eJournals Transforming cities 5/2

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0027
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2020
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Architektur und Transport

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2020
Eva Bartz
Martin Zaefferer
Takeshi Katagiri
Thomas Bartz-Beielstein
Wir befinden uns im Jahr 2025. Sie besuchen die Weltausstellung in Osaka in Japan, deren Thema „Eine Zukunftsgesellschaft für unser Leben gestalten“ ist. Sie stehen vor einem Wolkenkratzer, der keinem gleicht, den sie jemals vorher gesehen haben. Die gänzlich neuartige Form ist gekrümmt und gebogen. In diesem gekrümmten Wolkenkratzer fahren kabellose Aufzüge mit Linearantrieb, jeweils mehrere Kabinen in einem der gebogenen Schächte. Sie können in vertikalen, horizontalen oder eben gekrümmten Schächten fahren. Diese revolutionäre Aufzugtechnik ermöglicht eine absolut revolutionäre Architektur und vernetzte „Smart Cities“. Sie wird Veränderungen ermöglichen, die wir uns bisher nur schwer vorstellen können.
tc520012
12 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Bisher beherrschen die üblichen rechtwinkligen Hochhäuser die Skylines unserer Großstädte. Das liegt an der technischen Notwendigkeit, Waren und Menschen in klassischen Aufzügen zu transportieren. Bisher sind Aufzüge mit frei hängenden Seilen erforderlich, um den Transport in höhere Stockwerke zu ermöglichen. Für die frei hängenden Seile müssen die Gebäude im rechten Winkel zur Erdoberfläche ausgerichtet sein. Herausforderung an die Aufzugindustrie Die immer rascher wachsende Weltbevölkerung sowie wachsende Megastädte bedeuten eine zunehmende Verdichtung der Städte. Immer mehr Menschen und Funktionen müssen auf enger werdendem Raum verträglich auskommen. Immer höher werdende Gebäude bedürfen völlig neuer Konzepte für die Beförderung von Personen und Waren, denn klassische, seilgetriebene Aufzüge erreichen in modernen Gebäuden immer häufiger ihre Grenzen. Die klassischen seilgetriebenen Kabinen bewegen sich ausschließlich vertikal und können einander nicht ausweichen. Zudem limitiert das Seil die maximal erreichbare Höhe eines Aufzugs, das sind etwa 500 m bei Stahlseilen. Bei 500 m Länge und einer Kabine mit 2 000 kg Maximalgewicht wiegt das Stahlseil selbst schon bis zu 30 000 kg. Länge Architektur und Transport Seillose, lineare Aufzüge und Künstliche Intelligenz Eva Bartz, Martin Zaefferer, Takeshi Katagiri, Thomas Bartz-Beielstein Wir befinden uns im Jahr 2025. Sie besuchen die Weltausstellung in Osaka in Japan, deren Thema „Eine Zukunftsgesellschaft für unser Leben gestalten“ ist. Sie stehen vor einem Wolkenkratzer, der keinem gleicht, den sie jemals vorher gesehen haben. Die gänzlich neuartige Form ist gekrümmt und gebogen. In diesem gekrümmten Wolkenkratzer fahren kabellose Aufzüge mit Linearantrieb, jeweils mehrere Kabinen in einem der gebogenen Schächte. Sie können in vertikalen, horizontalen oder eben gekrümmten Schächten fahren. Diese revolutionäre Aufzugtechnik ermöglicht eine absolut revolutionäre Architektur und vernetzte „Smart Cities“. Sie wird Veränderungen ermöglichen, die wir uns bisher nur schwer vorstellen können. Bild 1: SK Y  ARC, Architekt: Takeshi Katagiri. © Linearity Co., Ltd. PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum 13 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum und Gewicht des Seils spielen eine wichtige Rolle, denn seine Schwingungen und Vibrationen können massive Schäden verursachen. Auf einzelne Kabinen in hohen Schächten warten die Passagiere sehr lange, insbesondere zu Stoßzeiten. Seit Jahren arbeitet die Aufzugindustrie an Antworten auf diese Herausforderungen. Seillose, lineare Aufzüge Seillose Aufzüge lösen die beschriebenen Herausforderungen spielend. Sie funktionieren gänzlich anders, ähnlich dem Prinzip des Transrapid, also schwebend magnetisch. Direkt an der Kabine [1] befindet sich ein Linearmotor als Antrieb, der die Kabine über ein schienenartiges Schachtnetz im Gebäude bewegt. Dieses ermöglicht nicht nur eine vertikale Bewegung der Kabine, sondern Bewegungen in beliebige Richtungen, sei es horizontal oder eben auch gekrümmt. Die Kabinen können die Richtung wechseln und es können mehrere Kabinen in einem Schacht fahren. Dabei ist der Schachthöhe mindestens durch den Aufzug keine Grenze mehr gesetzt. Erste Konzepte für die neuen Gebäudeformen mit linearmotorgetriebenen Aufzügen zeigen sich im RINGDOM Projekt des japanischen Architekten Shin Takamatsu [2] oder in dem von Takeshi Katagiri vorgestelltem SKY  ARC Projekt [3]. Die Entwicklung dieser Aufzüge steckt noch in den Kinderschuhen [4]. Es existieren erste Demonstratoren für seillose, lineare Aufzüge, wie zum Beispiel das System Multi von ThyssenKrupp [5]. Wir arbeiten an neuen linearen Aufzügen mit einem Team von Architekten, Ingenieuren und Informatikern aus Japan, der Türkei und Deutschland. Federführend wird das Projekt von Prof. Dr. Sandor Markon (KIC Japan) geleitet, der zugleich als Geschäftsführer der Linearity Ltd. fungiert, einem auf Forschung- und Entwicklung von Aufzugsystemen spezialisierten Unternehmen. Hier arbeiten Ingenieure wie Prof. Dr. Ahmet Onat (Sabanci University) zusammen mit den renommierten japanischen Architekten, Shin Takamatsu und Takeshi Katagiri. Vom Institut IDE+A der TH Köln und der Bartz & Bartz GmbH aus unterstützen Prof. Dr. Bartz- Beielstein und Dr. Zaefferer diese Entwicklung. Datenanalyse und KI: Planung, Steuerung und Wartung Planung, Steuerung und Wartung der neuen, linearen Aufzüge sind eine echte Herausforderung. Die Freiheitsgrade der Bewegung, die der neue Antrieb ermöglicht, erfordern eine neue, komplexe, mit KI arbeitende Software. Dabei liegt genau in der Neuheit des Systems die Krux. Anders als bei klassischen Aufzügen kann man hier nicht auf eine jahrealte Datensammlung zurückgreifen. Für künstliche Intelligenz ist jedoch die Datenlage eine elementare Notwendigkeit. Also bedarf es gezielter Simulationen und des Einsatzes des Maschinellen Lernens innerhalb dieser Simulationen um eine Datenlage zu erzeugen. Auf dieser, von uns erzeugten Datenlage, basieren dann die weiteren Annahmen zu Planung, Steuerung und Wartung der linearen Aufzüge. Eben genau so verhält es sich auch mit der besagten notwendigen vorausschauenden Wartung. Diese kann gänzlich anders geplant werden, als die Wartung für herkömmliche Aufzüge. Einzelne Kabinen oder Elemente des Streckennetzwerkes können gewartet werden, ohne einen ganzen Aufzugsschacht lahmzulegen. Die Steuerung anderer Kabinen kann angepasst werden, um die verbleibende Transportkapazität zu maximieren. Dies setzt effiziente und effektive Verfahren für die optimale Planung der Wartung voraus. Dabei ist die Neuheit des Systems selbst die Herausforderung: Wo die vorausschauende Wartung klassischer Aufzüge auf jahrelang gesammelter Daten aus der Praxis zurückgreifen kann, liegen bei lineargetriebenen Aufzügen nur Daten aus Simulationen und Demonstratoren vor. Die neuen linearen Aufzüge ermöglichen aber nicht nur neue Gebäudeformen. Auch die Stadtplanung wird revolutioniert. Bild 2: Klassische, monolithische Aufzugsysteme (links) gegenüber vernetzten Aufzügen mit Linearantrieb (rechts). © Bartz-Beielstein 14 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Revolution in Architektur und Stadtplanung Es brechen für Architekten und Stadtplaner neue Zeiten an. Nicht nur eine neue Ästhetik in der Architektur, sondern auch bisher ungeahnte Möglichkeiten von Verkehrsplanung und neuer Urbanität eröffnen sich. Der Aufzug wird noch mehr zu einem wesentlichen Teil der Logistik zur Beförderung von Menschen und Waren. Er kann Gebäudeteile verbinden oder auch eine Verbindung zu umliegender Infrastruktur herstellen, wie zum Beispiel zu U-Bahnstationen. Altbewährte Funktionselemente wie Tankstellen können neu gedacht werden [6]. In einigen Szenarien dienen diese als große Parkplätze mit Lademöglichkeiten für E-Fahrzeuge an den Rändern der Innenstädte. Die letzten hundert Meter zum Büro oder zum Shoppen werden dann mit horizontal fahrenden Aufzugskabinen zurückgelegt. Erreichen die Kabinen den Zielort, wechseln sie in den Vertikal- Modus. Dabei können lineargetriebene Aufzüge einen Beitrag zu neuen Stadtmodellen wie dem Superblockmodell leisten [7]. Planung, Steuerung und Wartung für lineare Aufzüge müssen entwickelt werden. Daran arbeiten wir mit unserem internationalen, interdisziplinären Team von Wissenschaftlern von Linearity ltd. in Kyoto, der Sabanci University in Istanbul, dem Institut IDE+A der TH Köln und der Bartz & Bartz GmbH in Gummersbach. Nur so können die Visionen für die Weltausstellung 2025 unter dem Motto „Zukunftsgesellschaft für unser Leben gestalten“ Wirklichkeit werden. LITERATUR [1] Onat, A., Kazan, E., Takahashi, N., Miyagi, D., Komatsu, Y., Markon, S.: Design and Implementation of a Linear Motor for Multicar Elevators, in IEEE/ ASME Transactions on Mechatronics, vol. 15, no. 5, (Oct. 2010) pp. 685 - 693. [2] Website von Shin Takamatsu. http: / / w w w.takamatsu.co.jp/ _ eng/ projects/ details.php? id=60. [3] Fakultät für Architektur, TH Köln, Architecturaltuesday, 2014, https: / / architecturaltuesday.wordpress.com/ 2014/ 03/ 13/ shigeruban-06-05-2014/ . [4] Onat A., Kazan E., Markon S.: The Development of Linear Motor Elevators. Electrical Review, Japan 5 (2020), pp.46 - 52. [5] thyssenkrupp Elevator AG, MULTI - A new era of mobility in buildings, 2015. https: / / www. thy s s enk rupp ele v ator.com / media/ products_1/ elevators_4/ multi/ documents_7/ 20160524_ baet _ publications _multi _ brochure.pdf. [6] Aral, Studie Tankstelle der Zukunft - Mobilitätstrends 2040, Aral Aktiengesellschaft. [7] Mueller, N., Rojas-Rueda, D., Khreis, H., Cirach, M., Andrés, D., Ballester, J. et al.: Changing the urban design of cities for health: The superblock model, Environment International, Volume 134, (2020), https: / / doi.org/ 10.1016/ j. envint.2019.105132. Bild 3: Ringdom, Architekt: Shin Takamatsu. © Shin Takamatsu Architect and Associates Co.,Ltd. AUTOR*INNEN Eva Bartz Geschäftsführende Gesellschafterin Bartz & Bartz GmbH eva.bartz@bartzundbartz.de Dr. Martin Zaefferer Inst. für Data Science, Engineering, and Analytics (IDE+A), TH Köln martin.zaefferer@th-koeln.de Takeshi Katagiri Architekt Mirai Kasoku Lab/ CEO, Linearity Co.,Ltd./ VP, Kobe Institute of Technology/ Prof. (visiting) katagiri@linearity.co.jp Prof. Dr. rer. nat. Thomas Bartz-Beielstein Inst. für Data Science, Engineering, and Analytics (IDE+A), TH Köln thomas.bartz-beielstein@thkoeln.de