eJournals Transforming cities 5/2

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0043
65
2020
52

Potenzialanalyse einer gebündelten Paketzustellung

65
2020
Dominic Hofmann
Tobias Hagen
Petra K. Schäfer
Kai-Oliver Schocke
Domenik H.  Wendt
Felix Bergold
Sabine Scheel-Kopeinig
Dana Stolte
Simon Steinpilz
Im Projekt DeinDepot wurde eine Potenzialanalyse zur Umsetzung eines zentralen Depots mit dem Ziel einer umweltfreundlichen und gebündelten Auslieferung von Paketen auf der letzten Meile durchgeführt. Im Vergleich zu diversen Praxisprojekten, welche in Folge unzureichender Vorabanalysen wieder eingestellt werden mussten, werden in DeinDepot interdisziplinäre Herausforderungen identifiziert. Neben verkehrlichen, logistischen und wirtschaftlichen Aspekten werden auch rechtliche Themen betrachtet. Die empirischen Ergebnisse basieren auf einer quantitativen Befragung sowie auf qualitativen Experteninterviews.
tc520078
78 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Hintergrund Laut HDE-Online Monitor 2019 (IFH Köln GmbH) liegen die jährlichen Wachstumsraten im Online- Handel seit dem Jahr 2014 bei rund 10 Prozent. Damit wird der Anteil des Onlinehandelsumsatzes am Gesamtumsatz des deutschen Einzelhandels immer größer: von 0,3 Prozent im Jahr 2000 auf fast 11 Prozent im Jahr 2019. Zur Auslieferung der entsprechenden Warensendungen fahren eine Vielzahl von Kurier-, Express- und Paketdienstleistern (KEP), speziell auf der letzten Meile, gleiche Wegeketten ab. Um hier eine effektivere und damit umweltfreundlichere Lösung zu initiieren, können die Fahrten auf der letzten Meile gebündelt werden. Es besteht jedoch aktuell die Herausforderung, dass die Paketdienstleister oftmals nicht miteinander kooperieren (wollen). Um diese organisatorische Hürde zu umgehen, wurde im Projekt DeinDepot das Potenzial einer endkundeninitiierten Lieferung an ein quartierszentrales Depot erörtert. Um die Pakete in das sogenannte DeinDepot zu leiten, würden die Endkunden bei Online-Bestellungen die Adresse des zentralen Depots als Lieferadresse angeben. Durch die Wahl dieses Vorgehens ist die herausfordernde Einbindung der Paketdienstleister in das Vorhaben nicht nötig. Die Lieferung auf der letzten Meile würde dann gebündelt und umweltfreundlich abgewickelt werden - beispielweise durch ein elektromobiles Lastenrad (eventuell durch einen unabhängiger Dienstleister). Erläuterung des DeinDepot-Konzepts Das Konzept von DeinDepot wird nach dem Aufbau entsprechender baulicher, organisatorischer und digitaler Strukturen an die Bewohner*innen eines Stadtteils kommuniziert. Wenn der Endkunde Interesse am Konzept DeinDepot hat, meldet er sich persönlich oder über das Internet entsprechend an. Bei zukünftigen Online-Bestellungen gibt der Endkunde als Lieferadresse die Adresse des DeinDepots an. Somit sind die verschiedenen Paketdienstleister verpflichtet, die Waren an den entsprechenden Ort zu fahren. Bei einer erfolgreichen Umsetzung des Konzepts würde eine möglichst hohe Anzahl von Kunden im entsprechenden Stadtgebiet teilnehmen. DeinDepot bietet drei Optionen an, das Paket dem Endkunden zu übergeben bzw. bereitzustellen. Entsprechende Präferenzen können durch den Endkunden an den DeinDepot-Betreiber kommuniziert werden (beispielweise über eine App):  Zunächst kann der Endkunde sein Paket im Einzelhandelsgeschäft (Lieferadresse) während der regulären Öffnungszeiten abholen.  Die zweite Möglichkeit bietet die Paketwand, welche im unmittelbaren Umfeld des entsprechenden Einzelhandelsgeschäfts platziert ist. Wenn der Kunde diese Möglichkeit präferiert, wird das Paket entsprechend eingelagert. Der Paketempfänger kann das Paket dann mit einer entsprechenden Zugangskontrolle (digital) zu einem beliebigen Zeitpunkt abholen. Potenzialanalyse einer gebündelten Paketzustellung Interdisziplinäre Forschung des Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Letzte Meile, Bündelung, Paketzustellung Dominic Hofmann, Tobias Hagen, Petra K. Schäfer, Kai-Oliver Schocke, Domenik H. Wendt, Felix Bergold, Sabine Scheel-Kopeinig, Dana Stolte, Simon Steinpilz Im Projekt DeinDepot wurde eine Potenzialanalyse zur Umsetzung eines zentralen Depots mit dem Ziel einer umweltfreundlichen und gebündelten Auslieferung von Paketen auf der letzten Meile durchgeführt. Im Vergleich zu diversen Praxisprojekten, welche in Folge unzureichender Vorabanalysen wieder eingestellt werden mussten, werden in DeinDepot interdisziplinäre Herausforderungen identifiziert. Neben verkehrlichen, logistischen und wirtschaftlichen Aspekten werden auch rechtliche Themen betrachtet. Die empirischen Ergebnisse basieren auf einer quantitativen Befragung sowie auf qualitativen Experteninterviews. 79 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation  Die dritte Zustellmöglichkeit ergibt sich durch die Verwendung eines Lastenrads. Es besteht hier zudem für den Endkunden die Möglichkeit, ein Lieferzeitfenster zu wählen. Kann das Paket wider Erwarten nicht zugestellt werden, wird es entweder in dem DeinDepot-Einzelhandelsgeschäft oder in der Paketwand bis zur Abholung eingelagert. Angewandte Methodik Im Rahmen des Forschungsprojektes DeinDepot wurde vom 4. bis 13. September 2019 eine quantitative Online-Befragung von 2 017 Panelteilnehmern durchgeführt. Adressaten der Befragung waren volljährige Einwohner*innen deutscher Großstädte (Einwohnerzahl > 100 000). Um Repräsentativität in Bezug auf die Merkmale Geschlecht und Alter der Bevölkerung in deutschen Großstädten sicherzustellen, wurde die Online-Befragung durch ein Befragungsunternehmen durchgeführt, welches auf ein großes Konsumentenpanel zurückgreifen konnte. Zusätzlich wurden 13 Experteninterviews durchgeführt. Ziel war es dabei, von relevanten Stakeholdern aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Forschung und Interessensvertretungen Erkenntnisse aus deren Arbeit und anderen Forschungsprojekten zu gewinnen sowie Einschätzungen zum Konzept DeinDepot zu erhalten. Ergebnisse der quantitativen Befragung Das Konzept DeinDepot wurde von 94 % der Befragten verstanden. Im Mittel sind Befragte, die das DeinDepot-Konzept verstanden haben, etwas jünger. Außerdem sind sie durchschnittlich besser gebildet. Nutzungsbereitschaft Von den 1 893 Befragten, welche das Konzept verstanden haben, ziehen 60,5 % (n = 1 145) der Befragten in Betracht, künftig das DeinDepot als Lieferadresse anzugeben. Das durchschnittliche Nutzerpotenzial von DeinDepot in Großstädten in Deutschland beträgt also 60,5 %. Die zuvor aufgezeigten Nutzerpotenziale werden im Folgenden differenziert nach räumlichen und persönlichen Merkmalen betrachtet. Im Stadtteiltyp „City“ ist mit 69 % das höchste Nutzerpotenzial vorhanden, gefolgt vom Stadtteiltyp „Mischgebiet“ mit 62 % (das nur geringfügig über dem Durchschnitt von 60,5 % liegt) und dem Stadtteiltyp „Wohngebiet“ mit lediglich 53 %, der klar unterdurchschnittlich ist. Die Analyse der Nutzerpotenziale nach Größenklassen deutscher Großstädte zeigt, dass die Quoten potenzieller Nutzender ab einer Größenklasse von 200.000 Einwohner*innen sinken, je mehr Einwohner*innen die Großstadt hat. Hinsichtlich der Altersklassen ergibt sich ein eindeutiges Bild. Mit zunehmendem Alter reduziert sich der Anteil jener, die DeinDepot nutzen würden sehr stark. In der Altersklasse der 18bis 29-Jährigen sind es 76 %, in der Altersklasse der 40bis 49-Jährigen noch 66 %. In der Altersklasse der über 60-Jährigen nur noch rund 43 %. Zahlungsbereitschaft Bei den 1 145 Befragten, welche das DeinDepot als Lieferadresse nutzen würden, wurde die Zahlungsbereitschaft abgefragt. Folgende Frage wurde hierzu formuliert: „Wieviel wären Sie bereit, für die Zustellservices von DeinDepot pro Paket maximal zu bezahlen? “ Rund 60 % der Befragten (686 Personen) wären bereit, für DeinDepot etwas zu bezahlen. Im Mittel liegt die Zahlungsbereitschaft bei diesen Befragten bei 1,20 € (Median: 1, Standardabweichung: 0,67). Für alle potenziellen DeinDepot-Nutzenden liegt die Zahlungsbereitschaft im Mittel bei 0,72 €. Bild 1: Schemata des DeinDepot. © Frankfurt UAS Bild 2: Nutzung von DeinDepot als künftige Lieferadresse. © Frankfurt UAS 80 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Wie zuvor dargestellt, haben knapp 60 % aller potenziellen DeinDepot-Nutzenden eine positive Zahlungsbereitschaft (mindestens 0,50 €). In Relation zur Gesamtbevölkerung in deutschen Großstädten haben nur 36 % eine positive Zahlungsbereitschaft. Für den Stadtteiltyp „City“ wird der höchste Anteil von Einwohner*innen mit positiver Zahlungsbereitschaft mit im Mittel 45 % beobachtet, gefolgt vom Stadtteiltyp „Mischgebiet“ mit 36 % und dem Stadtteiltyp „Wohngebiet“ mit lediglich 30 %. Rechtliche Aspekte Vertragsschluss Es muss sichergestellt werden, dass zwischen DeinDepot und dem Endkunden ein Vertrag geschlossen wird. Hierbei bietet sich ein Online-Vertragsabschluss an. Dies kann etwa über eine Dein- Depot-Homepage oder eine App erfolgen. Darüber hinaus sollte sichergestellt werden, dass Pakete von nicht-registrierten Kund*innen nicht angenommen werden können. Weil keine rechtliche Verpflichtung zur Annahme solcher Pakete besteht, sollten diese unmittelbar abgewiesen werden. Falls versehentlich ein solches Paket angenommen wird, sind die Ausführungen zur außervertraglichen Haftung bei Lagerverträgen zu beachten. Vertragsgestaltung Weil der Vertrag vermutlich als typengemischter Vertrag zu qualifizieren ist, sollten die angebotenen Leistungen von DeinDepot möglichst eindeutig geregelt werden. Die Vertragspflichten können so im Einzelbzw. Streitfall besser unterschieden werden. Empfohlen wird, den Endkunden verschiedene Leistungsarten zur Auswahl anzubieten. So kann sichergestellt werden, dass die jeweils zu erbringende Leistung klar definiert ist. Kartellrecht Bei der Ausgestaltung von DeinDepot muss zwingend auf kartellrechtskonforme Prozesse geachtet werden. Für den Fall, dass DeinDepot im Verhältnis zu KEP-Dienstleistern als Wettbewerber einzuordnen ist, sollte eine Informationsweitergabe zwingend verhindert werden. Auch sollten Prozesse implementiert werden, die sicherstellen, dass über DeinDepot keine Informationen zwischen den verschiedenen KEP-Dienstleistern ausgetauscht werden. Dies umfasst etwa auch die Verhinderung von zeitgleichen Anlieferungen mehrerer KEP- Dienstleister. Versicherbarkeit Vor Abschluss eines Versicherungsvertrags ist der konkrete Versicherungsbedarf von DeinDepot zu bestimmen. Dabei sollte den zuvor aufgezeigten Varianten und etwaigen vertraglichen Besonderheiten Rechnung getragen werden. Die Bedarfserfassung kann etwa über einen spezialisierten Versicherungsvermittler erfolgen. Verkehrliche und logistische Aspekte Bei der Suche nach einem geeigneten Quartier für DeinDepot sollten unter anderem folgende Aspekte bezüglich der Lieferung per Lastenrad analysiert werden:  Paketvolumen  Empfängerstruktur  Dimensionierung der Straßen, Geh- und Radwege  Topografische Gegebenheiten Am DeinDepot selbst müssen Flächen zum Rangieren, Halten, Parken und Laden vorhanden sein. Dies betrifft Flächen für die Anlieferung mit dem Lieferfahrzeug wie auch mit Lastenrädern. Bild 3: Nutzerpotenziale für DeinDepot nach Altersklassen. © Frankfurt UAS Bild 4: DeinDepot-Zahlungsbereitschaft (in Prozent der potenziellen DeinDepot-Nutzenden). © Frankfurt UAS 81 2 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Transformation Für die Dimensionierung dieser Flächen müssen zuvor folgende Fragen geklärt werden:  Von wievielen Personen/ KEP-Dienstleistern wird das Depot genutzt?  Mit welchen und von wievielen Fahrzeugen wird das Depot angefahren?  Wie gestaltet sich die zeitliche Verteilung der An- und Auslieferungen?  Sind ausgewiesene Lieferzonen notwendig? Fazit Das Forschungsprojekt DeinDepot konnte das interdisziplinäre Potenzial für die Umsetzung eines zentralen Depots mit dem Ziel einer umweltfreundlichen und gebündelten Auslieferung von Paketen auf der letzten Meile aufzeigen. Es zeigt sich, dass die Herausforderungen im verkehrlichen Bereich eine hohe Relevanz besitzen. Bei einer umfassenden Planung sollten verkehrliche Faktoren jedoch kein größeres Hindernis bei einer potenziellen Umsetzung darstellen. Im Bereich der Logistik sind primär flächenabhängige Faktoren zu berücksichtigen. Dies betrifft zum einen die Lagerfläche des eigentlichen Depots sowie die notwendigen Außenflächen. Zusätzlich ist es bei der Standortplanung notwendig, stadtstrukturelle Faktoren zu berücksichtigen. Die Ergebnisse der wirtschaftlichen Analyse zeigen die monetäre Aufwandsbereitschaft von Kundenseite auf. Zusätzlich werden aber auch Ansätze zur Berechnung der aufkommenden Kosten aufgezeigt. Eine umfassende Wirtschaftlichkeitsanalyse des vorgeschlagenen Konzepts ist lediglich durch die Einbeziehung weiterer Stakeholder möglich. Die rechtliche Analyse zeigt auf, dass das DeinDepot-Konzept eine Vielzahl von Gesetzeskategorien tangiert. Trotzdem konnten explizite Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden. Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt DeinDepot bilden somit eine interdisziplinäre Grundlage für alle Stakeholder, welche die Einführung eines entsprechenden Konzepts planen. Das Forschungsprojekt wurde vom Research Lab for Urban Transport (ReLUT) der Frankfurt University of Applied Sciences durchgeführt. Informationen zum Projekt und zur Forschungsinstitution können unter www.relut.de abgerufen werden. Gefördert wurde das Projekt aus Mitteln des Landes Hessen. Praxispartner war der Bundesverband der Kurier- Express-Post-Dienste e. V. (BdKEP). QUELLE • IFH Köln GmbH: Online-Monitor 2019. Hg. v. Handelsverband Deutschland (HDE). Berlin. Online abgerufen unter https: / / einzelhandel.de/ online-monitor. Dr.-Ing. Dominic Hofmann Wissenschaftlicher Leiter des Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: dominic.hofmann@fb1.fra-uas.de Prof. Dr. Tobias Hagen Professor für Volkswirtschaftslehre und Quantitative Methoden Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: thagen@fb3.fra-uas.de Prof. Dr.-Ing. Petra K. Schäfer Professorin für Verkehrsplanung Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: petra.schaefer@fb1.fra-uas.de Prof. Dr. Kai-Oliver Schocke Professor für Logistik und Produktionsmanagement Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: schocke@fb3.fra-uas.de Prof. Dr. Domenik H. Wendt LL.M. Professur für Bürgerliches Recht, Europäisches Wirtschaftsrecht und Europarecht Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: wendt@fb3.fra-uas.de Felix Bergold LL.B. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: felix.bergold@fb3.fra-uas.de Dr. Sabine Scheel-Kopeinig Wissenschaftliche Mitarbeiterin Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: s.scheel-kopeinig@fb3.fra-uas.de Dana Stolte M.Eng. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Frankfurt University of Applied Sciences Kontakt: dana.stolte@fb1.fra-uas.de Simon Steinpilz B.A. Wissenschaftliche Hilfskraft Research Lab for Urban Transport (ReLUT) Frankfurt University of Applied Sciences AUTOR*INNEN