eJournals Transforming cities 4/2

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2019-0026
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Städte im Krisenmodus

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Wolfgang Sontheim
Die Anforderungen an eine sichere Trinkwasserversorgung sind seit der Industrialisierung massiv gestiegen. Zukünftig werden die Aufgaben noch komplexer: ob durch intensive Landwirtschaft (Nitrat, Pflanzenschutzmittel), steigende Meeresspiegel (Versalzung von Gewässern), Rückstände aus Pharmaka/Medizin oder Mikroplastik. Auf unterschiedliche Weisen gelangen Verunreinigungen und Schadstoffe in unsere Umwelt und somit in den Wasserkreislauf. Moderne Aufbereitungsverfahren, welche die unerwünschten Stoffe aus dem Wasser entfernen, sind gefragt, um den hohen Anforderungen an die Qualität unseres Trinkwassers gerecht zu werden. Ein weiterer zentraler Punkt der modernen Wasserversorgung ist eine stabile und zuverlässige Stromversorgung. Die öffentliche Wasserversorgung zählt zu den kritischen Infrastrukturen und nimmt einen besonderen Stellenwert in der allgemeinen Versorgung ein. Bei Stromausfall müssen wichtige Komponenten wie die Aufbereitungs-, Pumpen- und Steuerungstechnik mit elektrischer Energie versorgt werden. Mobile oder stationäre Netzersatzanlagen helfen über einen gewissen Zeitraum die Wasserversorgung bei Stromausfall am Laufen zu halten.
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20 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Eine immer häufiger eingesetzte Technik in der Trinkwasseraufbereitung zur Entfernung von Verunreinigungen im Wasser ist die Umkehrosmose (RO - Reverse Osmosis). In Deutschland wird die RO zur Trinkwasseraufbereitung derzeit hauptsächlich zur Enthärtung, Nitrat-/ Sulfatentfernung sowie zur Entfernung von Mikroschadstoffen eingesetzt. Hier wird mit einem Druck von 8 - 15 bar gearbeitet. Man spricht in diesem Fall auch von einer Niederdruck-Umkehrosmose-Anlage (LPRO - Low Pressure Reverse Osmosis) (Bild 1). Außerdem wird RO zur Meerwasserentsalzung eingesetzt. Hier werden je nach Salzkonzentration Drücke bis zu 100 bar benötigt, um das Salz aus dem Wasser zu entfernen, wodurch ein erheblicher Energieaufwand notwendig wird [1]. Die Membrane der RO trennen unselektiv, das heißt, es werden immer mehrere Aufbereitungsziele erreicht. So geht Enthärtung auch immer mit Entsalzung einher. Beim RO-Verfahren wird das Prinzip der Osmose genutzt - die einseitige Diffusion von Wasser durch eine semipermeable Membrane. Die Fließrichtung geht von der niedrig konzentrierten Lösung zur höher konzentrierten Lösung, mit dem Bestreben nach einem Konzentrationsausgleich zwischen den beiden Lösungen. Die Umkehrosmose verläuft umgekehrt: Wasser in der höher konzentrierten Lösung wird durch eine semipermeable Membran zur niedrig konzentrierten Lösung transportiert. Für diesen Vorgang ist Energie notwendig. In der Praxis wird dabei der Druck durch Pumpen erzeugt, wodurch das Wasser sozusagen entgegen des Konzentrationsgefälles „gedrückt“ wird. Die Membran hält die Wasserinhaltsstoffe auf der einen Seite zurück und lässt das Wasser passieren. Das Rohwasser wird somit in Permeat (gereinigtes Wasser) und Retentat (Konzentrat, mit den zurückgehaltenen Wasserinhaltsstoffen) getrennt (Bild 2). Meist bestehen die Membranen aus porösen Polymeren entweder als Wickel- oder Hohlfasermodule (Bild 3). Die Membranporen haben im Mittel einen Durchmesser von 0,5 bis 1 nm, sind also nur geringfügig größer als ein Wassermolekül (0,3 nm). Städte im Krisenmodus Trinkwasseraufbereitung in der Zukunft Wasserversorgung, Wasseraufbereitung, kritische Infrastrukturen, Energieversorgung, Netzersatzanlagen, Versorgungssicherheit Wolfgang Sontheim Die Anforderungen an eine sichere Trinkwasserversorgung sind seit der Industrialisierung massiv gestiegen. Zukünftig werden die Aufgaben noch komplexer: ob durch intensive Landwirtschaft (Nitrat, Pflanzenschutzmittel), steigende Meeresspiegel (Versalzung von Gewässern), Rückstände aus Pharmaka/ Medizin oder Mikroplastik. Auf unterschiedliche Weisen gelangen Verunreinigungen und Schadstoffe in unsere Umwelt und somit in den Wasserkreislauf. Moderne Aufbereitungsverfahren, welche die unerwünschten Stoffe aus dem Wasser entfernen, sind gefragt, um den hohen Anforderungen an die Qualität unseres Trinkwassers gerecht zu werden. Ein weiterer zentraler Punkt der modernen Wasserversorgung ist eine stabile und zuverlässige Stromversorgung. Die öffentliche Wasserversorgung zählt zu den kritischen Infrastrukturen und nimmt einen besonderen Stellenwert in der allgemeinen Versorgung ein. Bei Stromausfall müssen wichtige Komponenten wie die Aufbereitungs-, Pumpen- und Steuerungstechnik mit elektrischer Energie versorgt werden. Mobile oder stationäre Netzersatzanlagen helfen über einen gewissen Zeitraum die Wasserversorgung bei Stromausfall am Laufen zu halten. Bild 1: Niederdruck-Umkehrosmose-Anlage (LPRO) mit Retentataufbereitung. © Hydro-Elektrik 21 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen So kann nahezu reines Wasser erzeugt werde - Salze, Schwermetalle, Pestizide, Hormone sowie Bakterien und Viren werden aus dem Wasser entfernt (Bild 4). Die Membranmodule müssen in regelmäßigen Zyklen mit Frischwasser gespült werden, um die Ablagerungen der Wasserinhaltsstoffe auf den Membranen zu entfernen. Dabei wird entweder in oder entgegen Filtrationsrichtung gespült. Ablagerungen, die durch Rückspülung nur bedingt zu entfernen sind und zur Deckschichtbildung auf der Membrane führen, nennt man Fouling bzw. Scaling. Sie vermindern den Durchfluss durch die Membrane und somit die Ausbeute an Permeat. Fouling und Scaling wird durch Spülung mit Chemikalien entfernt, so dass die ursprüngliche Filterwirkung wieder hergestellt wird. Das Retentat, das heißt der aufkonzentrierte Rückstand der Filtration, wird in der Regel in den Vorfluter eingeleitet. Dies muss von behördlicher Seite genehmigt und hinsichtlich der Emissionen bewertet werden. Müssen Mikroschadstoffe entfernt werden, ist die Aufbereitung des Retentats notwendig. Das mit den Schadstoffen belastete Retentat wird dabei durch eine zusätzliche Aktivkohlefiltration gereinigt und erst danach in den Vorfluter eingeleitet. Die mit den Mikroschadstoffen beladene Aktivkohle wird separat entsorgt. In aller Regel muss das Permeat nach einer Umkehrosmose-Aufbereitung nachbehandelt werden. Gelöste Gase wie Kohlenstoffdioxid passieren die Membrane ungehindert, Härtebildner wie Calcium- und Magnesiumionen werden jedoch zurückgehalten. Dadurch wird das Kalk-Kohlensäure-Gleichgewicht gestört und das Wasser erfüllt nicht die korrosionschemischen Anforderungen der Trinkwasserverordnung. Eine Nachbehandlung des Wassers zur Entsäuerung ist erforderlich, was auf verschiedene Arten möglich ist: Ausgasung von CO 2 , Entsäuerungsfiltration oder Zugabe von alkalischen Komponenten. Netzersatzanlagen in der Wasserversorgung Die öffentliche Wasserversorgung zählt ebenso wie die öffentliche Abwasserentsorgung zu den kritischen Infrastrukturen. Darunter werden Einrichtungen und Institutionen mit hoher Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen verstanden, deren Ausfall oder Beeinträchtigung zu nachhaltig wirkenden Versorgungsengpässen, zu erheblichen Störungen der Sicherheit oder zu anderen dramatischen Folgen führen würde [2]. Auch wenn die Stromversorgung in den letzten Jahrzehnten relativ zuverlässig funktionierte, ist ein längerfristiger Stromausfall keineswegs ausgeschlossen. Durch die vielen dezentralen Stromerzeugungsanlagen wie Photovoltaik- oder Windkraftanlagen sowie die digitale Vernetzung der Komponenten und Anlagen untereinander, sind neue Angriffspunkte bei der Strom- Infrastruktur entstanden. Aus diesen Gründen sind für den Fall eines längerfristigen Stromausfalles Vorkehrungen zu treffen. Netzersatzanlagen übernehmen im Falle eines Netzausfalles die Stromversorgung auch über einen längeren Zeitraum hinweg. Ein Stromausfall in der Wasserversorgung bedeutet unter anderem:  Pumpenstillstand, Trinkwasserspeicher können nicht mehr befüllt werden  Druckerhöhungssysteme und Anlagen stehen still  Zusammenbruch der Wasserversorgung  keine Löschwasserbereitstellung Beim Ausfall der Wasserversorgung treten schnell problematische Situationen auf: in Kliniken, Krankenhäusern, Alten- und Rohwasser = Feed Membran Reinwasser = Permeat Konzentrat = Retentat Bild 2: Prinzip der Membranfiltration. © Hydro-Elektrik Bild 3: Hohlfasermembran. © Hydro-Elektrik 22 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Pflegeheimen. Nutzviehbetriebe sind auf eine sichere Wasserversorgung angewiesen, ebenso wie viele Produktionsbetriebe des Handwerks und der Industrie, insbesondere der Lebensmittelindustrie. Mit dem Ausfall der Abwasserentsorgung verschlechtern sich die hygienischen Zustände sehr schnell sehr massiv. Netzersatzanlagen (NEA) (Bild 5) sorgen im besten Fall für ein schnelles, automatisches Zuschalten im Sekundenbereich und damit zu einer Wiederherstellung der lokalen Stromversorgung. Sie werden in der Regel vollautomatisch mit Diesel betrieben. Für einen sofortigen und voll funktionsfähigen Betrieb einer NEA bei Stromausfall sollte eine regelmäßige Wartung und eine Einbindung in den Regelbetrieb erfolgen. Auch eine ausreichende Treibstoffbevorratung sollte sichergestellt werden. So wird der Treibstoff regelmäßig erneuert und eine unerwünschte Treibstoffalterung wird verhindert. Die Anlage übernimmt somit in regelmäßigen Abständen autark die Stromversorgung, um für den Ernstfall einsatzbereit zu sein. [3] Fazit: Mit modernsten Wasseraufbereitungssystemen kann vielen neuen Herausforderungen in der Trinkwasserversorgung begegnet werden. Das hat jedoch seinen Preis: Neben hohen Investitionskosten sind Kosten für Energie, Chemikalien, Entsorgung und Wartung zu berücksichtigen, die sich letzten Endes im Wasserpreis widerspiegeln. Sauberes Trinkwasser ist eben ein wertvolles Gut! QUELLEN [1] Wasseraufbereitung - Grundlagen und Verfahren, DVGW Lehr- und Handbuch Wasserversorgung Band 6, 2017. [2] Nationale Strategie zum Schutz kritischer Infrastrukturen, BMI 2009. [3] Notstromversorgung in Unternehmen und Behörden, Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Band 13, 2015. Bild 5: Netzersatzanlage (NEA). © Hydro-Elektrik Bild 4: Trenngrenzen der Membranverfahren. © Hydro-Elektrik AUTOR Dipl.-Ing. (FH) Wolfgang Sontheim HydroGroup / Hydro-Elektrik GmbH Kontakt: ws@hydrogroup.de www.hydrogroup.de