eJournals Transforming cities 4/4

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2019-0079
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Visualisierungen machen Stadtplanung verständlich

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Stadtplanung ist in heutiger Zeit weit mehr erfolgversprechend, wenn sie alle Beteiligten digital und unkompliziert einbezieht. Das Fraunhofer IGD hat zwei Systeme zur digitalen Stadtplanung entwickelt, die nach Pilotphasen und Praxistests nun für den Einsatz in Kommunen zur Verfügung stehen.
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34 4 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Was macht Städte und Gemeinden smart? Big Data: Die Möglichkeiten, die das Sammeln und Auswerten großer Datenmengen schafft, sind gigantisch. Die Datenflut aus elektronischer Kommunikation in sozialen Netzwerken, aus Smartphones oder Navigationsgeräten, von Kundenkarten oder Überwachungssystemen ist die Basis für völlig neue Anwendungen und Geschäftsmodelle. Ein Ansatz des Fraunhofer-Instituts für Graphische Datenverarbeitung, IGD, ist es, beispielsring, Steuerung und Analyse von Gebäuden, optimierte Verkehrsplanung und für individualisierte Mobilität. Dafür entwickelt das Fraunhofer IGD Technologien für die Datenintegration und -exploration, es verarbeitet große Datenmengen in der Cloud und betreibt Big Data Analytics. Die Analyse von Sensordaten sowie die Ausführung und Optimierung von dreidimensionaler Visualisierung und Simulation gehören zum Portfolio. Mit zwei neuen Software-Systemen zur digitalen Stadtplanung legt das IGD nun anpassungsfähige Werkzeuge für verschiedene kommunale Aufgabenstellungen vor. Zum bürgerschaftlichen Dialog mit smarticipate Im Rahmen des EU-Projektes smarticipate hat das Fraunhofer IGD eine Plattform entwickelt, mit der Bürger*innen online Ideen für die Gestaltung der eigenen Nachbarschaft einreichen können. So werden Bürger*innen intensiver an politischen Entscheidungen und Planungsprozessen ihrer Städte beteiligt. Durch die Visualisierung verschiedener Planungsparameter lässt sich ein direktes Feedback zur Umsetzbarkeit einholen. Vorteil: Die Stadtverwaltung beschäftigt sich nur mit den Fällen, die grundsätzlich durchführbar sind und später von den Anwohnern auch akzeptiert werden. Das Risiko von Fehlinvestitionen wird durch das Einbeziehen der Anwohner bereits in der Phase der Entscheidungsfindung verringert. Ergebnis ist ein intelligentes System, dessen anschauliche 3D-Visualisierungen und Feedback-Funktionen leicht zu bedienen sind. In Rom, London und Hamburg wurde die Anwendung an konkreten Fallbeispielen getestet. Visualisierungen machen Stadtplanung verständlich Bürgerbeteiligung sichert Akzeptanz neuer Projekte Stadtplanung ist in heutiger Zeit weit mehr erfolgversprechend, wenn sie alle Beteiligten digital und unkompliziert einbezieht. Das Fraunhofer IGD hat zwei Systeme zur digitalen Stadtplanung entwickelt, die nach Pilotphasen und Praxistests nun für den Einsatz in Kommunen zur Verfügung stehen. Mit realitätsgetreuen Visualisierungen können bereits in der Planungsphase alle Beteiligten optimal einbezogen werden. © Fraunhofer IGD weise kommunale Daten und Geobasisdaten so zusammenzuführen und aufzubereiten, dass urbane Planungsprozesse verdeutlicht und somit Bürgerinteressen frühzeitig mit einbezogen werden können. Visual Computing - also die Umsetzung von Daten in dreidimensionale Modelle bis hin zur Erzeugung von „Virtual Reality“ - schafft viele Möglichkeiten, neue intelligente Dienste zu installieren: für die digitale Stadtverwaltung, Sicherheit und Einsatzplanung, Umweltmonito- 35 4 · 2019 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Hamburg will seine Bürger beispielsweise dabei einbinden, geeignete Standorte für neue Baumpflanzungen im Stadtgebiet zu finden und integriert dazu die Bäume virtuell in eine 3D- Landschaft. Bei dieser Anwendung kann die Realisierbarkeit der Pflanzaktion direkt überprüft werden. So wird ein gewählter Baumstandort auf bereits vorhandene Nutzungen an dieser Stelle - wie etwa bestehende Ampelanlagen - abgeglichen oder gezeigt, welche Baumarten an diesem Ort gut vorankommen. Auch künftige Auswirkungen des gepflanzten Baumes, etwa seine Höhe und Kronenbildung und damit eine mögliche Verschattung der Nachbarhäuser, lässt sich simulieren - ebenso wie sein Beitrag zum Stadtklima und zur CO 2 -Bilanz. In Rom ist das Thema Urban Gardening. Hier wird smarticipate dazu benutzt, möglichst viele freie Flächen für städtische Gartenfreunde zu finden, zu markieren und anhand eines Feedback- Systems zu prüfen, ob sich der jeweilige Grund und Boden für Pflanzen eignet oder ob vor Ort ein Wasseranschluss besteht. In London zeigte die 3D-Visualisierung eine neuen Museums, wie exakt und anschaulich auch ein komplexes Gebäude bereits bei der Planung dargestellt werden kann. AktVis - Aktivierung von Flächenpotenzialen Der demografische Wandel hat in den vergangenen Jahrzehnten vor allem alten Ortskernen zugesetzt. Einkaufs- und Wohnangebote verlagerten sich immer stärker an die Ortsränder; Altstädte haben mit Problemen wie Leerständen und Verfall zu kämpfen. Viele Gebäude entsprechen weder aktuell nachgefragten Wohnungszuschnitten noch modernen energetischen Standards. Mit einem innovativen und interaktiven Forschungsprojekt sollen in den historischen Ortskernen der hessischen Gemeinden Münster und Otzberg sowie der Stadt Bensheim Flächenpotenziale aktiviert und Innenstadtbereiche reaktiviert werden. Gemeinsam mit Bewohnern, Immobilieneigentümern und der Politik werden nachhaltige und ressourcenschonende Ideen entwickelt, wie Altstädte erhalten und strukturell aufgewertet werden können. Im Rahmen des Projekts Akt- Vis erarbeitete das Fraunhofer IGD eine interaktive 3D-Webanwendung, auf deren Grundlage Ideen zur künftigen Gestaltung eines Orts ausgetauscht und diskutiert werden können. Die Anwendung bereitet die vielfältigen Geodaten einer Kommune einheitlich auf und integriert sie in eine interaktive Visualisierungsumgebung. Das erhöht die Transparenz im gesamten Planungsprozess enorm und erleichtert die Kommunikation zwischen Stadtplanern, Architekten und Infrastrukturunternehmen sowie Bürger*innen. Die realitätsgetreue Ansicht von Gebäuden und Straßenzügen auf einem Multi-Touch-Tisch war Basis für Bürgerbeteiligungsgespräche in den drei hessischen Kommunen, mit denen gemeinsam das interaktive Tool aufgebaut wurde. Nach Abschluss des BMBF-geförderten Projektes steht nun die funktionstüchtige Endversion einer WebGIS-Anwendung für Planungs-Workshops und Beteiligungsverfahren zur Verfügung, damit Baulücken, Leerstand und Modernisierungsstau in Ortskernen bald Vergangenheit sind. Sogar eine Wirtschaftlichkeits- und Baurechtsprüfung ist enthalten. So können Ideen live auf ihre Machbarkeit geprüft werden. „Es wird immer deutlicher, wie wichtig die Bürgerbeteiligung bei der Umsetzung von Projekten ist. Vorhaben wie Windkraftanlagen sollten nicht gegen den Willen der Bevölkerung, sondern mit ihr verwirklicht werden. Dazu ist es unabdingbar, dass alle Beteiligten schon vor Baubeginn wissen, was auf sie zukommen wird. Unser Ansatz ist es, Projekte bereits in einer frühen Phase sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Mit 3D-Visualisierung können wir Vorhaben so realitätsnah darstellen, dass sie auch von Bürgern ohne Expertenwissen leicht verstanden werden. Ein Beispiel, wie man es nicht machen sollte, ist Stuttgart 21. Warum ging das so daneben? Informationen lagen zwar vor, ja, es gab sogar eine Ausstellung, aber das waren alles Informationen für Fachleute. Stapel von Aktenordnern und irgendwelche Tunnelbilder interessieren Bürger nur bedingt. Die wollen wissen, wie es am Ende tatsächlich aussieht, welche Einflüsse das Vorhaben auf den Stadtraum und auf die Infrastruktur haben wird und inwiefern Naherholungs- und Grünflächen davon betroffen sind. Wichtig ist, dass der Beteiligungsprozess so früh wie möglich anläuft. Je weiter ein Vorhaben voranschreitet, desto geringer werden die Einflussmöglichkeiten und desto größer wird der Frust. Und je früher klar ist, was geht und was nicht, desto eher kann Einvernehmen hergestellt werden und somit lassen sich spätere Einsprüche und langwierige Verfahren und damit verbundene Kostensteigerungen deutlich eindämmen.“ Dr. Joachim Rix ist stellvertretender Leiter der Abteilung Geoinformationsmanagement am Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung IGD in Darmstadt DR. JOACHIM RIX: WIR MÜSSEN DIE BÜRGER INS BOOT HOLEN © Fraunhofer IGD (red)