig abdecken und in ihre Planungen einbeziehen. Für die Versorgungssicherheit im Sinne dieses Artikels ist vor allem der Tagesspitzenwasserbedarf relevant. Der maßgebliche Faktor f d steht für das Verhältnis zwischen höchstem und mittlerem Tagesbedarf. Nach dem DVGW-Arbeitsblatt W 410 liegt er in Dörfern und Kleinstädten bei 2,0 und darüber. In Großstädten liegt er bei etwa 1,5 und darunter. Für Frankfurt am Main ist beispielsweise ein Faktor f d = 1,45 dokumentiert [8]. Die damit errechneten Bedarfszahlen sind maßgeblich für die Auslegung der Wassergewinnungs-, Aufbereitungs- und Verteilungsanlagen bis zu den Wasserbehältern. Der Jahresbedarf liegt in einem Trockenjahr mit ausgeprägtem Spitzenwasserbedarf um etwa 5 % höher als in einem Normaljahr [1]. Dieser Bedarf ist maßgeblich für die Ressourcen-Bewirtschaftung. 81 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Die Verteilungsnetze in den Kommunen werden nach dem maximalen Stundenbedarf ausgelegt. Der Faktor für dessen Berechnung aus dem mittleren Stundenbedarf f h liegt abhängig von der Einwohnerzahl zwischen etwa 5,5 in Dörfern und etwa 2,0 in Großstädten. Die Löschwasserversorgung ist gesondert zu betrachten und kann in kleinen Versorgungsgebieten maßgeblich für die Bemessung sein. Ein wichtiger Aspekt für die sichere Funktion der regionalen Wasserversorgung ist das koordinierte Zusammenspiel zwischen Eigengewinnung und Fremdbezug. Dabei sollte der Spitzenwasserbedarf bevorzugt aus ortsnahen Wasserwerken gedeckt werden. Verbundsysteme sind aufgrund der längeren Transportwege eher für die Lieferung von Grundlast - also gleichmäßige Wassermengen - geeignet. Dieser Grundsatz ist jedoch aufgrund der Situation in den Städten und Gemeinden nicht immer durchzuhalten, so dass der Verbund oft auch für die Abdeckung der Spitzenlast genutzt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass einige Kommunen versuchen, ihre Wassergewinnung zu optimieren, indem sie die örtlichen Wasserwerke mit möglichst hohen Fördermengen für die Grundlastabdeckung nutzen. Im Verbund entstehen dadurch Lastspitzen, die den Betrieb erschweren und verteuern, teils sogar gefährden. Eine relevante Randbedingung für die Auslegung der Anlagenteile ist die Nutzungsdauer. Diese liegt aus steuerlicher bzw. ökonomischer Sicht meist zwischen etwa 20 und 50 Jahren und kann in der Realität 100 Jahre überschreiten. Maßgeblich für die allgemeine Bedarfsentwicklung ist vor allem die Bevölkerungsentwicklung. Dabei müssen alle Anlagenteile - unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit - für die gesamte Nutzungsdauer groß genug dimensioniert sein. Werden sie zu klein dimensioniert, funktionieren sie nicht. Werden sie jedoch zu groß ausgelegt, kann es schon bei mittlerem Bedarf zu erhöhten Verweilzeiten des Trinkwassers im Netz kommen - man spricht von Stagnation. Diese kann Verkeimungen sowie die Bildung von Korrosionsprodukten verursachen und somit die Trinkwasserqualität gefährden. Um jederzeit eine hohe Sicherheit zu gewährleisten, sollen systemrelevante Anlagen möglichst redundant ausgeführt werden (Bild 2). Problematisch für den Betrieb von Verteilungsnetzen sind Regenwassernutzungsanlagen. Wenn es ausreichend regnet, reduzieren diese den mittleren Bedarf im betreffenden Wohngebiet. Nach etwa zwei bis drei Wochen Trockenheit fallen die Anlagen jedoch aus und werden durch Trinkwasser aus dem Netz ersetzt, im schlimmsten Fall sogar mit Trinkwasser befüllt. Dadurch entstehen extreme Bedarfsspitzen, für die das Netz nicht ausgelegt werden kann. Dem Versorger entstehen zusätzliche Kosten, die die Allgemeinheit belasten. Situation in den Sommern 2015 und 2018 Die Situationsanalyse der WRM [1] wie auch der Regionale Wasserbedarfsnachweis der Hessenwasser [5] weisen für Trockenjahre Bedarfsszenarien aus. Diese gehen vom jeweiligen Bestand aus und decken entsprechend den vorliegenden Bevölkerungsprognosen einen Planungshorizont bis 2030 ab. Die dort dargestellten Zahlenwerte für Trockenjahre haben sich 2018 weitgehend bestätigt. In Einzelfällen wurden sie sogar überschritten. Dies betrifft insbesondere einige Städte im Taunus, deren Eigengewinnung infolge der Trockenheit zurückging, so dass die Zulieferungen aus dem Verbund entsprechend erhöht werden mussten. Bild 3: Trinkwassertagesabgabe der Hessenwasser und maximale Tagestemperatur am Frankfurter Flughafen im Sommerquartal 2015. Daten: Hessenwasser. © Hähnlein 82 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben Für das Ereignis 2018 liegen bisher nur einzelne Zahlenwerte vor. Statistisch belastbare Daten werden erst Anfang 2019 verfügbar sein. Bild 3 zeigt exemplarisch die Verbrauchsentwicklung im Netz der Hessenwasser im Sommer 2015 [9]. Hier trat während der Hitzeperiode Ende Juni/ Anfang Juli ein ausgeprägter Spitzenwasserbedarf ein. Für den 3. Juli 2015 ist ein Maximalbedarf von 409 236 m³/ d dokumentiert. Die Planungen der Hessenwasser sahen für 2015 einen mittleren Bedarf von 272 000- m³/ d und einen Maximalbedarf von rund 409 000- m³/ d vor (vgl. [5]). Dieser Wert wurde durch das Ereignis am 3. Juli 2015 praktisch exakt bestätigt. Am 6. August 2018 - dem ersten Arbeitstag nach den Schulferien - wurde eine noch höhere Tagesabgabe von rund 418 000- m³/ d erreicht [6]. Auch dies entspricht fast exakt dem in den aktuellen Prognosen der Hessenwasser als Planwert für den Bestand ausgewiesenen Zahlenwert von 417 000 m³/ d (vgl. [5]). Ursache für die extreme Bedarfsspitze im Sommer 2018 war neben dem hohen Bedarf in den vollständig versorgten Großstädten Darmstadt, Frankfurt und Wiesbaden vor allem der hohe Bedarf vieler Städte und Gemeinden im Taunus [6]. Bei der anhaltenden Trockenheit ging bei hohem Wasserverbrauch die Leistung vieler örtlicher Gewinnungsanlagen teils deutlich zurück, so dass die betroffenen Kommunen erheblich höhere Zulieferungen benötigten als normalerweise vorgesehen. Zur Deckung der Bedarfsspitzen wurden in vielen Fällen Wassermengen angefordert, die weit über die vertraglich vereinbarten Liefermengen hinausgingen. Die außerordentlich hohen Liefermengen in solchen Situationen stellen eins der Kernprobleme für den Betrieb des Verbundsystems dar. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass viele Kommunen versuchen, ihre Wassergewinnung betriebswirtschaftlich zu optimieren, indem sie in klimatisch normalen Jahren bzw. in der Grundlastsituation einen möglichst großen Teil des Bedarfs über Eigengewinnung decken. Für die durch diese Betriebsweise in Trockenjahren wie 2018 verursachten extremen Bedarfsspitzen im Verbund ist dieser jedoch nicht ausgelegt. So sind beispielsweise Lieferungen aus dem Hessischen Ried in die Räume Frankfurt und Wiesbaden einschließlich der angeschlossenen Kommunen im Taunus durch die Kapazität der Riedleitung beschränkt [1]. Auch Übergabestationen, die Transportleitungen und Pumpen der beteiligten Verbände sowie auch die örtlichen Trinkwasserspeicher sind für eine solche Belastung oft nicht ausgelegt. Optimierungsansätze Die WRM-Situationsanalyse vom Juli 2016 [1] enthält ausgehend von der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2013 und der WRM-Leitungsverbundstudie 2005 [4] einen Maßnahmenkatalog für die Sicherung der Wasserversorgung in der Rhein-Main-Region - vor allem vor dem Hintergrund der allgemeinen Bedarfsentwicklung infolge des Bevölkerungswachstums. Sie umfasst auch Szenarien für Trockenjahre. Mit Umsetzung des Maßnahmenkatalogs ist die Wasserversorgung in der Rhein-Main-Region auch in Zukunft sichergestellt. Die Leitungsverbindungen zwischen Mainz und Wiesbaden (2016) und zwischen dem ZMW (Gießen) und der OVAG (2016) sind Beispiele für die in den letzten Jahren durchgeführten Maßnahmen zur Stärkung des Verbundes. Zwischen dem Verteilerbauwerk in Rüsselsheim-Hassloch und Raunheim wurde am 21. September 2018 der 1. Bauabschnitt der redundanten Riedleitung in Betrieb genommen [6]. Die vollständige Herstellung dieser Leitung hat hohe Priorität. Die teilweise angespannte Versorgungssituation im Sommer 2018 hat vor allem die Notwendigkeit gezeigt, das Zusammenspiel zwischen örtlicher Eigengewinnung und Wasserbezug aus dem Verbund zu optimieren, insbesondere im Hinblick auf die Situation bei Spitzenwasserbedarf. Dies betrifft vor allem einige Kommunen im Taunus, die im Sommer 2018 bei hohem Bedarf und teils rückläufigem Dargebot örtlicher Gewinnungsanlagen erhebliche Mehrmengen aus dem Verbund beziehen mussten. Zu klären ist auch, inwieweit sich die Versorgungssituation in Kommunen, die bisher nicht an den Verbund angeschlossen sind, verbessern lässt. Ein großer Teil der Verbundanlagen wurde in den 1960er und 1970er Jahren errichtet, ist also mittlerweile etwa 50 Jahre alt. Bei hoher Auslastung wie im Sommer 2018 zeigen sich auch die altersbedingten Schwachstellen des Systems. Über die Finanzierung der zur Sicherstellung der Wasserversorgung erforderlichen Maßnahmen über die Wassergebühr bzw. den Wasserpreis ist ein gesellschaftlicher Konsens erforderlich. Das Kostendeckungsprinzip ist in Deutschland gesetzlich verankert. Unter Berücksichtigung der hohen Sicherheit und Qualität der Versorgung sind die Trinkwasserpreise in Deutschland keinesfalls zu hoch. Zum Ausgleich struktureller Erschwernisse, die in Teilbereichen zu erhöhten Kostenbelastungen führen können, sollten auf Landesebene Förderprogramme geprüft werden. Voraussetzung für die Sicherung der Wasserversorgung - vor allem des flächendeckenden Schutzes der Ressource Grund- 83 4 · 2018 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gesund und sicher leben wasser - ist auch ihre Verankerung in der Landesentwicklungsplanung, der Regionalplanung und in der kommunalen Bauleitplanung. Abschließend ist festzustellen, dass sich die Funktionsfähigkeit des Verbundsystems in der Rhein-Main-Region im Sommer 2018 grundsätzlich bestätigt hat. In vielen Fällen hat sich gezeigt, dass die vorliegenden Analysen zutreffen [1]. Die teilweise angespannte Versorgungssituation in einzelnen Kommunen und Verbundanlagen erfordert noch eine detaillierte Schwachstellenanalyse - hierfür bilden die Erfahrungen in 2018 eine gute Grundlage. LITERATUR: [1] Arbeitsgemeinschaft Wasserversorgung Rhein-Main - WRM, (Hrsg.): Situationsanalyse zur Wasserversorgung in der Rhein-Main-Region, Fortschreibung - Juli 2016. Groß-Gerau, 2016. [2] Bartram, J. et al.: Water Safety Plan Manual - Step-bystep risk management for drinking water suppliers. World Health Organization (WHO), Genf, 2009. [3] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (Hrsg.): Sicherheit der Trinkwasserversorgung, Teil 1: Risikoanalyse. Bonn, 2016. [4] Arbeitsgemeinschaft Wasserversorgung Rhein-Main - WRM (Hrsg.): Leitungsverbund Wasserversorgung Rhein-Main - Studie - Kurzfassung. Groß-Gerau, 2005. [5] Herber, W., Wagner, H., Roth, U.: Der Regionale Wasserbedarfsnachweis der Hessenwasser GmbH & Co. KG. gwf-Wasser/ Abwasser 149 (2008) Nr. 10, S. 773-779. [6] Internet: https: / / www.hessenwasser.de/ [7] DVGW - Deutsche Vereinigung des Gas- und Wasserfaches e. V.: Technische Regel - Arbeitsblatt W 410: Wasserbedarf - Kennwerte und Einflussgrößen. Bonn, 2008. [8] Roth, U., Berger, H., Müller, A., Wagner, H.: Höhe und Häufigkeit von Wasserbedarfsspitzen bei der Hessenwasser GmbH & Co. KG. gwf-Wasser/ Abwasser 149 (2008) Nr. 11, S. 864-871. [9] Roth, U., Coppola, F., Wagner, H.: Das Spitzenlastereignis 2015 im Versorgungsgebiet der Hessenwasser GmbH & Co. KG. gwf-Wasser/ Abwasser 157 (2016) Nr. 6, S. 638-646. AUTOREN Prof. Dr.-Ing. Christian Hähnlein Professur Siedlungswasserwirtschaft Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: christian.haehnlein@fb1.fra-uas.de Prof. Dr.-Ing. Ulrich Roth Professur Siedlungswasserwirtschaft Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: ulrich.roth@fb1.fra-uas.de WISSEN FÜR DIE STADT VON MORGEN www.transforming-cities.de/ einzelheft-bestellen www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren Digitalisierung versus Lebensqualität Big Data | Green Digital Charter | Kritische Infrastrukturen | Privatheit | Sharing-Systeme 1 · 2016 Was macht Städte smart? URBANE SYSTEME IM WANDEL. 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