eJournals Transforming cities 4/1

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2019-0015
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2019
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Fahrrad-Nutzung in Städten - ein unterschätztes Verkehrsmittel

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2019
Andreas Krämer
Robert  Bongaerts
Die Diskussion um eine veränderte Mobilität in Städten ist derzeit geprägt durch Themen wie Dieselfahrverbote, Stau- und Luftqualitätsprobleme, Konzepte zur Attraktivitätssteigerung des ÖPNV sowie Shared Mobility-Angebote (Car-, Bike-, Scooter-, RideSharing etc.). Demgegenüber ist die Nutzung des eigenen Fahrrads als Verkehrsmittel in der Stadt kein Top-Thema. Die eigene empirische Untersuchung belegt, dass ein großes Potenzial für den Ausbau der Fahrrad-Mobilität in Städten besteht. Während aktuell dem Ausbau von BikeSharing sehr viel mediale Aufmerksamkeit zukommt, liegen die eigentlichen Chancen in der stärkeren Nutzung privater Fahrräder.
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60 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt Das Fahrrad als relevantes Verkehrsmittel in der Stadtplanung Die Diskussion um die zukünftige Mobilität in deutschen Städten ist im letzten Jahr sehr intensiviert worden, zunächst durch die Überlegungen zu einem grundsätzlich kostenlosen ÖPNV im Rahmen der Koalitionsverhandlungen im Frühjahr 2018, dann später durch die Rechtsprechung zu den Dieselfahrverboten, die ab Frühjahr 2019 deutlich ausgedehnt werden [1]. Insgesamt wird dabei entweder auf den ÖPNV oder aber auf die Nutzung des PKW innerhalb der Stadtgebiete fokussiert. In der öffentlichen Diskussion weniger beachtet ist das Verkehrsmittel, welches sowohl die geringsten Emissionen als auch den geringsten Flächenverbrauch verursacht und erheblich zur Entlastung der Verkehrssituation in den Städten beitragen kann: Das Fahrrad. Rad- und Fußverkehr sind erst seit wenigen Jahrzehnten verkehrspolitisches Thema [2]. Deutschlandweit beträgt der Modalanteil des Fahrrads 11 %, selbst in Metropolregionen klettert dieser Wert nur auf 15 % [3]. Damit ist das Fahrrad auch in den Städten das am wenigsten genutzte Verkehrsmittel. Wegen des Potenzials, motorisierten Verkehr zu ersetzen und zu Klimaschutz und Lebensqualität beizutragen, erhält das Fahrrad zunehmend Beachtung. In einer im August 2018 veröffentlichten Studie untersuchte Greenpeace die öffentlichen Haushalte der sechs größten deutschen Städte Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main und Stuttgart in Hinblick auf die Aufwendungen für den Radverkehr [4]. Die Ausgaben liegen in einer Range von 2,30 EUR (München) bis 5,00 EUR pro Kopf und Jahr (Stuttgart). Andere europäische Städte kommen auf gänzlich andere Niveaus, so Amsterdam (11- EUR) oder Kopenhagen (rund 36 EUR). Mit Pro-Kopf-Investitionen in der Größenordnung von 100- EUR könnten deutsche Städte ihren enormen Rückstand in der Radinfrastruktur aufholen, so das Fazit. Während die Greenpeace-Studie die Argumentation aufbaut, mit zunehmenden Investitionen für die Radinfrastruktur würde auch der Modalanteil des Fahrrads erhöht werden, führen wissenschaftliche Untersuchungen ähnliche Ergebnisse an: So kommt die Studie von Buehler und Pucher (2011) zum Ergebnis, dass ein größeres Angebot an Fahrradwegen und -spuren einen stärkeren Einfluss auf die Umwelt haben als Stadtverkehr, Wetter, sozioökonomische Faktoren, öffentliche Verkehrsmittel und die Sicherheit des Radverkehrs [5]. Gleichzeitig haben Fahrradwege erhebliche Effizienzvorteile in Hinblick auf die Mobilität auf knappem Raum. Gehl (2013) weist darauf hin, dass eine Fahrrad-Spur in der Stadt die Beförderung von etwa fünf mal mehr Menschen zulässt als eine PKW-Spur [6]. Neben diesen objektiven Effizienzkriterien ist eine grundsätzlich positive Einstellung der mobilen Bevölkerung zur Fahrrad- Fahrrad-Nutzung in Städten - ein unterschätztes Verkehrsmittel Verkehrsmittelnutzung im Stadtverkehr mit besonderem Fokus auf Fahrräder Verkehrswende, Stadtmobilität, Fahrrad, ÖPNV Andreas Krämer, Robert Bongaerts Die Diskussion um eine veränderte Mobilität in Städten ist derzeit geprägt durch Themen wie Dieselfahrverbote, Stau- und Luftqualitätsprobleme, Konzepte zur Attraktivitätssteigerung des ÖPNV sowie Shared Mobility-Angebote (Car-, Bike-, Scooter-, RideSharing etc.). Demgegenüber ist die Nutzung des eigenen Fahrrads als Verkehrsmittel in der Stadt kein Top-Thema. Die eigene empirische Untersuchung belegt, dass ein großes Potenzial für den Ausbau der Fahrrad-Mobilität in Städten besteht. Während aktuell dem Ausbau von BikeSharing sehr viel mediale Aufmerksamkeit zukommt, liegen die eigentlichen Chancen in der stärkeren Nutzung privater Fahrräder. 61 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt Nutzung zu berücksichtigen. In der Studie Mobilität in Deutschland erreicht die Aussage „Ich fahre gerne Fahrrad“ Zustimmungswerte von rund 60-% (die Vergleichswerte für den ÖPNV liegen nur etwa halb so hoch) [3]. Vor diesem Hintergrund wird untersucht, welchen Beitrag die Nutzung des Fahrrads zur Verkehrswende in Städten leisten kann. Dabei stehen folgende Fragen im Vordergrund:  Wie ist die Akzeptanz der Fahrradnutzung für die Mobilität im Stadtgebiet? Welche Treiber lassen sich dabei identifizieren?  Welche Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Nutzung des eigenen Fahrrads bzw. dem BikeSharing?  Welche Mobilitätscluster können für die Mobilität im Stadtgebiet bestimmt werden?  Welches Potenzial besteht für die Nutzung des Fahrrads? Die Beantwortung der Fragen aus Verbrauchersicht erfolgt unter anderem auf Basis einer empirischen Erhebung im Rahmen der Studie MobilitätsTRENDS 2018 (die Studie, aktuell die 7.- Untersuchungswelle, ist ein Kooperationsprojekt der exeo Strategic Consulting AG und der Rogator AG). Es handelt sich dabei um eine repräsentative Online-Befragung von mehr als 4000 Personen ab 18 Jahren (deutschsprachige Bevölkerung im D-A-CH-Gebiet) im Mai 2018 [7], die unter anderem Mobilitätsaspekte im Nah- und Fernverkehr, Verkehrsmittelwahlprozesse, Nutzungspotenziale sowie den Aspekt PKW-Kaufabsicht analysiert. In der aktuellen Welle wurden die Aspekte Stadtverkehr- Nutzung, Belastung durch den Stadtverkehr und die Bewertung von Lösungsansätzen zur Stickoxid- Reduzierung integriert. Verkehrsmittelnutzung im Stadtgebiet Relevanz des Stadtverkehrs aus Sicht der Verbraucher Bezüglich der Häufigkeit der Nutzung des Stadtverkehrs ergeben sich für die D-A-CH-Länder relativ deckungsgleiche Ergebnisse mit einer ausgewiesen hohen Relevanz des Stadtverkehrs für die Verbraucher: So sind rund 83 - 85 % der Befragten mindestens einmal pro Monat im Stadtverkehr unterwegs, etwa 35 - 47 % sogar täglich oder fast täglich. In diesen Werten spiegelt sich die zunehmende Verstädterung wider, so beträgt der Urbanisierungsgrad zum Beispiel in Deutschland mittlerweile 75 %. Gleichzeitig nutzen auch Berufspendler den Stadtverkehr. In Deutschland geben nur 16 % der Befragten an, dass sie nie oder selten im Stadtverkehr unterwegs sind. Während die Relevanz des Stadtverkehrs in den drei untersuchten Ländern sehr ähnlich ist, ergeben sich klare Unterschiede in der Verkehrsmittel-Präferenz (Bild 1). So ist der eigene PKW in Deutschland und Österreich das mit großem Abstand am häufigsten im Stadtverkehr genutzte Verkehrsmittel (73- bzw. 74 % der Befragten). Anders in der Schweiz: Zwar ist der PKW ebenso das wichtigste Verkehrsmittel im Stadtgebiet, allerdings auf einem deutlich niedrigeren Niveau und gleichbedeutend mit den Verkehrsmitteln Bus und Bahnen. Zusätzlich wurde erhoben, welches Verkehrsmittel grundsätzlich nicht für die Nutzung im Stadtverkehr in Frage kommt. Hier zeigt sich, dass insbesondere die Sharing-Angebote (PKW und Fahrrad) entgegen dem häufig formulierten Trend hin zu einer zunehmenden Sharing Economy offenbar noch nicht zu einer deutlichen Änderung der Mobilitätsstrukturen im Stadtverkehr geführt haben. Etwa 70 % Bild 1: Genutzte und nicht akzeptierte Verkehrsmittel im Stadtverkehr (% der Befragten). © exeo Strategic Consulting AG / Rogator AG (2018) 62 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt der Befragten in Deutschland und Österreich lehnen Angebote der Sharing Economy (CarSharing, BikeSharing) ab. Selbst in den Megacities Berlin und Wien ergibt sich kein komplett abweichendes Bild. Allerdings zeigen die Großstädte eine geringere Akzeptanz des PKW bzw. eine sehr hohe Akzeptanz des ÖPNV. Besonders stark ist die Akzeptanz des ÖPNV in Berlin. Während die Akzeptanz von BikeSharing (noch) begrenzt ist, spielt das Fahrrad als Verkehrsmittel im Stadtgebiet eine signifikante Rolle. In Deutschland geben 19 % der Befragten an, dass sie das eigene Fahrrad im Stadtverkehr nutzen. Relevanz der Fahrrad-Nutzung im Stadtverkehr Aus den Fragen zur Nutzung des eigenen Fahrrads sowie der Akzeptanz des Fahrrads als Verkehrsmittel in der Stadt, lassen sich drei Teilgruppen bilden (Bild 2): Die erste Gruppe (20 % der Befragten in der D-A-CH-Region) nutzt das Fahrrad bereits aktuell. Die zweite Gruppe (47 %) nutzt das Fahrrad zwar nicht, es kommt als Verkehrsmittel in der Stadt jedoch in Frage. Für die dritte Gruppe (33 %) ist das Fahrrad keine Option. Die Verteilung dieser Gruppen ist stark altersabhängig: Während 19 % in der Altersklasse unter 30 Jahren das Fahrrad ablehnen, sind dies bei den Senioren bereits 45 %. Diese Abhängigkeit zeigt sich in allen drei Zielregionen des D-A-CH-Gebiets. Allein aus der Größenordnung der Teilsegmente wird ersichtlich, welches Potenzial für eine stärkere Nutzung des Fahrrads besteht. Mobilisierbar ist dies, wenn bestehende Nutzer ihre Nutzungshäufigkeit erhöhen, oder Personen, die das Fahrrad im Stadtverkehr bisher nicht nutzen, zu einer Nutzung motiviert werden können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass rund 43 % aller Autofahrten in Städten weniger als fünf Kilometer weit sind - eine Distanz, die man mit öffentlichen Verkehrsmitteln und/ oder Fahrrad sehr gut zurücklegen kann (eigene Berechnung auf Basis MiD 2017). Insofern erscheint auch die in der Studie von Greenpeace genannte Größenordnung eines Modalanteils des Fahrrads von mehr als 30 % (Amsterdam oder Kopenhagen) nicht unerreichbar. Auch das Umweltbundesamt nennt entsprechende Größenordnungen und zählt ergänzend die Stadt Münster (Westfalen) auf, wo der Radverkehrsanteil mit 38 % bereits den MIV-Anteil (36 %) überholt hat [8]. Die Bedeutung des Fahrrads für die zukünftige Stadt- und Verkehrsplanung These 1: Primärer Ansatzpunkt ist die Nachfrageverlagerung vom PKW Eine Studie des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie im Auftrag von Greenpeace stellt fest: „Soll die Verkehrswende in Stadtgebieten herbeigeführt werden, so ist dies gleichbedeutend mit einer Substitution von PKW-Fahrten durch alternative Verkehrsmittel“ [9]. Begründet wird dies unter anderem mit einer hohen Anzahl von Todesfällen, die, wie etwa das Bundesumweltamt annimmt, auf Stickstoffdioxid zurückzuführen sind, das zu einem großen Teil von Diesel-PKW verursacht wird [10]. Bild 2: Akzeptierte Verkehrsmittel im Stadtverkehr im D-A-CH-Gebiet (% der Befragten). © exeo Strategic Consulting AG / Rogator AG (2018) 63 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt Die Rechtsprechung der deutschen Gerichte, die den Klagen der Deutschen Umwelthilfe in den letzten Monaten stattgegeben hat, erhöht den politischen und kommunalen Handlungsbedarf. Als Maßnahme zur gezielten Veränderung von Mobilitätsstrukturen reicht dies jedoch nicht aus - abgesehen davon ist die Akzeptanz der Bevölkerung und das Verständnis für die Maßnahmen bei den Verbrauchern sehr begrenzt [1]. Ein Verzicht auf das Auto setzt voraus, dass entsprechende Alternativen für die mobilen Menschen in der Stadt bestehen. Dabei werden häufig einerseits Busse und Bahnen oder aber der Ausbau von Sharing-Angeboten genannt. Gerade für kürzere Wege bietet sich das Fahrrad als echte Alternative zum PKW an. These 2: Shared Mobility-Konzepte mit begrenztem Hebel zur Lösung der Verkehrsprobleme in Städten Auch wenn die Sharing Mobility vielfältig als Megatrend dargestellt wird, so zeigt das tatsächliche Verbraucherverhalten in Deutschland bisher nur ein geringes, wenn auch wachsendes Interesse. Nicht erstaunlich ist, dass manche Beobachter denn auch eher von einem Hype sprechen [11] bzw. aufgrund der zu hohen Transaktionskosten bereits das Ende der Sharing Economy heraufbeschwören [12] (Bild-3). Auch die eigenen Studienergebnisse zeigen, dass die bisherige Nutzung von Car- und BikeSharing gering und das Wachstumspotenzial begrenzt ist. Ob private CarSharing-Angebote wie drivy oder GETAWAY gegebenenfalls aufgrund von Kostenvorteilen im Vergleich zu gewerblichen Anbietern zu einer spürbaren Ausweitung der Sharing Mobility führen können - insbesondere außerhalb der Groß- und Mittelstädte, also dort, wo stationsbasierte CarSharing-Anbieter nicht aktiv sind - bleibt abzuwarten. Voraussetzung ist, dass diese Anbieter eine kritische Masse von Angebot und Nachfrage erreichen und dass gleichzeitig die Prozesse stabilisiert werden müssen [13]. These 3: Die Fahrrad-Nutzung mit Relevanz in allen Mobilitätssegmenten Auf Basis der von den Befragten genutzten Verkehrsmittel im Stadtverkehr erfolgte eine Klassifizierung in drei Mobilitäts-Segmente (Bild 4). Etwa 56 % der mobilen Menschen im Stadtgebiet nutzen den PKW, verzichten dagegen auf die Nutzung von Bussen und Bahnen. In dieser Gruppe geben 12 % der Befragten an, auch das Fahrrad zu nutzen, 34 % lehnen das eigene Fahrrad als Verkehrsmittel im Stadtgebiet ab. Rund 15 % der mobilen Menschen im Stadtgebiet setzen sowohl auf den PKW als auch auf den ÖPNV. Dies kann der Fall sein, wenn zur regelmäßigen Mobilität (Weg zur Arbeit) der ÖPNV, für Einkäufe und Transportfahrten jedoch der PKW genutzt wird. In dieser Gruppe ist der Anteil der Fahrrad-Nutzer gegenüber der ersten Gruppe erhöht (26 %). Fast 30 % der Befragten verzichten auf den PKW als Verkehrsmittel im Stadtgebiet. Vorherrschende Verkehrsmittel sind in dieser Gruppe Bahnen (60 %) und Busse (51 %). Das eigene Fahrrad kommt auf einen Nutzeranteil von 31 % - gleichzeitig ist der Anteil der Fahrrad-Ablehner hier reduziert (27 %). Der Nutzeranteil für Shared Mobility-Angebote ist auch in diesem Segment nur sehr gering. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Nutzung des eigenen Fahrrads in der Stadt in allen drei Mobilitätsclustern eine signifikante Rolle spielt (wenn auch diese unterschiedlich groß ist). These 4: Handlungsdruck aus Sicht der Radfahrer besonders hoch Diejenigen Befragten, die in der Stadt mobil sind, wurden nach der subjektiven Belastung durch den Verkehr und konkret bezogen auf die Luftqualität befragt (Bild 5). Rund zwei Drittel der Menschen im Stadtverkehr fühlen sich durch den Stadtverkehr belastet, etwa 20 % sogar häufiger bzw. ständig [1]. Diese Ergebnisse unterscheiden sich in den betrachteten Ländern nur wenig. Bezüglich der subjektiven Belastung durch die Luftqualität ergibt sich Bild 3: BikeSharing in Frankfurt/ Main. © Krämer (2018) 64 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt ein ähnliches Bild, wenn auch auf einem leicht niedrigeren Niveau. So geben zum Beispiel annähernd die Hälfte der Nutzer im Stadtverkehr in Deutschland an, dass sie keine Belastung durch die Luftqualität in den Städten fühlen, während die korrespondierenden Werte für die Schweiz und Österreich niedriger liegen. In allen drei Ländern besteht eine statistisch hochsignifikante Abhängigkeit zwischen beiden Bewertungsdimensionen (Chi-Quadrat-Test, p < 0,001). Im Ergebnis zeigt sich, dass bezogen auf die Verkehrsproblematik und die Luftqualität bei rund zwei Dritteln der Verbraucher ein Problembewusstsein vorliegt. Zu erwarten ist, dass diese Verbraucher auch offen für Lösungsmöglichkeiten sind. In der Gruppe der Fahrradfahrer ist das Problembewusstsein vergleichsweise höher - und zwar sowohl was die Verkehrsbelastung als auch die Luftqualitäts-Problematik betrifft. These 5: Die Fahrrad-zentrierte Stadt als Vision Es klingt zunächst sinnvoll, die Verkehrsangebote ÖPNV, Fahrrad und Sharing-Angebote als gemeinsame Ziel-Verkehrsträger der Verkehrswende zu beschreiben. Das damit verbundene Risiko besteht allerdings darin, dass der Nutzung des privaten Fahrrads nicht der Stellenwert zukommt, der ihr angemessen ist. Öffentlichkeitswirksam lassen sich Konzepte zum BikeSharing als schnelle Erfolge verbuchen. Dabei darf bezweifelt werden, ob dies zu nachhaltig veränderten Mobilitätsstrukturen führt. Erfolgversprechender ist demgegenüber, das Fahrrad als Verkehrsträger der Zukunft in das politische und kommunale Leitbild aufzunehmen. Dies ist in Berlin mit dem Radgesetz (2016) erfolgt [14]. Bis dato wurden in Berlin 13 % aller Wege mit Fahrrädern zurückgelegt. Dieser Anteil soll bis 2025 steigen - innerhalb des S-Bahn-Rings auf 30 %, sonst auf 20 %. Es reicht dabei nicht, auf eine Renaissance des Fahrrads zu verweisen und damit die veränderte Wertschätzung in der Öffentlichkeit hervorzuheben [15]. Der Untersuchung „Mobilität in Deutschland“ zufolge kommt auf nahezu jeden Bewohner in Deutschland ein Fahrrad (2017 standen den bundesdeutschen Haushalten knapp 77 Millionen Fahrräder zur Verfügung, darunter vier Millionen Pedelecs). Nur etwa 22 % der deutschen Haushalte verfügen über kein Rad [3]. Eine stärkere Nutzung des Fahrrads ist daher in den meisten Fällen kein Verfügbarkeitsproblem. Allerdings ist der Ausbau der Fahrrad-Mobilität kein „Selbstläufer“. Ansatzpunkt muss sein, die Bedürfnisse der Radfahrer stärker in der Verkehrs- und Stadtplanung zu verankern. Dies sollte durch den Gedanken getragen sein, dass in fahrradorientierten Städten nicht nur die Anzahl der Todesfälle sinkt, sondern die Ausrichtung auf das Rad zu einem sich selbst verstärkenden Kreislauf führt, der die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer insgesamt verbessern kann [16]. Ausblick: Das Fahrrad als (ein) zentraler Baustein der Verkehrswende Das Fahrrad verfügt als Verkehrsmittel in Städten über erhebliche Effizienzvorteile in Hinblick auf Energieverbrauch, Emissionen (keine Schadstoffbelastung, geringe bis keine Lärmbelästigung), Flächenverbrauch und Fahrzeit (insbesondere auf kurzen Distanzen). Fahrräder werden die bisherige PKW- und ÖPNV-Mobilität in Städten nicht stärker ersetzen können, trotzdem erscheinen in Stadtgebieten Modalanteile von 30 % und mehr für das Fahrrad nicht unrealistisch - auch wenn die Rahmenbedingungen von Benchmarks wie Münster mit Bild 4: Nutzung und Nichtakzeptanz von Verkehrsmitteln im Stadtverkehr im D-A-CH-Gebiet (% der Befragten). © exeo Strategic Consulting AG / Rogator AG (2018) 65 1 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Leben und arbeiten in der Stadt Prof. Dr. Andreas Krämer exeo Strategic Consulting AG, Bonn Professor für Pricing und Kundenwertmanagement / CRM an der University of Applied Sciences Europe, Fachbereich Wirtschaft, Iserlohn. Kontakt: andreas.kraemer@exeo-consulting.com Dr. Robert Bongaerts exeo Strategic Consulting AG, Bonn. Kontakt: robert.bongaerts@exeo-consulting.com einem Modalanteil von 38 % nicht grundsätzlich unterstellt werden können (Topographie, Wetter, saisonale Einflüsse, Anteil Studierende in der Bevölkerung etc.). Wie die empirischen Ergebnisse belegen, ist das Potenzial für eine ausgedehnte Nutzung der Radmobilität groß. Zu dessen Ausschöpfung bedarf es aber verbesserter Rahmenbedingungen und eines mittelfristigen Zielbildes. LITERATUR [1] Krämer, A., Bongaerts, R., Baake, J.-W.: Dieselfahrverbote in Großstädten. Hilft ein kostenloser ÖPNV? Rahmenbedingungen, Abhängigkeiten und die Perspektive der Menschen im Stadtverkehr. Der Nahverkehr, Jg. 36 (2018), Heft 10, S. 36-41. [2] Bracher, T.: Fahrrad- und Fußverkehr: Strukturen und Potentiale. Handbuch Verkehrspolitik (2014), S. 1-22. [3] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mobilität in Deutschland − MiD Ergebnisbericht (2018). Online verfügbar http: / / www.mobilitaet-in-deutschland.de/ pdf/ MiD2017_Ergebnisbericht. pdf. [4] Greenpeace: Radfahrende schützen - Klimaschutz stärken; Sichere und attraktive Wege für mehr Radverkehr in Städten (2018). Online verfügbar unter https: / / www.greenpeace.de/ sites/ www.greenpeace. de/ files/ publications/ mobilitaet-expertise-verkehrssicherheit.pdf. [5] Buehler, R., Pucher, J.: Cycling to work in 90 large American cities: new evidence on the role of bike paths and lanes. Transportation, 39 (2), 2012, S. 409-432. [6] Gehl, J.: Cities for people. Island press, 2013. [7] Krämer, A., Hercher, J.: Der Weg ist das Ziel - länderübergreifende Studie zu Reiseverhalten und -trends. Research & Results, Heft 5 (2014), S. 42-43. [8] Umweltbundesamt: Radverkehr. Online verfügbar https: / / www.umweltbundesamt.de/ themen/ verkehr-laerm/ nachhaltige-mobilitaet/ radverkehr#textpart-1 [9] Rudolph, F., Koska, T., Schneider, C.: Verkehrswende für Deutschland. Wuppertal Institut, Hamburg 2017. [10] Schneider, A., Cyrys, J., Breitner, S., Kraus, U., Peters, A., Diegmann, Volker., Neunhäuserer, L.: Reihe Umwelt & Gesundheit | 01/ 2018. Umweltbundesamt (Hrsg.) Ergebnisse der Studie zur Krankheitslast von NO 2 in der Außenluft, Dessau-Roßlau, 2018. [11] Witzke, S., Meier-Berberich, J.: ÖPNV und Carsharing: Ergänzung oder Substitution. Der Nahverkehr, Heft 4 (2015), S. 12-15. [12] Kowalsky, M.: Die Sharing Economy ist eine Blase. Online verfügbar unter https: / / www.bilanz.ch/ people/ die-sharing-economy-ist-eine-blase-761397 [13] Anonymus: Privates Carsharing - Gebremstes Vergnügen. Test 01/ 2015 S. 84-87. [14] Luedemann, M., Stroessenreuther, H.: Berlin dreht sich - vom Motto um Erfolg. Umweltpsychologie, 22 (1) 2018. [15] Canzler, W., Knie, A., Ruhrort, L., Scherf, C.: Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende: Soziologische Deutungen. transcript Verlag 2018. [16] Marshall, W. E., Garrick, N. W.: Evidence on why bikefriendly cities are safer for all road users. Environmental Practice, 13 (1), 2011, S. 16-27. Bild 5: Subjektive Belastung durch Verkehr bzw. Luftqualität in der Stadt (% der Nutzer Stadtverkehr). © exeo Strategic Consulting AG / Rogator AG (2018) AUTOREN