Transforming cities
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expert verlag Tübingen
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Gregor Grassl
6,4 Milliarden Menschen: So viele werden Prognosen zufolge wird im Jahr 2050 in Städten leben. Das ist nicht nur für den urbanen Raum ein enormer Belastungstest, sondern auch eine gewaltige Herausforderung für die moderne Stadtplanung. Die Vermischung der verschiedenen Lebensbereiche wie Wohnen, Arbeiten und Freizeit sowie Phänomene wie Carsharing, E-Mobility oder autonomes Fahren erfordern ein Umdenken und innovative Ansätze für die Flächennutzung. Digitale Transformation führt zu neuen Möglichkeiten, Geschäftsmodellen und Tools wie CityBIM1 . Dies erleichtert die Stadtplanung, stellt aber gleichzeitig neue Anforderungen. Auch das Thema Nachhaltigkeit nimmt neue Dimensionen an – von der Energie- hin zur Ressourcenwende: Im Fokus stehen die Reduzierung der Stadt-Vermüllung, das Denken in Kreisläufen und Konzepte wie Cradle to Cradle 2 , bei denen Städte als Rohstofflager betrachtet werden.
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8 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Der Umbau der Städte mit ihrer Infrastruktur wird eine wesentliche Herausforderung des aktuellen Jahrhunderts sein. Vor diesem Hintergrund müssen sich Städte und Stadtplaner von heute fragen: Wer gestaltet die Stadt von morgen? Sind es weiterhin die Stadtplaner oder sind es vielleicht jetzt schon die großen Technologie- und Industriefirmen wie die Googles und Amazons dieser Welt, weil sie ihre Die Zukunft der Stadtplanung Stadtplanung muss sich dringend verändern, um weiterhin Stadtgestaltung zu sein Stadtplanung, Transformation, Urbanisierung, Vernetzung, technischer Masterplan, Nachhaltigkeit Gregor Grassl 6,4 Milliarden Menschen: So viele werden Prognosen zufolge wird im Jahr 2050 in Städten leben. Das ist nicht nur für den urbanen Raum ein enormer Belastungstest, sondern auch eine gewaltige Herausforderung für die moderne Stadtplanung. Die Vermischung der verschiedenen Lebensbereiche wie Wohnen, Arbeiten und Freizeit sowie Phänomene wie Carsharing, E-Mobility oder autonomes Fahren erfordern ein Umdenken und innovative Ansätze für die Flächennutzung. Digitale Transformation führt zu neuen Möglichkeiten, Geschäftsmodellen und Tools wie CityBIM 1 . Dies erleichtert die Stadtplanung, stellt aber gleichzeitig neue Anforderungen. Auch das Thema Nachhaltigkeit nimmt neue Dimensionen an - von der Energiehin zur Ressourcenwende: Im Fokus stehen die Reduzierung der Stadt-Vermüllung, das Denken in Kreisläufen und Konzepte wie Cradle to Cradle 2 , bei denen Städte als Rohstofflager betrachtet werden. Bild 1: Die Stadt- und Quartiersplanung in Deutschland funktioniert heute noch fast genauso wie in den 70er Jahren. © Drees & Sommer Bild 2: Die integrale Planung hat sich im Hochbaubereich seit den 1970er Jahren sukzessive weiterentwickelt. © Drees & Sommer 1 City Building Information Modeling. 2 Das vom deutschen Chemiker Michael Braungart und amerikanischem Architekt William McDonough entwickelte Cradle-to-Cradle ® -Konzept (von der Wiege bis zur Wiege, C2C) beschreibt das Prinzip zweier kontinuierlicher Kreisläufe (Circular Economy). 9 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Sensorik in unseren urbanen Räumen installieren und gleichzeitig mit smarten Plattformen unser Leben komfortabler machen? Wem gehören die Daten, die die Stadt erzeugt und was ist das menschliche Maß für ihre Verwendung? Wie viel digital ist sinnvoll und was ist erträglich? Und wie geht es den Menschen in der Stadt der Zukunft? Schließlich füllen Menschen die Städte mit Leben und sollten sich dort demnach naturgemäß auch wohlfühlen. Status quo: Stadtplanung im Dornröschenschlaf Dabei zeigt ein Blick auf die aktuelle Situation, dass die Stadt- und Quartiersplanung vielerorts auch heute noch wie in den 70er-Jahren gehandhabt wird. Die Besetzung der Planungsaufgabe erfolgt hauptsächlich durch Stadtplaner, Freiraumplaner und Verkehrsplaner. So als ob wir weiterhin Städte für Autos planen statt für zukunftsfähige Mobilität, als ob die technische Versorgung mit Energie, Wasser und Nahrung ausschließlich von außen kommt statt ebenso aus dezentralen und urbanen Lösungen zu fließen. Dekarbonisierung und Kreislauffähigkeit scheinen keine neuen Kompetenzen zu verlangen und die digitale Vernetzung keine neue Fachdisziplin zu sein. Eine integrale Planung gehört weder zum Selbstverständnis in den Projektteams, noch zum festen Bestandteil der Ausschreibungen und Standardabläufe der Stadtbauämter. Weiterentwicklung in Zusammenarbeitsmodellen findet kaum statt. Stattdessen lautet der Status quo: Weiter so wie bisher (Bild 1). Nimmt man zum Vergleich die Entwicklung der Planungskultur im Hochbau, so lässt sich positiv feststellen, dass die integrale Planung hier in den 90er Jahren begonnen und sich sukzessive den neuen Anforderungen angepasst hat (Bild 2). Die ersten planerischen Interaktionen zwischen Architekten und Fachplanern aus der Bauphysik, der Tragwerksplanung und der technischen Ausrüstung begannen mit der ersten Wärmeschutzverordnung in den 70er Jahren. In den folgenden zwei Jahrzehnten etablierte sich die integrale Planung im Hochbau und erweiterte sich um zusätzliche Kompetenzen. Um die Jahrtausendwende rückte das Thema Energie in den Fokus. Zehn Jahre später folgten die Nachhaltigkeitsexperten mit Systemen zur Messung und Bewertung von Nachhaltigkeit wie zum Beispiel nach DGNB 3 -Standards. Heute arbeiten Architekten im Hochbau 4.0 von Anfang an eng mit Fachplanern zusammen sowie mit Experten aus der Kreislaufwirtschaft und der Digitalisierung, zum Beispiel mit Cradle to Cradle- Fachplanern und Cyber-Experten. Gemeinsam finden sie Konzeptlösungen und optimieren diese. Positive Beispiele zeigen zudem, dass solch eine enge Interaktion auch bei der Entwicklung und Umgestaltung von Quartieren und Städten möglich wäre. Doch noch wird dieser Weg hierzulande selten verfolgt. Auf lange Sicht kann dies dazu führen, dass die Transformation der Städte nicht mehr von den Stadtplanern organisiert wird. Integrale Stadtplanung 4.0 Für die Stadtplanung ist künftig eine integrale Planung notwendig - und zwar in der vierten Dimension. Themen wie Nachhaltigkeit, Circular Economy und Digitalisierung müssen dabei genauso bedacht Bild 3: Der technische Masterplan ist ein ganzheitliches gewerkeübergreifendes Planungskonzept für Liegenschaften und Quartiere der nächsten Generation. © Drees & Sommer 3 Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen 10 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt werden wie der demografische Wandel, der urbane Komfort oder die zukünftige Mobilität. Um diese Wechselwirkungen in Einklang zu bringen und smart zu vernetzen, bedarf es einer integralen Stadtplanung 4.0. Diese umfasst neben dem bekannten Masterplan des Architekten einen technischen Masterplan mit den notwendigen Voraussetzungen für Logistik und Abfall, Mobilität und Infrastruktur sowie Energie- und Wasserversorgung (Bild 3). Die Grundlage für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung bildet somit ein frühzeitiges, vernetztes und interdisziplinäres Kooperationsmodell mit allen notwendigen Expertisen - sprich der Stadtplaner führt ein Team aus einzelnen Disziplinen. Der künftige Masterplan 4.0 besteht demnach aus zwei integrativen Teilen: dem für Stadtplaner bisher „bekannten“ Masterplan und dem technischen Masterplan. Das Ergebnis ist ein ganzheitliches, gewerkeübergreifendes Planungskonzept für Stadtentwicklungen und -transformationen der nächsten Generationen. Auf dem Weg dorthin kann ein spezialisiertes, interdisziplinäres Expertenteam den Stadtplaner sowohl bei der Entwicklung des technischen Masterplans unterstützen als auch bei dessen Integration in den bisherigen Masterplan. Vorzeigeprojekte und Vorreiter Vorreiter zeigen, wie eine solch ganzheitliche und integrale Stadtplanung erfolgreich funktionieren kann. So werden erste Innovationsquartiere wie das „SpringPark Valley“ in Frankfurt am Main (Bild- 4) bereits angegangen. Dort ist ein flexibler Innovations-Campus vorgesehen: mit zukunftsträchtigen Büro- und Wohnwelten, unterschiedlichen Themen- Domes und einer Vielzahl von 24/ 7-Angeboten. Von digitalen Concierge-Services, 5G-Highspeed WLAN- Verbindungen über Desksharing auf Quartiersebene bis hin zu Flugtaxis - das SpringPark Valley soll in jeder Hinsicht zukunftsweisend werden. Auch in Bild 4: Mit dem Vorzeigeprojekt Spring Park in Frankfurt am Main soll bis 2024 die größte „Smart City“ Europas entstehen. © CESA Spring Park GmbH Bild 5: Das Projekt „Berlin T XL - The Urban Tech Republic“ wird einen Hochschulcampus sowie Gewerbe- und Industrieflächen für bis zu 1 000 Unternehmen umfassen. In der direkten Nachbarschaft entstehen im Schumacher Quartier rund 5 000 Wohnungen, Schulen und Kitas sowie Grünanlagen für rund 10 000 Menschen. © Atelier Loidl / Tegel Projekt GmbH 11 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Sachen Stadtplanung. Von Beginn an stand für die Bauherrin ein technischer Masterplan im Fokus, welcher unterschiedlichste Themen von Energie über Mobilität und Infrastruktur bis zu Cradle to Cradle und Space Syntax 4 berücksichtigt. Auch IKT-Experten wurden frühzeitig in das Projekt eingebunden. Ihr Ziel: Durch die Integration eines sogenannten „Brains“ eine übergeordnete, intelligente Vernetzung der Gebäude und der technischen Anlagen im Quartier zu ermöglichen. Ein weiteres Vorzeigeprojekt, „Berlin TXL - The Urban Tech Republic“, wird von der Tegel Projekt GmbH realisiert. Die Bauherrin plant auf der Fläche des Flughafens Berlin-Tegel (Bild 5) einen Industrie- und Forschungspark für urbane Technologien und hat dafür ein innovatives Infrastruktur- und Energiekonzept ausgeschrieben. Die beauftragten Experten sollten alle notwendigen Infrastrukturen ganzheitlich betrachten, Synergien zwischen einzelnen AUTOR M. Eng., Dipl.-Ing. Gregor Grassl Architekt Leiter Blue City Development Drees & Sommer SE Kontakt: gregor.grassl@dreso.com Medien analysieren und ein innovatives Konzept erarbeiten. Das Ergebnis: ein Quartierskonzept, das ökologische, ökonomische und soziale Aspekte vereint und den Grundstein für eine tragfähige, integrale Stadtentwicklung bildet. Aktuell werden solche Projekte noch häufig von privaten Entwicklern oder städtischen Entwicklungsgesellschaften vorangetrieben. Sie sind mutig und ergreifen Chancen. Aber auch für Städte und Stadtplaner ist jetzt höchste Zeit umzudenken und sich neu aufzustellen. Denn in einem Zeitalter, in dem sich alles immer schneller entwickelt und verändert, ist Abwarten keine Option mehr. WISSEN WAS MORGEN BEWEGT Schiene, Straße, Luft und Wasser, globale Verbindungen und urbane Mobilität: Viermal im Jahr bringt Internationales Verkehrswesen fundierte Experten-Beiträge zu Hintergründen, Entwicklungen und Perspektiven der gesamten Verkehrsbranche - verkehrsträgerübergreifend und zukunftsorientiert. Ergänzt werden die deutschen Ausgaben durch englischsprachige Specials mit dem Titel International Transportation. Mehr dazu im Web unter www.internationales-verkehrswesen.de Internationales Verkehrswesen gehört seit 1949 zu den führenden europäischen Verkehrsfachzeitschriften. Der wissenschaftliche Herausgeberkreis und ein Beirat aus Professoren, Vorständen, Geschäftsführern und Managern der ganzen Verkehrsbranche verankern das Magazin gleichermaßen in Wissenschaft und Praxis. Das technisch-wissenschaftliche Fachmagazin ist zudem Wissens-Partner des VDI Verein Deutscher Ingenieure e.V. - Fachbereich Verkehr und Umfeld. INTERNATIONALES VERKEHRSWESEN - DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN »Internationales Verkehrswesen« erscheint bei der Trialog Publishers Verlagsgesellschaft, Baiersbronn-Buhlbach, www.trialog-publishers.de 4 Space Syntax ist eine auf mathematischen Modellen aufgebaute Graphentheorie, mit deren Hilfe Zusammenhänge zwischen Raumkonfiguration und Nutzerverhalten erforscht werden.