Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0013
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Vernetzte Mobilität im multimodalen Stadtraum
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Hartmut Topp
Vernetzte Mobilität – damit wird vieles bezeichnet: von multimodaler und intermodaler Kombination der Verkehrsmittel über Sharing-Konzepte und On-demand-Dienste bis hin zu automatisiertem Autofahren – und virtuelle Mobilität sei noch hinzugefügt. Damit gemeint ist Telearbeit im Homeoffice oder im Co-Working-Space, Online-Fernstudien, Teleshopping mit Lieferdiensten, Video-Konferenzen etc. Die Digitalisierung verändert nicht nur unsere Verkehrswelt und unser Mobilitätsverhalten, sondern – mit weitergehenden Folgen für unsere Mobilität – auch unsere Lebens- und Arbeitswelten.
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34 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung Die Vernetzung der Verkehrsmittel, von der aktiven Mobilität (AM) zu Fuß, mit Fahrrad oder Roller über öffentlichen Verkehr (ÖV) mit Bussen und Bahnen bis zum motorisierten Individualverkehr (MIV) mit Auto (und selten mit Motorrad oder Motorroller), erfolgt digital über das Smartphone als persönliche Mobilitätszentrale und analog über Mobilitätshubs, vorzugsweise an Bahnhöfen und Haltestellen des Vernetzte Mobilität im multimodalen Stadtraum Mobilität, Verkehrswende, Multimodalität, CO 2 -Reduzierung, ÖPNV, Stadtraum Hartmut Topp Vernetzte Mobilität - damit wird vieles bezeichnet: von multimodaler und intermodaler Kombination der Verkehrsmittel über Sharing-Konzepte und On-demand-Dienste bis hin zu automatisiertem Autofahren - und virtuelle Mobilität sei noch hinzugefügt. Damit gemeint ist Telearbeit im Homeoffice oder im Co-Working-Space, Online-Fernstudien, Teleshopping mit Lieferdiensten, Video-Konferenzen etc. Die Digitalisierung verändert nicht nur unsere Verkehrswelt und unser Mobilitätsverhalten, sondern - mit weitergehenden Folgen für unsere Mobilität - auch unsere Lebens- und Arbeitswelten. Bild 1: Ungeordnetes Bike-and-Ride am Heidelberger Hauptbahnhof. © Topp 35 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung ÖPNV mit Park-and-Ride und Bike-and-Ride. Neben dem ungeordneten Abstellen der Fahrräder - wie in Heidelberg (Bild 1), wo eine automatische Radstation geplant ist - stehen dafür zunehmend auch Fahrradparkhäuser zur Verfügung: Das größte der Welt mit 12 500 Abstellplätzen steht in den Niederlanden am Utrechter Bahnhof [1]. In Münster gibt es am Bahnhof seit 20 Jahren eine Fahrradstation mit 3 300 Abstellplätzen, die längst nicht mehr ausreichen, was auch hier zu „wildem“ Abstellen führt. Neben Bike-and-Ride ist die Mitnahme von Fahrrad, Roller oder Rollator im ÖV ein wichtiger Beitrag zur Mobilitätsvernetzung. Sharing-Konzepte Sharing-Konzepte wie Bike-Sharing, Car-Sharing, Roller- und E-Scooter-Sharing sowie Ride-Sharing und Ride-Pooling spielen bei der Vernetzung der Mobilität eine zentrale Rolle. Sie sind schon längst nicht mehr nur an Mobilitätspunkten oder Sharing- Stationen verfügbar, sondern „free-floating“ überall im jeweiligen Geschäftsgebiet, geortet über Smartphone-Apps. Das gilt jedenfalls für die Stadt, auf dem Land sieht das anders aus. Die Aufzählung der Sharing-Konzepte macht die zunehmende Vielfalt von Mobilitätsoptionen deutlich. Multimodalität Multimodal statt monomodal meint je nach Situation das geeignete verfügbare Verkehrsmittel oder intermodal mehrere Verkehrsmittel kombiniert statt ein einziges - statt fixiert auf das eigene Auto oder routinemäßig immer ÖV oder immer Fahrrad. Man wählt aus mehreren Optionen, und das Auto, auch als Sharing-Auto oder Taxi, ist eine davon. Alternative Wege und Verkehrsmittel(-kombinationen) werden von der App - nach Zeit, Geld und neuerdings auch nach CO 2 -Ausstoß bewertet - vorgeschlagen; für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, kommt Barrierefreiheit als Bewertungskriterium noch hinzu. Betrachten wir unsere Füße als „eigenes Verkehrsmittel“, dann ist eigentlich jede Ortsveränderung intermodal - außer reinen Fußwegen. Mobilität ist nicht auf physische Ortsveränderungen, gemessen in Kilometern, beschränkt, sondern impliziert ebenso analoge Kontakte und Kommunikation, gefördert durch Dichte und Nutzungsmischung in den Stadtquartieren, und digitale Kontakte ohne Grenzen. Mobilität im Sinne von Kontakt, Teilhabe und Erreichbarkeit ist ein Grundbedürfnis. Aber physische Mobilität in der heutigen autozentrierten Form im „Autoland“ Deutschland steckt in der Sackgasse, was sich vielfach belegen lässt: Umweltbelastungen durch Lärm und Abgase (NO x , Feinstaub), Unfälle mit jährlich über 3 200 Toten (fast 1 000 innerorts), Klimawandel (keine CO 2 - Minderung im Verkehr seit 1990), Flächenansprüche und Dominanz des fließenden und ruhenden Autoverkehrs auf Straßen und Plätzen. Elektromobilität Elektrisch fahren und alles ist gut? Das ist wichtig, aber deutlich zu kurz gesprungen: Was bleibt, sind Unfälle und der enorme Flächenanspruch des KFZ- Verkehrs. Außerdem sind Verkehrsstraßen sowie Busse und Bahnen in den Spitzenzeiten so überlastet, dass man von einem Mobilitätsnotstand sprechen kann, an dem auch E-Mobilität nichts ändert. Vernetzte Mobilität Vernetzte Mobilität, auch als smarte Mobilität bezeichnet, soll unsere Mobilitätsbedürfnisse mit geringsten Nebenwirkungen für Umwelt und Klima möglichst effektiv - Zeit, Flächen und Kosten sparend und sicher - abdecken. Das leistet der Mobilitätsverbund, auch Umweltverbund genannt, aus aktiver Mobilität (AM) und öffentlichem Verkehr (ÖV) plus Car-Sharing und Taxi. Das Berliner Mobilitätsgesetz von 2018 schreibt zum ersten Mal dessen Vorrang vor dem MIV gesetzlich fest. Der Umweltverbund ermöglicht „mobil ohne Auto statt Automobil“. Auch die „Vision Zero“, wonach niemand im Straßenverkehr getötet oder schwer verletzt werden soll, ist im Gesetz verankert. Der nächste Schritt beim Mobilitätsgesetz heißt: „Berlin geht neue Wege im Fußverkehr“. Aktiv mobil zu Fuß oder mit dem Fahrrad ist Klimaschutz, gesund und urban - Bewegung ist Lifestyle. Autonomes Fahren Automatisch Fahren ist kein Patentrezept, wie oft vermutet oder propagiert wird - aber da muss man genauer hinschauen: Möglichkeiten und Chancen liegen in ländlichen Räumen in der Erweiterung der Einzugsbereiche von ÖV-Haltestellen durch automatische, fahrerlose Kleinbusse, wie schon heute - allerdings mit Begleitperson - beispielsweise in Bad Birnbach, oder auf dem Campus von Universitäten oder Firmen, wie in der Berliner Charité. Auch auf Autobahnen, Schnellstraßen und auf städtischen Magistralen wird automatisches Fahren in absehbarer Zukunft Verkehr sicherer und leistungsfähiger machen. Kritisch zu sehen ist automatisches Fahren jedoch im quirligen Stadtverkehr mit Gehenden und Radfahrenden, die absichtlich oder unabsichtlich selbstfahrende Fahrzeuge jederzeit ausbremsen können. Und eine digitale oder physische „Einzäunung“ von Stadtstraßen entspricht nicht unserem 36 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung Verständnis von Stadtraum. Die Debatte um „autonomes“ Fahren ist industrie-politisch und technisch dominiert; aber wichtiger für unsere Mobilität und für unsere Städte ist die stadt- und verkehrsplanerische Sicht [2]. Robotaxis Selbstfahrende Robotaxis als Ersatz für private Autos braucht es in der Stadt eigentlich nicht; sie würden zwar die Anzahl abgestellter Fahrzeuge drastisch verringern, den fließenden Verkehr jedoch durch Leerfahrten erhöhen. Oder anders ausgedrückt: Die durchschnittliche Besetzung eines PKW könnte unter 1 sinken, während wir andererseits versuchen, mit höherer Besetzung durch Ride-Sharing und Ride-Pooling Autofahrten einzusparen. Die Reduzierung des ruhenden Autoverkehrs erreichen wir mit klassischem Car-Sharing auch und das ohne mehr fließenden Autoverkehr - im Gegenteil: Car-Sharer nutzen als Basis ÖV und aktive Mobilität zu Fuß und mit dem Fahrrad - und in letzter Zeit auch vermehrt Tretroller und andere Mikro- Fahrzeuge für den „ersten und letzten Kilometer“ [3]. Damit sind wir bei der multimodalen Vernetzung aller Mobilitätsformen von der aktiven über die motorisierte bis hin zur virtuellen Mobilität - physisch durch Mobilitätshubs und Haltestellen und digital mit Smartphone und App über multimodale Mobilitätsplattformen, die auch für den Fernverkehr angeboten werden (FlixMobility oder BlaBlaCar). Sharing-Konzepte und On-demand-Dienste bezeichnen wir auch als Mobility as a Service (MaaS), und in Richtung Mobilitätsdienstleister wird sich auch die Automobilindustrie weiterentwickeln (müssen), was mit ShareNow (Zusammenschluss von car2go und DriveNow) und anderen bereits läuft. ÖPNV Was macht all das mit unserem heutigen ÖV? Die Grenzen zwischen MIV und ÖPNV weichen mehr und mehr auf in Richtung „öffentliches Auto“ und „individueller ÖPNV“ [4]. Eins aber ist ziemlich sicher: In den großen Städten brauchen wir auch künftig einen leistungsfähigen ÖPNV - selbst wenn physische Anwesenheit teilweise durch virtuelle ersetzt wird, und wenn aktive Mobilität noch mehr zum Lifestyle wird, wie heute schon in Kopenhagen, Groningen, Münster oder Freiburg. Was bleibt und bleiben muss, das sind massentaugliche Schienenverkehre als Rückgrat des Stadt-, Regional- und Fernverkehrs. Deshalb Bild 2: Entspanntes Miteinander in der Begegnungszone Zentralplatz in Biel, Schweiz. © TOPP 37 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung sind - bei aller Kritik an manch anderen Punkten des Klimaschutzpakets der Bundesregierung und an der gegenwärtigen Performance der Deutschen Bahn - die Ziele für den Bahnverkehr 2030 erst einmal zu begrüßen: Verdoppelung der Bahnfahrten, Investitionsoffensive für Strecken, Bahnhöfe und Züge und flächendeckender Deutschland-Takt nach schweizer Vorbild. Und es bleibt zu hoffen, dass diese ehrgeizigen Vorgaben auch weitgehend eingelöst werden können, wozu es nicht nur Geld braucht, sondern vor allem schlankere Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie Personalkapazitäten. Entscheidend für die Entwicklung der Mobilität sind politische Weichenstellungen in Richtung Nachhaltigkeit - zum Beispiel bei heute fehlender Kostenwahrheit der verschiedenen Verkehrssysteme. Der Autoverkehr kostet die Kommunen bei volkswirtschaftlicher Vollkostenrechnung das Dreifache des ÖPNV [5] - ebenso bei fehlender ökologisch orientierter Bepreisung des Mobilitätsverhaltens. Ein anderes, kleines, vielleicht aber symbolträchtiges Beispiel für die Dominanz des Autoverkehrs in Deutschland nicht nur auf der Straße, sondern auch in Recht und Verordnungen: Schwarzparken im öffentlichen Raum ohne Parkschein kostet zehn Euro, Schwarzfahren im ÖPNV ohne Ticket kostet 60 Euro und zählt zudem als Straftat. Multimodaler Stadtraum Der Mobilitätsvernetzung entspricht das Miteinander der verschiedenen Verkehrsarten im Straßenraum als Shared Space. Das ist nicht das Rezept für Hauptverkehrsstraßen, aber es geht oft mehr als man denkt; das zeigen zum Beispiel die Verkehrsberuhigten Bereiche Opernplatz oder Hamborner Altmarkt in Duisburg mit jeweils mehr als 12 000- KFZ pro Tag oder die Begegnungszone Zentralplatz im schweizerischen Biel mit ebenfalls um die 12 000-KFZ pro Tag (davon etwa 1 000 Busse) und mit rund 5 000 Fahrräder pro Tag (Bild 2). Man könnte dabei in Anlehnung an multimodale Mobilität auch von multimodaler Verkehrsinfrastruktur oder multimodalem Stadtraum sprechen. Wo Shared Space auf Hauptverkehrsstraßen nicht praktikabel ist, wäre Tempo 30 als Regellimit innerorts mit zu beschildernden Ausnahmen Bild 3: Urbaner Aufenthalt in einer Tübinger Geschäftsstraße mit 12 000 KFZ pro Tag. © TOPP 9: 30 12: 30 14: 00 Entwurf Zinser-Dreieck: Bruun & Möllers 38 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung (Tempo 50-Vorrangstraßen) - wie schon seit 1992 in Graz, Österreich - ein wichtiger Schritt zu mehr Miteinander von Menschen und Autos. Die Stadt Köln hat kürzlich Tempo 30 auf den Ringen eingeführt und gleichzeitig die Benutzungspflicht der Radwege aufgehoben. Über Sicherheit und entspanntes Fahren und Gehen hinaus leistet Tempo 30 (im Verbund mit Tempo 120 auf Autobahnen und Tempo 80 auf zweistreifigen Landstraßen) einen deutlichen Beitrag zur CO 2 -Minderung - sofort und zum „Nulltarif“. City-Maut ? Was noch fehlt, ist das Stichwort „City-Maut“: Um den Einzelhandel nicht zu sehr zu erschrecken, bezeichne ich das als „ultima ratio“, und ich halte es auch nur in großen, wirtschaftsstarken Städten, wie London oder Stockholm, für zielführend; dort allerdings ist die Maut seit Jahren erfolgreich und inzwischen allgemein akzeptiert. Was aber an preispolitischen Maßnahmen auch für kleinere Städte wichtig wäre: höhere Parkgebühren, und insbesondere im öffentlichen Raum höher als in häufig nicht ausgelasteten Parkhäusern und Tiefgaragen. In Rotterdam kostet Parken im Straßenraum vier Euro pro Stunde und in Parkgaragen zwei Euro. Damit könnten ÖPNV-Angebote, wie ein 365-Euro-Ticket, querfinanziert werden. Mehr Urbanität Welche Chancen ergeben sich für städtische Räume durch vernetzte Mobilität? Dank weniger fahrenden und parkenden Autos werden Flächen frei für andere Nutzungen wie Bäume, Bänke (Bild 3), Fahrradwege und -abstellplätze, Geh- und Aufenthaltsflächen. Menschen erzeugen Urbanität oder mit dem Slogan der Bundesstiftung Baukultur: „Menschen prägen Räume, Räume prägen Menschen“. Die lebendige Stadt, lebenswert und nachhaltig, hat mehr Lebensqualität für dort Wohnende und die Stadt Besuchende, und die Aufwertung insbesondere der Innenstadt ist gut für die Wirtschaft insgesamt und für den Tourismus und nicht nur für den Einzelhandel. Fazit Vernetzte Mobilität ist Teil der Verkehrswende - und dazu braucht es neben Digitalisierung und Technik Verhaltensänderungen, und zu allem braucht es dringend politische Setzungen. Vernetzte Mobilität wertet Stadträume auf und trägt zum Klimaschutz bei, ohne Mobilität einzuschränken. PS: Selbstverständlich müssten für Lieferverkehr und Logistik ähnliche Überlegungen angestellt werden, was aber den Rahmen sprengen würde. LITERATUR [1] Teufel, S.: Unterirdisch Parken auf drei Geschossen - Weltgrößte Fahrradgarage in Utrecht. Umrisse - Zeitschrift für Baukultur 19, Nr. 5 / 6 (2019), S. 10 - 17. [2] Rothfuchs, K., Engler, P.: Das öffentliche Interesse muss die Entwicklung bestimmen! Auswirkungen des autonomen Fahrens aus Sicht der Verkehrsplanung - einige Thesen und zahlreiche offene Fragen. Straßenverkehrstechnik 62, Nr. 8 (2018). [3] Hamann, R., Schulz, S.: E-Tretroller: Chance für die Verkehrswende? Transforming Cities 4, Nr. 4 (2019), S. 14 - 18. [4] Topp, H: Öffentliches Auto und privater ÖPNV: Synergien und Konkurrenzen im Mobilitätsverbund. Der Nahverkehr 31, Nr. 6 (2013) S. 11 - 17. [5] Saighani, A., Leonhäuser, D., Sommer, C.: Verfahren zur ökonomischen Bewertung städtischer Verkehrssysteme. Straßenverkehrstechnik 61, Nr. 10, (2017). All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. 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