Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2019-0013
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Stadt auf Probe - Wohnen und Arbeiten in Görlitz
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Constanze Zöllter
Stefanie Rößler
Robert Knippschild
Sarah Hauck
Mit dem „Probewohnen“ hat sich in den letzten Jahren ein innovativer Ansatz in der Stadt Görlitz etabliert, um interessierten Personen die Möglichkeit zu geben, das Leben in dieser Stadt auszuprobieren. Im aktuellen Projekt „Stadt auf Probe – Wohnen und Arbeiten in Görlitz“ werden ab dem Jahr 2019 neben Wohnungen auch Arbeitsräume auf Probe angeboten. Der Beitrag informiert über den Projektansatz, die damit verbundenen Forschungsfragen zu Chancen und Herausforderungen von Mittelstädten als zukunftsfähige Wohn- und Arbeitsstandorte und über erste Erkenntnisse aus dem Projekt.
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48 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt Die Stadt Görlitz - eine Mittelstadt in peripherer Lage und mit attraktiven weichen Standortfaktoren Görlitz, die östlichste Stadt Deutschlands, ist vor allem durch seinen hohen baukulturellen Wert bekannt. Mit rund 3500 Einzeldenkmälern und einem der am besten erhaltenen Stadtkerne Mitteleuropas, gilt die Stadt als größtes zusammenhängendes Flächendenkmal Deutschlands. Die Stadt hat da- Stadt auf Probe - Wohnen und Arbeiten in Görlitz Eine Mittelstadt in peripherer Lage als zukunftsfähiger Wohn- und Arbeitsstandort Transformationspotenzial von Mittelstädten, Kreativwirtschaft, Stadtentwicklung, Reallabore Constanze Zöllter, Stefanie Rößler, Robert Knippschild, Sarah Hauck Mit dem „Probewohnen“ hat sich in den letzten Jahren ein innovativer Ansatz in der Stadt Görlitz etabliert, um interessierten Personen die Möglichkeit zu geben, das Leben in dieser Stadt auszuprobieren. Im aktuellen Projekt „Stadt auf Probe - Wohnen und Arbeiten in Görlitz“ werden ab dem Jahr 2019 neben Wohnungen auch Arbeitsräume auf Probe angeboten. Der Beitrag informiert über den Projektansatz, die damit verbundenen Forschungsfragen zu Chancen und Herausforderungen von Mittelstädten als zukunftsfähige Wohn- und Arbeitsstandorte und über erste Erkenntnisse aus dem Projekt. mit eine große touristische Bedeutung und wurde in den letzten Jahren vermehrt auch von Film- und Fernsehproduzenten als Drehort entdeckt. Die Stadt hat, wie viele ostdeutsche Mittelstädte, jedoch auch mit den Herausforderungen des demographischen und strukturellen Wandels zu kämpfen. Bereits zu DDR-Zeiten verzeichnete Görlitz Einwohnerverluste, welche sich nach der politischen Wende noch verstärkten. Zwischen den Jahren 1990 49 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt und 2005 hat die Stadt etwa ein Viertel ihrer Bevölkerung verloren [1, S. 4]. Dies resultierte vor allem aus dem strukturell bedingten Wegfall von Arbeitsplätzen. Viele junge Menschen wanderten in westdeutsche Bundesländer ab, damit einhergehend sanken die Geburtenraten in der Region. Zusätzlich wurden die Möglichkeiten des Erwerbs von Wohneigentum in den Umlandgemeinden vielfach genutzt. Die Entwicklung von Großwohnsiedlungen und die Vernachlässigung der Altbauten zu DDR-Zeiten führte zu erheblichen Leerständen insbesondere in den Innenstadtquartieren [2]. Die heute hoch geschätzte baukulturelle Qualität ist den hohen Auflagen des Denkmalschutzes und den umfangreichen staatlichen, aber auch privaten Mitteln bei der Sanierung nach der politischen Wende zu verdanken. Derzeit hat Görlitz rund 57 000 Einwohner und seit einigen Jahren kann die Stadt eine leicht positive Bevölkerungsentwicklung verzeichnen [3, S. 3]. Allerdings weisen die historischen Innenstadtquartiere nach wie vor die höchsten Leerstandsquoten im gesamtstädtischen Vergleich auf. Gleichzeitig ist die historische Altstadt mit einem Durchschnittsalter der Bewohner*innen von 38 Jahren der jüngste Görlitzer Stadtteil. Sanierungstätigkeiten und Verlagerungen von störendem Gewerbe führten zu einer zunehmenden Wahrnehmung der Quartiere als geeignete Wohnstandorte [4, S. 13]. Mit der zunehmenden Nachfrage nach Wohnraum wird kontinuierlich in Maßnahmen zur Wohnumfeldverbesserung investiert (Bild 1). Eine langfristige, möglichst flächendeckende Erhaltung der attraktiven und historisch bedeutsamen Gebäude und der Stadtstruktur ist jedoch nur möglich, wenn es gelingt, genügend Menschen für das Wohnen, aber auch Arbeiten in der Innenstadt zu gewinnen und damit eine tragfähige Revitalisierung zu ermöglichen. Die Infrastrukturausstattung von Görlitz ist für eine Stadt dieser Lage und Größe vergleichsweise gut. Ein gut ausgebautes Straßenbahn- und Busnetz, vielfältige Kultureinrichtungen, darunter ein Theater und mehrere Museen, ein breites Angebot von Bildungseinrichtungen, inklusive einer Fachhochschule, und attraktive Naherholungsmöglichkeiten schaffen die Voraussetzungen für einen attraktiven Wohnstandort. Auch die Lage an der polnischen Grenze mit der Nachbarstadt Zgorzelec bietet besondere Rahmenbedingungen für das Leben und Arbeiten. Darüber hinaus gibt es in Görlitz zahlreiche Initiativen und Netzwerke, die das Engagement der Bürger*innen für ihre Stadt verdeutlichen, aber auch Möglichkeiten zur Verwirklichung alternativer Lebensentwürfe sowie Potenziale für die Arbeit in der Kreativwirtschaft. Probewohnen „Görlitz - Altstadt“ Viele Akteure in der Stadt bewegt die Frage, wie die objektiv guten Rahmenbedingungen der Stadt künftig als Wohn- und gegebenenfalls auch als Arbeitsstandort genutzt und gestärkt werden können, um das Potenzial an Wohn-, aber auch Gewerberaum auszuschöpfen und damit eine stabile und zukunftsfähige Stadtentwicklung zu ermöglichen. So entstand die Idee, interessierten Personen über einen gewissen Zeitraum die Teilhabe am realen Leben in Görlitz zu ermöglichen und sie gleichzeitig zu ihren Erwartungen und Erfahrungen wissenschaftlich zu befragen sowie Erkenntnisse und Empfehlungen für die Stadtentwicklung abzuleiten. In Görlitz wurde bereits in mehreren Projekten der Ansatz des „Erprobens“ gewählt, um reale Erfahrungen zu ermöglichen und entsprechende empirische Erkenntnisse für die Stadtentwicklung abzuleiten [5]. Gleichzeitig kann mit solchen Ansätzen ein großes öffentliches und mediales Interesse erreicht werden, was die Diskussionen in der Stadtgesellschaft über die Stärken und Schwächen der Stadt befruchtet und gleichzeitig auch die Wahrnehmung von außen auf einen potenziellen Wohnort steigert. In den Jahren 2015 und 2016 wurde das Projekt „Probewohnen Görlitz-Altstadt“ durchgeführt. Das kommunale Wohnungsunternehmen KommWohnen Service GmbH stellte drei möblierte Wohnungen in der historischen Altstadt zur Verfügung, in denen die Teilnehmenden eine Woche kostenfrei wohnen und das Leben in der Stadt ausprobieren konnten. Partner des Projektes waren die Stadt Görlitz und das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung, welches mit seinem in Görlitz ansässigen Interdisziplinären Zentrum für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau (IZS) die wissenschaftliche Begleitung innehatte. Nach einem öffentlichen Aufruf zur Bewerbung bekundeten rund 600 Personen aus etwas mehr als 300 Haushalten Interesse am Projekt. Nach den Kriterien der Motivation und des Umzugswunsches konnten schließlich 127 Haushalte für das Projekt ausgewählt und Daten von 195 Teilnehmenden erhoben werden. Ziel war, neben der Bewerbung der Stadt Görlitz als potenziellem Wohnstandort, insbesondere eine Analyse der Bedarfe und Ansprüche möglicher Bewohner an eine neue Umgebung sowie die konkrete Bewertung des Wohnstandortes Görlitz [6]. Im Ergebnis wurde die Stadt Görlitz und das Quartier historische Altstadt als sehr positiv und durchaus vorstellbarer Wohnstandort bewertet. Die Teilnehmenden schätzten die sehenswerte historische Stadt und deren angenehme Atmosphäre. Des Weiteren wurden das kulturelle Angebot sowie die 50 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt Lage im Dreiländereck und vor allem die Nähe zur polnischen Nachbarstadt Zgorzelec als sehr positiv bewertet. Auch der historischen Altstadt wurde bezüglich Gebäudebestand, Ausstattung sowohl mit gastronomischen als auch kulturellen Einrichtungen sowie der Verfügbarkeit von Parks und Grünanlagen ein positives Zeugnis ausgestellt. Aus den Beurteilungen der Teilnehmenden ließen sich auch Anknüpfungspunkte für eine Optimierung des Wohnstandortes ableiten. So wurden Verbesserungsbedarfe beim Einkaufsangebot, der Barrierefreiheit sowie dem Radwegenetz der Stadt gesehen. Viele der Teilnehmenden wünschten sich auch mehr Grünflächen im direkten Wohnumfeld und eine jüngere und dynamischere Ausstrahlung der Stadt. Insgesamt gaben 78 % der Teilnehmenden eine positive Rückmeldung auf die Frage, ob sie sich einen Umzug in die Stadt Görlitz vorstellen könnten. 47 % bejahten diese Frage ohne Einschränkungen, 31 % machten ihre positive Antwort von weiteren Faktoren abhängig. Häufig genannt wurden hierbei die Arbeitsplatzsituation, familiäre Rahmenbedingungen oder das Vorhandensein eines entsprechenden Wohnangebotes zu akzeptablen Preisen [7]. Rückschlüsse für einen neuen Projektansatz Auf Grundlage dieser positiven Erfahrungen, aber auch noch offener Fragen, entschieden sich die Projektpartner für eine Weiterführung des Projektes mit veränderten Rahmenbedingungen. Aufgrund ihrer sowohl zeitlichen als auch räumlichen Flexibilität wurde das vorangegangene Projekt Probewohnen Altstadt stark von Personen im Rentenalter nachgefragt. Für den neuen Ansatz sollte nun eine Möglichkeit gefunden werden, vor allem jüngere Personen anzusprechen, da deren Bedarfe bisher in der wissenschaftlichen Analyse unterrepräsentiert waren. Insbesondere hinsichtlich einer wirtschaftlichen Stabilisierung der Stadt sollte auch das Thema Arbeiten eine Rolle spielen. Im Projekt Probewohnen „Görlitz-Altstadt“ fiel insbesondere auf, dass das Ausprobieren des Lebens in einer Mittelstadt vor allem für Personen aus Großstädten attraktiv war. Zunehmende Engpässe auf dem Wohnungsmarkt, Preissteigerungen, aber auch Lärm und fehlende Umweltqualität wurden als Gründe hierfür genannt. Außerdem ergab die Auswertung, dass viele Teilnehmende einen Aufenthalt von einer Woche als zu kurz empfanden, um ein abschließendes Urteil und eine Umzugsentscheidung zu treffen. Für die Neuauflage des Projekt entschied man sich daher, neben den Wohnungen auch Arbeitsräume auf Probe anzubieten und ganz gezielt Personen anzusprechen, die selbstständig und standortunabhängig arbeiten können. Diese Personen werden vier Wochen in Görlitz verbringen, ihre Arbeit „mitbringen“ und so den Standort und das dortige Leben intensiver ausprobieren. Die Kreativwirtschaft stellt damit die Zielgruppe für das Projekt dar. Die Branche ermöglicht jungen und gut ausgebildeten Personen Erwerbs- und Verwirklichungspotenziale für die sie Bild 1: Straßenzug in der Görlitzer Innenstadt Ost. © R. Knippschild, IÖR-Media 51 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt jedoch geeignete Räumlichkeiten benötigen (Bild 2). Gleichzeitig wird der „kreativen Szene“ oder Kreativwirtschaft häufig eine Bereicherung des Stadtlebens zugesprochen [8]. Angesichts der Verdrängungseffekte gegenüber dieser Gruppe in den großen und wachsenden Städten, mit angespannten Wohnungsmärkten und immer knapper werdenden freien und preiswerten Gewerberäumen, könnten Mittelstädte interessante Alternativen sein. Im Rahmen des Projektes „Stadt auf Probe - Wohnen und Arbeiten in Görlitz“ soll nun untersucht werden, ob Mittelstädte als Wohn- und Arbeitsstandorte für Menschen, die in der Kreativwirtschaft tätig sind, in Frage kommen und ob der Zuzug jüngerer und gut ausgebildeter Personen zur Stabilisierung und Steigerung der Attraktivität dieser Städte beitragen kann. Das Projekt wird von der Frage geleitet, welche Chancen Mittelstädte haben, sich als zukünftige Wohn- und Arbeitsstandorte, vor allem vor dem Hintergrund einer sich verändernden Arbeitswelt, unter anderem im Zuge der Digitalisierung, zu etablieren. Es soll ermittelt werden, welches Transformationspotenzial Mittelstädte für eine nachhaltige Raumentwicklung haben, indem sie zu einer Entlastung der sich stark verdichtenden Großstädte und Agglomerationsräume sowie zu einer ausgewogenen und dezentralen Siedlungsstruktur beitragen. Konkret soll analysiert werden, welche Standortanforderungen junge, gut ausgebildete Personen aus den kreativen Milieus haben und welche Erfahrungen sie bei ihrem Aufenthalt in Görlitz machen. Ziel ist es, Empfehlungen für die Görlitzer Stadtentwicklung abzuleiten, aber auch übertragbare Erkenntnisse für Mittelstädte mit ähnlichen Ausgangsbedingungen zu gewinnen. Stadt auf Probe - Wohnen und Arbeiten in Görlitz Das Projekt „Stadt auf Probe“ startete im Juli 2018 mit einer Laufzeit von 30 Monaten. Ab Januar 2019 können für insgesamt 18 Monate jeweils drei Haushalte für je vier Wochen das Wohnen und Arbeiten in Görlitz testen. Somit können Erkenntnisse von insgesamt 54 Haushalten gewonnen werden. Sie bekommen eine Probewohnung zur Verfügung gestellt und werden in einem der drei bereitgestellten Arbeitsräume ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen können. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitforschung werden die Teilnehmenden vor ihrem Aufenthalt in Görlitz gebeten, einen Online-Fragebogen auszufüllen. Gegen Ende ihres Aufenthaltes wird ein leitfadengestütztes Interview mit jedem Teilnehmenden geführt. Neben der Stadt Görlitz ist die kommunale Wohnungsbaugesellschaft KommWohnen Service GmbH wieder als Partner im Projekt beteiligt und stellt drei Wohnungen in der Görlitzer Innenstadt zur Verfügung. Die Arbeitsräume werden von drei ansässigen Vereinen zur Verfügung gestellt. Um ein breites Spektrum von Tätigkeiten abdecken zu können, wurden unterschiedliche Arbeitsräume gewählt. Der Kolaboracja e. V. stellt einen Büroarbeitsplatz Bild 2: Gelände der Rabryka in Görlitz. © R. Knippschild, IÖR-Media 52 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt 17% 28% 15% 24% 13% 3% Altersgruppen der Bewerber/ -innen 18 30 Jahre 31 40 Jahre 41 50 Jahre 51 60 Jahre 61 70 Jahre 71 Jahre und älter N= 149 in einem Co-Working-Space zur Verfügung, im Kühlhaus Görlitz e. V. können verschiedene Werkstätten genutzt werden und der Wildwuchs- e. V. bietet Ausstellungsräume und ein Künstleratelier. Für ein schnelles Einleben in der Stadt und eine gute Vernetzung mit bereits ansässigen Initiativen und Vereinen wird den Teilnehmenden im Rahmen des Projektes „Stadt auf Probe“ ein Ansprechpartner zum Knüpfen von Netzwerken in der Stadt zur Seite gestellt. Die wissenschaftliche Begleitstudie wird wieder vom IÖR mit seinem in Görlitz ansässigen Interdisziplinären Zentrum für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau (IZS) geleitet. Das Projekt wird im Rahmen der „Nationalen Stadtentwicklungspolitik“ vom Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI)/ Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) gefördert. Erste Erkenntnisse Ab Mitte September 2018 erfolgte über eine breit angelegte Öffentlichkeitsarbeit der Aufruf zur Projektteilnahme. Interessierte Personen konnten sich online zur Teilnahme am Projekt bewerben. Während der sechswöchigen Bewerbungsfrist gingen insgesamt 149 Bewerbungen ein. Aus nahezu allen Bundesländern wurden Bewerbungen eingereicht, auffällig ist jedoch die Bewerberzahl aus Berlin. Ein Drittel der Bewerbungen kamen aus der Bundeshauptstadt. Insgesamt mehr als zwei Drittel der sich bewerbenden Personen leben derzeit in einer Großstadt mit über 100 000 Einwohnern. Damit bestätigte sich die Annahme, dass es vor allem aus diesem Städtetyp großes Interesse an der Projektteilnahme gibt (Bild 3). Mehr als die Hälfte der Personen gab an, auf der Suche nach einem neuen Wohnort zu sein. Bei der Erläuterung der Motivation zur Projektteilnahme wurde häufig die Schwierigkeit genannt, auf dem aktuellen Wohnungsmarkt ein passendes Wohnangebot zu finden, jedoch auch andere Gründe, aus der Großstadt fortzuziehen. Für das Projekt konnte wie angedacht eine jüngere Personengruppe im erwerbsfähigen Alter gewonnen werden. 60 % der sich bewerbenden Personen sind unter 50 Jahre alt (Bild 4). Viele Bewerber*innen äußerten den Wunsch nach einer beruflichen oder privaten Veränderung, beziehungsweise auch die gezielte Suche nach einer neuen Herausforderung. Des Weiteren wurde häufig ein Interesse an der Region (Ober-)Lausitz sowie der Grenzlage im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien angegeben. Auch die Suche nach neuen Netzwerken und neuen Inspirationen wurde häufig in der Motivationsbeschreibung erwähnt. Das Tätigkeitsfeld der Bewerber*innen ist weit gestreut. Beworben haben sich nicht nur zahlreiche Kunst- und Kulturschaffende aus verschiedenen Sparten der bildenden Kunst, sondern auch Autor*innen und einige Selbstständige aus dem IT- und Marketingbereich bzw. aus dem Bildungssektor. Ausblick Mit dem Start des Aufenthalts der ersten Projektteilnehmer*innen im Januar 2019 kann, wie auch schon bei dem vorangegangenen Projekt, ein großes mediales Interesse verzeichnet werden. Dies führt zu einer positiven Bewerbung des Standortes und weckt gegebenenfalls auch das Interesse weiterer Personen an der Stadt. Sehr positiv wird das Projekt in der Görlitzer Stadtgesellschaft aufgenommen. Erste Veranstaltungen und Planungen für künftige Kooperationen zeigen schon jetzt die positiven Effekte für die kreative Szene in Görlitz. Stadtverwaltung, aber auch Wirtschaftsförderung, Kunst- und Kreativwirtschaft sowie viele Initiativen und Vereine erhoffen sich Erkenntnisse zur Ausgangssituation und zu möglichen Potenzialen der Stadt. Aus wissenschaftlicher Sicht werden Antworten zu folgenden Forschungsfragen erwartet: Welche Standortvor- und -nachteile haben Mittelstädte in peripheren Lagen insbesondere 69% 13% 9% 9% Stadt- und Gemeindetypen der aktuellen Wohnorte der Bewerber/ -innen Großstadt Mittelstadt Kleinstadt größerer Ort oder Landgemeinde N= 149 Bild 3: Stadt- und Gemeindetyp der aktuellen Wohnorte der Bewerber*innen im Projekt „Stadt auf Probe“. © IÖR, eigene Darstellung Bild 4: Altersgruppen der Bewerber*innen im Projekt „Stadt auf Probe“. © IÖR, eigene Darstellung 53 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt Dipl.-Geogr. Constanze Zöllter Wissenschaftliche Mitarbeiterin Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e.V. Dresden / Interdisziplinäres Zentrum für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau, Görlitz Kontakt: c.zoellter@ioer.de Dr.-Ing., Dipl.-Ing. Stefanie Rößler Wissenschaftliche Mitarbeiterin Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e.V. Dresden / Interdisziplinäres Zentrum für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau, Görlitz Kontakt: s.roessler@ioer.de Prof. Dr.-Ing. Robert Knippschild Universitätsprofessor Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e.V. Dresden / Interdisziplinäres Zentrum für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau, Görlitz; Technische Universität Dresden Kontakt: r.knippschild@ioer.de Immobilien-Kffr. Sarah Hauck Sachbearbeiterin Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e.V. Dresden / Interdisziplinäres Zentrum für ökologischen und revitalisierenden Stadtumbau, Görlitz Kontakt: s.hauck@ioer.de im Zuge einer sich ändernden Arbeitswelt und zunehmend überlasteter Großstädte und Agglomerationsräume? Können für Mittelstädte spezifische Standortvorteile etwaige Standortnachteile (zum Beispiel überregionale Erreichbarkeit) kompensieren? Welcher geänderten Rahmenbedingungen bedarf es etwa im Rahmen der Stadtentwicklungspolitik? Was lässt sich für die Weiterentwicklung des Reallabor-Ansatzes für eine nachhaltige Stadtentwicklung ableiten? LITERATUR [1] Stadt Görlitz, Stadtplanungs- und Bauordnungsamt: Große Kreisstadt Görlitz. Integriertes Stadtentwicklungskonzept INSEK. Demographie, Fachkonzepte Städtebau und Denkmalschutz Wohnen. Fortschreibung 2009/ 2010. Görlitz. [2] Kuder, T.: Der Städtebauliche Denkmalschutz im Wandel. In: Altrock, U., Kunze, R., Pahl-Weber, E., von Petz, U., Schubert, D. (Hrsg.): Jahrbuch Stadterneuerung (2008) S. 195-206. Universitätsverlag der Technischen Universität Berlin. [3] Stadt Görlitz, kommunale Statistikstelle: Statistische Monatszahlen Stadt Görlitz. Monat Dezember, 2018, Görlitz. [4] Stadt Görlitz, Stadtplanungs- und Bauordnungsamt: Neuordnungskonzept Historische Altstadt, Nikolaivorstadt. 2002, Görlitz. [5] Pfeil, A.: Leerstand nutzen - Perspektivenwechsel im Umgang mit dem strukturellen Wohnungsleerstand in ostdeutschen Grenzgebieten. IÖR Schriften Band 64. Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung, 2014, Dresden. Rhombos-Verlag Berlin. [https: / / rhombos.de/ shop/ leerstand-nutzen.html] [6] Zöllter, C., Rößler, S., Knippschild, R.: Probewohnen in Görlitz. Wohnen im historischen Altstadtkern einer Mittelstadt als Alternative zum Großstadtstress? In: RaumPlanung 195-1, (2018) S.26-32. [7] Zöllter, C., Rößler, S., Knippschild, R.: Probewohnen Görlitz-Altstadt. IÖR-Schriften Band 75. 2018, Dresden: Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung. [https: / / rhombos.de/ shop/ probewohnen-gorlitz-altstadt.html] [8] Florida, R.: Cities and the Creative Class. 2005, New York, London. AUTOR*INNEN All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. 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