Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0018
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2020
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Blau-grüne Infrastrukturen
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2020
Lotta Steger
Friederike Well
Ferdinand Ludwig
In Anbetracht der fortschreitenden Urbanisierung und der bestehenden, nicht klimatisch angepassten Siedlungsstrukturen müssen nachhaltige Transformationsstrategien für die urbane Infrastruktur entwickelt werden. In der vorliegenden Studie werden mithilfe blau-grüner Infrastrukturen integrative Konzepte für eine nachhaltige Stadtentwicklung aufgezeigt. Ortsspezifische Schlüsselprobleme werden am Beispiel von Frankfurt am Main erfasst, analysiert und synergetisch in einem integrierten Entwurf zusammengeführt. Anhand zweier innerstädtischer Freiräume werden die blau-grünen Infrastrukturen auf ihre Anpassungsfähigkeit und räumliche Wirksamkeit hin geprüft und Handlungsansätze für die lokalen Akteure erarbeitet.
tc510058
58 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung Grenzen grauer Infrastrukturen Urbane Agglomerationen hängen seit jeher von ihren Infrastrukturen ab. Konventionelle, graue Infrastrukturen sind dem sich zuspitzenden Problem der urbanen Flächenkonkurrenz nicht gewachsen, da sie einseitig konzipiert sind. Sie haben einen negativen Einfluss auf den urbanen Wasserhaushalt und verlagern etwa Überschwemmungen lediglich flussabwärts und sind Verursacher von städtischen Hitzeinseln, verschlechtern die Wasserqualität und haben eine geringe gestalterische Qualität [1]. Um das Potenzial des stark begrenzten Platzes der Stadt bestmöglich auszuschöpfen und einer weiteren Zersiedelung entgegenzuwirken, muss ein Raum mehrere Funktionen erfüllen. Dabei stellt sich nicht nur die Frage nach einer technischen Lösung, sondern auch die nach der Lebensqualität der Bewohner. Blau-grüne Infrastrukturen setzen multifunktional an bislang ungenutzten Synergien von urbanem Wasserzyklus und Vegetation in der Stadt an. Als ein Netzwerk lokaler natürlicher und naturnaher Interventionen unterstützen sie eine Spannbreite von Ökosystemleistungen [1]. So haben sie einen positiven Effekt auf die Luft- und Wasserqualität, können die Kanalisation durch eine lokale Regenwasserbewirtschaftung entlasten, an einer effektiven Überflutungsvorsorge mitwirken, die Biodiversität erhöhen, durch Gebäudebegrünung den Energiebedarf der Häuser senken und den urbanen Wasserzyklus näher an den natürlichen heranbringen [2]. Sie können dezentral bereits existierende, konventionelle Infrastrukturen ergänzen - und auf lange Sicht sogar ersetzen [1]. Blau-grüne Infrastrukturen Transformationsstudien urbaner Freiräume am Beispiel von Frankfurt Mikroklima, Begrünungsstrategien, Wassermanagement, Klimaresilienz, Stadtentwicklung Lotta Steger, Friederike Well, Ferdinand Ludwig In Anbetracht der fortschreitenden Urbanisierung und der bestehenden, nicht klimatisch angepassten Siedlungsstrukturen müssen nachhaltige Transformationsstrategien für die urbane Infrastruktur entwickelt werden. In der vorliegenden Studie werden mithilfe blau-grüner Infrastrukturen integrative Konzepte für eine nachhaltige Stadtentwicklung aufgezeigt. Ortsspezifische Schlüsselprobleme werden am Beispiel von Frankfurt am Main erfasst, analysiert und synergetisch in einem integrierten Entwurf zusammengeführt. Anhand zweier innerstädtischer Freiräume werden die blau-grünen Infrastrukturen auf ihre Anpassungsfähigkeit und räumliche Wirksamkeit hin geprüft und Handlungsansätze für die lokalen Akteure erarbeitet. Bild 1: Umstrukturierung des Straßenraumes der Heidestraße in Frankfurt am Main. © Steger 59 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung Im Fokus der hier vorgestellten Studie steht die Erarbeitung einer urbanen Freiraumtransformation im konkreten Raum, aufbauend auf lokal abhängigen Zielsetzungen wie etwa Klimaresilienz, Überflutungsvorsorge oder Feinstaubbindung. Die Basis einer erfolgreichen Implementierung liegt daher in der Analyse der ortsspezifischen Begebenheiten, um die Planung effizient auf die lokalen Problematiken auszurichten und bestmöglich auf den Bestand zu reagieren. Pilotgebiet Frankfurt am Main Im Rahmen des Forschungsprojektes INTERESS-I, welches integrierte blau-grüne Infrastrukturen entwickelt und testet, werden in Frankfurt am Main zwei Stadtentwicklungsprojekte untersucht [3]. Im Zuge des Klimawandels wird Frankfurt aufgrund der Siedlungsstruktur und seiner geographischen Lage insbesondere hinsichtlich des Temperaturanstiegs besonders hart betroffen sein [4, 5]. In einer Studie aus dem Jahr 2016 wurde bereits mithilfe einer Klimaanalyse auf Stadtebene der Klimaplanatlas 2016 erstellt. Er zeigt die Überwärmungs- und Kaltluftentstehungsgebiete und gibt dadurch Aufschluss über Potenzialflächen und Problemareale [6]. In einer Studie des Grünflächenamtes wurden zudem sogenannte „Grüne Achsen“ für den innerstädtischen Kernbereich erarbeitet, um wichtige Flächen für die Grünversorgung zu sichern [7]. Diese führen von der stark überhitzten und versiegelten Innenstadt zu Grünflächen in der Umgebung Frankfurts. In der vorliegenden Studie wurde die Grüne Achse XI näher betrachtet, an welcher blau-grüne Infrastrukturen implementiert werden sollen. Die Analyse, Synthese und die darauf aufbauenden Entwürfe stehen dabei exemplarisch für mögliche Strategieentwicklungen in anderen Städten. Die räumlichen und gestalterischen Konsequenzen, die spezifischen Anforderungen und die Grenzen blau-grüner Infrastrukturen hängen stark von der gewählten Zielsetzung ab. Um eine Vergleichbarkeit der einzelnen Herausforderungen zu erreichen, wurden diese zunächst separat betrachtet. Anhand der Analyse der lokalen Probleme Frankfurts und der Grünen Achse XI wurden lokale klimatische Kernprobleme erfasst und drei Zielsetzungen definiert: Verbesserung des Mikroklimas, Überflutungsvorsorge und der urbane Trinkwasserschutz. Verbesserung des Mikroklimas Problemlage: Der Klimaplanatlas 2016 zeigt deutlich, dass Frankfurt mit starken Überwärmungsproblemen zu kämpfen hat. In der Innenstadt verursachen die Versiegelung und die Baustruktur einen Urban Heat Island-Effekt und es kann so bis zu zehn Grad wärmer werden als im Umland (Bild 2) [8]. Diese extreme Hitze setzt dabei nicht nur den Menschen zu. 2019 wurden fast 96,9 % der Frankfurter Stadtwaldbäume durch die Trockenheit und Bild 2: Foto und Wärmebildaufnahme der Frankfurter Skyline. © Steger 60 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung Hitze geschädigt, außerdem setzen wärmeliebende Schädlinge der Vegetation verstärkt zu [8]. Im Zuge des Klimawandels werden die Hitzetoten pro Jahr in Deutschland von 5 000 auf 15 000 steigen, wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden [9]. Insbesondere die Monate Juni, Juli und August sind aufgrund der Hitzetage und Tropennächte von großer Bedeutung [5]. Lösungsansatz: Durch eine Kombination aus Regenwasser- und Grauwassernutzung und der Speicherung können Trockenperioden überbrückt werden. Eine Begrünung von Dach- und Fassadenflächen maximiert auch in stark begrenzten Freiräumen die Vegetationsfläche, kühlt so zusätzlich und kann Feinstaub binden. Mit der Schaffung von schattigen Bereichen und Wasserspielen haben Passanten die Möglichkeit, sich direkt zu erfrischen. Überflutungsvorsorge Problemlage: Wasserknappheit und Hitze in den Sommermonaten sind nicht die einzigen klimatischen Herausforderungen, denen Frankfurt begegnen muss. Mit einer Häufung von Extremwetterereignissen steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Starkregenereignisse. Etwa die Hälfte der Überflutungsversicherungsschäden in Deutschland entsteht durch Extremniederschläge [10]. Diese beliefen sich im Jahr 2016 auf 940 Mio. EUR [11]. Bei einer Überschreitung der Kanalisationskapazität oder einem vollständig fehlenden Regenwassermanagement können Schäden an Bausubstanz und Infrastruktureinrichtungen entstehen. Bei einer Mischkanalisation kann es zusätzlich zur Verunreinigung durch Chemikalien und Fäkalien kommen. Die meisten Starkregenereignisse sind als konvektive Niederschläge in den Monaten April bis September zu verzeichnen [12]. Lösungsansatz: Niederschläge können mittels blau-grüner Infrastrukturen lokal zurückgehalten werden, wodurch resilientere Stadtstrukturen entstehen [1]. Retentionsdächer können Regenwasser zunächst aufnehmen, das sich dann zeitversetzt der Kanalisation oder Wasserretentionsplätzen zuführen lässt. Letztere können multifunktional genutzt werden. Angepasste Straßenquerschnitte und gestaffelte Flutungsstufen leiten die Wassermassen und schaffen gleichzeitig sichere Aufenthaltszonen. Das Regenwasser kann gespeichert und danach zur Bewässerung verwendet werden. Trinkwasserschutz Verbesserung des Mikroklimas + Multifunktionalität des Grüns eingeschränkte Begehbarkeit möglichst geringe Transpiration für hohe Effizienz + + - +- +- +- Überflutungsvorsorge Verbesserung des Mikroklimas + erhöhte direkte Wasserverfügbarkeit für die Vegetation + Nutzung des lokal retentierten Regenwassers mit Zisternen + Wasserelemente als direkte Abkühlung Verbesserung des Mikroklimas Überflutungsvorsorge + Reduktion des Abflusses durch Entsiegelung und Interzeption + Bindung von Feinstaub als lindernder Faktor für erhöhte städtische Kondensationskerne Überflutungsvorsorge Trinkwasserschutz - Flächenkonkurrenz + keine Vermischung von Regenwasser und Abwasser in der Kanalisation + Nutzung des lokal retentierten Regenwassers Trinkwasserschutz Überflutungsvorsorge - Flächenkonkurrenz - Retentionskapazität permanent gefluteter Flächen gering Verbesserung des Mikroklimas Trinkwasserschutz + funktionales Grün möglichst hohe Transpiration für starken Kühlungseffekt im Winter „tote Masse“ - Bewässerung bei Trockenheit „Mit dem Forschungsprojekt INTERESS-I verfolgt das Grünflächenamt die Absicht, die anstehenden aktuellen Planungen im Sinne einer ‚Blau-Grünen Infrastruktur ‘ weiter zu entwickeln. Die sehr heißen und trockenen Sommer in den Jahren 2018 und 2019 haben gezeigt, dass der entstandene Bewässerungsbedarf für das öffentliche Grün mit den städtischen Personal- und Trinkwasserressourcen nicht zu bewältigen ist. Der visionäre Ansatz der Konzeptstudie zeigt, welche Möglichkeiten der ‚blau-grünen Infrastruktur ‘ in einem besonders dicht bebauten Frankfurter Stadtquartier bestehen. So lässt sich abschätzen, welche Möglichkeiten alternativer Bewässerungsformen an einem ‚Hot Spot ‘ in Frage kommen Die Dimension eines künftigen klimaangepassten Stadtumbaus wird klarer. Auf Grundlage der Konzeptstudie und den Ergebnissen einer Bürgerbeteiligung, die mit INTERESS-I im Quartier durchgeführt wurde, soll die Planung weitergeführt werden. Dabei wird es spannend sein, wie welche der neuen Elemente planerisch umgesetzt und vor Ort hergestellt werden können.“ (Grünflächenamt Frankfurt am Main, 67.11 RF) STATEMENT DER STADT FRANKFURT AM MAIN Bild 3: Wechselwirkungen der Zielsetzungen „Verbesserung des Mikroklimas“ , „Überflutungsvorsorge“ und „Trinkwasserschutz“. © Steger 61 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung Urbaner Trinkwasserschutz Problemlage: Der hohe häusliche und kleingewerbliche Trinkwasserverbrauch fußt auf drei Problemen: Der fehlenden Integration unterschiedlicher Wasserquellen, dem hohen Verbrauch an sich und der mangelnden Aufbereitung von Abwasser zur lokalen Wiederverwendung [13]. Insbesondere der letztgenannte Aspekt ist frappierend. Aktuell wird Trinkwasser bester Qualität etwa für die Toilettenspülung, die Waschmaschine oder die Bewässerung des Gartens sowie für Teile des kleingewerblichen Bedarfs verwendet, obwohl dafür auch Wasser minderer Qualität vollkommen ausreichend wäre [14]. Vor allem in Industrieländern wird eine Versorgung mit sauberem Trinkwasser als selbstverständlich angesehen. Die Prognosen einer Studie aus dem Jahr 2008 in Bezug auf die Bilanzbetrachtung für die Belieferungsgebiete der Hessenwasser GmbH, zu denen auch der Raum Frankfurt zählt, zeichnen allerdings ein ganz anderes Bild. In den Berechnungen für ein mögliches Trockenjahr 2020 ist eine Deckung des Trinkwasserbedarfs hypothetisch knapp nicht mehr gegeben [15]. Lösungsansatz: Blau-grüne Infrastrukturen können durch die lokale biologische Aufbereitung von Grauwasser einen beachtlichen Teil des täglichen Wasserbedarfs decken. Die dafür verwendeten Pflanzenkläranlagen und Sumpfpflanzendächer stellen zugleich ein Habitat für die städtische Flora dar. Eine Integration von Regenwasser in die Versorgung durch eine lokale Speicherung kann zusätzlich etwa während Hitzeperioden die Bewässerung durch Trinkwasser ersetzen. Dadurch sinkt der Primärwasserverbrauch und natürliche Trinkwasservorkommen werden geschont. Zielkonflikte Aus der Analyse dieser drei Kernprobleme kristallisieren sich deutliche Unterschiede bezüglich der Anforderungen an die Planung heraus. Blau-grüne Infrastrukturen können jedem dieser Probleme begegnen, sich aber gegenseitig behindern oder gar ausschließen. Sie haben teils vollkommen unterschiedliche räumliche Konsequenzen für den Raum. So verursacht beispielsweise der urbane Trinkwasserschutz durch lokales Grauwasserrecycling aufgrund der Hygieneanforderungen starke Einschränkungen in den in Anspruch genommenen Flächen. Andererseits können bei kluger Verknüpfung der blau-grünen Infrastrukturen auch Synergien entstehen. Eine genaue Klärung und Gegenüberstellung der Ziele ist essentiell für eine erfolgreiche Umsetzung (Bild 3). Integrierter Entwurf - Konzeptstudien Vor dem Hintergrund der Kombination der drei Zielsetzungen „Verbesserung des Mikroklimas“, „Überflutungsvorsorge“ und „Trinkwasserschutz“ wurden bekannte Bausteine blau-grünen Infrastrukturen auf ihre Anpassungsfähigkeit und räumliche Wirksamkeit hin geprüft und Visionen für die lokalen Akteure erarbeitet. Eine Anwendung im Raum zeigt mögliche Konflikte, benötigte Kompromisse und Verhältnismäßigkeiten, aber auch ungeahnte Synergien. Die zwei Interventionsorte Heidestraße und Merianplatz stehen dabei exemplarisch für eine Transformation der Grünen Achse XI, durch die sich die blau-grünen Infrastrukturen wie ein roter (oder vielmehr grün-blauer) Faden ziehen und dabei urbane Lebensqualität und eine resiliente Stadtplanung vereinen. Kernaspekte der Entwürfe sind klimaadaptierte Verkehrskonzepte, lokale Grauwassernutzung, eine gezielte Verbesserung des Mikroklimas und die Integration des Regenwassermanagements. Da die Kombination der Zielsetzungen nicht immer synergetischer Natur ist, müssen teilweise Kompromisse abgewogen werden (Bild 3). Heidestraße Die aktuell rein zweckmäßig genutzte Wohnstraße wird durch eine Anpassung der Flächenverteilung der Straße an die tatsächlichen Nutzergruppen umstrukturiert (Bild 4). Die Integration der blau-grünen Infrastrukturen begleiten den Passanten, schaffen Aufenthaltsqualitäten und trennen die Bereiche für Fahrstreifen und Gehweg. Die zuvor zugestellte Straße weicht damit einer grünen Stadtlandschaft (Bild 1). Eine clusterartige Bepflanzung mit Bäumen schafft Schatten und gewährleistet eine gute Luftzirkulation. Urbane Bioswales, die die Heidestraße durchziehen und die durch eine um 0,2 m tiefergelegte Zone verbunden sind, schieben sich in den Straßenraum hinein und forcieren so eine langsame Fahrweise der Autofahrer, zugunsten der Fahrradfahrer und Fußgänger. Sumpfpflanzendächer Bild 4: Transformationsstudie Heidestraße Frankfurt, Starkregenszenario 25l/ m 2 / h. © Steger 62 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung kombinieren Evapotranspiration und Grauwasserrecycling, schaffen so zusammen mit einer extensiven Fassadenbegrünung Habitate auf den Dächern der Stadt und tragen zur Gebäudekühlung im Sommer bei [16]. Durch die geringe Frequentierung und die bestehende Einbahnstraßenregelung bietet die Heidestraße die Möglichkeit, mit den Verkehrsflächen innovativ umzugehen und festgefahrene und als selbstverständlich wahrgenommene Strukturen wie die beidseitigen Parkstreifen kritisch zu betrachten. Ein Auto steht im Durchschnitt 96 % der Zeit, nur eine Stunde am Tag wird es genutzt [17]. Innovative Verkehrskonzepte unter Einbeziehung von Carsharing können den Bedarf an PKWs und damit die für den ruhenden Verkehr benötigten Flächen deutlich reduzieren. Für die 669 Einwohner der Heidestraße werden hier daher nur 14 Parkplätze vorgeschlagen; im Gegenzug wurden Fahrradstellplätze entlang der Gehwege geplant. Dadurch verringert sich auch die Feinstaubbildung, die nicht nur einen negativen Einfluss auf die Gesundheit hat, sondern auch ein Grund für die Bildung städtischer Kondensationskerne ist, die wiederum für Starkregenereignisse verantwortlich sein können [18]. Merianplatz Ganz anders als bei der räumlich stark beschränkten und wenig genutzten Heidestraße gestaltet sich der Entwurf für den Merianplatz. Das ehemalige Merianbad bildet gestalterisch das Zentrum des Entwurfes, von dem sich die blau-grünen Infrastrukturen wie ein Impuls in den Platz und die angrenzende Bergerstraße ziehen und diese räumlich gliedern (Bild 5). Ein Hauptteil der Bestandsbäume wird in die neue Planung integriert, um die bestehenden Schattenbereiche zu erhalten und die Biodiversität zu fördern; diese werden mit Neupflanzungen ergänzt. Urbane Bioswales entlang der Straßen reinigen den Oberflächenabfluss und leiten ihn dann ab. Kern der lokalen Retentionskapazität bilden ein Regenwasserteich und der zweistufig abgesenkte Bereich im Osten des Merianplatzes, zu denen fast der gesamte Dach- und Oberflächenabfluss geleitet wird (Bild 6). Das Grauwasser wird auf Sumpfpflanzendächern vorgereinigt, um dann im freien Gefälle zwei Brunnen zu speisen. In mehreren Stufen wird das bereits weitestgehend aufbereitete Grauwasser mit Regenwasser gemischt, weiter denitrifiziert und anschließend für ein häusliches Recycling in die Gebäude zurückgeleitet. Kommunale Handlungsmöglichkeiten Die erfolgreiche Umsetzung der hier beschriebenen Ansätze ist auf unterschiedliche Art und Weise von einer Vielzahl öffentlicher und privater Akteure abhängig. Die synergetische Lösung der drei angesprochenen Problemfelder ist beispielsweise vom Engagement der Grundstücksbzw. Immobilieneigentümer abhängig. Das aus kommunaler Sicht am einfachsten umzusetzende Ziel ist das der Überflutungsvorsorge, da sich die relevanten Retentionsflächen hauptsächlich im unbebauten öffentlichen Freiraum befinden. Für eine Verbesserung des Mikroklimas müssten Stadt und private Akteure an einem Strang ziehen, um flächendeckend zu agieren. So kann die vorliegende Konzeptstudie nicht 1 : 1 in Verwaltungshandeln umgesetzt werden. Dennoch gibt es einige existierende Beispiele, die einen Anreiz für Privateigentümer geben können. Beispielsweise subventioniert die Stadt Frankfurt mit dem Förderprogrammes „Frankfurt frisch auf“ bereits die Neuanlage von Dach-, Fassaden und Hinterhofbegrünungen mit 50 % [19]. Ein schon in seiner jetzigen Form vielversprechender Ansatz, der noch nicht ausreichend wahrgenommen wird. Der urbane Trinkwasserschutz durch Wasserrecycling erfährt aktuell noch zu wenig Aufmerksamkeit und sollte in Zukunft verstärkt Beachtung finden. Durch die Verknüpfung der bereits vorhandenen Potenziale und der Infrastrukturen können für das urbane Wassermanagement und die städtischen Vegetationsysteme resiliente Städte geschaffen werden. Durch eine nachhaltige Stadtplanung mittels blau-grüner Infrastrukturen können so nicht nur klimatische Herausforderungen gemeistert, sondern auch lebenswerte urbane Freiräume geschaffen werden. Bild 5. Transformationsstudie Merianplatz Frankfurt. © Steger 63 1 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Klimawandel und Klimaanpassung LITERATUR [1] Brears, R.C.: Blue and Green Cities: The Role of Blue- Green Infrastructure in Managing Urban Water Resources. Palgrave Macmillan, New York, 2018. [2] Pötz, H.: Groenblauwe netwerken. Handleiding voor veerkrachtige steden = Green-blue grids : manual for resilient cities. Atelier GROENBLAUW, Delft, 2016. [3] Eisenberg, B., Well, F., Ludwig, F.: Integrierte Strategien zur Stärkung blau-grüner Infrastrukturen. Verbesserung des Stadtklimas und der Aufenthaltsqualität als Maßgabe zukunftsfähiger Stadtentwicklung. Transforming Cities 4 Nr. 3 (2019), S. 56 - 59. [4] Umweltamt Stadt Frankfurt am Main: Luft und Stadtklima. URL: https: / / www.frankfurt.de/ sixcms/ detail. php? id=4564 (Stand: 13.08.2019). [5] Deutscher Wetterdienst: Deutscher Klimaatlas. 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Wissenschaftliche Mitarbeiterin Professur für Green Technologies in Landscape Architecture Technische Universität München Kontakt: friederike.well@tum.de Prof. Dr.-Ing. Ferdinand Ludwig Professur für Green Technologies in Landscape Architecture Technische Universität München Kontakt: ferdinand.ludwig@tum.de THEMA Klimawandel und Klimaanpassung Bild 6: Resiliente Vision des Merianplatzes mit Blick auf temporäre Retentionsflächen. © Steger Die vorliegende Konzeptstudie entstand im Rahmen der Bachelor-Thesis von Lotta Steger an der Professur für Green Technologies in Landscape Architecture, TUM. Sie ist Teil des BMBFgeförderten Forschungsprojekts INTERESS-I.
