Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2019-0050
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Wasser in Bewegung
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Klaus W. König
Eine Fontäne ist besonders eindrucksvoll, wenn der Wind den aufrecht sprühenden Wasserstrahl in Gischt und Sprühnebel zerlegt und vor sich her treibt. Anders in Zürich. Die Attraktion des „Aquaretum“ besteht seit Mai 2019 aus 12 exakt gebogenen Wasserstrahlen, die zusammen ein räumliches Gebilde formen. Dessen Gestalt variiert, durch seismische Impulse belebt.
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11 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Ortskundige wissen, dass es am Mythenquai, im Zentrum Zürichs, unmittelbar vor dem Sportboothafen Enge das Aquaretum als Fontäne gab. Ein Geschenk der Zürich Versicherungs- Gesellschaft aus Anlass ihres 125-jährigen Jubiläums 1998 an die Bevölkerung der Stadt. Nach 20 Jahren war es an der Zeit, die Technik zu erneuern. Als Bauherrschaft ließ die Zürich Versicherungs-Gesellschaft die Anlage komplett ersetzen, die jetzt geschaffene Attraktion im Austausch mit Fachstellen und Anrainern entwickeln und im ordentlichen Verfahren durch Stadt und Kanton bewilligen. Das so entstandene Wasserspiel ist ein schwimmendes Kunstwerk, das nach dem Willen seiner Schöpfer gerade keine typische Fontäne mehr sein soll. Andres Bosshard, den weit über die Schweiz hinaus bekannten Klangkünstler, zogen die für die Neuinstallation Verantwortlichen von Fischer Architekten beizeiten zu Rate. Der Pulsschlag unseres Planeten Die mit Hilfe von Luft und Licht inszenierte, filigran bewegte Wasser-Skulptur ist bis zu 30 Meter hoch und ändert ihre Gestalt fortwährend, allerdings nicht nur durch Wind und Thermik. Das Auge des Betrachters erkennt Wasser in Bewegung Wahrzeichen Aquaretum auf dem Zürichsee in neuer Gestalt, seismische Signale steuern ein weithin sichtbares Wasserspiel Klaus W. König Eine Fontäne ist besonders eindrucksvoll, wenn der Wind den aufrecht sprühenden Wasserstrahl in Gischt und Sprühnebel zerlegt und vor sich her treibt. Anders in Zürich. Die Attraktion des „Aquaretum“ besteht seit Mai 2019 aus 12 exakt gebogenen Wasserstrahlen, die zusammen ein räumliches Gebilde formen. Dessen Gestalt variiert, durch seismische Impulse belebt. Bild 1: Die Kugeldüsen aus acht Millimeter starkem Edelstahl sind die beständig sichtbaren Elemente. Sie dienen mit 120 Zentimeter Durchmesser als Schwimmkörper für die rund 30 Tonnen schwere Gesamtkonstruktion. © David Fuchs / Metallatelier GmbH 12 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Bild 3: Entpacken und Reinigen der Kugeldüsen auf dem Zürichsee, während der Schneesturm „Eberhardt“ heranzieht. © David Fuchs / Metallatelier GmbH zunächst die zwölf kugelförmigen Wasserdüsen aus Edelstahl, welche in vier Dreiergruppen - in den Ecken einer quadratischen Fläche von 16 x 16 Meter angeordnet - auf der Seeoberfläche schwimmen. An jeder der zur gemeinsamen Mitte geneigten Düsen bildet sich ein glasklarer Wasserbogen, der ab 10 Meter Höhe allmählich aufzubrechen beginnt. Er behält noch über den Scheitelpunkt hinaus eine stabile Form. Im Herabfallen bilden sich Wasserbögen, welche sich in drei unterschiedlichen Höhen zu Kuppeln verweben und ein räumliches Gewölbe entstehen lassen. Zum Leben erweckt wird das Aquaretum schließlich durch Signale, die in Echtzeit von der äußeren Hülle unseres Planeten Erde empfangen werden. Diese mikroseismischen Boden-Bewegungen haben ihren Ursprung neben lokalen Ereignissen auch im Wellenschlag an den Meeresküsten und in den Tiefdruckgebieten über den Ozeanen. Damit wird die Verwandtschaft des Wassers im Zürichsee zum Wasser anderer Kontinente erlebbar. Konkret bedeutet das, dass Livesignale seismischer Aktivität, aufgezeichnet von der Erdbebenwarte der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), zunächst lokal aufbereitet werden müssen, bevor sie dem Wasserspiel seinen Rhythmus geben können. Mit Einbruch der Dunkelheit verwandelt sich das Aquaretum in ein Lichtobjekt. Mit Spezialleuchten in den Kugeldüsen phosphoreszieren die laminaren Wasserstrahlen, Glasfasern ähnlich, von innen heraus. Zusätzliche sparsame LED-Scheinwerfer strahlen die höheren Wurfbereiche an und verdeutlichen die Wasserbögen. An Feiertagen und Festtagen wird durch eine spezielle Farbauswahl ein besonderer Akzent gesetzt. Durch Erdbewegung erregte Brunnenchoreografie Die Kugeldüsen aus acht Millimeter starkem Edelstahl sind die beständig sichtbaren Elemente. Sie dienen mit 120 Zentimeter Durchmesser als Schwimmkörper für die etwa 30 Tonnen schwere Gesamtkonstruktion. Um zwölf ständig von Bodenunruhe erregte Wasserstrahlen in ein ausgewogenes Wasserspiel zu bringen, hat die Metallatelier GmbH zunächst ein funktionierendes Modell im Maßstab 1: 10 gebaut. „Mit kompositorischem, choreografischem und steuerungstechnischem Wissen entwickelten wir eine Bewegungsverwandtschaft zwischen den drei Kuppeln, damit sie mit eigenständigen, freien Bewegungen einander folgen, manchmal sich sogar überholen und nur selten untereinander kollidieren. Diese drei Elemente des Aquaretum bilden mit ihrem gemeinsamen Charakter die klare Gesamtgestalt des Wasserspiels“, erklärt Geschäftsführer David Fuchs. Und Mitarbeiter Michael Roggon ergänzt: Bild 2: Wasserspiel Aquaretum: ein erster Testbetrieb vor dem Justieren der Kugeldüsen. © David Fuchs / Metallatelier GmbH 13 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum „Die Modulation des Lichts in der Nacht ist das vierte Element, mit dem wir die auch vorhandenen sehr ruhigen seismischen Impulse zeigen, die Perioden von 1 - 20 Minuten Dauer haben“. Bei laufendem Versuchsbetrieb konnten die Charakteristika der Erdbewegungen erkundet und in den Steuerungscomputer zur Bewegung des Wasserspiels eingespeist werden. Der Programmierer Olaf Matthes setzte die künstlerischen Anforderungen mittels MAX MSP in ein fein justierbares Programm um, welches zwischen Seismometer und der BECKHOFF Industriesteuerung für die Pumpen geschaltet ist. Die vier Wasserstrahlen der untersten Kuppel reagieren am schnellsten. Ihre steigenden und sinkenden Bewegungen folgen der Beschleunigung, welche die aktuelle seismische Kurve charakterisiert. Die mittlere Kuppel interpretiert den gleichen Bewegungsimpuls etwas gemächlicher und verfolgt dessen Geschwindigkeit. Die oberste Kuppel, die dem Aquaretum seine äußere Gestalt gibt, ist die ruhigste. Sie zeigt den Weg des gemessenen Signals. Bei besonderen seismischen Ereignissen erreicht das Wasserspiel eine Höhe von bis zu 30 Metern. Vom Signal zum Wasserstrahl Der Schweizerische Erdbebendienst (SED) sendet das Signal, gemessen auf dem Zürichberg mit einem Breitband-Seismometer, an die ETH Zürich, deren Messstation „ZUR“ sich in der Brunnenkammer am Hafen Enge befindet. Einzig der Frequenzbereich unterscheidet die Daten von einem üblichen Audiostream. Dank der hohen Sensibilität der Messgeräte bewegt sich das Aquaretum auch durch sanfteste Bewegungen der Erde, welche als Bodenunruhe bezeichnet werden. Die Erde ist vergleichbar mit einer riesigen Glocke, schlägt man sie kräftig an, klingt sie bis zur Dauer eines Monats. Zur Belebung des Wasserkunstwerks eignen sich die Frequenzen mit einer Wellenlänge zwischen einer Sekunde und einigen Minuten am besten. Das Programm von Olaf Matthes pegelt das Signal ein, filtert, verstärkt und komprimiert es, und gibt es schließlich in vier Umrechnungen an die BECKHOFF Industriesteuerung aus. Die Bewegungsverwandtschaften und damit auch die Unterschiede in der Bewegungscharakteristik der drei Kuppeln sowie der Beleuchtung entstehen maßgeblich durch diese Umrechnung. Der „ZUR“-Sensor steht in einem etwa vier Meter tiefen Schacht, direkt in der Molasse des Zürichbergs. Am Schachtgrund wurde ein 40 Zentimeter hohes Betonfundament gegossen. Darauf steht die Breitbandstation mit einem „Streckeisen STS2_gen3“-Sensor. Dieser sehr hochwertige Sensor kann feinste Bewegungen in einen weiten Frequenzbereich abbilden. Bis zu einer Wellenlänge mit Periode 120 Sekunden nimmt die Empfindlichkeit des Sensors nur wenig ab. Mit weiter steigender Wellenlänge sinkt die Empfindlichkeit des Sensors. In Abhängigkeit zur seismischen Geräuschkulisse können an einem solchen Sensor bei optimaler Filterung sogar die Erdgezeiten abgebildet werden, was einer Wellenlänge mit Periode von 12 Stunden und 24 Minuten entspricht. Wobei die Amplituden der verwendeten Wellen eher im Mikrometerbereich liegen und die Erdgezeiten Bewegungen im Dezimeterbereich verursachen. Es ist schwer zu sagen, was genau jeweils die Quelle einer Schwingung ist. In dem für die Wasserstrahlen des Aquaretum genutzten Frequenzbereich zwischen 0.5 und 0.005 Hz (also eine Periode von 2 bis 200 Sekunden) spielen Wetter und Wind eine große Rolle. Bei sieben Sekunden liegt der sogenannte „Meeresmikroseismische Peak“ - das sind Ozeanwellen, die auf Küsten treffen. Deren Stärke ändert sich mit dem Wetter. Fernbeben fallen ebenfalls in diesen Bereich. Auch die Oberflächenwellen von manchen Beben aus der Schweiz sollte man mit Perioden von bis zu einigen Sekunden sehen können - und vermutlich Teile des Bahnverkehrs im Tunnel unter der Stadt Zürich. Aus der Sicht des Künstlers Andres Bosshard ist es „eine Stimme aus dem Grund der Stadt Zürich, die in schwimmenden und schwingenden Formen von Wasser und Licht einen Dialog unseres Planeten mit dem Betrachter herstellt“. Seine Idee wurde unter der Leitung von Fischer Architekten durch ein interdisziplinäres Team von Spezialisten an der Schnittstelle von Kunst und Architektur geplant und realisiert. Dipl.-Ing. Klaus W. König Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser, Fachjournalist kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR Bild 4: Der Laminarstrahl des Wasserspiels Aquaretum beim Verlassen der Kugeldüse, von innen beleuchtet. © David Fuchs / Metallatelier GmbH
