eJournals Transforming cities 4/2

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2019-0034
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2019
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Urbane Sicherheit bei Terrorgefahren

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2019
Norbert Gebbeken
Die Diskussion um die Absicherung öffentlicher Räume vor dem Hintergrund terroristischer Gefahren wird engagiert und höchst kontrovers geführt. Das hängt auch damit zusammen, dass in der Gesellschaft der Risikobegriff mit unterschiedlicher Deutung verwendet wird und dass Gefahren meistens sehr subjektiv aufgrund persönlicher Wahrnehmungen eingeschätzt werden. Eine wichtige Einflussgröße ist die Rolle der Medien. Aufgrund einer emotional aufgeheizten Stimmung entscheiden sich Politiker bisweilen für Sicherheitsmaßnahmen, die aus technischer Sicht nicht sinnvoll oder gar gefährlich sein können. Diese werden dann in den Medien als Maßnahmen dargestellt, die die Freiheit einschränken. Dazu kommt eine zeitdynamische Komponente, die dazu führt, dass das Thema „Terrorschutz“ unmittelbar nach einem (vereitelten) Anschlag großes Interesse erfährt, das schnell abebbt, wenn der Anschlag aus den Medien verschwunden ist. Der Beitrag ist ein Versuch der Situationsanalyse.
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44 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Urbane Sicherheit bei Terrorgefahren Vor dem Hintergrund von Risikowahrnehmung, gesellschaftlicher Debatte und Bürgerbeteiligung Urbane Sicherheit, Terrorgefahr, Risikobewertung, Sicherheitsmaßnahmen, mediale Aufmerksamkeit Norbert Gebbeken Die Diskussion um die Absicherung öffentlicher Räume vor dem Hintergrund terroristischer Gefahren wird engagiert und höchst kontrovers geführt. Das hängt auch damit zusammen, dass in der Gesellschaft der Risikobegriff mit unterschiedlicher Deutung verwendet wird und dass Gefahren meistens sehr subjektiv aufgrund persönlicher Wahrnehmungen eingeschätzt werden. Eine wichtige Einflussgröße ist die Rolle der Medien. Aufgrund einer emotional aufgeheizten Stimmung entscheiden sich Politiker bisweilen für Sicherheitsmaßnahmen, die aus technischer Sicht nicht sinnvoll oder gar gefährlich sein können. Diese werden dann in den Medien als Maßnahmen dargestellt, die die Freiheit einschränken. Dazu kommt eine zeitdynamische Komponente, die dazu führt, dass das Thema „Terrorschutz“ unmittelbar nach einem (vereitelten) Anschlag großes Interesse erfährt, das schnell abebbt, wenn der Anschlag aus den Medien verschwunden ist. Der Beitrag ist ein Versuch der Situationsanalyse. © Paolo Trabattoni auf Pixabay THEMA Städte im Krisenmodus? 45 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Rückblick Vor dem 11. September 2001 war man in der westlichen Welt der Meinung, dass der islamistische Terror räumlich weit weg ist. Er betraf uns nicht unmittelbar. Er war eine Angelegenheit der Außenpolitik. Mit dem Anschlag auf die Türme des World Trade Centers in New York fand bezüglich der Strategie der Terroristen ein Paradigmenwechsel statt. Erstens wurden katastrophale Anschläge direkt in der westlichen Welt, der Welt der „Ungläubigen“, verübt. Zweitens setzte man als Waffen Zivilflugzeuge ein, also keine typischen Waffen, und drittens galten die Anschläge nicht mehr nur Repräsentanten des Staates, sondern den „Ungläubigen“ schlechthin. Man sprach von asymmetrischer Bedrohung. Es wurde plötzlich erforderlich, zivile Einrichtungen, die nicht zu den kritischen Infrastrukturen zählen, zu schützen. Das waren Banken, Verlage, Hotels usw. Aufgabe der Ingenieure war es, den baulichen Schutz gegen Explosion, Beschuss und Anprall derart zu entwerfen, dass er für die Kunden, Gäste und Bürger nicht als solcher erkannt wurde. Wir nannten das „Hide Force Protection (HFP)“ im Gegensatz zu „Show Force Protection (SFP)“, bei der zum Beispiel durch Poller und Schutzwände der Schutz deutlich vermittelt wird. Betrachtet man die Statistiken zu Terroranschlägen nach 09/ 11, so ergibt sich weltweit (Bild 1) ein Auf und Ab von Anschlägen und Opfern. Jedoch für die Europäische Union ist seit 2015 ein deutlicher Anstieg der Angriffe festzustellen (Bild 2): 2015: 17, 2016: 13, 2017: 33. Bild 2 verdeutlicht, dass die Anschläge sehr unterschiedlich auf die Länder der Europäischen Union verteilt sind. Frankreich und Großbritannien scheinen im Fokus der Terroristen zu stehen. In Deutschland wurden vergleichsweise wenige Anschläge verübt. Das kann aber auch daran liegen, dass die Ermittlungsbehörden in Deutschland besonders effektiv arbeiten und Anschläge verhindern. Dazu liegen dem Autor jedoch keine Daten vor. Gefahren und Risiko Die Berichterstattung nach Anschlägen suggeriert häufig, dass die Terrorgefahr sehr real und allgegenwärtig ist und immer dramatischer wird. Um die Terrorgefahr richtig einzuschätzen, müssen wir uns mit der Eintretenswahrscheinlichkeit von verschiedenen Gefahren beschäftigen. Schaut man sich unterschiedliche Statistiken an oder vergleicht die Daten verschiedener Länder, dann stellt man fest, dass Daten zur Eintretenswahrscheinlichkeit einer Gefahr teilweise sehr voneinander abweichen. Das liegt beispielsweise an der Art, wie die Gefahrenereignisse gezählt werden und wie die Bezugsgröße festgelegt wird. Halten wir also fest: Die Eintretenswahrscheinlichkeit einer Gefahr ist keine eindeutige Größe. Man muss immer schauen, welche Parameter genau verwendet wurden. 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Anzahl Terroranschläge 14371 14414 11662 10969 11604 10283 6771 9964 13482 12121 11150 8584 Anzahl getötete Personen 20487 22719 15708 15310 13186 12533 11098 18066 32763 29424 25722 18753 0 5000 10000 15000 20000 25000 30000 35000 Opfer des Terrors Anzahl der Terroranschläge und der getöteten Personen weltweit Anzahl Terroranschläge Anzahl getötete Personen Bild 1: Terrorstatistik weltweit ab 2006. Quelle: US Department of State; National Consortium for the Study of Terrorism and Responses to Terrorism 46 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Die Eintretenswahrscheinlichkeit E einer Gefahr berechnet sich zu: Das obige Beispiel berechnet die Sterbewahrscheinlichkeit für Verkehrstote in Deutschland. Im Jahr 2018 gab es in Deutschland 3265 Verkehrstote (Statista) bezogen auf eine Bevölkerungszahl von 83 Mio. Nun könnte man sich die Frage stellen, ob man nicht die 1,4 Mio Touristen dazu zählen müsste, die sich im Durchschnitt täglich in Deutschland aufhalten. Und schon würde sich die Eintretenswahrscheinlichkeit für Verkehrstote ändern. Die Todesgefahr beim Bergsteigen liegt bei etwa 3 * 10 -3 . Wenden wir die Berechnung auf Terrortote in Deutschland an, so kommt man je nach Beobachtungszeitraum und der möglichen Anzahl exponierter Personen auf ganz unterschiedliche Zahlen. Im Jahr 2016 gab es in Deutschland 24 Terrortote, danach keine mehr (Zeitraum drei Jahre). Nun ist folgende Berechnung möglich: Würde diese Berechnung mit den Parametern akzeptiert (eine Berechnung mit anderen Größen ist durchaus denkbar) dann wäre die Folgerung, dass die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland im Straßenverkehr ums Leben zu kommen, mehr als vierhundertmal höher ist, als bei einem Terroranschlag zu sterben. Gesellschaftliche Debatte So wurde auch in einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 01. 09. 2017 argumentiert, bei dem es um die Notwendigkeit baulicher Schutzmaßnahmen zur Abwendung von Terrorgefahren ging. Es war zu lesen: „Gegen Anschläge mit Fahrzeugen sei keine absolute Absicherung möglich. Man könne nicht jede Straße und jedes Café im Außenbereich nach dem Vorbild der Wiesn mit Pollern sichern. Und: Das Risiko, bei einem Verkehrsunfall zu sterben, sei weitaus höher. Sagt Joachim Herrmann, der CSU-Innenminister von Bayern. Ähnlich skeptische Aussagen über Poller gibt es vom CDU-Innenexperten Wolfgang Bosbach. Die beiden kennen die Falle, in die die Politik regelmäßig nach Terroranschlägen zu tappen droht: dass irgendetwas passieren muss, damit die Bürger den Eindruck haben, dass sich jemand um ihre Sicherheit Gedanken macht. Egal, ob es wirklich etwas bringt. So etwas nennt man Aktionismus. Natürlich dürfen Politik und Sicherheitskräfte nicht untätig sein. Aber wenn sie etwas unternehmen, muss es gründlich durchdacht sein. Es sollte verhältnismäßig und effektiv, aber nicht effekthascherisch sein. Einfach mal so nach Pollern für die Fußgängerzone zu rufen, weil es ja schließlich niemandem schadet, riecht Bild 2: Terrorstatistik für die Europäische Union ab 2007. Quelle: Europol, European Union Terrorism Situation and Trend Reports 2007 bis 2017 Anzahl religiös motivierter Terrorangriffe in den Ländern der EU von 2007 bis 2017 Frankreich Großbritannien Deutschland Belgien Dänemark Spanien Schweden Italien Finnland 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Anzahl der Angriffe 20 15 10 5 0 2 1 1 1 1 1 11 1 1 1 2 2 2 2 44 5 5 15 2 14 11 Anzahl der Opfer Anzahl exponierter Personen * Zeitraum E = 3.265 83.000.000 * 1 = = 3,9 * 10 -5 Anzahl der Opfer Anzahl exponierter Personen * Zeitraum E = 24 83.000.000 * 3 = = 9,64 * 10 -8 47 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? stark nach Wahlkampfgetöse. Anschläge können nicht nur mit Lieferautos, sondern auch mit Schusswaffen, Messern, Flugzeugen oder Sprengstoff verübt werden. Die Fußgängerzone ist ebenso gefährdet wie die Leopoldstraße, der Weihnachtsmarkt am Rotkreuzplatz oder die Menschentraube vor den Zugangskontrollen zur Wiesn. Und die U-Bahn. Sichert man alle diese Risiken ab (falls das überhaupt geht), bleibt vom freien Leben in einer offenen und lebenswerten Stadt nicht mehr viel übrig. Diesen Triumph sollte man den von archaischen Ideologien getriebenen Terroristen nicht gönnen. Poller in der Fußgängerzone sind in erster Linie ein Beruhigungselixier. Leider ein ziemlich teures“. Dieser Beitrag verdeutlicht die Schwierigkeit, eine angepasste Strategie zu finden. Gefahren und Risiken sind zwei paar Schuh‘ Aber er macht auch deutlich, dass Begriffe, die eigentlich definiert sind, sehr unterschiedlich gebraucht werden. Oben haben wir die Eintretenswahrscheinlichkeit für die Sterbegefahr bei unterschiedlichen Gefahren berechnet. In der SZ steht: „Das Risiko, bei einem Verkehrsunfall zu sterben, sei weitaus höher.“ Hier wird nun von Risiko gesprochen. Was aber ist das Risiko in der Risikoforschung? Das Risiko R berechnet sich zu R = E * S, wobei E die Eintretenswahrscheinlichkeit ist und S das Schadensausmaß. Das Risiko ist somit die Quantifizierung einer Gefahr, nicht aber die Gefahr selbst. Die Eintretenswahrscheinlichkeit einer Gefahr ist eben nicht gleich dem Risiko. Das sind zwei Paar Schuh‘. Würde man der Argumentation in der SZ folgen, so müsste man also dringend die Alpen und die Straßen verpollern und nicht die Städte. Risikowahrnehmung ist sehr subjektiv Warum nimmt aber die Terrorthematik, trotz so extrem geringer Eintretenswahrscheinlichkeit, einen so großen Raum in der Öffentlichkeit ein? Warum nehmen wir die Meldungen über Verkehrstote und über Alpintote emotionslos hin? Weil es so viele sind? Haben wir uns einfach daran gewöhnt? Dann könnte es ja auch beim Terror eine Gewöhnung geben. Oder gibt es besondere Aspekte in Bezug auf den Terror? Zur Beantwortung der Frage müssen wir uns mit der quantitativen Risikoanalyse befassen, und zwar mit dem Parameter „Schadensausmaß“. Das Schadensausmaß von Terroranschlägen lässt sich nicht wirklich beziffern Das Schadensausmaß bei Alpinunfällen und Verkehrsunfällen ist gesellschaftlich sehr klein, so schlimm es auch für die Betroffenen ist. Das sächliche Schadensausmaß ist bei Terroranschlägen auch immer noch klein, im Vergleich zum nicht sächlichen Schadensausmaß, das für die Gesellschaft immens sein kann (Bild 3). Terroranschläge treffen die Gesellschaft ins Mark. Doch wie lässt sich das nicht sächliche Schadensausmaß beziffern? Dafür gibt es keine klare Formel, aber Abschätzungen. 9 76 13 10 20 20 27 43 33 33 27 28 48 75 108 91 89 52 0 25 50 75 100 125 Ökonomische Kosten durch Terrorismus weltweit von 2000 bis 2017 (in Milliarden US-Dollar) Ökonomische Kosten in Milliarden US-Dollar 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2000 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Bild 3: Ökonomische Kosten durch Terrorismus weltweit seit 2000. Quelle IEP, Global Terrorism Index 48 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Bild 3 zeigt die ökonomischen Kosten weltweit durch Terrorismus seit dem Jahr 2000 in Milliarden US-Dollar. Die Daten basieren auf dem GTI (Global Terrorism Index). Sie wurden vom Institute for Economics & Peace (IEP) erhoben. Das Modell für den Terrorismus umfasst die direkten und indirekten Kosten von Todesfällen und Verletzungen sowie die Zerstörung von Eigentum durch Terroranschläge. Die direkten Kosten umfassen die Kosten, die von den Opfern der Terroranschläge getragen werden und den damit verbundenen Staatsausgaben - wie beispielsweise medizinische Ausgaben. Zu den indirekten Kosten gehören Produktivitäts- und Einkommenseinbußen sowie die psychologischen Traumata der Opfer, ihrer Familien und Freunde. Es gibt aber weitere nicht sächliche Kosten, wie Reiseverhalten, Einkaufsverhalten, Gesetzgebung, Normung, usw. Das tatsächliche Schadensausmaß von Terroranschlägen ist also noch größer als in Bild 3 angegeben. Würde man der Argumentation, die in der SZ dargestellt wurde, folgen, so müsste man von sämtlichen passiven Terror-Schutzmaßnahmen abraten. Stellt man jedoch eine quantitative Risikoanalyse an, die auch das Schadensausmaß von Terroranschlägen mit einbezieht, so kann man zu einem anderen Ergebnis kommen. Das Recht auf Freiheit ist im Grundgesetz verankert, ein Recht auf Sicherheit gibt es nicht Sowohl im SZ-Artikel (Herrmann, Bosbach) als auch in einer SWR-Diskussion am 15. 08. 2017 (Nils Zurawski, Soziologe, Stadtforscher) wurde argumentiert, dass Sicherheitsmaßnahmen, insbesondere bauliche, die Freiheit der Bürger einschränken. Sicherheit und Freiheit scheinen also in einem Spannungsfeld zu stehen. Interessanterweise gibt es in Deutschland das Recht auf Freiheit (GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2 und Art. 104), nicht aber ein Recht auf Sicherheit. Dabei ist Sicherheit vielen Deutschen ebenso wichtig wie Freiheit. Schutzmaßnahmen, die selbst eine Gefahr darstellen Nach dem verheerenden Anschlag auf dem Breitscheidplatz am 19.- Dezember- 2016 wurde quer durch Deutschland, selbst in kleinen Gemeinden, überreagiert, oder wie es im SZ-Artikel steht, es fand Aktionismus statt. Es wurden in der Folge unzählige Veranstaltungen „verpollert“. Bemerkenswert dabei ist, dass vielfach Barrieren verwendet wurden, die ihren Zweck nicht erfüllten, ja schlimmer noch, die beim Anprall selbst zur Gefahr wurden. Man fragt sich dann, warum keine Spezialisten zu Rate gezogen wurden. Den Impulssatz und das Reibungsgesetz lernen Studierende der Ingenieurfächer schon im dritten Semester. Bürgerbeteiligung - Ja oder Nein? Die Bevölkerung reagierte sehr unterschiedlich auf diese Sicherheitsmaßnahmen. Es gab einerseits Stimmen, die angaben, dass man sich durch die Maßnahmen sicher fühle, doch andererseits wurde gesagt, dass die Sicherheitsmaßnahmen für Verunsicherung sorgten. Dadurch wird ein interessantes Phänomen deutlich - das Sicherheitsgefühl. Warum fühlen sich Menschen subjektiv sicher, auch wenn sie sich objektiv in Gefahr begeben? So zum Beispiel als Verkehrsteilnehmer, beim Bergsteigen oder bei der Hausarbeit? Warum setzen die meisten Fahrradfahrer keinen Helm auf? Dazu hat der Soziologe Ortwin Renn ein Buch geschrieben, mit dem Titel „Das Risikoparadox - Warum wir uns vor dem Falschen fürchten“. Ist es vor diesem Hintergrund sinnvoll, Bürger zu beteiligen, wenn es um Fragen der Sicherheit geht? Wir stellen immer wieder fest, dass viele Menschen mit Zahlen wie Eintretenswahrscheinlichkeiten nichts anfangen können. Umfragen im Angesicht eines Anschlages ergeben andere Ergebnisse als Umfragen, nachdem das Ereignis aus den Medien und aus dem Bewusstsein verschwunden ist. Prävention - ein hartes Brot Ein weiteres interessantes Betätigungsfeld ist die Prävention. Ist die Prävention gut, dann passiert nichts und man ist in der Folge geneigt, die Ressourcen für die Prävention zu verringern. Passiert jedoch etwas, dann hätten es die Experten doch wissen und somit warnen müssen. Zumindest werden unmittelbar Lösungen erwartet. Bei der Präventionsarbeit haben wir es abermals mit der Risikoanalyse zu tun. Es geht zunächst darum, Gefahren zu erkennen. Einerseits schaut man in die Vergangenheit und versucht in die Zukunft zu extrapolieren. Manchmal ist das möglich, zum Beispiel bei eindeutigen langfristigen Trends, etwa beim Klimawandel - manchmal aber auch nicht, beispielsweise bei Gefahren der Finanzwirtschaft. Andererseits müssen zukünftige Gefahren erkannt und identifiziert werden. Dabei geht es auch darum, deren Eintretenswahrscheinlichkeiten zu erfassen, und um die Frage, ob man den „Black Swan“ findet und ihn berücksichtigen muss. Hierzu ein Beispiel: Nach den Flugzeuganschlägen auf das World Trade Center wurde in Fachkreisen auch die Gefahr der Anschläge mit Fahrzeugen thematisiert. Es ging dabei um Szenarien mit Autobomben, mit dem Schaffen von Zufahrt (zum 49 2 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städte im Krisenmodus? Beispiel mittels Durchbrechen von Schranken) und mit dem Hineinfahren in Menschengruppen. Diese Diskussion wurde in verschiedenen Ländern ganz unterschiedlich aufgenommen. In den USA wurden zügig bauliche Schutzmaßnahmen zum Schutz vor Anschlägen mit Fahrzeugen umgesetzt. Europa wähnte sich in Sicherheit. Lediglich von Anschlägen betroffene Städte reagierten, beispielsweise London. Erst seit dem Anschlag auf den Breitscheidplatz am 19.- Dezember- 2016 wurde der Schutz vor Überfahrtaten in Deutschland ein Thema. Seitdem wird die „Verpollerung“ der Städte heftigst diskutiert. Und es kommt wiederum ein typisch deutsches Thema auf - die Normung und Zertifizierung von Systemen. Derzeit sind nur Poller genormt und zertifiziert. Damit kann man innovative Barrieren vom Markt fernhalten, die jedoch stadtbildverträglich und multifunktional sind. Stakeholder - Ressortdenken anstelle gemeinsamer Lösungsansätze Interessant ist auch die Rolle unterschiedlicher Stakeholder. Die Polizei verfolgt mitunter ganz andere Interessen als die Stadtplanung. Beim Workshop „Protection of Public Spaces - security by design“ der Europäischen Kommission beim europäischen Joint Research Center in Ispra, Italien, im Juni 2018, waren Vertreter von 13 europäischen Städten zugegen. Nur drei der Städte hatten Stadtplaner geschickt, die anderen waren durch die zuständigen Polizeibehörden vertreten. Das hat mich nachdenklich gemacht, im Hinblick auf stadtplanerisch angepasste Lösungen der oben erwähnten HFP-Strategie. Der Polizei geht es in der Regel nicht um Schönheit oder Multifunktionalität, sondern nur um Sicherheit. Manchmal ist es schwierig bis unmöglich, alle Stakeholder an einen Tisch zu bringen. Ressortdenken bringt uns aber heute nicht weiter. Meist sind nur multidisziplinär erarbeitete Lösungen gute Lösungen. Mehr denn je sollte ressortübergreifend gearbeitet werden. Prof. Dr.-Ing. habil. Norbert Gebbeken Universität der Bundeswehr München Forschungszentrum RISK Kontakt: norbert.gebbeken@unibw.de AUTOR Es tut sich was - urban, sicher, multifunktional und wirtschaftlich Inzwischen gibt es in Deutschland eine aufkeimende Strategie im Hinblick auf die Sicherheitsarchitektur bei terroristischer Gefährdung und baulichen Schutzmaßnahmen. Es wurde in den Koalitionsvertrag vom 4. März 2018 unter dem Kapitel „Lebenswerte Städte, attraktive Regionen und bezahlbares Wohnen“ geschrieben, dass Investitionen in die Sicherheit öffentlicher Räume getätigt werden sollen. Ergänzend soll die Sicherheit öffentlicher Räume in die Bauleitplanung aufgenommen werden. Das hat zur Folge, dass zukünftig bei der Stadtplanung von Anfang an das Thema Sicherheit zu berücksichtigen ist. Das ermöglicht Synergieeffekte und wirtschaftliche multifunktionale Lösungen. Heute wird Sicherheit meist nachträglich adaptiert, was in der Regel teuer ist und nur suboptimale Lösungen zulässt. Darüber hinaus hat die Europäische Kommission ein neues Forschungsprogramm namens „Urban Innovative Actions“ gestartet. Mit diesem Programm werden innovative Best Practice-Beispiele zur urbanen Sicherheit in Europa gefördert. Auch deutsche Städte nehmen an der Ausschreibung teil. Diese Entwicklung lässt hoffen, dass unsere „Transforming Cities“ gleichermaßen urban und sicher bleiben bzw. werden. 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