eJournals Transforming cities 4/3

Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2019-0058
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2019
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Wassersensibles Planen und Bauen

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Andreas Rimböck
In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Starkregen- und Hochwasserereignisse die Grenzen technischer Schutzmaßnahmen deutlich vor Augen geführt. Mehr denn je sind Anstrengungen aus vielerlei gesellschaftlichen Bereichen erforderlich, um die Risiken aus Hochwasser zu mindern. Dies kommt auch deutlich in § 5 des Wasserhaushaltsgesetzes zum Ausdruck, nach dem jeder einzelne zu geeigneten Vorsorgemaßnahmen gegen Hochwasser verpflichtet ist. Auf der anderen Seite nehmen aber auch die Dürreperioden zu, so dass eine ausreichende Grundwasser-Neubildung und Maßnahmen zur Milderung starker Temperaturanstiege in unseren Siedlungsräumen mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Die gute Nachricht vorweg: Viele der daraus resultierenden Anforderungen sind mit ziel- orientiertem und nachhaltigem Planen und Bauen zu erfüllen. Dabei entstehen häufig kostengünstige und konsensfähige Lösungen, die meist sogar noch weitere zusätzliche attraktive Nutzen mit sich brin- gen, beispielsweise für die Ökologie, die Sozial- und Erholungsfunktion oder ansprechende moderne Gestaltungsmöglichkeiten.
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42 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtisches Grün - städtisches Blau Wassersensibles Planen und Bauen Die Antwort auf die Herausforderungen des Klimawandels? Klimawandel, Naturgefahren, Hochwasser, Wasserhaushalt, Flächenplanung, Gebäudeplanung Andreas Rimböck In den vergangenen Jahren haben zahlreiche Starkregen- und Hochwasserereignisse die Grenzen technischer Schutzmaßnahmen deutlich vor Augen geführt. Mehr denn je sind Anstrengungen aus vielerlei gesellschaftlichen Bereichen erforderlich, um die Risiken aus Hochwasser zu mindern. Dies kommt auch deutlich in § 5 des Wasserhaushaltsgesetzes zum Ausdruck, nach dem jeder einzelne zu geeigneten Vorsorgemaßnahmen gegen Hochwasser verpflichtet ist. Auf der anderen Seite nehmen aber auch die Dürreperioden zu, so dass eine ausreichende Grundwasser-Neubildung und Maßnahmen zur Milderung starker Temperaturanstiege in unseren Siedlungsräumen mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Die gute Nachricht vorweg: Viele der daraus resultierenden Anforderungen sind mit zielorientiertem und nachhaltigem Planen und Bauen zu erfüllen. Dabei entstehen häufig kostengünstige und konsensfähige Lösungen, die meist sogar noch weitere zusätzliche attraktive Nutzen mit sich bringen, beispielsweise für die Ökologie, die Sozial- und Erholungsfunktion oder ansprechende moderne Gestaltungsmöglichkeiten. © lmaresz auf Pixabay 43 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtisches Grün - städtisches Blau „Wassergefahren“ und Informationsquellen Wasser kann in vielerlei Hinsicht eine Gefahrenquelle für unsere Siedlungen und Infrastrukturanlagen darstellen. Neben dem „klassischen“ Bach- und Flusshochwasser können Gefahren aus Starkregen auch weit von Gewässern entfernt auftreten. Hohe Grundwasserstände können mit Hochwasser in Flüssen einhergehen, aber auch davon unabhängig auftreten. Nicht zu vernachlässigen sind auch Gefahren durch Überlastung der Kanalisation. Dem gegenüber stehen die Gefahren aus „zu wenig Wasser“: Dürre, Trockenheit mit Folgen für die Vegetation aber auch für unsere Trink- und Brauchwasserversorgung. Eine verantwortungsvolle Planung muss alle diese Aspekte betrachten und mit einbeziehen. Nur so sind nachhaltige Lösungen erzielbar. Für einige dieser Gefahren gibt es bereits Gefahrenkarten, welche die gefährdeten Flächen und die Gefahrenintensität darstellen. Dies sind selbstverständlich wesentliche Planungsgrundlagen, die unbedingt zu berücksichtigen sind. In Bayern ist eine wichtige Anlaufadresse dafür zum Beispiel der Internetkartendienst „Naturgefahren“ [1]. Allerdings gibt es solche Karten nicht flächendeckend und nicht für alle Gefahrenprozesse. Bei jeder Planung und Bauausführung sollten weitergehende Überlegungen zu möglichen „Wassergefahren“ selbstverständlich sein. Häufig geben schon einfache kritische Betrachtungen des Geländes, der Topographie oder der Straßen- und Siedlungsnamen (zum Beispiel: -au oder -ried) aber auch wasserliebende Pflanzen wertvolle Hinweise auf mögliche Gefahren. Geländesenken oder -mulden sollten konsequenterweise zum Rückhalt von Wasser oder zur Versickerung genutzt werden, mögliche Abflusswege frei gehalten und Bebauung dort vermieden werden. Verschiedene Ebenen der Umsetzung 1. Flächenplanung (Freiflächen-, Landschafts- und Städteplanung, Bebauungsplanung) Wassersensibles Planen beginnt auf der Ebene der Flächenplanung. Erste Priorität sollte natürlich sein, gefährdete Flächen von schadensanfälliger Nutzung freizuhalten. Dies heißt jedoch nicht, dass sie gar nicht genutzt werden können: Vor allem Freiflächen können häufig multifunktional genutzt werden und so zahlreichen Zielen dienen. Gerade Grünanlagen können Kaltluftschneisen, Erholungs- und Begegnungsräume, Lebensraum für Pflanzen und Tiere aber auch Rückhalte-, Speicher- und Versickerungsraum für Niederschlagswasser sein. Aber auch Straßen und Parkplätze können durch entsprechende Querschnittsgestaltung und Höhenlage neben ihrer Hauptfunktion auch als Rückhalteraum für Niederschlagswasser dienen. Mit solchen Mehrfachfunktionen kann wirkungsvoll der Flächenverbrauch begrenzt werden. Bei der Planung von Flächen sind immer die Wechselwirkungen zwischen Stadt- und Straßenentwässerung und Flächennutzung zu berücksichtigen. Das sogenannte „Schwammstadt-Prinzip“ setzt dabei darauf, Überflutungs-, Hitze- und Dürrevorsorge durch Verbesserungen hinsichtlich Aufnahme und Speicherung gemeinsam voranzutreiben [2]. Auch auf der Ebene der Bebauungspläne gibt es mannigfaltige Möglichkeiten, wassersensibel zu planen. Nur beispielhaft seien hier genannt:  Anordnung der Gebäude unter Berücksichtigung möglicher „Notabflusswege“  Freihalten von Notentlastungsräumen, Versickerungsflächen oder Rückhalteräumen  Vorrang oberirdischer Wasserabführung, zum Beispiel in Rinnen und Mulden, die eher überlastbar sind, als unterirdische Rohrleitungen  Höhenlage der Straßen so, dass dort im Falle von Starkregen auch Wasser zurückgehalten werden kann und abfließen kann Bild 1: Unterschiedliche Wassergefahren: Grundwasser, Oberflächenabfluss/ Starkniederschläge, Flusshochwasser. © LfU, 2018 44 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtisches Grün - städtisches Blau Bild 3: Verbesserung des Wasserhaushalts, Beispiel Rigole. © Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, Hamburg Bild 4: Verzögerung des Wasserabflusses durch Gründächer; dadurch Kühleffekt und ökologischer Mehrwert. © LfU Bild 2: Multifunktionaler Nutzen des sog. „Schwammstadt- Prinzips“: Hochwasserschutz, Wasserspeicher, Klimaanpassung als Grundlage für nachhaltig lebenswerte Siedlungen. © Grafik: Rimböck  Höhenlage der Gebäude leicht über Geländeniveau, damit Niederschlagswasser nicht sofort eindringt, die Barrierefreiheit aber noch gewährleistet werden kann  Förderung von Dach- und Fassadenbegrünung mit ihrer positiven Wirkung auf Temperatur und Wasserhaushalt  Wirkung von „Leitstrukturen“, wie Mauern, Wällen, Straßen beachten  positive versus negative Wirkung auf den Wasserabfluss  Umsetzung des sogenannten „Schwammstadt- Prinzips“, also Wasser nicht schnellstmöglich ableiten, sondern in den Siedlungen zurückhalten, versickern und eventuell nutzen für die Grünflächenbewässerung bei Wassermangel Wasserhaushalt Regen z.B. Becken, Sickermulden, Gründächer, multifunktionale Flächen, ... Versickerung Prinzip der „Schwammstadt“ Verdunstung KLIMA- ANPASSUNG Kühlung Beschattung Belüftung Dürrevorsorge Stadtgrün Grafik: Rimböck Rückhalt Speicherung Bewässerung Es sollte zum Standard und zur gängigen Planungspraxis gehören, trotz Bebauung einen natürlichen Wasserhaushalt zu erhalten. Wasser in der Stadt muss gerade in Zeiten des Klimawandels als Ressource verstanden werden, nicht als lästiges Übel. Investitionen in die „grün-blaue Infrastruktur“ sind zudem oft wirtschaftlicher als solche in „graue Infrastruktur“ und bieten vielfältige Mehrwerte für Mensch und Umwelt. Wichtig ist, dass im Rahmen einer „Planungsphase Null“ ein interdisziplinärer Abstimmungsprozess mit allen Beteiligten stattfindet - also mit Wasserwirtschaft, Straßenplanern, Freiflächen- und Landschaftsplanern, Städtebauern, Architekten etc. Dabei sollten alle Aspekte, Randbedingungen und Chancen für eine klimawandelangepasste Siedlungsentwicklung bereits im Vorfeld der Entwurfserstellung diskutiert werden. Wenn die Wasserwirtschaftsverwaltung - wie leider häufig - die schon parzellierten, fertigen Bebauungspläne zur Stellungnahme bekommt, ist es für sinnvolle Lösungen meist zu spät, da kein Raum mehr für notwendige Maßnahmen ist und Umplanungen in der Regel sehr aufwändig sind. 2. Gebäude-, Objekt und Infrastrukturplanung: Zuallererst müssen auf der Ebene der Gebäude- und Objektplanung die Vorgaben der Bebauungspläne berücksichtigt, sowie sinnvoll und zielgerichtet planerisch und konstruktiv umgesetzt werden. Hier ist es besonders wichtig, kritisch und aufmerksam mitzudenken, damit voll funktionsfähige Lösungen entstehen. Wesentlich ist aber auch, dass unterschiedliche Szenarien im Rahmen der Planung berücksichtigt werden zum Beispiel Grundwasser, Flusshochwasser und Starkregen auf der einen, aber auch Hitze und Dürre auf der anderen Seite. Dabei sind auch Bauzustände in Betracht zu ziehen: Wasserdichte Kellergeschosse können - ohne Auflast des darüber liegenden Gebäudes - bei hohen Grundwasserständen aufschwimmen. Ziel einer sorgfältigen Planung muss dabei sein, langfristig wirtschaftliche, funktionsfähige und nachhaltige Gebäude und Infrastruktureinrichtungen zu realisieren, die auch heute schon auf mögliche Klimaveränderungen reagieren und diese ins Konzept einbeziehen. Zudem sind die Anforderungen an „wassersensibles Bauen“ mit anderen Anforderungen bestmöglich abzustimmen. Nicht zuletzt macht es Sinn, schon in der Planung vorausschauend auf der Basis der Planungsüberlegungen gewisse Handlungsanweisungen für mögliche Wassergefahren auszuarbeiten, zum Beispiel bei auftriebsgefährdeten Bauteilen rechtzeitig mit Klarwasser zu fluten, um Totalschäden durch Auf- 45 3 · 2019 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtisches Grün - städtisches Blau Bild 5: Eindringwege von Wasser in Gebäude. © LfU (2018) schwimmen zu vermeiden, die Schäden aber aufgrund der Flutung mit sauberem anstelle von verunreinigtem (Hoch-)Wasser gleichzeitig aber doch zu begrenzen [3]. Eine eventuelle spätere Sanierungsplanung oder Anpassung bestehender Bausubstanz an Wassergefahren ist in der Regel ungleich komplexer und teurer. Umsetzung in die Realität - Bauausführung Selbstverständlich ist eine sorgfältige Bauausführung der Anpassungsmaßnahmen an Wassergefahren eine ganz wesentliche Voraussetzung für wirkungsvolle Gesamtlösungen. Gerade Abdichtungsmaßnahmen an Gebäuden wirken nur, wenn sie mangelfrei erstellt werden. Hier ist es sinnvoll, die Ausführungsseite möglichst frühzeitig in die Planungen einzubeziehen. Eine kritische Hinterfragung und Betrachtung der Planungen durch die Ausführenden kann Schwierigkeiten in der Umsetzungsphase rechtzeitig aus dem Weg räumen. Eine sorgfältige Wahl der geeigneten Baustoffe und Bauverfahren sollte selbstverständlich sein [4]. Werden im Rahmen von Sanierungen oder Nachrüstungen Lösungen für einzelne Bauteile direkt bei Handwerkern angefragt, sollte eine fundierte Beratung der Bauherren erfolgen. Werden beispielsweise andere Wassereindringwege nicht „abgedichtet“ sind die Ausgaben für die Sanierung der gegenständlichen Abdichtung sinnlos. Ausblick Um alle Fachleute der Baubranche und die Bevölkerung für dieses wichtige Thema zu sensibilisieren, werden die Bayerische Architektenkammer, die Bayerische Ingenieurkammer-Bau, der Bayerische Handwerkstag sowie der Landesverband Bayern der Deutschen Vereinigung für Wasser- und Abfallwirtschaft (DWA) künftig enger zusammenarbeiten. Dazu unterzeichneten deren Spitzenvertreter am 22. Mai 2019 eine gemeinsame Absichtserklärung. Nur wenn alle Beteiligten in allen Ebenen der Planung und des Baus sich des Themas „wassersensibel Bauen“ bewusst sind und ihre Verantwortung auch wahrnehmen, kommen wir mittelfristig zu nachhaltigeren Siedlungen und Infrastrukturanlagen. Hochwasserschutz geht alle an, jeder kann einen Beitrag zur Begrenzung von möglichen Schäden leisten. LITERATUR [1] www.umweltatlas.bayern.de/ naturgefahren [2] BBSR: Überflutungs- und Hitzevorsorge durch die Stadtentwicklung; Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, 2015: https: / / www.bbsr.bund. de/ BBSR / DE / Veroeffentlichungen/ Sonder veroeffentlichungen/ 2015/ DL _UeberflutungHitzeVorsorge.pdf ? _ _blob=publicationFile&v=3 (download am 30.04.2019) [3] LfU: Hochwasser-Eigenvorsorge: Fit für den Ernstfall; Bayerisches Landesamt für Umwelt, 2018: https: / / www.bestellen.bayern.de/ shoplink/ lfu_was_00044. htm (download am 30.04.2019) [4] WBW: Hochwasser-Risiko-Bewusst planen und bauen, 2015: https: / / www.hochwasser.baden-wuerttemberg.de/ documents/ 43970/ 4 4031/ HW- Risikobewusst+planen+und+bauen.pdf (download am 30.04.2019) [5] DWA-Hochwasser-Kompendium: https: / / de.dwa.de/ files/ _media/ content/ 06 _ SERVICE/ Hochwasseraudit/ Publikation_Hochwasserkompendium.pdf AUTOR Dr.-Ing. Andreas Rimböck Stv. Landesverbandsvorsitzender DWA Bayern Leiter Wasserwirtschaftsamt Donauwörth Kontakt: Andreas.Rimboeck@wwa-don.bayern.de