Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2019-0021
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2019
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Administrative Barrieren der Verkehrswende
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2019
Alexander Rammert
Benjamin Sternkopf
Mit der Verkehrswende befinden wir uns inmitten einer gesellschaftlichen Transformation, welche die sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen der Mobilität neu ordnet. Politik und Verwaltung stehen vor der Herausforderunge diesen Wandel im gesamtgesellschaftlichen Sinne zu gestalten und eine nachhaltige Zukunft zu sichern. Der Blick auf die Praxis der Verkehrsplanung offenbart hingegen eine starke Diskrepanz zwischen verkehrspolitischem Gestaltungsanspruch und planerischer Wirklichkeit. Existieren möglicherweise in den Verwaltungen strukturelle und kulturelle Barrieren, die eine Transformation der Verkehrpolitik erschweren?
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4 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Hintergrund Gesellschaftliche Transformationen fanden in der Geschichte niemals reibungsfrei statt. Die Aufklärung, die Industrialisierung oder die Digitalisierung wurden immer von gesellschaftlichen Umverteilungsprozessen und Machtverschiebungen begleitet [1] . So existierte bei jeder sozialen oder technischen Transformation auch eine Gesellschaftsgruppe, welche durch die innovationsbedingten Machtverschiebungen benachteiligt wurde und sich deshalb mit allen Mitteln gegen den Wandlungsprozess stemmte. Sei es die Kirche im Rahmen der Aufklärung, die Adeligen im Zuge der Landreform oder die Könige in Folge der Demokratisierung. Transformationen führen immer zu Machtverschiebungen und Machtverlust führt zu Widerstand [2]. Am Ende zeigte sich jedoch immer, dass der gesellschaftliche Wandel an sich nicht aufzuhalten oder gar umzukehren war, die Bischöfe, Herzöge und Könige wurden vom Wandel überholt, ihre einstige Macht ging verloren. Mit der Verkehrswende - so die These dieses Textes - stehen wir am Anfang einer neuen Transformation der (Stadt-)Gesellschaft und ebenso wie bei vergangenen Transformationsprozessen wird es auch hierbei wieder Gewinner und Verlierer, Innovations- und Bedenkenträger geben. Ein Blick auf die Herausforderungen der zukünftigen Generationen macht deutlich, dass es hierbei nur um das „Wann“ gehen kann, eine plausible Alternative existiert nicht [3]. Somit stellt sich die Frage, wer die Gewinner und Administrative Barrieren der Verkehrswende Eine Einordnung aus zwei Perspektiven Verkehrswende, Verwaltung, Politik, Gesellschaft, Stadtverkehr, Mobilität Alexander Rammert, Benjamin Sternkopf Mit der Verkehrswende befinden wir uns inmitten einer gesellschaftlichen Transformation, welche die sozialen und ökologischen Rahmenbedingungen der Mobilität neu ordnet. Politik und Verwaltung stehen vor der Herausforderunge diesen Wandel im gesamtgesellschaftlichen Sinne zu gestalten und eine nachhaltige Zukunft zu sichern. Der Blick auf die Praxis der Verkehrsplanung offenbart hingegen eine starke Diskrepanz zwischen verkehrspolitischem Gestaltungsanspruch und planerischer Wirklichkeit. Existieren möglicherweise in den Verwaltungen strukturelle und kulturelle Barrieren, die eine Transformation der Verkehrpolitik erschweren? FORUM Standpunkt © Ralf Vetterle auf Pixabay 5 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Verlierer der Verkehrswende sein werden, welche Akteure oder Institutionen werden an Macht verlieren und welche an Macht zulegen. Die aktuellen Diskurse und Entwicklungen in der städtischen Praxis geben Hinweise, wo die Barrieren liegen und wem Machtverluste drohen. Dieser Text begibt sich aus zwei Perspektiven auf die Suche nach den Barrieren einer verkehrspolitischen Transformation, insbesondere auf administrativer Ebene. Am Ende bleibt die Frage zu diskutieren, wie aus Sicht zukünftiger Generationen - denn sie sind der maßgebende Fluchtpunkt verantwortungsvoller Politik - die Verkehrswende so gestaltet werden kann, dass sie der gesamten Gesellschaft unmittelbar neue Möglichkeitsräume verschafft, wie es bereits Aufklärung und Demokratisierung zuvor taten. Der gesamte Mobilitätssektor befindet sich momentan sowohl technisch als auch gesellschaftlich im Umbruch. Innovationen im Bereich der Mobilität schießen wie Pilze aus dem Boden und etablierte Strukturen werden in Frage gestellt - besonders in Städten. Dabei ist momentan noch nicht abzusehen, wie diese Transformation der gesamten Stadtumwelt am Ende aussieht. Fest steht jedoch, dass es im Verantwortungsbereich von Politik und Planung liegt, diesen Wandel zu gestalten und einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert zu sichern [4]. Überraschenderweise gerieren sich weniger die vom Wandel betroffenen Gesellschaftsgruppen als vielmehr politische und planerische Entscheidungsträger in der Praxis als wenig wandlungsfähig [5]. Hier liegt sogar die Vermutung nahe, dass sie selbst als wesentlicher Bedenkenträger den Fortschritt auf Kosten der zukünftigen Gesellschaft blockieren. Sollten es am Ende gar die politischen Strukturen sein, die wie einst Kirche und König einen Machtverlust fürchten und den Status Quo im Verkehr zu konservieren versuchen? Eine politikwissenschaftliche Einordnung Hierbei muss zunächst „die Politik“ in ihrer Feingliedrigkeit weiter unterschieden werden, existieren doch vielschichtige Facetten und Dimensionen des föderalen Staatssystems in Deutschland. Die Verkehrswende als verkehrspolitisches Generationenprojekt kann dabei nicht alleine von der Bundesebene oder der kommunalen Ebene gestemmt werden, sondern hierbei müssen alle drei Ebenen entsprechend eines „kooperativen Föderalismus“ [6] zusammenarbeiten. Im Gegensatz dazu zeigt die praktizierte Verkehrspolitik der föderalen Ebenen ein widersprüchliches Bild. So sollen auf kommunaler Ebene beispielsweise restriktive Maßnahmen gegenüber Dieselfahrzeugen durchgesetzt werden (Fahrverbote) während gleichzeitig auf Bundesebene der Dieseltreibstoff steuerlich bevorteilt wird [7]. Kooperative Problemlösungskonzepte, wie die Blaue Plakette, wurden von Seiten des Bundes abgeblockt [8], ein gemeinsames verkehrspolitisches Gesamtkonzept ist weiterhin nicht zu erkennen. Auch innerhalb der föderalen Ebenen muss „die Politik“ weiter unterteilt werden. Zwei zentrale Akteure der verkehrspolitischen Exekutive sind Gubernative und Administrative [9]. Im klassischen Sprachgebrauch ist mit der Politik in der Regel der gubernative Teil der Exekutive gemeint, also die Vertreter der Regierung. Dass der administrative Teil mit seinen Verwaltungsinstitutionen auch einen wesentlichen Teil verkehrspolitischer Entscheidungsprozesse ausmacht und mitbestimmt, wird dabei meistens außer Acht gelassen. Dabei fallen administrativen Institutionen mitunter wesentliche Machtanteile zu, indem sie über verkehrspolitische Leitbilder und Strategien mitentscheiden und damit grundlegend den politischen Entscheidungsprozess beeinflussen. Im Selbst- und Außenverständnis wird die Verwaltung in der Regel als „neutraler“ und weisungsbefugter Akteur beschrieben [10], was jedoch ihrer tatsächlichen Rolle - insbesondere in der Verkehrspolitik - in keinster Weise gerecht wird. Insofern muss ein besonderes Augenmerk auf der Administrative liegen, wenn es darum geht, verkehrspolitische Transformationsprozesse zu untersuchen. Denn - und das legen die Beobachtungen der bundesdeutschen Planungspraxis nah - häufig entscheiden Verwaltungen darüber, ob eine Kommune, ein Bundesland oder ein Staat Transformationsprozesse aktiv mitgestaltet oder blockiert [11]. Ein besonders spannendes Beispiel, um die Interaktion von Politik, Verwaltung und Gesellschaft zu untersuchen, ist der Stadtstaat Berlin. Hier treffen ein von der Zivilgesellschaft initiierter und zum Ausdruck gebrachter Transformationsprozess auf eine progressive Regierungskoalition und eine personalkonsolidierte Verwaltung. Wie bereits eingangs diskutiert, entstand auch in Berlin seitens der Zivilgesellschaft der Impuls, die Verteilung des Verkehrsraums neu zu denken und etablierte Strukturen in Frage zu stellen [12]. Zeitgleich zum Transformationsimpuls folgte ein Regierungswechsel, in dessen Folge die neue Regierungskoalition sich den Zielen der zivilgesellschaftlichen Initiatoren verpflichtete [13]. Ergebnis dieses Prozesses der verkehrspolitischen Willensbildung ist das erste deutsche Mobilitätsgesetz. Dieses Gesetz sieht - im Gegensatz zur Straßenverkehrsordnung und dem Straßenverkehrsgesetz - eine explizite Berücksichtigung aller Verkehrsmittel vor, wobei 6 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt insbesondere dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), Radverkehr und Fußverkehr aufgrund der Flächeneffizienz und Umweltverträglichkeit eine besondere Rolle zukommt [14]. In Windeseile konnte so die verkehrspolitische Transformation rechtlich verankert werden, die robusteste Form der Institutionalisierung in demokratischen Staatssystemen. Damit blieb innerhalb weniger Jahre am Ende nur noch die Verwaltung, welche einerseits die etablierten Strukturen der klassischen Verkehrsplanung weiterhin abbildete und andererseits die Verkehrswende operationaliseren sollte. Eine Antinomie, die nicht nur in der Theorie, sondern auch in der aktuellen Praxis gut erkennbar ist [15]. Unterstützt wird diese institutionelle Trägheit bezüglich verkehrspolitischer Modernisierungen von einem unflexiblen Personal- und Arbeitsrecht, welches - aus demokratietheoretischer Sicht auch zu Recht - keine schnellen Strukturwechsel in der Administrative zulässt [16]. Referats- und Abteilungsleiter sind in den Verwaltungen über Jahrzehnte hinweg etabliert und können - im Falle abweichender normativer Zielvorstellungen - die gesellschaftliche Transformation mittelfristig lähmen. Hierbei wird offensichtlich, dass die Administrative nicht ausschließlich „unpolitisch“ und weisungsgebunden agiert, sondern eigene Werte und Normen mit in den politischen Entscheidungsprozess einbringt [17]. Eine wichtige Erkenntnis, um gesellschaftliche Transformationsprozesse in ihrer Gesamtheit nachzuvollziehen. Denn, und das zeigen verschiedene Beispiele auf kommunaler, Landes- und Bundesebene, verfügen die Verwaltungen über ausreichende politische Macht, können sie sich sogar gegenüber politischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren durchsetzen und einen Transformationsprozess wie die Verkehrswende auf kurz oder lang blockieren. Eine verwaltungspraktische Einordnung Bleibt man beim zuvor skizzierten Bild einer durch das Mobilitätsgesetz materialisierten Verkehrswende, stellt sich für den zukünftigen Ausblick die Frage, welche Barrieren in Anwendung und Umsetzung existieren. Der planerische Richtungswechsel, an dem das Gelingen der Verkehrswende messbar wird, umfasst mehrere Merkmale; Vordergründig geht es nicht mehr um die Gestaltung von Verkehr bzw. physischen Bewegungen, sondern um die Gewährleistung von Mobilität und gesellschaftlicher Teilhabe. Diese Grundversorgung ist unabhängig von einem bestimmten Verkehrsmittel. Das aus dem modernen Planungsverständnis abgeleitete Paradigma lautet deshalb, die Mobilität maximierend zu planen und gleichzeitig deren Abfallprodukt, nämlich den (Auto-)Verkehr, auf ein gesellschaftlich notwendiges Mindestmaß zu reduzieren. Hierbei ist evident, dass die durch die strategischen Zielvorgaben (Pariser Klimaschutzziele, Vision Zero etc.) abgeleitete, deutliche und kurzfristige Reduktion von Autoverkehr nur durch eine selbstbewusstere und damit auch restriktivere Umweltpolitik vonstatten gehen wird. Angebote und Subventionen im Sinne der Daseinsvorsorge werden dort geschaffen, wo durch die notwendigen Restriktionen Mobilitätseinbußen zu erwarten sind, nicht dort, wo umweltschädliche Konsummuster fortgeführt und durch effizientere Technologien, wie beispielsweise die (MIV-)Elektromobilität, legitimiert werden. Es ist augenscheinlich, dass diese Zielstellung mit einer Vielzahl geltender Rahmenbedingungen bis hin zu wirtschaftspolitischen Bestrebungen in Konflikt steht. So ist zunächst zu konstatieren, dass die einschlägigen verkehrlichen Rechtsnormen diesem Ansatz in großen Teilen widersprechen. Das Straßenverkehrsrecht, welches die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs - und hier vor allem des MIV - gewährleistet und dabei die Leistungsfähigkeit des Verkehrs als strategische Zielmarke setzt, ist die Grundlage verkehrsorganisatorischer Entscheidungen auf Verwaltungsebene [18]. Soll innerhalb dieses begrenzenden Rahmens die Verkehrswende vorangetrieben werden, ist zunächst nur ein iterativer Prozess aus progressiver Gesetzesauslegung bzw. Verkehrsplanung, gekoppelt mit einer, dem gesellschaftlichen Wandel angepassten Rechtssprechung möglich. Hierdurch werden die bestehenden Planungsgrenzen sukzessive aufgeweicht. Ein zeitüberbrückender Ansatz ist beispielsweise die Nutzung der sogenannten Experimentierklausel der StVO, die zum Zwecke der Erforschung des Verkehrsverhaltens von der Gesetzesnorm abweichende Anordnungen ermöglicht. Der eigentlich notwendige verkehrsplanerische Paradigmenwechsel wird durch die bestehende Gesetzeslage innerhalb der Verwaltungen somit jedoch zu einem evolutionären und teilweise lähmenden Prozess degradiert, welcher das grundsätzliche Gelingen der Verkehrswende in Frage stellt. Neben diesen „harten Rahmenbedingungen“ stellen organisationskulturelle Aspekte wie die Kultivierung des über Jahrzehnte gewachsenen alten Planungsverständnisses eine zusätzliche Barriere dar. Die strategische Zielvorgabe eines möglichst störungsfreien Autoverkehrs wird zur administrativen Norm, welche trotz gesellschaftlicher Transformation noch über Jahre hinweg konserviert wird. 7 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Dieses Trägheitsmoment der Verwaltung wird von zwei Phänomenen flankiert, welche mögliche Lösungsstrategien verkomplizieren: Erstens agiert die Bürokratie prinzipiell risikoavers [19]. Da innovatives Handeln in der Regel ein potenzielles Scheitern bedeutet, das wiederum auf Fachreferate langfristig delegitimierend wirkt, wird von unbekannten Verfahrensweisen normalerweise Abstand genommen. Hierdurch wird sogar der zuvor beschriebene iterative Prozess des Ausreizens von Planungsgrenzen in Frage gestellt. Zweitens steht nach wie vor die verwaltungsorganisatorische Institutionalisierung der Verkehrswende aus. Diese ist notwendig, damit der Ansatz von der normativen Zielvorgabe zu einer Fachaufgabe transformiert wird und Wissensaufbau und -transfer gewährleistet werden kann. Die bislang äußerst divergierende und fragmentierte bürokratische Verankerung der Verkehrswende, beispielsweise in kommunalen Klimaschutzprogrammen, in unterschiedlichsten Planwerken der Verkehrs- und Umweltpolitik oder verwaltungsfernen Expertengremien, behindern die eindeutige fachliche Zuordnung und damit langfristige Integration innerhalb des Verwaltungsapparats. Kulturelle Barrieren der Verkehrswende finden sich jedoch nicht nur auf Verwaltungsebene. Kongruent zur „Risikoaversion“ bestimmt die Skepsis gegenüber Restriktionen bzw. die „Verordnungsphobie“ [20] die schleppende Operationalisierung von politischer Seite. Diese richtet sich gegen jede Art von Einschränkung des geltenden Status Quo und stellt besonders in Städten die Verteilung des begrenzten öffentlichen Raums zugunsten des Umweltverbunds vor ein grundsätzliches Entwicklungsproblem. Exemplarisch zeigte sich die restriktionsaverse politische Abwägung jüngst öffentlich in Folge des durch die Bundesregierung einberufenen Expertengremiums „Nationale Plattform Zukunft der Mobilität“. In diesem Fall wurden regulative Vorschläge wie ein Tempolimit auf Autobahnen und höhere Spritsteuern noch während des Diskussions- und Arbeitsprozesses politisch ausgeschlossen [21]. Hierbei zeichnet sich ein grundlegendes Dilemma ab: Einerseits sind nur mithilfe von Restriktionen grundsätzliche und nachhaltige Verhaltensänderungen möglich [22]. Andererseits kann - sofern diese Skepsis gegenüber Regulierungen durch risikoaverses Handeln von Referent*innen antizipiert wird - die eigentliche Notwendigkeit restriktiver Maßnahmen nicht nachvollziehbar kommuniziert werden und erreicht somit nicht einmal den verkehrspolitischen Entscheidungsraum. Ausblick Aus Perspektive zukünftiger Generationen ist der Status Quo im Verkehrsbereich nicht mehr tolerierbar, eine Transformation, insbesondere des Stadtverkehrs, ist unabdinglich. Gleichzeitig bestimmt die Mobilität der Menschen den Grad gesellschaftlicher Teilhabe und räumlicher Versorgung und ist damit grundlegender Bestandteil staatlicher Daseinsvorsorge [23]. Politik und Verwaltung sind also gefragt, den ökologischen Wandel sozial nachhaltig zu gestalten und die Transformation im Sinne eines generationenübergreifenden Interesses voranzubringen. Diese gewaltigen Herausforderungen erfordern vor allem einen verwaltungskulturellen Wandel, ein modernes Verständnis administrativer Governance. Hierfür müssen sich Politik und Verwaltung nicht komplett neu erfinden, Beispiele für verwaltungsgetriebene Innovationen gibt es in der deutschen Geschichte genügend [24]. Die Transformation der klassischen zur „modernen-regulativen Verwaltung“ [25], als pluralisierter Akteur staatspolitischer Daseinsvorsorge, ist, gerade in Anbetracht der sozialen und ökologischen Bedrohungsszenarien im Verkehrssektor, eine wichtige Voraussetzung. Die moderne-regulative Verwaltung zeichnet sich dadurch aus, dass sie einerseits ein proaktives Gestaltungsmandat vertritt, andererseits kooperativ (Partizipation) und fachübergreifend (Integration) das gesellschaftliche Leitbild operationalisiert. Ein Verwaltungsverständnis das bis heute in Deutschland ungewohnt erscheint [26]. Grundlegend dafür ist, dass Innovation und Transformation nicht allein dem Markt überlassen werden, sondern die Verkehrswende gemeinsam von Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Gesellschaft gestaltet wird - wenn nötig auch regulativ. Dazu benötigt es gestaltungswillige Institutionen, die sich nicht an vergangenen Hegemonien und Planungsstrukturen festhalten, sondern proaktiv und couragiert die Zukunft mitgestalten. Andernfalls drohen die Verwaltungen zwischen technologischer Innovation und zivilgesellschaftlicher Transformation marginalisiert zu werden; ewig treu den eigenen Prinzipien wie einst Kirche und König. Solange die gestaltungspolitische Maxime weiterhin ein umweltverträglicher und menschengerechter Verkehr ist, muss dies mit vereinten Kräften verhindert werden. 8 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt LITERATUR [1] Hanf, T.: Gesellschaftliche Entwicklung und Transformation. In: Clausen, L. (Hrsg.): Gesellschaften im Umbruch: Verhandlungen des 27. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Halle an der Saale 1995 (1996), S. 617-629. Frankfurt am Main: Campus Verlag. Online verfügbar unter: https: / / nbnresolving.org/ urn: nbn: de: 0168-ssoar-140455 [2] Anter, A.: Theorien der Macht zur Einführung, 3. Auflage. Junius Verlag, 2018. [3] Vieweg, M., Bongardt, D., Hochfeld, C., Jung, A., Scherer, E., Adib, R., Guerra, F.: Towards Decarbonising Transport - A 2018 Stocktake on Sectoral Ambition in the G20. Report on behalf of Agora Verkehrswende and Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), 2018. Online verfügbar unter: https: / / w w w.agora-verkehrswende.de/ fileadmin/ Projekte/ 2017/ Verkehr_und_Klima_in_den_G20_Laendern/ 15_G20_WEB.pdf [4] Czada, R.: Regierung und Verwaltung als Organisatoren gesellschaftlicher Interessen. In Regieren in der Bundesrepublik III. Wiesbaden: Springer VS, (1991), S. 151-173. [5] Schwedes, O.: Das berliner Mobilitätsgesetz. Ein entscheidender Beitrag zur Verkehrswende in der Hauptstadt! In: PLANERIN 6_18. Berlin: SRL Verlag, (2018), S. 52-53. [6] Blätte, A., Hohl, K.: Gestaltungsräume des Regierens in den Ländern. Landespolitik zwischen Marginalisierung, Blockade und Innovation. In: Korte, K. R., Grunden T. (Hrsg.): Handbuch Regierungsforschung. Wiesbaden: Springer VS, (2013), S. 207-218. [7] Umweltbundesamt (Hrsg.) Köder, L., Burger, A.: Umweltschädliche Subventionen in Deutschland, Dessau-Roßlau, aktualisierte Ausgabe 2016. [8] BMVI - Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: „Blaue Plakette wäre Einstiegsdroge“. Interview mit Andreas Scheuer von der Rheinischen Post am 29.03.2018. Online verfügbar unter: https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ RedenUndInterviews/ 2018/ Verkehr/ scheuer-interview-rheinischepost-29032018.html [9] Luhmann, N.: Politische Planung. In: Politische Planung. Springer, (1971), S. 66-89. [10] Prätorius, R.: Verwaltungskultur. In: Greiffenhagen, M., Greiffenhagen, S., Neller, K. (Hrsg.): Handwörterbuch zur politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden: Springer VS, (2002), S. 626-628. [11] Mazzucato, M.: Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum. Verlag Antje Kunstmann, München, 2014. [12] Strößrenreuther, H., Kiesel, V., Graf, L.: Der Berlin-Standard: Moderne Radverkehrspolitik Made in Germany - Ein Bildband über Deutschlands erstes Mobilitätsgesetz. Röthenbach an der Pegnitz: Thiemo Graf Verlag, (2019), S. 38-45. [13] Landesregierung Berlin: Berlin gemeinsam gestalten. Solidarisch. Nachhaltig. Weltoffen. 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In: Schwedes, O. (Hrsg.): Verkehrspolitik. Wiesbaden: Springer VS, (2018), S. 115-139. [23] Rammert, A.: Verhaltensänderung als zentrale Herausforderung kommunaler Mobilitätsplanung. In: KommunalPraxis spezial, 4 (2018), S. 2. Wolters Kluwer. [24] Schwedes, O.: Das Leitbild einer integrierten Verkehrspolitik Teil der Lösung oder Teil des Problems? In: Schwedes, O. (Hrsg): Öffentliche Mobilität. Wiesbaden: Springer VS, (2014), S. 145-167 [25] Döhler, M.: Regulative Politik und die Transformation der klassischen Verwaltung. Politische Vierteljahresschrift : Sonderheft, 37 (2006), S. 208-227. https: / / nbn-resolving.org/ urn: nbn: de: 0168-ssoar-407156 [26] Reichard, C., Veit, S., Wewer, G.: Verwaltungsreform - eine Daueraufgabe. In: Veit, S., Reichard, C., Wewer, G. (Hrsg.): Handbuch zur Verwaltungsreform, Bd. 8. Wiesbaden: Springer Fachmedien, (2019), S. 1-13. AUTOREN Alexander Rammert Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung, TU Berlin, Kontakt: alexander.rammert@tu-berlin.de Benjamin Sternkopf Referent für Luftreinhalteplanung, Schwerpunkt Verkehr & Mobilität Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Kontakt: Benjamin.Sternkopf@SenUVK.berlin.de
