eJournals Transforming cities 5/3

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0048
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Zukunftsfähige Städte und Regionen

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Städte zählen zu den größten CO2 -Emittenten und spielen deshalb eine zentrale Rolle beim Kampf gegen die Erderwärmung. Um Kommunen in Deutschland zu befähigen, nachhaltige Stadtentwicklung und Digitalisierung schnellstmöglich umzusetzen, hat die Morgenstadt-Initiative der Fraunhofer-Gesellschaft ein Positionspapier verfasst. Ziel ist es, bestehende Lösungen aufzuarbeiten, für sämtliche Kommunen und Städte zugänglich sowie finanzierbar zu machen und neue Kapazitäten aufzubauen. Über die Eckpunkte des Papiers sprachen wir mit Dr. Eva Ottendörfer, Leiterin des Morgenstadt-Netzwerks am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO.
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7 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Das Netzwerk „Morgenstadt“ besteht seit 2011, also seit nunmehr neun Jahren. Wer gehört dazu, wer bringt welche Kompetenzen und Erfahrungen ein? Die Morgenstadt-Initiative wurde im Jahr 2011 vom Fraunhofer IAO initiiert und hatte ihren Kick-Off auf der Hannover Messe im April 2012. In den vergangenen acht Jahren haben insgesamt 13 Fraunhofer-Institute, 35 Städte und 42 Unternehmen dem Netzwerk der Morgenstadt-Initiative angehört. Dieser Zusammenschluss aus Forschungsinstituten, Städten und privatwirtschaftlichen Unternehmen ist absolut zentral für uns, denn so sind wir in der Lage, mit technischen und organisationalen Innovationen auf die Bedarfe von Städten zu reagieren und die Lösungen gleichzeitig marktfähig zu machen. Das heißt, die Städte bringen ihre Erfahrungen und Bedarfe ein bezüglich der Frage: Was wollen wir im Bereich Nachhaltigkeit erreichen und wo liegen die tatsächlichen Hürden für eine Umsetzung nachhaltiger Lösungen. Sowohl Unternehmen als auch die Forschungsinstitute können dann mit ihren Innovationen und Angeboten gezielt darauf reagieren. Welche Handlungsfelder werden im neuen Positionspapier der Morgenstadt-Initiative definiert? Unser Positionspapier zieht eine Bilanz des aktuellen Nachhaltigkeitsmarkts und der Förderlandschaft rund um Nachhaltigkeit in Deutschland. Unser Fazit ist, dass trotz einer starken Förderung des Themas, die breite Markteinführung bis heute nicht stattgefunden hat. Uns fehlen nicht die Lösungen, sondern die Mittel und die Strukturen, diese in die Breite zu tragen. Für Nachhaltigkeit im urbanen Kontext gilt, die beste Innovation wird nicht die gewünschte Wirkung erzielen, wenn es uns nicht gelingt, sie auf einen signifikanten Anteil von Städten in Deutschland zu skalieren. Um das zu ändern, haben wir fünf Handlungsfelder identifiziert, die zentral sind, um dies zu ändern. Zum einen geht es darum, neue Arten der Finanzierung für nachhaltige urbane Lösungen zu entwickeln, zum anderen braucht es eine bessere Informationsaufbereitung für alle Akteure, die an nachhaltiger Stadtentwicklung beteiligt sind, dazu gehören Informationen über bereits erprobte Lösungen, sowie über existierende Förderlinien und über Weiterbildungsangebote. Hinzu kommen der Aspekt der Qualitätssicherung bei nachhaltigen Lösungen, die Entwicklung von Weiterbildungsangeboten zu neuen Themen im Bereich Nachhaltigkeit sowie das Thema flächendeckende Digitalisierung. Diese Handlungsfelder setzen ein Engagement auf Bundesebene sowie in der Forschung, in Unternehmen und in jeder einzelnen Stadt voraus. Es geht also nicht um einen Aktionsplan, den sich die Morgenstadt hier selbst auferlegt, sondern um einen Aufruf zu einem konzertierten Ansatz, der von Akteuren auf allen Ebenen unterstützt und vorangetrieben wird, um nachhaltige Stadtentwicklung flächendeckend umzusetzen. In der Vergangenheit hat man vieles dem Markt überlassen - sollte sich das nicht für eine nachhaltige Stadtentwicklung nun ändern? Das muss sich tatsächlich ändern! Beziehungsweise unser Verständnis des Marktes muss sich ändern, denn klassische Modelle der Markteinführung helfen uns bei nachhaltigen Lösungen im urbanen Raum nicht weiter. Nachhaltige Lösungen sind meist komplexer, weil sie aus mehreren verschiedenen Komponenten bestehen, die potenziell Zukunftsfähige Städte und Regionen Städte zählen zu den größten CO 2 -Emittenten und spielen deshalb eine zentrale Rolle beim Kampf gegen die Erderwärmung. Um Kommunen in Deutschland zu befähigen, nachhaltige Stadtentwicklung und Digitalisierung schnellstmöglich umzusetzen, hat die Morgenstadt-Initiative der Fraunhofer-Gesellschaft ein Positionspapier verfasst. Ziel ist es, bestehende Lösungen aufzuarbeiten, für sämtliche Kommunen und Städte zugänglich sowie finanzierbar zu machen und neue Kapazitäten aufzubauen. Über die Eckpunkte des Papiers sprachen wir mit Dr. Eva Ottendörfer, Leiterin des Morgenstadt-Netzwerks am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. Dr. Eva Ottendörfer, Leiterin des Morgenstadt- Netzwerks, Team Urban Governance Innovation, Fraunhofer- Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, IAT Universität Stuttgart. © IAO 8 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview unterschiedliche Investoren auf den Plan rufen und an unterschiedliche Voraussetzungen in der Stadt angepasst werden müssen. Nehmen wir das Beispiel Mobilität in der Stadt: Hier agieren Anbieter von Car- und Bikesharing-Angeboten sowie von E-Rollern auf dem Markt, zusammen mit dem öffentlichen Nahverkehr und beispielsweise Anbietern von Sensoren für Parkleitsysteme. Nur wenn diese verschiedenen Lösungen miteinander agieren, können sie einen positiven Effekt auf das Verkehrsaufkommen und damit im Endeffekt auch auf die Luftqualität in der Stadt haben. Diese Gemengelage macht es sehr anspruchsvoll, Geschäftsmodelle zu entwickeln und die positiven Returns klar für eine Kundengruppe zu quantifizieren. Außerdem betreffen die positiven ökologischen Effekte nachhaltiger Lösungen die Allgemeinheit und können deshalb schlecht in ökonomische Vorteile für eine Kundengruppe übersetzt werden. Das Setzen von Anreizen durch finanzielle Förderung oder erweiterte Regulierung muss deshalb von Städten und auf Bundesebene weiter vorangetrieben werden. Wie kann Engagement von Städten hier aussehen? Gerade im Bereich der Finanzierung gibt es verschiedenste Möglichkeiten. Städten und Kommunen ist es beispielsweise möglich, Nachhaltigkeitskriterien in Ausschreibungen mit aufzunehmen und so Anreize für nachhaltigere Angebote zu setzen. Rentabilität wird folglich von der Stadt nicht mehr rein marktwirtschaftlich, sondern aus einer Klimaschutz-Perspektive gedacht. So können Ausschreibungen beispielsweise die gesamten Lebenszykluskosten einer Lösung und deren positive Umwelteffekte als Kriterien mit berücksichtigen. Möglich sind auch einfache Vorgaben, die die Auswahl nachhaltiger Lösungen begünstigen. Die Stadt Stuttgart hat zum Beispiel gerade erst die Vorgabe der Klimaneutralität sämtlicher städtischer Neubauten und Sanierungen erlassen. Bei Neubauten gilt das Ziel des Plusenergiestandards. Solche Entscheidungen sind wegweisend. Je mehr Städte sich anschließen, desto eher haben sie langfristigen Einfluss auf den Nachhaltigkeitsmarkt, weil die Entwicklung kostengünstigerer nachhaltiger Lösungen angeregt wird. Zudem gibt es die Möglichkeit, die Ausschreibungen mehrerer Städte zu bündeln. Gerade bei kleinen Städten und Kommunen bietet sich dies an, um damit eine Ausschreibung mit einem Umfang zu platzieren, der auch für Investoren in nachhaltige Lösungen interessant ist. Zudem lässt sich so ein Skaleneffekt erzielen, der die Kosten für die einzelne Kommune senkt. Diese Möglichkeiten müssen Städten aber erst vermittelt werden und genau dafür brauchen wir ein Weiterbildungsangebot, das auf die neuesten Entwicklungen und Themen im Bereich Nachhaltigkeit zugeschnitten ist. Für entsprechende Ansätze in der Finanzierung braucht es aber auch bessere finanzielle Unterstützung vom Bund, bei der alle Städte und Kommunen eine Chance auf Finanzierung haben. Sinnvoll wäre hier ein Fond, der Kreditlinien an Nachhaltigkeitskriterien knüpft. Hier gibt es zwar bereits einige Pilotprojekte wie der Smart City Fond der Belfius Bank und der European Investment Bank. Aber auch auf Bundesebene wäre solch ein Fond absolut zentral für die Finanzierung der nachhaltigen flächendeckenden Transformation in Deutschland. In Deutschland, aber auch auf EU-Ebene gibt es reichlich Förderprogramme. Sind die zahlreichen unterschiedlichen Fördertöpfe hilfreich? Rein monetär gesehen, sind tatsächlich viele Ressourcen für eine Förderung in diesem Bereich freigegeben. Was allerdings auffällt ist, dass diese Förderprogramme gewissen Trends folgen und es dadurch einerseits zu Dopplungen in bestimmten Bereichen kommt, während für andere Themen nur schwer Förderung gefunden werden kann. Nun, es lässt sich kaum etwas daran ändern, denn Förderprogramme spiegeln immer auch die Interessen ihrer Geldgeber wider. Hinzu kommt, dass die Förderung auf deutscher wie auf EU-Ebene noch immer stark dem Leuchtturmprinzip folgt. Dabei geht man davon aus, dass sich Lösungen, die in ausgewählten Städten pilotiert wurden, automatisch verbreiten. Ansätze, die auf das „In-die-Breite-tragen“ erprobter Lösungen abzielen, gibt es nach wie vor nur wenige. Allerdings besteht Hoffnung, dass die neue Förderlinie der Europäischen Union, Horizon Europe, die ab nächstem Jahr in Kraft treten soll, dies ändern wird. Welche Rolle spielt flächendeckende Digitalisierung? Eine flächendeckende Digitalisierung ist ein zentraler Baustein, um nachhaltige Lösungen in Städten und Kommunen umsetzen zu können. Vor allem urbane Datenplattformen, auf denen verschiedene Akteure Dienstleistungen anbieten und Lösungen umsetzen können, sind eine wichtige Grundlage für die nachhaltige Transformation von Städten. Durch die Sammlung und Auswertung von Daten können Dienste in einer Stadt verbessert werden, wie beispielsweise die Müllentsorgungsbetriebe, die durch Sensoren in den Containern wissen, welcher geleert werden muss, smarte Straßenlaternen, die Strom sparen, indem sie nur bei Bewegung ganz hell werden, oder die Verkehrsflusssteuerung in einer Stadt, die hilft, den Abgasausstoß zu verringern. 9 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Damit können digitale Services helfen, den CO 2 - Ausstoß zu verringern und Energie zu sparen. Hinzu kommt, dass durch die Digitalisierung der Stadtverwaltung Bürgerservices für zuhause angeboten werden können, was Ämter sowie Bürger*innen entlastet. Durch die in einer Stadt generierten Daten kann ihr Zustand, etwa im Bereich Luftqualität und Verkehrsaufkommen, überhaupt erst erhoben und bewertet werden. Digitalisierung ist deshalb auch eine wichtige Voraussetzung für die Identifizierung von Schwachstellen und die Definition von Prioritäten in der Stadtentwicklung sowie für die Entwicklung neuer Dienstleistungen und Angebote. Allerdings ist Digitalisierung um jeden Preis keine Option. Städte müssen hier sehr genau abwägen, welche Angebote für sie Sinn machen und welche Dienste tatsächlich Energie sparen und den CO 2 -Ausstoß verringern können. Denn bei all diesen Entwicklungen darf man nicht vergessen, dass auch der Betrieb solcher Datenplattformen, der entsprechenden Server und Sensoren in der Stadt, Energie verbraucht. Wie lässt sich die Vernetzung zur „Smart City“ für Kommunen sicher und finanzierbar zu gestalten? Momentan fehlt es vor allem an einem offenen, anbieterneutralen Angebot für Datenplattformen, das für sämtliche Städte finanzierbar ist. Datenplattformen werden bisher vor allem in den Großstädten Deutschlands eingerichtet. Hinzu kommt der Aspekt des Datenschutzes und der Datensouveränität. Städte müssen sichergehen können, dass sie über die Nutzung „ihrer“ Daten vollumfänglich bestimmen können, also wer die Daten nutzt, wie lange und zu welchen Bedingungen. Damit die Smart City nicht Gefahr läuft, zu einer Datenkrake zu werden, die beispielsweise sämtliche Bewegungsdaten ihrer Bürger speichert, müssen Datenplattformen die entsprechenden Konnektoren verwenden, die Datensouveränität garantieren und damit die Daten der Bürger*innen schützen. Wichtig ist zudem, dass all diese Entwicklungen auch von Personen in der Stadtverwaltung getragen und umgesetzt werden müssen. Es braucht deshalb die entsprechenden Aus- und Weiterbildungsangebote für die Städte. Lässt sich das Potenzial vieler guter Ideen und Projekte bündeln und allgemein nutzbar machen? Absolut, aber genau daran hapert es im Moment noch. Es existieren zahlreiche, bereits pilotierte Lösungen, aber es ist für Städte extrem schwierig, sich einen Überblick zu verschaffen und die Informationen zu erhalten, ob eine spezifische Lösung für sie in Frage kommt oder nicht. Dies wird uns von Städten immer wieder zurückgespielt, dass diese Art der Informationsaufbereitung bisher fehlt und genau hier setzen die adaptiven Lösungsstrukturen an, die wir in unserem Positionspapier vorstellen. Diesen Ansatz verfolgt die EU bereits seit einigen Jahren mit ihren sogenannten Packaged Solutions. Diese adaptiven Lösungsstrukturen bringen sämtliche Elemente eine Lösung zusammen, die eine Stadt kennen muss, um über darüber zu entscheiden, ob diese die erwarteten Effekte in ihrem spezifischen Setting haben kann. Sie umfassen deshalb die technischen Spezifikationen und Varianten einer Lösung sowie deren Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Lösungen, Informationen über etwaige Datenschnittstellen und Datenmodelle, Modelle zur Berechnung des zu erwartenden Nutzens bezüglich Nachhaltigkeit, Kosten-, Betriebs- und Finanzierungsmodellen, die rechtlichen Rahmenbedingungen, Möglichkeiten der Anpassung an den spezifischen Kontext einer Stadt sowie Erfahrungen aus anderen Kontexten, in denen die Lösung bereits umgesetzt wurde. Daraus entsteht eine Art Handbuch, welches permanent aktualisiert werden muss und sämtlichen Akteuren der nachhaltigen Stadtentwicklung zugänglich ist. Dazu gehören Planer*innen, Ingenieurbüros, Investor*innen, jene Unternehmen, die konkrete Lösungen anbieten, sowie die Zuständigen in den verschiedenen Ressorts der Städte, aber auch zivilgesellschaftliche Initiativen. Diese adaptiven Lösungsstrukturen können beispielsweise auch helfen, Ausschreibungen zu bündeln, indem sich Städte über die Handbücher auf die Ausgestaltung einer bestimmten Lösung einigen können. Wie wichtig ist ein interdisziplinärer und sektorenübergreifender Ansatz für das Gelingen urbaner Transformation? Beides ist unabdingbar. Wenn man die einzelnen Sektoren isoliert betrachtet, geraten die Dynamiken, die zwischen diesen existieren, aus der Perspektive. Diese können aber ausschlaggebend für den Erfolg einer Initiative sein, beziehungsweise diesen eben durchaus auch verhindern. Nachhaltigkeit muss ganzheitlich, und damit auch sektorenübergreifend, gedacht werden, da in einer Stadt die ökonomischen, sozialen und ökologischen Faktoren extrem eng miteinander verschränkt sind. Deshalb wenden wir in der Morgenstadt Initiative eine systemische Perspektive an, die es uns ermöglicht, die Wechselwirkungen zwischen Technologien, Akteuren, Strukturen und Prozessen auf unterschiedlichsten Ebenen zu analysieren. Eine solche Perspektive ist per se interdisziplinär. Dies spiegelt auch die Bandbreite an Expertise wider, die das Morgenstadt-Netzwerk in seiner Forschungsleistung vereint. 10 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Was können Reallabore dazu beitragen, innovative Ansätze alltagstauglich zu machen. Reallabore ermöglichen die konkrete Erprobung von Technologien beziehungsweise Innovationen in einer realen Situation und lassen deshalb zentrale Schlüsse über deren Replizierbarkeit zu. In Reallaboren kann Neues entwickelt und dessen Akzeptanz durch Nutzer*innen direkt überprüft werden. Darüber hinaus bieten sie gerade für Nutzer*innen die Möglichkeit ihre Erfahrungen direkt zu teilen und sich damit aktiv an der Weiterentwicklung einer Lösung zu beteiligen. Zudem lässt sich das Zusammenspiel verschiedener Lösungen in Reallaboren besonders gut erproben und feinjustieren. Sie sind deshalb ein wichtiger Baustein im Prozess hin zur breiten Umsetzung nachhaltiger Lösungen und die beste Grundlage, ihren Nutzen aus einer systemischen Perspektive zu bewerten. Lassen sich erfolgreiche Lösungen einfach von einer Stadt auf eine andere übertragen? Nein, das ist leider nicht der Fall, denn es würde vieles einfacher machen. Aber nur selten sind sich Städte in ihren Strukturen und Rahmenbedingungen so ähnlich, dass solch eine Übertragung eins zu eins stattfinden kann. Städten stellen extrem komplexe Systeme dar, in denen verschiedenste Strukturen, Akteure und Rahmenbedingungen aufeinander treffen. Allein schon die Akzeptanz einer bestimmten Lösung durch Nutzer*innen kann in Städten mit sehr ähnlichen Rahmenbedingungen, was etwa die Lage, Größe und Wirtschaftsleistung angeht, aufgrund historischer Erfahrungen und einer bestimmten politischen Kultur sehr unterschiedlich ausfallen. Aus diesem Grund verfügen die Projekte der Europäischen Union auch über die Struktur, die Pilotierung von Lösungen in Leuchtturmstädten zu ermöglichen, während die so genannten Fellow Cities diese Lösungen dann replizieren sollen. Aber auch an diesem System gibt es Zweifel, denn diese Replizierung stellt eine Verallgemeinerbarkeit der Erkenntnisse auch nur zu einem gewissen Grad sicher. Deshalb ist es umso wichtiger, Berechnungsmodelle über die Effekte von Lösungen unter bestimmten Bedingungen und Erfahrungen aus anderen Replizierungskontexten für Städte bereitzustellen. Für den Informationsaustausch und Wissenstransfer in Kommunen ist eine Agentur angedacht. Welche Aufgaben soll diese übernehmen? Unser Vorschlag einer Agentur für nachhaltige Stadtentwicklung zielt vor allem auf die umfassende Sammlung und Zugänglichmachung von Informationen - über Lösungen, über Förderlinien, über Weiterbildungangebote - und einen konsistenten internationalen Wissenstransfer ab. Eine Hauptaufgabe ist dabei die Erstellung und permanente Aktualisierung von adaptiven Lösungsstrukturen sowie das Zugänglichmachen für alle Akteure der Stadtentwicklung. Damit würde die Agentur genau jene Schwachstellen der aktuellen Förderlandschaft und des aktuellen Nachhaltigkeitsmarktes in Deutschland abfedern: deren Unübersichtlichkeit. Neben Informationen über Förderlinien könnten zudem Informationen über Finanzierungsmodelle bereitgestellt werden und die Bündelung von Bedarfen für eine gemeinsame Ausschreibung unterstützt werden. Es soll dabei in keiner Weise darum gehen, weitere Doppelstrukturen zu schaffen, sondern alle Kommunen Deutschlands und alle Akteure, die im Bereich nachhaltige Stadtentwicklung aktiv sind, mit dem notwendigen Überblick zu versorgen. Neben dieser Aufgabe, könnte die Agentur weitere Lücken des Nachhaltigkeitsmarktes schließen und zwar einmal bezüglich der Identifizierung neuer Themen für Weiterbildungsangebote und andererseits was die Qualitätssicherung nachhaltiger Lösungen angeht. Hier herrscht momentan bei Städten große Unsicherheit. Im Bereich Smart City bezieht sich dies auf die Interoperabilität von Komponenten und Applikationen. In anderen Sektoren hingegen geht es um Materialprüfung, aber auch beispielsweise um CO 2 -neutrale Produktion. Für Städte und Regionen soll ein Datenkompetenzzentrum entstehen - mit welchen Angeboten? Über das Fraunhofer AHEAD Programm befindet sich ein Team von Fraunhofer Experten gemeinsam mit Partnerunternehmen der Morgenstadt Initiative im Prozess der Entwicklung eines Datenkompetenzzentrums für Städte und Regionen (DKSR). Es ist geplant, bereits diesen Herbst damit am Markt zu sein. Das DKSR wird eine Open Source Urbane Datenplattform zur Steuerung digitaler Prozesse und Dienste in Städten und Regionen anbieten. Diese Plattform wird neuesten Standards entsprechen, mit allen gängigen digitalen Schnittstellen kompatibel sein und maximale Sicherheit für kommunale Daten gewähren. Sie baut auf einer bestehenden und in 40 Städten erprobten Lösung auf. Das DKSR unterstützt Städte und Kommunen bei der Einrichtung und betreibt - auf Wunsch - die Plattform für Städte und Regionen. Dazu gehören zahlreiche vor- und nachgelagerte Unterstützungsangebote - wie zum Beispiel ein Datenmapping über alle Fachbereiche, die standardisierte Bereitstellung existierender Daten über die Plattform in einem einheitlichen Metadatenvokabular, die Anbindung von 11 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Applikationen und externen Datenquellen, die Beratung und Begleitung von Kommunen beim Thema Data Governance, die Zusammenarbeit mit einem großen Ökosystem an Anbietern digitaler Applikationen und Services (zum Beispiel: Ampelsteuerung, Luftqualitätsmonitoring, etc.) sowie die Steuerung und das Management des Datenaustauschs mit Dritten nach Maximen der hoheitlichen Aufgaben der Kommune. Dabei ist ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal das Thema Datensouveränität. Über den Standard des Fraunhofer International Data Space wird die DKSR Plattform Städte und Regionen in die Lage versetzen, echte Datensouveränität herzustellen. Die Dateneigentümer sind in der Lage, Datensätze so mit Nutzungskonditionen zu versehen, dass Datennutzer und Applikationen sich zwingend an diese Vorgaben halten müssen. Die DKSR Plattform ist damit das einzige Angebot an Kommunen, welches bereits die zukünftige Europäische Cloud Infrastruktur GAIA-X vorwegnimmt und sie anwendbar macht. Welchen Stellenwert hat schlussendlich die Kommunikation mit der Öffentlichkeit über kommunale Klimaschutzziele für den gesellschaftlichen Konsens? Nun, dies ist ein Thema, das über unser Positionspapier hinausgeht. Aber auch hier herrscht eindeutig Handlungsbedarf. Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit findet glücklicherweise immer mehr Aufmerksamkeit; und nicht nur das: auch die Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungen über Projekte sowie die Sammlung und Diskussion von Vorschlägen aus der Bevölkerung greifen mittlerweile glücklicherweise immer mehr um sich. Es hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt: Kommunizieren, also die Bereitstellung von Informationen allein, reicht nicht, um Akzeptanz für Projekte und die damit einhergehenden Veränderungen zu erreichen. Eine aktive Auseinandersetzung mit Ansprüchen aus der Bevölkerung ist bereits im Vorfeld wichtig und kann dazu beitragen, eventuelle Klagen und damit die Verschleppung und Verteuerung von Projekten zu verhindern. Aber solche Prozesse sind aufwändig, sie brauchen Zeit, Aufmerksamkeit und Personal, damit sie von der Bevölkerung als legitim anerkannt werden. Beteiligung macht die Dinge also keineswegs einfacher, aber wenn sie gut gemacht ist, macht sie Entscheidungen gerechter und kann auch bislang nicht sensibilisierte Menschen für das Thema Nachhaltigkeit interessieren. 2. Dezember 2020, Hotel Adlon Berlin Bundeskongress Öffentliche Infrastruktur 2020 Heimat - vernetzt, sozial, modern