Transforming cities
tc
2366-7281
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2019-0010
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Stadtgrün auf wenig Raum
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Brigitte Adam
Fabian Dosch
Freiräume stehen in deutschen Städten, vor allem in Großstadtregionen, unter einem enormen Druck. In einer Zeit, in der Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen an erster Stelle in öffentlichen Debatten um Stadtentwicklung rangieren, ist die Verknappung freier Flächen kaum zu stoppen. Vor allem werden die Städte nachverdichtet. Gerade die Großstädte sind dem bauplanungsrechtlichen Primat der Innenentwicklung gefolgt.
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32 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt Knapp ein Drittel (32 %) der Bevölkerung Deutschlands lebte im Jahr 2016 in Großstädten über 100 000 Einwohner, jeweils weitere 29 % in Mittelstädten über 20 000 sowie in Kleinstädten über 5000 Einwohner. Auf die kleineren Landgemeinden fallen nur rund 10 %. Großstädte wachsen seit der Jahrtausendwende: besonders stark in diesem Jahrzehnt, allein zwischen 31.12.2011 und 31.12.2016 um 1,2 Mio. Menschen. Schon heute wohnen in Großstädten anderthalb mal mehr Menschen auf der zusammenhängend bebauten Stadtfläche (der sogenannten Siedlungs- und Verkehrsfläche) als im Bundesdurchschnitt (1675 EW/ km², SuV 2016). In den Großstädten über 500 000 Einwohner liegt der Faktor sogar dreifach über dem Durchschnitt. Zwischen Stadterweiterung und Innenentwicklung Der anhaltende Zuzug in die Städte, vor allem in die besonders großen, erfordert den Bau zusätzlicher Wohnungen, den Aus- und Umbau der Infrastruktur sowie die Inanspruchnahme von Büro-, Handels-, Dienstleistungs- und Gewerbeflächen. Bis 2021 sollen 1,5 Mio. Wohnungen neu gebaut werden. Selbst wenn dies nur näherungsweise umgesetzt wird: Städtische Freiflächen werden rarer, und ein erheblicher Teil der Bautätigkeit lässt sich nur noch durch Stadterweiterungen realisieren, also durch die Erweiterung der zusammenhängend bebauten Flächen zu Lasten größerer Freiräume. Die Bautätigkeit erfasst zunehmend auch die suburbanen Räume. Ganze Stadtregionen werden so nachverdichtet, Freiräume verkleinert, bebaut und versiegelt. In diesem Kontext ist Innenentwicklung flächenverbrauchspolitisch zwar zu begrüßen, erfordert aber neue Konzepte für Schutz, Vernetzung, Zugänglichkeit und Qualität von Grünflächen. Zu beachten ist dabei eine große typologische Vielfalt urbaner Frei- und Grünräume (Bild 2). Ein Lösungsweg, den Spagat zwischen Freiraumsicherung und bezahlbarem Wohnen zu meistern, wird durch das Leitbild der „doppelten“ Innenentwicklung anvisiert [2]. „Doppelt“ bedeutet hierbei, Flächen im Siedlungsbestand nicht nur quantitativ zu erweitern (die Ausnutzung der Bauflächen zu erhöhen), sondern gleichzeitig Qualitäten zu bewahren oder zu schaffen. Es soll darauf hingewirkt werden, dass die inneren Siedlungsbestände durch Grün und Freiflächen attraktiv und lebenswert bleiben. Es geht um Grün auf wenig Raum. Denn es leben nicht nur mehr Menschen in den Städten. Sie nutzen die verbliebenen Freiräume auch immer intensiver, sei Verdichtung und Stadterweiterung nach Kreistypen (Z-Werte) unterdurchschnittlich überdurchschnitt lich Kreisfreie Großstädte Städtische Kreise Ländliche Kreise mit Verdichtungsansätzen Dünn besiedelte ländliche Kreise Verdichtung (Entwicklung der Siedlungsdichte) Stadterweiterung (Entwicklung der Siedlungs- und Verkehrsfläche) © BBSR Bonn 2019 Stadtgrün auf wenig Raum Grün- und Freiraumentwicklung in wachsenden Städten Urbanisierung, Stadtentwicklung, Nachverdichtung, Stadtgrün, Grüne Infrastruktur Brigitte Adam, Fabian Dosch Freiräume stehen in deutschen Städten, vor allem in Großstadtregionen, unter einem enormen Druck. In einer Zeit, in der Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen an erster Stelle in öffentlichen Debatten um Stadtentwicklung rangieren, ist die Verknappung freier Flächen kaum zu stoppen. Vor allem werden die Städte nachverdichtet. Gerade die Großstädte sind dem bauplanungsrechtlichen Primat der Innenentwicklung gefolgt (Bild 1). Bild 1: Verdichtung versus Stadterweiterung. © BBSR 33 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt es für Freizeit, Erholung, Gesundheit, Bewegung, Gärtnern, Aneignung, Ruhe oder Gemeinschaft, verbunden mit hohen Ansprüchen an Grünleistungen wie Klimaschutz, Lufthygiene, Stadtnatur, Biodiversität. Pflegeaufwand und -kosten der Grün- und Freiflächen steigen. Die Konflikte um das Stadtgrün betreffen Aspekte wie Verteilungs- und Umweltgerechtigkeit, Pflanzenwahl, Pflegeintensität und Qualität, Finanzierung, Organisation und Trägerschaft. Nachverdichtung in den inneren Stadtbereichen löst Widerstand insbesondere bei denjenigen aus, die sich dort gemäß ihrer Präferenz zum urbanen Wohnen „eingerichtet“ haben. Viele von ihnen haben das Wohnen in der Stadt entdeckt, nachdem Stadterneuerung, Verkehrsberuhigung, Hofbegrünungsprogramme, Deindustrialisierung und Neubau auf zentral gelegenen Gewerbebrachen es besonders attraktiv gemacht haben. Unter der Maßgabe der Innenentwicklung müssen auch ältere Ein- und Zweifamilienhausgebiete am Rand der Großstädte oder in Umlandgemeinden der Ballungsräume mit in die Betrachtung einbezogen werden. Die Verdichtung dieser häufig sehr großzügig parzellierten Bereiche bietet Bauflächenpotenziale. Eine höhere Dichte schont nicht nur bislang unberührte Freiräume, sondern ermöglicht außerdem eine bessere Versorgung und Auslastung des ÖPNV [3]. Grün- und Freiraumentwicklung bedürfen unter diesen Umständen einer durchsetzungsfähigen Lobby, ebenso innovativer Maßnahmen, die die Verluste auf andere Art ausgleichen und damit zumindest einen Teil der vielfältigen Funktionen des Grüns erhalten [4]. Politisch wird auf allen staatlichen Ebenen versucht, die Lobby von Grün und Freiraum zu stärken [5]. Weißbuch Stadtgrün Das Weißbuch „Stadtgrün“ des Bundes formuliert Empfehlungen, um Kommunen dabei zu unterstützen, mehr Grün in die Stadt zu bringen beziehungsweise vorhandene Grünräume zu sichern (Bild 3). Das Weißbuch beschreibt Handlungsstrategien und konkrete Maßnahmen des Bundes zur Entwicklung, Sicherung und Qualifizierung grüner Infrastruktur unter Beachtung der verschiedenen Konfliktfelder, Nutzungskonkurrenzen und Entwicklungsziele. Der darin enthaltene neue Begriff „Grüne Infrastruktur“ stellt die Grün-, Freiraum- und Landschaftsplanung auf die gleiche Ebene wie die Verkehrsinfrastruktur oder die gebaute und soziale Infrastruktur. Konflikte zwischen Nachverdichtung und Stadtgrün zu mindern liegen darin, Grünräume zu qualifizieren und multifunktional zu gestalten. Dazu zählen so unterschiedliche Maßnahmen wie die Unterstützung der Kommunen, Grünflächen in der Planungspraxis bei Abwägungen zu sichern, Stadtgrün als Ausgleichsmaßnahmen vorrangig im Bestand zu entwickeln, urbanes Grün als ein Stück Baukultur zu sichern, Städte wassersensibel und klimaresilient umzubauen, das Potenzial urbaner Gärten zu nutzen oder multicodierte Grün- und Bild 2: Typen urbaner Freiräume. © bgmr Landschaftsarchitekten GmbH / HCU [1] Bild 3: Weißbuch Stadtgrün. © BBSR Fried- und Ruhewälder Friedhofsparks Friedhöfe Urbane Landwirtschaft Sport- und Begegnungsparks stadtnahe Erholungslandschaften Kleingartenparks Ufer- und Deichwege Rad-, Reit- und Wanderwege Saisongärten Essbare Landschaften Stadtwald Landschafts- und Volksparks Naturerfahrungsräume Wasserflächen Stadthäfen Schul-/ Universitätscampus Nutzbare Brachflächen Alleen Gemeinschaftsgärten Promenaden und Boulevards Pocketparks Begegnungszonen Straßenraum Grün-, Parkanlagen Stadtplätze Spielplätze Nutzbare Infrastrukturflächen Grüne Zimmer Grüne Patenschaften Sportanlagen grüne Schulhöfe Nischen Historische Gärten Wohnhöfe Mietergärten Grüne Fassaden Grüne nutzbare Dächer Gewerbegrün grundstücks-/ wohnungsbezogen Stadtquartier / Stadtteil Innere / Äußere Stadtränder 34 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt Freiräume zu fördern. Die Maßnahmen sind darauf ausgerichtet, das öffentliche Grün im Planungsrecht zu stärken und ihm in der kommunalen Praxis etwa durch Maßnahmen der Städtebauförderung Geltung zu verschaffen. Orientierungs- und Kennwerte sowie Standards für Stadtgrün sind zu entwickeln [6]. Stadtgrün bedarf der fachgerechten Anlage und Pflege, sowie des Umgangs mit Pflanzen als Voraussetzung für qualitativ hochwertige urbane Grünflächen. Wenn Fläche knapp wird, kann zusätzlich vertikal Ausgleich geschaffen werden, dazu müssen Optionen und Potenziale zur Begrünung gebauter („grauer“) Infrastruktur umfassend geprüft werden. Die im Weißbuch empfohlenen Maßnahmen zielen darauf ab, urbanes Grün sozial verträglich zu verteilen und zu qualifizieren, öffentliche Grünräume sicherer zu gestalten, möglichst barrierefreie Zugänge zu schaffen und das Potenzial gemeinnütziger Gärten zu stärken. All dies geht nicht, ohne privatwirtschaftlichem und zivilgesellschaftlichem Engagement Raum zu geben. Städtebauförderungsprogramm „Zukunft Stadtgrün“ Als ein besonders wirksames Instrument zur Unterstützung der Aktivitäten auf der kommunalen Ebene ist die Städtebauförderung von Bund und Ländern einzuschätzen. Die Städtebauförderung finanziert investive Maßnahmen im Siedlungsbestand [7]. In der Präambel zur Verwaltungsvereinbarung 2018, Seite 3 heißt es: „Bund und Länder unterstreichen (...) die Bedeutung von Grün- und Freiräumen in den Städten und Gemeinden für den Umwelt-, Klima- und Ressourcenschutz, die biologische Vielfalt, die Gesundheit und den sozialen Zusammenhalt in Stadtquartieren“. 2017 startete ein spezifisches Städtebauförderprogramm „Zukunft Stadtgrün“. Dafür stehen Bundesfinanzhilfen in Höhe von 50 Mio. Euro pro Jahr bereit, die der Anlage, Sanierung, Qualifizierung und Vernetzung öffentlich zugänglicher Grün- und Freiflächen dienen und die im Rahmen der baulichen Erhaltung und Entwicklung von Quartieren als lebenswerte und gesunde Orte umgesetzt werden. Im ersten Programmjahr 2017 nahmen 129 Kommunen mit 137 Gesamtmaßnahmen am Programm teil. Die Fördergebiete liegen zu über 80 Prozent in den Innenstädten oder innenstadtnah. Förderung erhalten überwiegend Maßnahmen zur Qualifizierung von Grün- und Freiflächen. Oft wird das Programm genutzt, um Grünflächen an Flüssen oder Seen aufzuwerten und das Element Wasser in der Stadt zugänglich und stärker erlebbar zu machen. Die Vernetzung von Grün- und Freiflächen ist ein häufiges Thema, es werden aber auch Sanierungsmaßnahmen an Infrastruktur und Gebäuden innerhalb von Stadtgrünmaßnahmen durchgeführt. In einigen Kommunen werden über das Programm neue Grünflächen geschaffen. Die Verbesserung des Stadtklimas oder die Förderung der biologischen Vielfalt sind meistgenannte Ziele für die beantragten Maßnahmen. Etliche Kommunen verfolgen die Verbindung von Grün mit Sport- und Bewegungsangeboten, um eine multifunktionale Nutzung öffentlicher Grünräume voranzubringen [8]. Bild 4: Gründächer der Hamburger Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt. © Stefan Kreutz, HCU, 15.09.2016 35 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt Strategien für lebenswerte Ballungsräume Verschiedene umweltpolitische Strategiedokumente des Bundes widmen sich urbanen Freiräumen und Lösungsbeiträgen für den Zielkonflikt Nachverdichtung versus Freiraumsicherung. Neben dem Grün- und Weißbuch für Stadtgrün soll in 2019 ein Masterplan Stadtnatur veröffentlicht werden. Das Integrierte Umweltprogramm 2030 der Bundesregierung [9] schließt Maßnahmen zu „Grün in der Stadt“ und zur Reduktion des Freiflächenverbrauchs unter dem Tenor „Lebenswerte Städte“ explizit mit ein. Darüber hinausgehend sollen regionale Grünzüge besser geschützt werden. Der stadtregionale Ansatz ist gerade angesichts des starken Wachstums der großen Städte sehr wichtig. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen zeigt in seiner Stellungnahme „Wohnungsneubau langfristig denken - für mehr Umweltschutz und Lebensqualität in den Städten“ vom November 2018 Wege auf, wie die hohe Bautätigkeit ökologisch und gesundheitlich verträglich gestaltet werden kann, zum Beispiel, wie grüne und graue Infrastruktur zusammenspielen. Bei dem „Schwammstadt-Prinzip“ geht es darum, Wasser an und um Gebäuden, auf Freiflächen wie auch in Vorflutern zurückzuhalten. Die Kooperation von Siedlungswasserwirtschaft mit einer wassersensiblen Stadtentwicklung trägt dazu bei, die Resilienz einer Stadt gegenüber Extremwetterereignissen zu verbessern. Mittlerweile arbeiten Stadtregionen bereits interkommunal an Möglichkeiten, dem Druck auf die Wohnungsmärkte stadtgrenzenüberschreitend zu begegnen [10]. Belange von Grün und Freiraum können integriert werden, indem kompakte, durchmischte - auch durchgrünte - städtische Bereiche Platz lassen für regionale Freiraumnetze. Interkommunal gibt es bessere Potenziale zur Vereinbarkeit von Wohnungsneubau und Freiraumschutz als in einer einzelnen Kommune. Grenzen der Nachverdichtung vor allem in den großen Städten können besser überwunden werden. Der Verband Region Stuttgart versucht gegenwärtig, die umgebenden Mittelstädte zum Wohnungsbau zu motivieren, um den Druck von der hochverdichteten Kernstadt zu lösen [11]. Generell kann die Regionalplanung dem Freiraumschutz einen höheren, formellen Status einräumen, indem Grünzüge und Freiräume möglichst verbindlich ausgewiesen werden, die unterschiedliche Funktionen übernehmen (Erholungsräume, Naturschutzgebiete, klimarelevante Freiräume etc.). Gute Beispiele für Stadtgrün trotz Nutzungsdruck Innovative Maßnahmen für Grün auf engem Raum wurden in verschiedenen Ressortforschungsprojekten des Bundes untersucht, etwa in den Modellvorhaben „Green urban labs“ oder den Fallstudien „Handlungsziele für Stadtgrün“. Im Projekt „Urbane Freiräume“ deckte die Suche nach innovativen Ansätzen zur Grün- und Freiraumentwicklung verschiedene räumliche Ebenen von der Stadtregion bis hin zum einzelnen Grundstück ab. Insgesamt wurden 20 Beispiele in Projektsteckbriefen dokumentiert [12]. Bild 5: Stadtumbau mit blauer und grüner Infrastruktur in Essen. © Milena Schlösser, 9.5.2017 36 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt Die Stadt Münster (312 000 EW) steht für eine strukturierte Freiraumplanung durch das Konzept „Grünordnung“ als vernetztes, multifunktionales Grünsystem. Grünrahmenpläne sind die Basis für die städtebauliche Grünplanung im Bereich der Stadtteilrahmenpläne, zum Beispiel für den Grünzug Gievenbek Südwest „Grüner Finger“. Das Grünflächeninformationssystem (GRIS) ist wesentliches Element des Grünflächenmanagements. Beispielgebend ist auch die Koordination innerhalb der Verwaltung. Für alle größeren Projekte und Planungen (Bebauungspläne, Landschaftspläne, Umgestaltungsmaßnahmen) sind gemeinsame Startergespräche vorgesehen. Vor dem ersten Planungsstrich werden die Ziele gemeinsam erörtert. Alle Fachressorts können frühzeitig ihre Belange einbringen [13]. Hamburg (1 811 000 EW) hat einen hohen Anstieg seiner Einwohnerzahlen zu bewältigen. Wenn am Boden Fläche verloren geht, müssen das Gebäude ausgleichen. Die Potenziale von Gründächern zu nutzen, ist das Ziel der Hamburger Gründachstrategie (Bild 4). Sie ist objektbezogen und umfasst drei Handlungsebenen: „Fördern“ (Förderprogramm für Neubauten und Bestandssanierungen bis 12.2019), „Dialog“ (Kommunikation und Vermittlung) und „Fordern“ (Konsequente Anwendung der zur Verfügung stehenden rechtlichen Instrumente bzw. deren Weiterentwicklung, zum Beispiel Baugesetzbuch). Um die Akzeptanz für diese mehrdimensionale Strategie zu erhöhen, sind zu ihrem besseren „Bekanntmachen“ ein Wettbewerb und eine Zertifizierung von Gründächern geplant. Die Hamburger Gründachstrategie wird weiterentwickelt mit einer Bild 6: Klimawandelgerechte Begrünung des Straßenraums „Am Rähmen“ , Jena. © Dosch, 08.11.2018 Strategie zur Fassadenbegrünung und Maßnahmen zu ihrer Umsetzung. Pilotprojekte zur Fassadenbegrünung starteten, unter anderem mit der Umgestaltung der ehemaligen Müllverbrennungsanlage Stellinger Moor zum Zentrum für Ressourcen und Energie (ZRE). Bamberg (76 000 EW) schafft eine Lobby für Grün und Freiraum, indem das Entdecken und Erfahren der grünen „Schätze“ unterstützt werden. Die Stadt vermarktet die bewirtschafteten Grün- und Ackerflächen der historischen Gärtnerstadt als „Urbaner Gartenbau“ im Rahmen des UNESCO-Weltkulturerbes. Dazu gehören ein ausgeschildeter Rundgang durch die Gärtnerstadt, ein Label für Produkte und Produzenten („Gutes aus der Gärtnerstadt“) sowie ein Museum zur Geschichte des Gartenbaus in Bamberg [14]. Die Stadt Essen (583 000 EW), Grüne Hauptstadt Europas 2017 [15], treibt den Stadtumbau von Grau zu Grün voran. Die Grüne Mitte Essens liegt auf dem Areal des ehemaligen Güterbahnhofs und wurde wassersensibel, grün, sozial und gesundheitsförderlich entwickelt (Bild 5). In anderen Quartieren wie „Am Niederfeldsee“ dient eine wassersensible Stadtentwicklung mit Grünraumgestaltung ebenfalls einer Aufwertung des Wohnumfeldes mit hoher Aufenthaltsqualität. Der Krupp-Park verfügt über weitläufige Liege- und Spielwiesen, ein See wird von Regenwasser aus dem Park und von den Dachflächen des angrenzenden ThyssenKrupp-Quartiers gespeist. Die prosperierende Stadt Jena (111 000 EW) liegt in einer beengten Tallage. Die Folgen des Klimawandels werden zunehmend als Wärmeinsel spürbar. Trotz Flächendrucks soll die bestehende grüne Infrastruktur durch ein Netz aus Klimakomfortinseln so qualifiziert und ergänzt werden, dass sich kleinräumig Klima- und Umweltbedingungen verbessern [16]. Kriterien wurden entwickelt, um Grünflächen als Klimaoasen zu bestimmen und im Stadtgebiet zu identifizieren. Der klimawandelgerechte Umbau einzelner Quartiere mit grünen und wassergebundenen, blauen Elementen schreitet voran, so auch am „Inselplatz“ in Jena (Bild 6). Vertikaler Ausgleich für Grünflächenverluste? Freilich, es gibt gute Beispiele für die Sicherung von Grünqualität unter Nutzungsdruck von der Stadtregion über das Stadtquartier bis hin zu Gebäuden. Aber jenseits der oft zitierten Vorzeigebeispiele wird häufig weiter verdichtet, geht Stadtgrün verloren, werden Grundstücksflächen baulich immer stärker ausgenutzt. Der Umweltrat stellt fest: „Insbesondere 37 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt in stark wachsenden Städten werden die ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Aspekte von urbanem Grün in Abwägung mit baulichen Maßnahmen nur selten in ausreichendem Maße beachtet.“ Bauwerksbegrünung voranzutreiben ist aufwändig, doch notwendig. Eine Verbreitung von Dachbegrünung setzt umfassende Förderung, Beratung und langfristige Pflege voraus. Eine nicht bodengebundene Fassadenbegrünung bleibt eine kostspielige, auf Demonstrationsprojekte begrenzte Option. Ein vollständiger Ausgleich horizontaler Flächenverluste durch vertikale Grünmasse kann vor allem dort gelingen, wo Bauland so wertvoll ist, dass Maßnahmen für Dach- und Fassadenbegrünung und blaue Strukturen realisiert werden können, etwa festgelegt durch städtebauliche Verträge und Ausgleichsmaßnahmen. Leitbilder wie jene der doppelten Innenentwicklung oder Schwammstadt, die Nachverdichtung mit Stadtgrün verbinden, setzen voraus, dass in Stadtgrün investiert wird, nicht nur einmalig investiv, sondern dauerhaft - in Pflege, Fachwissen und Personal - damit die Wohlfahrtswirkungen von Stadtgrün für die diversen Nutzungsansprüche gesichert werden. Dies fordert eine personell, fachlich und finanziell gut ausgestattete kommunale Freiraumplanung, aber auch die Weiterentwicklung technischer Lösungen, etwa innovativer Bewässerungstechniken für Stadtgrün im Klimawandel oder Speicherlösungen der Stadtentwässerung gegenüber Starkregengefahren. So lange ein vertikaler Ausgleich für Grünverluste begrenzt bleibt, hat Nachverdichtung auch Grenzen. Die Stadttore können nicht geschlossen werden, weswegen kombinierte Lösungen aus innovativen Grünprojekten unter Dichtebedingungen und polyzentrischer Entwicklung in Großstadtregionen weiter zu erproben und voranzutreiben sind. LITERATUR [1] Bgmr Landschaftsarchitekten, HCU 2015. www. bbsr.bund.de/ BBSR / DE/ FP/ ReFo/ Staedtebau/ 2015/ U r b a n e F re ir a e u m e / 01- S t a r t . ht m l ? n n =118 613 6 (11.01.2019) [2] Böhm, J., Böhme, C., Bunzel, A., Kühnau, C., Reinke, M.: Urbanes Grün in der doppelten Innenentwicklung. Bundesamt für Naturschutz (BfN) (Hrsg.), BfN-Skripten 444. Bonn, 2016. [3] ARL (Akademie für Raumforschung und Landesplanung): Positionspapier aus der ARL 109. Ältere Einfamilienhausgebiete im Umbruch. Eine unterschätzte planerische Herausforderung - Zur Situation in Nordrhein-Westfalen. Hannover, 2018. [4] Umweltrat - Sachverständigenrat für Umweltfragen: Stellungnahme „Wohnungsneubau langfristig denken - für mehr Umweltschutz und Lebensqualität in den Städten“, Berlin, 2018. [5] BMUB - Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit; Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) (Hrsg.) (2015): Grün in der Stadt - Für eine lebenswerte Zukunft. Grünbuch Stadtgrün. Berlin; BMUB (Hrsg.) (2017): Weißbuch Stadtgrün. Für eine lebenswerte Zukunft. Berlin; MBWSV, 2014: Urbanes Grün - Konzepte und Instrumente. Leitfaden für Planerinnen und Planer. Düsseldorf. [6] Neubauer, U., Bürger, G., Fischer, M., Stebegg, K., Wallner, K.: Handlungsziele für Stadtgrün und deren empirische Evidenz. Bundesinstitut für Bau, Stadt- und Raumforschung BBSR (Hrsg.), Bonn; Dosch (2018): Grün auf engem Raum. Landschaftsarchitekten 4 (2018), S. 9-11. [7] w w w.bbsr.bund.de/ BBSR / DE / Stadtent wicklung / S t a e d t e b a u f o e r d e r u n g / F o r s c h u n g s p r o g r a m m e / P ro g r a m m u e b e r g r e i f e n d / P ro j e k t e / g r u e n staedtebaufoerderung/ 01-start.html? nn=1838260& docId=1469556¬First=true. (08-Jan-2019). [8] w w w.staedtebaufoerderung.info/ StBauF/ DE/ Programm/ Zukunf t Stadt gruen/ Praxis/ praxis _ node. html. (08-Jan-2019). [9] BMUB (Hrsg.) (2016): Den ökologischen Wandel gestalten. Integriertes Umweltprogramm 2030. Frankfurt. [10] http: / / w w w.deutscher-verband.org / aktivitaeten/ projekte/ liegenschaftspolitik/ interkommunale-kooperation.html. (08-Jan-2019). [11] Hemberger, C., Kiwitt, T.: Wohnraumbereitstellung im stadtregionalen Maßstab. In: RaumPlanung 195/ 1 (2018) S. 34 - 39. [12] w w w.bbsr.bund.de / B B S R / D E / F P/ Re F o/ St aedte bau/ 2015/ UrbaneFreiraeume/ urbane-freiraeumenode.html. (08-Jan-2019). [13] http: / / w w w.muenster.de/ planen_bauen_wohnen. html. (08-Jan-2019). [14] http: / / www.gaertnerstadt-bamberg.de/ . (08-Jan- 2019) [15] a e mte r/ 0115 _1/ g r u e n e _ h a upt s t a d t _ 5 / 18 0 8 0 3 _ GHE_0336_Dokumentation_22x27_96dpi.pdf (08- Jan-2019). [16] www.jenkas.de (08-Jan-2019). Dr. Brigitte Adam Wissenschaftliche Projektleiterin Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) Referat I 6 - Stadt-, Umwelt- und Raumbeobachtung Kontakt: brigitte.adam@bbr.bund.de Dr. Fabian Dosch Referatsleiter Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) Referat I 6 - Stadt-, Umwelt- und Raumbeobachtung Kontakt: fabian.dosch@bbr.bund.de AUTOR*INNEN
