Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2019-0073
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2019
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Buchtipp
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2019
Rainer Hamann
Sören Groth: Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft? Multioptionalität als Voraussetzung für multimodales Verhalten
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19 4 · 2019 TR ANSFORMING CITIES FORUM Mobilität Buchtipp Sören Groth: Von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft? Multioptionalität als Voraussetzung für multimodales Verhalten Die digitalen Techniken begünstigen den Trend von der automobilen hin zur multimodalen Gesellschaft. Der Besitz eines eigenen privaten Automobils wird zunehmend obsolet, wenn künftig eine flexible Nutzung unterschiedlicher Verkehrsmittel überall und einfach handhabbar möglich wird. Die bereits heute vermehrt multimodale Verkehrsmittelwahl meist junger Erwachsener in Großstädten und das Konzept der Smart Mobility bzw. Mobility-as-a-Service (MaaS), das vernetzte Mobilitätsdienstleistungen per App abrufbar zur Verfügung stellt, ermöglichen künftig zunehmende Anwendungen. Sören Groths Buch ist seine überarbeitete und am ILS Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung Dortmund erweiterte Dissertation an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, AG Mobilitätsforschung, Institut für Humangeographie. Groth postuliert logischerweise eine Verteilung individueller Voraussetzungen für multimodales Verhalten als notwendige Voraussetzung für Multioptionalität. Er weist schon zu Beginn in seiner Literaturrecherche nach, dass die Verkehrsmittelwahl auch im Digitalisierungszeitalter immer noch von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Kompetenzen, Ansichten und in differenten Räumen individualisiert realisiert wird. Dabei sind wir alle früher und heute noch von der autogerechten Stadt und Verkehrsplanung sozialisiert und geprägt. Anhand eines Datensatzes aus Offenbach am Main arbeitet er beispielhaft eine Reihe ungleicher (materieller und mentaler) Voraussetzungen zur möglichen Teilhabe an der multimodalen Gesellschaft heraus und stellt so die potenzielle ortsungebundene Allgegenwart multimodaler Verhaltensweisen infrage. Damit werden interessante Hinweise gegeben für kommende Entwicklungen. So können sinkende Reallöhne und steigende Mobilitätskosten vielenorts sozial marginalisierten Gruppen eine gesellschaftliche Teilhabe auf der Grundlage von Mobilität nicht mehr sicherstellen („Transport Poverty“). Auch ist eine gesellschaftliche Spaltung in Onliner und Offliner zu beobachten, in der ungleiche Zugangsvoraussetzungen zu einer Smart Mobility herrschen („Digital Divide“). Befragungsergebnisse sind: „Die „Autoablehnenden Trioptionalisten“ repräsentieren stereotypisch eine junge, gut ausgebildete, neue Generation, die sich von der tradiert symbolisch-emotionalen Autobindung emanzipiert zu haben scheint und eine souveräne und situationsspezifische Verkehrsmittelwahl mit alternativen Verkehrsmitteln mental bevorzugt und auch praktiziert. Demgegenüber werden die „autoliebenden Monooptionalisten“ von einem mutmaßlich scheidenden, häufiger älteren und männlichen Personenkreis vertreten, der seinen Lebensmittelpunkt tendenziell in den monofunktionalen Ein- und Zweifamilienhausstrukturen am Stadtrand hat und seinen Mobilitätsalltag entsprechend monooptional rund um das eigene Auto organisiert.“ Im Mobilitätstrend „Cycling Boom“ gewinnt das Fahrrad als traditionell multimodales Verkehrsmittel über alle Altersgruppen hinweg und unabhängig vom siedlungsstrukturellen Wohnen des Menschen an Bedeutung. Je mehr materielle Verkehrsmitteloptionen absolut zur Verfügung stehen, desto weniger werden sie relativ genutzt. Erst wenn eine praktikable App miteinander vernetzter Mobilitätsdienstleistungen zur Verfügung steht, ist auch ein junger Smartphonbesitzer bereit, diese zu nutzen. Die für MaaS erforderlichen leistungsstarken Smartphones sind allerdings noch nicht so durchgängig verbreitet, wie sie für eine umfassende, flächendeckende Nutzung erforderlich wären. Schließlich weist Groth darauf hin, dass ein nicht zu vernachlässigender Anteil befragter Personen die Apps aus datenschutzrechtlicher Sicht ablehnt, weil umfangreiche Zugriffe auf private Daten für die Nutzung und Abrechnung erforderlich sind. Entweder man überlässt seine Daten dem Mobilitätsanbieter, oder man ist von Multioptionalität vernetzter Mobilitätsleistungen ausgeschlossen. Fazit: Eine marktliberale Realisierung von Multimodalität heißt noch nicht „Der automobilen folgt die multimodale Gesellschaft“, dazu bedarf es erst einer stärkeren umfassenden Inklusion. Auf der Basis umfangreicher Literaturquellen bedient sich die vorliegende wissenschaftliche Arbeit einer entsprechenden Sprache mit vielen Fremdwörtern, oft aus dem sozialwissenschaftlichen und soziologischen Spektrum, die zu lesen Fachfremden schwerfallen dürfte. Es ist also zu hoffen, dass Groth seine Ergebnisse in Fachaufsätzen auch in eher verkehrstechnisch populärwissenschaftlich ausgerichteten Zeitschriften veröffentlicht, so dass sich seine Erkenntnisse unter Technikern, Ökonomen, bei Politikern bei Aufgabenträgern des ÖPNV und in der Verkehrswirtschaft verbreiten. Dr.-Ing. Rainer Hamann transcript GmbH, 282 Seiten, 18 sw- und 6 Farbabbildungen, Preis Printexemplar (kartoniert): 39,99 Euro, auch als eBook, ISBN: 978-3-8376-4793-8
