Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2019-0057
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Die Schwammstadt als Baustein des klimaresilienten Stadtumbaus
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Fabian Dosch
Bernhard Fischer
Durch den Klimawandel verstärkte Hitzewellen, Trockenheit und Starkregen wirken auf Städte, in denen mehr Menschen in dichterer Bebauung wohnen, leben und arbeiten. Das erfordert ein klimawandelangepasstes Siedlungswassermanagement: die „Schwammstadt“. Bei Starkregen halten Mulden, Überflutungsflächen und grüne Infrastruktur Wasser zurück und geben es verzögert ab. Auf engem Raum der Stadt tragen viele kleine Lösungen dazu bei, ober- wie unterirdisch. Trotz guter Beispiele im Stadtumbau erfordert die Überflutungsvorsorge eine breitere Umsetzung durch Stadtentwässerung, Stadtentwicklung, und klimaangepasstem Bauen.
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34 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtisches Grün - städtisches Blau Auf die Rekordhitze im Jahr 2018 folgte im Jahr 2019 eine extreme Hitze: Ende Juli 2019 wurden in Deutschland erstmals verbreitet über 40 °C gemessen, in Städten entlang des Nordrheins über 41 °C. Mehrere Tropennächte mit Minimumtemperaturen weit über 20 °C boten kaum Abkühlung, Gebäude und Innenräume heizten sich immer weiter auf, dort wo Menschen sich die meiste Zeit aufhalten. Auf die Extremhitze folgte dann verbreitet Starkregen: zum Beispiel in Berlin, wie schon 2018, wo die Ringbahn unterbrochen war, Tunnel überflutet wurden, und in Ortsteilen der Ausnahmezustand galt. Dabei war in Berlin bereits 2017 ein Jahrhundertregen niedergegangen. Jede Stadt in Deutschland kann vom Starkregen betroffen sein [1: 18], beispielsweise Dortmund 2008, Bremen und Hamburg 2011, Die Schwammstadt als Baustein des klimaresilienten Stadtumbaus Mit klimaangepasstem Bauen zur Überflutungsvorsorge Schwammstadt, Starkregen, Überflutungsvorsorge, Stadtumbau, Klimaangepasstes Bauen Fabian Dosch, Bernhard Fischer Durch den Klimawandel verstärkte Hitzewellen, Trockenheit und Starkregen wirken auf Städte, in denen mehr Menschen in dichterer Bebauung wohnen, leben und arbeiten. Das erfordert ein klimawandelangepasstes Siedlungswassermanagement: die „Schwammstadt“. Bei Starkregen halten Mulden, Überflutungsflächen und grüne Infrastruktur Wasser zurück und geben es verzögert ab. Auf engem Raum der Stadt tragen viele kleine Lösungen dazu bei, oberwie unterirdisch. Trotz guter Beispiele im Stadtumbau erfordert die Überflutungsvorsorge eine breitere Umsetzung durch Stadtentwässerung, Stadtentwicklung, und klimaangepasstem Bauen. Bild 1: Starkregenverteilung 2001-2016 für verschiedene Intensitäts- und Dauerstufen. Quelle: Strategische Behördenallianz an den Klimawandel 2017 [4: 3; 5: 50] 35 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtisches Grün - städtisches Blau Bonn 2013, Münster 2014, Simbach oder Braunsbach 2016, Köln 2017, Wuppertal 2018 [2: 46]. Es gibt Anhaltspunkte für eine Zunahme der Intensität konvektiver Ereignisse mit steigender Temperatur [1]. Inwiefern es regionale Unterschiede im Auftreten von Starkregen gibt - also deren Dauer, Intensität und Verbreitung - wird von der Strategischen Behördenallianz Anpassung an den Klimawandel im Rahmen des 2019 gestarteten Projektes „KlamEx - Klassifikation meteorologischer Extremereignisse zur Risikovorsorge gegenüber Starkregen für den Bevölkerungsschutz und die Stadtentwicklung“ erforscht. In einem Vorläuferprojekt „Erstellung einer radargestützten Niederschlagsklimatologie“ wurden unter anderem Überschreitungen der Warnschwellen des Deutschen Wetterdienstes innerhalb der Zeitspanne 2001 bis 2016 ermittelt. So zeigen Karten für Starkregen (zur Definition vgl. Bild 1) für „markantes Wetter“ ein für Berggebiete erhöhtes Auftreten. Doch je extremer die Intensität (Unwetter), desto mehr zerfällt das orographische Muster. Die Extremereignisse für kurzlebige lokale Starkregenereignisse treten in nahezu allen Regionen Deutschlands auf [5]. Wenn also Starkregen überall auftreten können, dann müssen sich Städte und Gemeinden auch überall darauf vorbereiten. Und nicht nur auf Starkregen, auch auf langanhaltende Trockenheit, die zu einem veränderten Wasserregime in Städten führt. Insbesondere die Jahre 2015, 2018 und 2019 waren und sind außergewöhnlich trocken, wie der Dürremonitor Deutschland des UFZ Zentrum für Umweltforschung zeigt. Hitze, Trockenheit und Starkregen machen den Städten zu schaffen. Diese klimawandelverstärkten Witterungsextreme treffen zudem auf nachverdichtete Städte. Zwischen 2005 und 2017 nahm die Bevölkerung der kreisfreien Großstädte um 1,7 Mio. Einwohner bzw. 7,5 % zu, darunter die der Metropolen über 500 000 Einwohner um 11,2 %. Es wurde und wird gebaut, nachverdichtet und versiegelt. Die Siedlungsdichte, definiert als Einwohner je km² Siedlungs- und Verkehrsfläche (SuV), stieg in den kreisfreien Großstädten von 3880 (2000) auf 3929 (2017) Einwohner je km² SuV. Die Folge der verdichteten Bauweisen sind ein Rückgang unversiegelter und wasserdurchlässiger Böden sowie eine höhere Baumasse, die insgesamt eine Vorsorge vor Starkregen und Trockenheit erschweren. Das Schwammstadt-Prinzip Städte sind für Auswirkungen von Wetterextremen besonders anfällig, da diese dort zu immensen materiellen Schäden an Infrastruktur und Gebäuden führen und auch Menschen gefährden können. Gefragt sind Strategien, die den Umgang sowohl mit einem Zuviel als auch mit einem Zuwenig an Wasser - also der Bewältigung von Sturzfluten, Hitze und Trockenheit gleichermaßen adressieren, und sich auf engem Raum in den Städten realisieren lassen. Rein technische Lösungen der Ableitung durch die Siedlungswasserwirtschaft stoßen an ihre Grenzen, denn für größer dimensionierte Regenrückhaltebecken und Entlastungskanäle fehlen oft Geld und Platz. Der Klimawandel erfordert die Strategie einer wassersensiblen Stadtentwicklung, die international als „Sponge City“ [6] zu dt. „Schwammstadt“ beschrieben wird. Hinter diesem Begriff steht das Prinzip, weniger Wasser oberflächlich abzuleiten und in Kanäle zu entsorgen, sondern es stattdessen in der Fläche zu speichern und zu nutzen [4: 5]. Es geht um die dezentrale Rückhaltung von Regenwasser in Versickerungsflächen und -anlagen durch temporäre Speicher wie Mulden und Rigolen, aber auch zeitweilig überflutbaren Plätzen und Verkehrswegen [7] als multifunktional genutzte Retentionsflächen. Sie verzögern den Abfluss in den natürlichen Wasserkreislauf [8] und reduzieren die Gefahr einer Überlastung der Kanalsysteme im Falle von Extremniederschlägen [2; 9]. Wie ein Schwamm sollen Städte und deren Liegenschaften das Wasser aufsaugen und verzögert abgeben können (vgl. Bild 2). Mit einem klimawandelangepassten Siedlungswassermanagement kann ein Großteil über „grüne Elemente“ wie Mulden, Baum-Rigolen, Gründächer und -fassaden verdunstet und geeignete Oberflächenbeläge (vgl. Bild 3) vor Ort versickert werden, was den Abfluss stark reduziert und Schäden an der Infrastruktur verringert. Bild 2: Schwammliegenschaft Quelle: BBSR [4: 46] / Ing. Büro Beck 36 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtisches Grün - städtisches Blau Das Schwammstadt-Prinzip kann als Stadtentwicklungs- und Umbauleitbild für das klimawandelangepasste Siedlungswassermanagement über alle Maßstabsebenen von der Stadt über das Quartier bis zur Liegenschaft dienen. Zur Umsetzung ist die Kooperation von Siedlungswasserwirtschaft und Stadtentwicklung zentral, im Neubau wie insbesondere im Stadtumbau. Durch intelligente Begrünung der Speichersysteme und Oberflächen kann der Schwamm in Trockenphasen Wasser abgeben und über Verdunstung des gespeicherten Regenwassers benachbarte Flächen abkühlen. Dazu braucht es mehr grüne Infrastruktur, unversiegelte Böden, Dach- und Fassadengrün, Pocket- oder Mikroparks. Stadtgrün lässt Regenwasser langsamer abfließen (vgl. Bild 4) und mindert die Auswirkungen von Hitzewellen [12]. Maßnahmen und Bausteine einer wassersensiblen Stadtgestaltung betreffen unter anderem stadtplanerische, städtebauliche und wasserbauliche Maßnahmen, aber auch die Grün- und Verkehrsplanung [13, 14, 15], (vgl. Bild 5), in Stadtquartieren wie auch auf der einzelnen Liegenschaft. Bild 3: Abflussvermeidung und -verzögerung durch geeignete Oberflächenbeläge Quelle: BBSR [10: 44] / Ing. Büro Beck Bild 4: Temporäre Überflutungsflächen und versickerungsfähige Böden speichern Wasser zwischen Quelle: Foto und Collage Dosch Bild 5: Bausteine einer wassersensiblen Stadt- und Freiraumgestaltung. Quelle: Stadt Köln, 2016 [15: 29] Sicherung und Schaffung von Retensionsflächen (Teil-) Entsiegelung befestigter Flächen Dezentrale Versickerung und Verdunstung Offene Ableitung von Regenwasser Begrünung von Dachflächen Multifunktionale Nutzung von Verkehrs- und Freiflächen Rückhalt von Abflussspitzen in oder auf Bauwerken Notentwässerung (Ableitung) über Straßen und Wege Reaktivierung ehemaliger Gräben und Fließgewässer 37 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtisches Grün - städtisches Blau Zentral neben oberirdischen Maßnahmen sind Tiefbauarbeiten wie Ertüchtigung des Abwassernetzes, Schaffung von größeren Regenwasserrückhalteräumen ober- und unterirdisch etwa in Form von Zisternen, oder Bau von Notwasserwegen (vgl. Bild 6). Wassersensibler Stadtumbau in der Praxis Die Rahmenbedingungen für die Realisierung des Schwammstadt-Prinzips in der kommunalen Planungspraxis bleiben verbesserungswürdig, trotz einer Vielzahl Erkenntnisse, geeigneter Maßnahmen und Fördermöglichkeiten, insbesondere der Städtebauförderung. Gemäß § 136 Absatz 2 Nr. 1 BauGB können schon heute städtebauliche Missstände, deren Behebung durch städtebauliche Sanierungsmaßnahmen erfolgen soll, auch durch Anforderungen der Klimaanpassung begründet werden [11: 73]. Fördervoraussetzung ist die Erstellung eines integrierten Stadtentwicklungskonzeptes, etwa auf Grundlage einer Analyse von Überflutungsgefahren und -risiken. Einheitliche Empfehlungen für Starkregengefahrenkarten fehlen allerdings [2]. Für das Gelingen des wassersensiblen Stadtumbaus sind aber nicht nur Analysen wichtig, auch die fachbereichsübergreifende gute Zusammenarbeit der kommunalen Planer und die Qualität der Planungsprozesse. In einem laufenden Forschungsprojekt zum klimaresilienten Stadtumbau des BBSR stehen erfolgreiche Planungs-, Kooperations- und Kommunikationsprozesse im Fokus [17]. Speziell Stadtumbaugebiete mit historischen und/ oder stark verdichteten Quartieren sind besonders von Wetterextremen wie Hitzetagen und Starkregen betroffen. In acht Fallstudienstädten werden Strategien einer klimaresilienten Stadtentwicklung erörtert. Darunter sind Bausteine einer wassersensiblen Stadtentwicklung im Stadtumbau, zum Beispiel in Berlin: Im Stadtumbaugebiet Green Moabit geht es um ein innovatives Regenwassermanagement für das verdichtete, innerstädtische Mischgebiet. Baumrigolen und Zisternen sollen pilothaft für die Gesamtstadt erprobt und zur Anwendungsreife gebracht werden. Dortmund: Neben den bereits realisierten Umbaumaßnahmen am Phoenix See und Hörder Bach zielt das Klimafolgenanpassungskonzept Stadtteil Hörde unter anderem auf die Hofumgestaltung eines Schulkomplexes mit Regenwasserversickerung, die Neugestaltung eines Stadtplatzes. Esslingen: Das Stadtentwicklungskonzept Hainbachtal zur Sicherung der Kaltluftschneisen wurde mit einer 20jährigen Laufzeit beschlossen. Maßnahmen daraus sehen die Renaturierung, Bachöffnungen und eine stärkere Begrünung vor. Greifswald: Bei der Erarbeitung des Bebauungsplans für ein Stadterweiterungsgebiet geht es um die klimawandelgerechte Bebauung außerhalb von Überflutungsbereichen. Jena: Mit JenKAS, der Jenaer Klimaanpassungsstrategie, besteht eine politisch beschlossene Grundlage für deren Umsetzungsprozess. Das Stadtbaumkonzept liefert fundierte Aussagen für klimaresiliente Straßenbäume und wird unter anderem in der Stadtsanierung angewendet. Mit solchen Bausteinen wassersensibel umgestalteter Bereiche in verschiedenen Orten des Bundesgebiets verbessert sich die Resilienz gegenüber dem Klimawandel, die zudem attraktiv sind und hohe Lebens- und Umweltqualität haben (vgl. Bild-7). Als zentrales Projektergebnis wird eine über www.klimastadtraum.de abrufbare Toolbox „Klimawandelgerechter Stadtumbau“ erstellt, die neben Bild 6: Neubau eines Starkregen-Überlaufs zur Notentwässerung mit Treibgut- Rechen. Foto: Bonn Mehlemer-Bach. © Dosch 2019 Bild 7: Oberirdische Elemente einer wassersensiblen Stadt (Schwammstadt). © BBSR, Dosch 38 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtisches Grün - städtisches Blau themenbezogenen Steckbriefen praxisorientierte Anregungen für kommunale Verwaltungen enthält. Darüber hinaus haben viele andere Städte Bausteine eines wassersensiblen Stadtumbaus realisiert [9, 18: Kap.3; 19, 20]. So hat die Stadt Essen bei der Umgestaltung der Neuen Mitte und eines neuen Quartiers am Niederfeldsee oder auch im Krupp-Park verschiedene Elemente einer blau-grünen, also wassergebundenen und durchgrünten Stadtentwicklung im Sinne des Schwammstadt- Prinzips kombiniert. Die Vision der Gründachstrategie Hamburg ist, Neubauten und geeignete Flachdachsanierungen über 100 m² mit grünen Dächern zu versehen. Mindestens 70 % der Neubauten mit Flachdach und geeigneten Flachdachsanierungen sollen begrünt werden. In Bremen geht es unter anderem um die Umsetzung einer Starkregenvorsorge in der Gartenstadt Werdersee, um Pilotprojekte zur Überflutungsvorsorge bei der Kanalerneuerung, um die Ausarbeitung eines Vorgehens zur Institutionalisierung der wassersensiblen Stadtentwicklung [21]. In Wiesbaden werden zwei unterirdisch verlaufende Bäche wieder an die Oberfläche geführt. Im abflusslosen Siedlungsgebiet Adlershof in Treptow- Köpenick, Berlin, wird Regenwasser dezentral von Grundstücken, Plätzen und Straßen in Rasenmulden gesammelt und versickert dort. Regensburg bringt Begrünungsmaßnahmen in die historische Innenstadt. Aspekte der wassersensiblen Stadtentwicklung sind nicht nur in weiteren Großstädten wie Nürnberg, Stuttgart oder Leipzig aktuell, sondern auch in vielen kleineren Kommunen, die beispielsweise über Städtebauförderungsprogramme entsprechende Maßnahmen finanzieren. Klimaangepasstes Bauen (KLIBAU) Beim klimaangepassten Bauen geht es neben dem Objektschutz um Maßnahmen zum Speichern, Versickern und Verdunsten von Wasser auf der (Schwamm-)Liegenschaft (Bild 8). Der Bestand der über 19 Mio. Wohnhäuser und insbesondere in den über 42 Mio. Wohnungen wird von Zeit zu Zeit saniert. Auch die mehr als 100 000 jährlichen Baugenehmigungen im Hochbau richten sich an dem Geschmack ihrer späteren Nutzer aus. Doch werden bei den Planungen neben Themen der kindergerechten Raumaufteilung, einer möglichen Mehrgenerationslösung oder der Barrierefreiheit auch zukünftige Extrembeanspruchungen des Hauses durch die Folgen des Klimawandels ausreichend mit einbezogen? Bezogen auf Gebäude werden Extremwetterereignisse wie Starkregen, extreme Hitze, Sturmböen mit dem Klimawandel häufiger und intensiver auftreten [22]. Gebäude, die heute für eine Lebenszeit von 80 - 100 Jahre errichtet werden und in ihrem Lebenszyklus erst nach 30- 50 Jahren eine grundlegende Sanierung oder Umbau erfahren, sollten eine Konstruktion wählen, die derzeitige und vor allem zukünftig verstärkte Klimawirkungen berücksichtigen. Betrachten wir nach unserer Haut und Kleidung die Gebäudehülle als unsere dritte Haut mit dem Wissen, dass wir uns über 22 Stunden täglich in geschlossenen Räumen zuhause, in Bahnen, Bussen, PKW oder am Arbeitsplatz aufhalten, erhält die Resilienz des Hauses gegen Belastungen durch den Klimawandel eine neue Dimension. Bautechnische Maßnahmen wie verstärkte Wärmedämmung oder Gründächer dienen dem Klimaschutz und der Klimaanpassung. Klimaangepasstes Bauen setzt Bild 8: Klimaangepasste Liegenschaft. Quelle: BBSR 2018 - Klima- und Umweltpotentiale von Gebäuden. Intep, Christoph Wensing. 39 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtisches Grün - städtisches Blau Kenntnisse um die Risiken durch die Folgen des Klimawandels auf das Gebäude voraus. Mit dem Angebot GIS-ImmoRisk Naturgefahren hat das BBSR ein Geoinformationssystem zur bundesweiten Risikoabschätzung von zukünftigen Klimafolgen für Immobilien entwickelt [16]. Hochwasser Eine der wesentlichen Planungsleistungen ist die Ertüchtigung des Hauses gegen die „nassen“ Beanspruchungen durch Hochwasser und Starkregen. Bei der Standortwahl sollte bei den öffentlich einsehbaren Hochwasserüberschwemmungskarten, den sogenannten HQ 100 Flächen, die Überflutungsgefahr berücksichtigt werden. Tritt das Hochwasserereignis ein, wird nur zu oft die staatliche Hilfe angefordert. Zwar hat die Gemeinde die Aufgabe des Hochwasserschutzes und im Katastrophenfall werden Feuerwehr und THW den Betroffenen aus ihrer Not helfen. Doch es besteht auch die Pflicht zur Vorsorge gegen Überflutungsgefahren von Privatpersonen (Bild 9). Denn jede Person, die durch Hochwasser betroffen sein kann, ist gesetzlich nach WHG-§-5 Abs. 2 im Rahmen des ihr Möglichen und Zumutbaren verpflichtet, geeignete Vorsorgemaßnahmen zum Schutz vor nachteiligen Hochwasserfolgen und zur Schadensminderung zu treffen. Welche Vorsorgemaßnahmen dies sein können, zeigt die Hochwasserschutzfibel des Bundes exemplarisch auf [3]. Starkregen und Hagel Starkregengefahrenkarten geben einen ersten Hinweis, ob ein Haus in einer Starkregenüberflutungsfläche liegt. Dabei hat das BBSR in einer Studie nachgewiesen, dass es mit baulichen Maßnahmen möglich ist, einen Starkregen über einen gewissen Zeitraum vollständig auf der Liegenschaft zurückzuhalten und damit einen Beitrag zur „Schwammstadt“ zu liefern [4]. Zu prüfen ist, ob Starkregen das Gebäude erreichen und wo er durch Öffnungen in der Gebäudehülle in das Haus eindringen kann. Hinweise hierzu gibt der „Leitfaden Starkregen“ [10] des BBSR mit bautechnischen Empfehlungen zum Objektschutz. Starkregen ist teilweise mit Hagel verbunden. Gesicherte Erkenntnisse dazu, ob Hagel durch die Klimaveränderung häufiger und/ oder mit steigender Intensität auftritt, gibt es derzeit nicht, wenngleich vielfach von der Zunahme und steigenden Gefahr durch Hagel(stürme und -züge) mit großen Hagelkörnern berichtet wird. Bis zum 50-jährlichen Hagel entstehen keine Schäden an Fassade, Dach und daran befestigen Bauteilen wie Solaranlagen. In der Regel ist der Schutz auf Hagelkörner mit 3 cm Durchmesser sinnvoll und einfach umsetzbar, damit keine Schäden an Fassade, Dach und daran befestigten Bauteilen (Solaranlage usw.) auftreten. Größere Hagelkörner können an Dächern, Dachpfannen, Wintergärten und Hausfassaden hohe Schäden anrichten. Um dem zu widerstehen, sind Materialien wie Dachziegel mit hohem Hagelwiderstand zu wählen. Aufgrund größerer Gefährdung in der Schweiz liegen dort detailliertere Untersuchungen, Kategorisierungen und Vorschriften zu hagelgeprüften Bauteilen vor [23]. Sturm Neben den „nassen“ Anforderungen wie Starkregen, Hochwasser und Hagel und den „trockenen“ Anforderungen, wie Hitze und Dürre sind bautechnische Schutzmaßnahmen gegen Sturm und Windböen relevant. Besonders betroffen sind Dachbauteile (bei Steil- und Flachdach), Dachaufbauten (Satellitenschüssel, Antennen, Kamine) und teilweise auch Dachstühle, darüber hinaus Fassaden, Fenster, Rollläden und Außenanlagen. Befinden sich Bäume auf dem Grundstück, sind Baumstürze ein Risikopotenzial. Windextreme werden oberhalb des Alpenraums im Sommer um das 1,5bis 2-fache zunehmen, im Winter regional unterschiedlich um das 2bis 2,5-fache. Ziel ist die Resilienz gegenüber Wind/ Sturm zu erreichen. Dies kann durch Sturmanker, die Verankerung der Dachpfannen, erfolgen. Das Gebäude hält den zu erwartenden Windspitzen (Windzone nach DIN 1055 - 4) bis zum 50-jährlichen Wind schadlos stand. Aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen sind Ereignisse, die seltener als 50 Jahre auftreten (sogenannter Überlastfall) mit extremen Windlasten in den Normen nicht erfasst. Allerdings bestehen durch die bei der statischen Bemessung vorgesehen Sicherheitszuschläge auch bei Überschreitung der Bemessungslasten gewisse Sicherheiten. Bild 9: Überflutungsschutzvorsorge in öffentlicher und privater Zuständigkeit Quelle: BBSR 2018 [4: 11] 40 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtisches Grün - städtisches Blau Hitze Durch den Klimawandel ist mit mehr heißen Sommertagen (> 30 °C) und tropischen Nächten (> 20 °C) zu rechnen. Bauteile können sich extrem aufheizen, die in der Folge durch thermische Längenänderungen und dadurch hervorgerufene Spannungen oder Materialerweichung belastet werden. Da Gebäude die wesentliche Schutzfunktion gegenüber Hitze für Mensch und Tier übernehmen, ist die Senkung der Überhitzungsstunden im Innenraum sowie der Oberflächentemperaturen der Gebäudehülle vorzusehen. Dies kann etwa durch Abschattung, helle Materialien, weniger Wärmequellen (Klimaanlagen und anderes) und Nutzung von Verdunstungskühlung durch Wasserflächen oder in Zisternen gespeichertes Regenwasser und Vegetation bei der Gebäudeertüchtigung erfolgen. QUELLEN [1] LAWA Bund-/ Länderarbeitsgemeinschaft Wasser: LAWA-Strategie für ein effektives Starkregenrisikomanagement. Beschlossen auf der 155.LAWA V V. Erfurt, 2018. [2] Kind, C., Kaiser, T., Riese, M., Bubeck, P., Müggenburg, E., Thieken, A., Schüller, L., Fleischmann, R.: Vorsorge gegen Starkregenereignisse und Maßnahmen zur wassersensiblen Stadtentwicklung. Analyse des Standes der Starkregenvorsorge in Deutschland und Ableitung zukünftigen Handlungsbedarfs. Dessau- Roßlau: Umweltbundesamt, 2019. [3] Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI): Hochwasserschutzfibel. Objektschutz und bauliche Vorsorge. 8.Aufl., Berlin, 2019. [4] Bundesinstitut für Bau, Stadt und Raumforschung (BBSR): Leitfaden Starkregen - Objektschutz und bauliche Vorsorge. Bonn, 2018. [5] Winterrath, T. et al.: Erstellung einer radargestützten Niederschlagsklimatologie. Abschlussbericht. Ein Projekt der Strategischen Behördenallianz „Anpassung an den Klimawandel“ von UBA, THW, BBK, BBSR und DWD, 2017. [6] Stokman, A., Deister, L., Dieterle, J.: Internationale Ansätze und Referenzprojekte zu Klimaanpassungsstrategien der Überflutungs- und Trockenheitsvorsorge verschiedener Siedlungstypen im Klimawandel Stuttgart. Expertise im Auftrag des BBSR. Stuttgart, 2013. [7] Benden, J., Broesi, R., Illgen, M., Leinweber, U., Lennartz, G., Scheid, C., Schmitt, T. G.: Multifunktionale Retentionsflächen. Teil 3: Arbeitshilfe für Planung, Umsetzung und Betrieb. Köln, 2017. [8] w w w.tagesschau.de/ inland/ starkregen-staedte schwammstadt-101.html (05.08.2019). [9] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR): Überflutungs- und Hitzevorsorge durch die Stadtentwicklung. Strategien und Maßnahmen zum Regenwassermanagement gegen urbane Sturzfluten und überhitzte Städte, Bonn, 2015. [10] Bundesinstitut für Bau, Stadt und Raumforschung (BBSR): Starkregeneinflüsse auf die bauliche Infrastruktur. Bonn, 2018. [11] Weißer, B., Becker, D., Othmer, F.: Stärkung der Risikovorsorge gegenüber Starkregen, RaumPlanung 202, 3/ 4 (2019), S. 71-77 [12] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB): Weißbuch Stadtgrün. Berlin, 2017. [13] Deutscher Städtetag: Starkregen und Sturzfluten in Städten. Eine Arbeitshilfe, 2015. [14] Deutscher Städtetag: Anpassung an den Klimawandel. Forderungen, Hinwiese, Anregungen, 2019. [15] Stadtentwässerungsbetriebe (SteB) Köln: Leitfaden für wassersensible Stadt- und Freiraumgestaltung in Köln. Empfehlungen und Hinweise für eine zukunftsträchtige Regenwasserbewirtschaftung und für die Überflutungsvorsorge bei extremen Niederschlagsereignissen, 2016. [16] www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ Veroeffentlichungen/ Sonderveroeffentlichungen/ 2019/ gis-immorisk.html [17] w w w . b b s r . b u n d . d e / B B S R / D E / F P / E x W o S t / F o r s c h u n g s f e l d e r / 2 0 1 7 / k l i m a r e s i l i e n t e r stadtumbau/ 01-start.html [18] Deutsches Institut für Urbanistik: Kommunale Überflutungsvorsorge: „Planer im Dialog“, 2018. [19] Stadt Köln: Leitfaden für ein besseres Klima in Köln, 2018. [20] Deister, L., Brenne, F., Stokman, A., Henrichs, M., Jeskulke, M., Hoppe, H., Uhl, M.: Wassersensible Stadt- und Freiraumplanung. Handlungsstrategien und Maßnahmenkonzepte zur Anpassung an Klimatrends und Extremwetter. SAMUWA Publikation, 2016. [21] Bremen: Starkregenvorsorgestrategie/ Projekt KLAS - Bilanz und finale Schritte zur Operationalisierung in Bremen. Bericht der Verwaltung für die Sitzung der Deputation für Umwelt, Bau, Verkehr, Stadtentwicklung, Energie und Landwirtschaft am 21.03.2019. [22] IPCC: Sonderbericht über 1,5 °C globale Erwärmung (SR1.5), 2018. [23] www.hagelregister.ch/ at Dr. Fabian Dosch Referatsleiter Stadt-, Umwelt- und Raumbeobachtung im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR). Kontakt: fabian.dosch@bbr.bund.de Dr.-Ing. Bernhard Fischer Technischer Referent und Projektleiter Referat Bauen und Umwelt Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung- Kontakt: bernhard.fischer@bbr.bund.de AUTOREN
