eJournals Transforming cities 5/1

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0016
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2020
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Lebensqualität trotz Sommerhitze?

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2020
Heike Hensel
Janneke Westermann
Die Rekordsommer der vergangenen beiden Jahre haben es deutlich gemacht: Lang anhaltende Hitzewellen könnten in der Zukunft eine der großen Herausforderungen für die Stadtentwicklung sein. Wie kann es gelingen, die Lebensqualität trotz Sommerhitze auch in dicht bebauten Stadtquartieren zu sichern? Dieser Frage geht noch bis September 2020 das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Forschungsprojekt HeatResilientCity (deutsch: Hitzeangepasste Stadt) nach. In dem Forschungsprojekt wird untersucht, wie sich Wohngebäude und Freiflächen so gestalten lassen, dass das Leben in Städten auch bei längeren Hitzeperioden angenehm bleibt. Als Reallabore dienen ein Plattenbauviertel in Dresden und ein Gründerzeitquartier in Erfurt. Die Bevölkerung wird eng in das Projekt einbezogen.
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48 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung Lebensqualität trotz Sommerhitze? Wie sich Stadtquartiere an die Herausforderungen des Klimawandels anpassen können Sommerhitze, Stadtentwicklung, Klimawandel, Anpassung, Resilienz Heike Hensel, Janneke Westermann Die Rekordsommer der vergangenen beiden Jahre haben es deutlich gemacht: Lang anhaltende Hitzewellen könnten in der Zukunft eine der großen Herausforderungen für die Stadtentwicklung sein. Wie kann es gelingen, die Lebensqualität trotz Sommerhitze auch in dicht bebauten Stadtquartieren zu sichern? Dieser Frage geht noch bis September 2020 das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Forschungsprojekt HeatResilientCity (deutsch: Hitzeangepasste Stadt) nach. In dem Forschungsprojekt wird untersucht, wie sich Wohngebäude und Freiflächen so gestalten lassen, dass das Leben in Städten auch bei längeren Hitzeperioden angenehm bleibt. Als Reallabore dienen ein Plattenbauviertel in Dresden und ein Gründerzeitquartier in Erfurt. Die Bevölkerung wird eng in das Projekt einbezogen. Bild 1: Lebensqualität trotz Sommerhitze? Der Sonnenschutz an Gebäuden hat viele Gesichter. Was hilft am besten an heißen Tagen? © H. Hensel/ IÖR-Media 49 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung Fokus: Bevölkerung, Gebäude, Freiflächen Ziel des Projektes HeatResilientCity ist es, das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Stadtbewohner*innen zu sichern, indem die Aufenthaltsqualität sowohl in Gebäuden als auch im Freien verbessert wird. Maßnahmen, die in die praktische Umsetzung gehen, werden zum Teil gemeinsam mit Bürger*innen entwickelt. Denn auch das ist ein wichtiges Anliegen des Projektes: Die Maßnahmen zur Anpassung an Sommerhitze sollen von der Bevölkerung akzeptiert sein. Beispielquartiere in Dresden und Erfurt Das Projektteam erforscht geeignete Anpassungsmaßnahmen für Gebäude und Freiflächen in zwei sehr unterschiedlichen Reallaboren: Bei der Erfurter Oststadt handelt es sich um ein typisches Gründerzeitviertel mit dichter Bebauung. Viele Grünflächen in dem Stadtteil sind nicht öffentlich zugänglich, weil sie sich in geschlossenen Innenhöfen befinden. Der Stadtteil Dresden-Gorbitz hingegen ist ein typisches DDR-Plattenbaugebiet der 1980er Jahre. Die lockere offene Bebauung lässt Raum für öffentlich nutzbare Grün- und Freiflächen. Beide Reallabore stehen stellvertretend für viele andere Wohngebiete in Deutschland. Die Erkenntnisse, die das Projektteam aus Wissenschaft, Wohnungswirtschaft und Stadtverwaltungen in Erfurt und Dresden erlangt, können deshalb später auch auf ähnliche Wohnquartiere in anderen Städten übertragen werden. Was sagen die Bürger*innen? In beiden Stadtteilen hat das Projektteam die Anwohnerschaft wissenschaftlich befragt. Dabei ging es zum einen um die Frage, ob die Bürger*innen Sommerhitze überhaupt als Belastung empfinden und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Zum anderen wurden sie gefragt, welche Anpassungsmaßnahmen sie als besonders geeignet einschätzen. In beiden Beispielquartieren gaben rund 60-Prozent der Befragten an, dass sie große Hitze im Sommer in ihrem direkten Wohnumfeld als „sehr belastend“ oder „eher belastend“ empfinden. In ihrer Wohnung empfinden rund 53 Prozent der Befragten in Erfurt die Hitze in den Sommermonaten als „sehr belastend“ oder „eher belastend“, in Dresden-Gorbitz waren es über 60 Prozent. Dort, in den Plattenbaubeständen, nehmen die Menschen die Hitze subjektiv als deutlich belastender wahr als die Bewohner anderer Gebäudetypen wie etwa der Gründerzeitbauten in Erfurt. Gerade in den Plattenbauten spielt auch die Lage der Wohnung eine Rolle - in den oberen Stockwerken fühlen sich die Bewohner*innen stärker durch die Hitze beeinträchtigt. Ob Dresden oder Erfurt: Ein Großteil der Befragten leidet bei langanhaltender Hitze unter Schlafstörungen, Kreislaufbeschwerden und Kopfschmerzen. Bei der Frage nach geeigneten Anpassungsmaßnahmen sprachen sich rund 75 Prozent der Befragten in Dresden-Gorbitz für außenliegende Rollläden oder Markisen aus. In der Erfurter Oststadt waren es sogar fast 80 Prozent der Befragten, die diese Art des Sonnenschutzes als sinnvoll erachten. Auch Baumpflanzungen vor dem Haus und eine Dämmung des Daches finden die Zustimmung der Mehrzahl der Befragten. Gebäudeanpassung: Maßnahmen geschickt kombinieren Diese Maßnahmen sind auch aus wissenschaftlicher Sicht geeignet, um Gebäude gegen Sommerhitze zu wappnen. Sowohl in Erfurt als auch in Dresden hat das Projektteam ausgewählte Gebäude detailliert untersucht. Die Forschenden haben in den Häusern das Innenraumklima wie etwa Temperatur und Luftfeuchte gemessen. Hinzu kommen Klimadaten und Messungen im Freiraum. Diese Messwerte dienen dazu, dynamisch-thermische Gebäudesimulationen, das Herzstück der Untersuchungen, realitätsnah zu konfigurieren. Mithilfe dieser Simulationen lassen sich jene Schwachstellen von Gebäuden identifizieren, die sie besonders anfällig gegen Sommerhitze machen. Bild 2: Das Projekt „HeatResilientCity“ (Hitze-angepasste Stadt) untersucht, wie die Umgestaltung von Gebäuden und Freiflächen dabei helfen kann, Sommerhitze in Großstädten gut zu ertragen. © R. Ortlepp/ IÖR-Media Bild 3: Systematische Messungen im Projekt HeatResilientCity zeigen die Folgen langer Hitzeperioden für Wohnräume. © St. Kunze/ HTW Dresden 50 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung Im Untersuchungsfall sind dies die Fensterflächen, die geringe Speichermasse der Gebäude und zu wenig Luftaustausch in der Nacht. Die Gebäudesimulationen machen es außerdem möglich, die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen zum Schutz vor Sommerhitze zu testen und - noch wichtiger - zu überprüfen, welche Kombination von Maßnahmen besonders erfolgversprechend ist. Denn die eine Maßnahme, die Wohnungen effektiv vor Überhitzung schützt, gibt es nicht. Vielmehr kommt es auf die geschickte Kombination eines ganzen Maßnahmenbündels an. Eine solche Kombination wird nun in Dresden- Gorbitz auch in der Praxis getestet. Drei Plattenbauten der Wohnungsbauserie WBS 70 wurden 2019 in dem Stadtteil saniert und dabei zugleich Maßnahmen zum Hitzeschutz umgesetzt. Die Gebäude erhielten außenliegende Rollläden, die Wärmespeicherkapazität im Dachbereich wurde erhöht und in einem der Häuser wird die vorhandene Lüftungsanlage erweitert. Wie wirksam diese Maßnahmen tatsächlich sind, wird der Sommer 2020 zeigen. Dann stehen nochmals systematische Messungen in den Häusern an. Sie werden mit den Messwerten aus dem Sommer 2018, vor der Umsetzung der Maßnahmen, verglichen. Schutz vor Sommerhitze im Freien Wenn es darum geht, extreme Sommerhitze für Menschen in Städten erträglicher zu machen, dann spielen auch die Grün- und Freiflächen eines Stadtteils eine große Rolle. Bei Befragungen der Bevölkerung im Projekt HeatResilientCity wurde deshalb auch dieser Aspekt beleuchtet. In Karten ihres Wohngebietes konnten die Befragten markieren, welche Bereiche sie als kühl und welche als heiß empfinden. So wird deutlich, wo im Quartier weitere Anpassungsmaßnahmen erforderlich sind. H EAT R ESILIENT C ITY - HITZE-ANGEPASSTE STADT- UND QUARTIERSENTWICKLUNG IN GROSSSTÄDTEN Das Projekt wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung als Vorhaben der „Leitinitiative Zukunftsstadt“ im Themenbereich „Klimaresilienz durch Handeln in Stadt und Region“. Laufzeit: Oktober 2017 bis September 2020 Projektpartner:  Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) (Verbundleitung)  Institut für Stadtforschung, Planung und Kommunikation der Fachhochschule Erfurt (ISP)  Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Dresden, Professur für Bauphysik/ Bauklimatik und Raumlufttechnik sowie Professur für Baukonstruktion  Technische Universität Dresden (TUD), Institut für Hydrologie und Meteorologie  Eisenbahner-Wohnungsbaugenossenschaft (EWG) Dresden eG  Umweltamt der Landeshauptstadt Dresden  Umwelt- und Naturschutzamt der Landeshauptstadt Erfurt Bild 4: Anpassungsbedarf im Freiraum: Sitzbänke in der prallen Sonne laden in heißen Sommern nicht zum Verweilen ein. © R. Vigh/ IÖR-Media 51 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung In der Erfurter Oststadt sind es vor allem zwei öffentliche Plätze, der Leipziger und der Hanseplatz, die die Menschen im Hochsommer als Hitzeinseln wahrnehmen und wo sie längere Aufenthalte vermeiden. Mit sogenannten Interventionen, temporären Anpassungsmaßnahmen, wird das Projektteam im Sommer 2020 mögliche Lösungen für einen besseren Hitzeschutz testen. Geplant ist etwa, die Sitzbänke auf dem Leipziger Platz vorübergehend mit großen Kübelpflanzen zu verschatten und durch Pergolen auf den Rasenflächen schattige Bereiche zu schaffen. Auch die Wegeführung über den Platz soll umgestaltet und die neuen Eingangsbereiche mit Stauden aufgewertet werden. Ein typisches Problem der Gründerzeitbebauung kommt in Erfurt ebenfalls zum Tragen: Viele Grünflächen befinden sich in nicht öffentlich zugänglichen Innenhöfen und stehen deshalb nicht allen für die Erholung an heißen Sommertagen zur Verfügung. Hier braucht es Lösungen, wie diese besser zugänglich gemacht oder andernorts im Viertel neue öffentliche Grünflächen geschaffen werden können. In Dresden-Gorbitz hingegen gibt es viele öffentliche Grün- und Freiflächen. Doch auch in diesem Quartier ließe sich der Schutz vor Sommerhitze aus Sicht der Bürger*innen noch optimieren - zum Beispiel an Haltestellen von Bus und Straßenbahn. Prallt die Sonne ungehindert auf die Unterstände, sind die Wartenden hier häufig sehr hohen Temperaturen ausgesetzt. In Planung ist deshalb, mit einer Pilotmaßnahme die Begrünung und Verschattung einer Haltestelle zu erproben. Zeigen die Messwerte eine Verbesserung und kommt die Maßnahme bei der Bevölkerung gut an, dann ließe sich diese Anpassung auch auf andere Haltestellen im Stadtgebiet übertragen. Andernorts werden im Quartier weitere Flächen entsiegelt. Nicht mehr genutzte Bolz- und Parkplätze werden zu extensiv bewirtschafteten Wiesenflächen und urbanem Wald und leisten so einen Beitrag zur besseren Klimaregulierung im Stadtteil. Was jeder selbst tun kann Noch bis September 2020 werden in Erfurt und Dresden weitere Anpassungsmaßnahmen umgesetzt und ihre Wirksamkeit geprüft. Geeignete Maßnahmen könnten später auch auf andere Städte und Wohnviertel übertragen werden. Darüber hinaus plant das Projektteam Schulungen und weitere Informationsveranstaltungen. Denn nicht immer lässt sich zum Beispiel die Anpassung von Gebäuden in großem Maßstab umsetzen. Bestes Beispiel ist das Untersuchungsgebiet Erfurter Oststadt. Die Eigentümerstruktur in dem Gründerzeitviertel ist sehr Dipl.-Journ. Heike Hensel Pressesprecherin Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V. Dresden Kontakt: h.hensel@ioer.de Dr. Janneke Westermann Wissenschaftliche Projektkoordinatorin im Projekt HeatResilientCity Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung e. V. Dresden Kontakt: j.westermann@ioer.de AUTORINNEN heterogen. Ob und wann einzelne Eigentümer ihre Immobilie an neue klimatische Gegebenheiten anpassen, bleibt offen. Umso wichtiger ist es, dass die Bewohner*innen dafür sensibilisiert werden, was sie selbst tun können, um die Sommerhitze aus der Wohnung zu befördern oder sie gar nicht erst hereinzulassen. Das richtige Lüften zur passenden Tageszeit - nachts mit weit geöffneten Fenstern - ist hier das A und O. Das haben die Untersuchungen im Projekt HeatResilient- City gezeigt. Hier kann also jeder selbst zu seiner Lebensqualität beitragen. Informationsmaterial wird es auch für die Immobilieneigentümer geben - etwa zu rechtlichen Regelungen, technischen und baulichen Möglichkeiten der Anpassung und zu geeigneten Fördertöpfen für solche Anpassungsmaßnahmen. Bild 5: Simulationen zeigen - ganz unabhängig vom Lüftungsverhalten der tatsächlichen Bewohner - wie stark sich Gebäude während langer Hitzeperioden aufheizen können. Anhand der Modelle lässt sich auch die Wirkung verschiedener Maßnahmen und Maßnahmenbündel überprüfen. © C. Schünemann/ IÖR