eJournals Transforming cities 5/1

Transforming cities
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2366-7281
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0011
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Badya City - ressourcenschonend und klimaoptimiert

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Jürgen Häpp
Nils Müller
Matthias Dilger
Badya City in Ägypten vereint Vorzüge einer europäischen Stadt, wie Verdichtung und Nutzungsmischung, mit der Chance, im großen Maßstab eine nutzerorientierte, resiliente Infrastruktur zeitgleich mit einer lokal und klimatisch angepassten Architektur zu entwickeln. Insbesondere Badyas polyzentrische Struktur, ein 225 km langes Rad- und Fußwegenetz sowie die kundenindividuelle modulare Massenfertigung verschiedener Wohnungstypologien machen diese Großstadt auf der Fläche einer Mittelstadt so lebenswert wie nachhaltig.
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28 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Wer Badya City von oben betrachtet, dem fällt die Gliederung in sechs Distrikte mit eigenen Zentren ins Auge. Sie sind mit einem feinen grünen Netz an das übergeordnete Stadtzentrum angebunden. Zu sehen gibt es dieses Muster bisher nur im Showroom des ägyptischen Entwicklers und Investors Palm Hills Developments: Dort steht ein 16- m² großes, interaktiv bespielbares Modell der insgesamt 1 260 Hektar umfassenden Stadtentwicklung. Diese ungewöhnliche Modellgröße verdeutlicht auch die für Europäer kaum nachvollziehbare Dimension dieser Planung: Badya City wird etwa 150 000 Einwohner aufnehmen und rund 48 000 Arbeitsplätze bieten. Die integrierte Planung, vom zugrundeliegenden Masterplan im Verhältnis 1 : 1 000 über das städtebauliche Konzept, die Freiraum- und Verkehrsplanung, bis hin zur Architektur für mehr als 3 000 Wohneinheiten zum Vertriebsstart entwickelte ein interdisziplinäres Team des Architekten- und Planerbüros AS+P Albert Speer + Partner GmbH (AS+P). Der Spatenstich in Badya City wurde im September vorigen Jahres vollzogen, und die ersten Bewohner werden voraussichtlich bis 2023 eingezogen sein. Eine Stadt der kurzen Wege Mit mehr als 20 Millionen Einwohnern ist die Metropolregion Kairo in Ägypten der größte Ballungsraum in der arabischen Welt - und dieser wächst stetig weiter. Die Folgen der hohen Bevölkerungsdichte sind Betonwüsten, Verkehrskollapse und informelle Siedlungen entlang des Nils. Badya City - ressourcenschonend und klimaoptimiert Durch integrierte Stadtplanung Kairo im Westen auf nachhaltige Weise entlasten Resiliente Stadt, klimaoptimierte Architektur, Slow Mobility, Sponge City, Linear Parc, Mass Customization Jürgen Häpp, Nils Müller, Matthias Dilger Badya City in Ägypten vereint Vorzüge einer europäischen Stadt, wie Verdichtung und Nutzungsmischung, mit der Chance, im großen Maßstab eine nutzerorientierte, resiliente Infrastruktur zeitgleich mit einer lokal und klimatisch angepassten Architektur zu entwickeln. Insbesondere Badyas polyzentrische Struktur, ein 225 km langes Rad- und Fußwegenetz sowie die kundenindividuelle modulare Massenfertigung verschiedener Wohnungstypologien machen diese Großstadt auf der Fläche einer Mittelstadt so lebenswert wie nachhaltig. Bild 1: Das Kerngebiet von Badya City. © AS+P Albert Speer + Partner GmbH (AS+P), Visualisierung: HHVISION 29 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Dementgegen liegen die neuen strategischen Stadterweiterungsgebiete im Osten und Westen Kairos, wo sie keine potenziellen Agrarflächen verbauen. Dort, etwa 30 Kilometer westlich der Hauptstadt, plant AS+P die gemischt genutzte Entwicklung Badya City als Teil der 6th of October City als eine nutzerorientierte, grüne und ressourcenschonende Stadt der kurzen Wege. Damit sie auch nachhaltig errichtet werden kann, sorgten die Planer bei AS+P für einen zügigen, wirtschaftlichen Entwurfs- und Bauprozess sowie an Kundenwünsche anpassbare Grundrissoptionen. Ein integriertes modulares System und der frühe Einsatz digitaler Werkzeuge wie GIS und BIM trugen hierzu bei. Als ganzheitlich geplante Stadt ist Badya City rund um die Uhr attraktiv und hat neben verschiedenen Wohnbautypologien und Büros vielfältige Nahversorgungs-, Kultur- und Freizeitangebote. Der von sechs Quartieren umgebene städtische Kern hat eine Einkaufszone, eine Universität sowie ein Sportgelände. In dieser polyzentrischen, facettenreichen Struktur lebt jeder Einwohner nah zu einem Zentrum und seinem Nahversorgungsangebot: Einrichtungen für den täglichen, wöchentlichen oder monatlichen Bedarf sind jeweils in nur 5, 10 oder 15 Minuten zu erreichen. Vielfältige Angebote für emissionsarme Mobilität Die geplante durchschnittliche Bevölkerungsdichte von etwa 125 Personen pro Hektar erlaubt ein effizientes öffentliches Personennahverkehrssystem mit kurzen Wegen zu Haltestellen. Zusätzlich setzen die AS+P-Planer auf positive Anreize und verbesserte Mobilitätsangebote, um das gesamte Verkehrsaufkommen möglichst gering zu halten:  Auf insgesamt 225 Kilometern bilden unter anderem in Grünanlagen eingebettete Wege das Rückgrat des für Radfahrer und Fußgänger optimierten Verkehrsnetzes. Es verbindet alle sechs Distrikte und das städtische Zentrum von Badya miteinander.  Diese kurzen, verschatteten und ästhetisch gestalteten Wege laden die Stadtbewohner zum Spazieren und Radfahren ein und stellen sicher, dass alltägliche Besorgungen problemlos ohne Auto erledigt werden können.  Das begrünte Wegenetz führt auf schnellstem Wege zum Zentrum und verdichtet sich zu diesem hin, um den Verkehr zu entzerren.  Diese Wegverbindungen sicherten die Planer von AS+P mithilfe digitaler Werkzeuge wie der Software Space Syntax: So wurden alle Verbindungen visuell dargestellt und überprüft.  Ladestellen und Sharing-Angebote für E-Bikes und -Cars sowie autonome Busverkehre sollen den Umstieg auf emissionsarme Mobilität erleichtern. Das Gestaltungsprinzip der „Living Street“ wird Badyas individuelle Stadtteile prägen: Der Mensch soll und darf sich die Straße zurückerobern. Auf der „Living Street“ wird die Straße wieder zur Begegnungszone. In 54 % von Badya Citys Straßen haben nicht mehr Autos Vorrang, sondern die Menschen. Ein Novum in Ägypten. Ausbalanciertes Wassermanagement In Ländern mit Wüstenklima spielt der angemessene Umgang mit der Ressource Wasser eine besondere Rolle. Im Großraum Kairo werden lange Trockenperioden von kurzen, mitunter sintflutartigen Regenphasen abgelöst, die bis zu drei Mal im Jahr auftreten und starke Überschwemmungen verursachen können. Diese plötzlich auftretenden Wassermassen sowie wiederaufbereitetes Wasser wollen die Planer bei AS+P als Chance zur Ressourcengewinnung nutzen:  Grünflächen machen etwa 20-Prozent des Plangebiets aus und sind mit einem Netz aus Versickerungsflächen durchzogen, in die das Wasser aus den versiegelten Flächen oberflächig eingeleitet wird und langsam versickern kann. Das ist klimagerechter als unterirdische Rigolen, denen Staub und Sand mehr zusetzen. Bild 2: Darstellung eines Appartmenthauses mit E-Bike- Miet-und-Lade- Station. © AS+P, HHVISION 30 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum  Weitere „Green buffer“ sind Grünflächen mit eingebetteten Verbindungswegen zum Quartier. Darüber hinaus sorgen wasserdurchlässige Straßenbeläge für eine langsame Versickerung.  Die Grünflächen werden in vier Hydrozonen eingeteilt, von sehr geringem bis höherem Wasserbedarf, um den Wasserverbrauch flexibel anzupassen. Nicht mehr Vegetation wird gepflanzt, als durch wiederaufbereitetes Abwasser unterhalten werden kann. Mit dieser resilienten Infrastruktur und einem darauf abgestimmten Begrünungskonzept entwerfen die Planer von AS+P Badya City als so genannte Sponge City, um klimatische Extreme besser auffangen zu können. Die ausgewogene Balance zwischen Trink- und recyceltem Wasser trägt dazu bei, einen schonenden Umgang mit dieser wertvollen Ressource zu ermöglichen. Gesundes Mikroklima verbessert die Lebensqualität Die Freiraumplanung trägt nicht nur wegen des ausgewogenen Umgangs mit dem Wasserhaushalt der Stadt maßgeblich zur Lebensqualität in Badya City bei. Die Freiflächen haben in der gesamten Stadt mehrere Funktionen zu erfüllen: Grünkorridore fördern die Stadtventilation und wirken Hitzeinseln entgegen. Durchdachte Bepflanzungskonzepte erhöhen die Aufenthaltsqualität und bieten Sichtschutz und Privatsphäre und schaffen ebenso schattige öffentlich zugängliche Orte der Begegnung und Raum für soziales Miteinander. Ein besonderer Mix aus Bäumen und Sträuchern sorgt für ein komfortables Mikroklima durch Abkühlung und verbessert die Luftqualität. Davon profitieren die Einwohner: In Badya City leben 95 % der Bevölkerung in einer Entfernung von zwei Minuten zu einem Park, 99 % der Einwohner leben drei Minuten entfernt von einem begrünten Platz. Und auch die Architektur leistet in Badya City ihren besonderen Beitrag zu Stadtklima und Wohnqualität. Verschiedene Gebäudetypologien - von der Stadtvilla, dem Apartment- oder Mehrfamilienhaus bis hin zum Wohnturm - sorgen ebenso für Vielfalt wie unterschiedliche Fassadentypologien mit mit natürlicher Verschattung. Was können wir von Badya City lernen? Städte wie Badya City in Ägypten entstehen auf dem Reißbrett und können von Grund auf neu gedacht werden. Die integrierte Stadtplanung erlaubt eine umfassende Antwort auf die Herausforderungen, die der Klima- und Gesellschaftswandel an die Städte der Zukunft stellt. Diese Erfahrungen führen uns vor Augen, dass wir denselben ganzheitlichen Blick auf das jeweils Mögliche auch hierzulande stets anwenden sollten. Bild 4: Ansicht eines „Linear Parcs“. © AS+P, HHVISION AUTOREN Dipl.-Ing. M. Sc. Jürgen Häpp Architekt und Stadtplaner Assoziierter Partner AS+P Albert Speer + Partner GmbH Kontakt: j.haepp@as-p.de Dipl.-Ing. (FH) Architektur Nils G. B. Müller Projektpartner AS+P Albert Speer + Partner GmbH Kontakt: n.mueller@as-p.de Dipl.-Ing. Matthias Dilger Landschaftsarchitekt und Stadtplaner Assoziierter Partner AS+P Albert Speer + Partner GmbH Kontakt: m.dilger@as-p.de Bild 3: Visualisierung einer „Living Street“ in Badya City. © AS+P, HHVISION