Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0051
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Ökologisch und trotzdem wirtschaftlich
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Urs Thönen
Was verbindet PLCnext Technology und Natur? Bei beiden handelt es sich um ein Ökosystem, wobei die automatisierungstechnische Lösung von Phoenix Contact die Schweizerische Bundesbahnen AG unterstützt, das im Gleisbett wachsende Unkraut umweltschonend zu vernichten und gleichzeitig Kosten und Zeit zu sparen.
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16 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Als staatliche Eisenbahngesellschaft der Schweiz ist die Schweizerische Bundesbahnen AG - kurz SBB - bereits fast 120 Jahre alt. Am 1. Januar 1902 gegründet, hat die Aktiengesellschaft des öffentlichen Rechts, deren Aktien sich komplett im Eigentum der Schweizerischen Eidgenossenschaft befinden, ihren Hauptsitz in Bern. Auf ihrem Netz und in den 798- Bahnhöfen beförderte die SBB 2019 täglich 1,32 Mio. Reisende sowie 200 000 t Güter. Dabei erzielten die über 32 500 Mitarbeiter bei einem Umsatz von etwa 9,9 Mrd. Franken einen Gewinn von 463 Mio. Franken. Seit 2009 richtet sich die Eisenbahngesellschaft an neun Konzernzielen aus. Diese fokussieren auf Sicherheit, Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit, umfassen aber auch Nachhaltigkeit. Deshalb fährt die SBB mit Strom, der zu 90- % aus Wasserkraft erzeugt wird. Der Großteil dieser Energie stammt aus Wasserkraftwerken, die dem Konzern gehören oder an welchen er beteiligt ist. Im Vergleich zum Jahr 2010 hat die SBB so 2019 rund 66 000- t- CO 2 und etwa 400- GWh Energie eingespart. Das entspricht dem Stromverbrauch von circa 100 000 Schweizer Haushalten. Um einen wesentlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele zu leisten, will der Konzern bis 2030 sogar klimaneutral sein. Gesucht werden ökologische Alternativen zu Herbiziden Nachhaltigkeit umfasst ebenfalls die Bewahrung der Pflanzen- und Tierwelt. Vor diesem Hintergrund bewirtschaftet die SBB rechts und links des Schienennetzes einen rund 3 000 km langen „grünen Korridor“ mit Bahnborden, Waldrändern und Schutzwäldern. Aufgrund einer speziellen Pflege werden so wertvolle Lebensräume für viele zum Teil bedrohte Tier- und Pflanzenarten geschaffen, was zum Erhalt der Biodiversität der Schweiz beiträgt. Doch nicht sämtliche Pflanzen sind überall wünschenswert. Daher muss das Gleisbett regelmäßig von Unkraut befreit werden, das hier ein Sicherheitsrisiko darstellt. Wurzeln oder abgestorbene Pflanzenteile könnten die Hohlräume im Schotterbett verstopfen. Die angesammelte Feuchtigkeit lässt dann Holzschwellen faulen, kann elektrische Signalanlagen beeinflussen und führt im Winter zu Frostaufbrüchen und Gleisaufhebungen. Zudem besteht die Gefahr, dass höhere Pflanzen Signale verdecken und Blätter oder Stängel auf den Schienen einen Schmierfilm erzeugen, der den Bremsweg der Züge verlängert. Deshalb kontrolliert die SBB die Vegetation auf ihren 7 600- Gleiskilometern ständig und greift regulierend ein. Zur Vernichtung des Unkrauts wird unter anderem das Herbizid Ökologisch und trotzdem wirtschaftlich Schweizerische Bundesbahnen setzen auf umweltschonende Unkrautvernichtung Urs Thönen Was verbindet PLCnext Technology und Natur? Bei beiden handelt es sich um ein Ökosystem, wobei die automatisierungstechnische Lösung von Phoenix Contact die Schweizerische Bundesbahnen AG unterstützt, das im Gleisbett wachsende Unkraut umweltschonend zu vernichten und gleichzeitig Kosten und Zeit zu sparen. © Oleg Totskyi@ Shutterstock.com 17 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Glyphosat eingesetzt, das die Mitarbeiter zu Fuß per Hand auf das Unkraut spritzen, wobei die Düsen nahe am Boden gehalten werden, damit keine Abdrift auftritt. Da Glyphosat laut Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ gilt, hat die SBB bereits 2018 ein Programm zur Erarbeitung ökologischer Alternativen lanciert. Seitdem sind verschiedene Lösungen zur Vegetationskontrolle getestet worden, zum Beispiel Heißwasserspritzfahrzeuge. Zu den einzelnen Verfahren wird eine Ökobilanz erstellt und für die Umweltverträglichkeit gesorgt. Bis 2025 will die SBB ganz auf die Nutzung von Glyphosat verzichten (Bild 1). Millisekundengenaue Öffnung der Heißwasserventile Mit dem Heißwasserspritzfahrzeug werden seit Mitte 2019 Testfahrten durchgeführt. Dazu sind vorne an einem direkt hinter der Lok befindlichen Waggon Sensorsysteme installiert. Erkennen diese Unkraut, geben sie dessen Position und Größe an eine PLCnext-Steuerung AXC F 2152 von Phoenix Contact weiter, der auch die Fahrgeschwindigkeit des Zugs bekannt ist. Die SPS muss nun die Ventile der Heißwasserwaggons punktgenau öffnen. Das mit Durchlauferhitzern auf 95 °C aufgeheizte Wasser wird anschließend mittels Düsen auf das Unkraut gesprüht, dessen Zellen explodieren, sodass die Pflanzen absterben. Allerdings fährt der Zug mit einer Geschwindigkeit von bis zu 40 km/ h, was etwa 11 m/ s entspricht. Die Steuerung muss den auf die Millisekunde genauen Öffnungszeitpunkt somit in Echtzeit berechnen. Ansonsten wird die Pflanze nicht getroffen. Das dauerhafte Versprühen der 120 000-l Wasser ist keine Option, denn die beiden Tankwaggons wären nach 1,5 km geleert (Bild 2). Die Echtzeitfähigkeit war einer der Gründe, weshalb sich die Verantwortlichen der SBB für die PLCnext-Steuerung entschieden haben. Der AXC F 2152 verfügt nämlich über zwei Prozessoren ARM Cortex-A9 mit jeweils 800- MHz Taktfrequenz, sodass sich die einzelnen Programme bewusst aufteilen lassen. Während der eine Prozessor die echtzeitkritischen Berechnungen vornimmt, steuert der andere Prozessor die weniger kritischen Prozesse - beispielsweise das Aufheizen des Wassers in den Tankwaggons und dessen Temperaturüberwachung. Auf diese Weise öffnen sich die Ventile innerhalb von zwei Millisekunden, nachdem die Sensoren das Unkraut detektiert haben. Einfache Cloud-Anbindung per App Neben der Echtzeitfähigkeit hat die PLCnext Technology durch ihre Offenheit überzeugt. Es ist zum Beispiel unerheblich, in welcher Programmiersprache der Code generiert wird. Jeder Entwickler kann in seiner favorisierten Sprache - sei es IEC 61131, Hochsprache oder Matlab Simulink - arbeiten. Die Programmteile werden dann einfach zusammengefügt. Der Execution and Synchronisation Manager (ESM) der PLCnext Runtime sorgt durch ein patentiertes Task Handling dafür, dass sie danach in einer definierten und zeitlich deterministischen Reihenfolge ablaufen. Kein Problem also, wenn die SBB- Mitarbeiter die Server-Anbindung über Hochsprachen-Code realisieren (Bild 3). In Zukunft soll die Unkrautbekämpfung per Heißwasserspritzfahrzeug weiter professionalisiert werden - und zwar über Cloudlösungen. Momentan läuft der Testzug datentechnisch autark. Es ist jedoch angedacht, dass seine Daten mit dem Geoinformationssystem der SBB vernetzt werden, damit die Unkrautpositionen allen relevanten Stellen bekannt sind. Welche Cloud dafür verwendet wird, ist noch zu klären. Phoenix Contact bietet mit der Proficloud zum Beispiel eine eigene Lösung, an die sich der AXC F 2152 einfach direkt anschließen lässt. Nachdem sich die Steuerung mit der Proficloud verbunden hat, erscheinen die Bild 1: Mit dem Heißwasserspritzfahrzeug wird das Unkraut umweltschonend vernichtet. © Phoenix Contact Bild 2: Die PLCnext Conrol A XC F 2152 erhält die Position und Größe des Unkrauts von Sensorsystemen und öffnet das Ventil des Heißwasserwaggons dann punktgenau. © Phoenix Contact 18 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität von ihr gesendeten Daten dort sofort und können weiterverabeitet werden. Selbstverständlich sind auch andere Cloudlösungen wie AWS, Google oder Azure möglich. Zur Ankopplung der PLCnext- Steuerung müssen sich die SBB- Mitarbeiter lediglich die entsprechende App - beispielsweise AWS IOT Client, IXON Cloud Connector oder MQTT Client - vom digitalen Problemlose Integration in die vorhandene Infrastruktur Erste Pilotversuche mit dem Prototyp des Heißwasserspritzfahrzeugs haben vielversprechende Resultate ergeben. Anfängliche Bedenken hinsichtlich der Gefahr des heißen Wassers für Tiere - wie Eidechsen - konnten größtenteils entkräftet werden. Durch die vorauseilenden Vibrationen des Zugs werden sie verscheucht, bevor es dem Unkraut an den Kragen geht. Aufgrund der Offenheit der PLCnext Technology lässt sich die Lösung einfach in die vorhandene Infrastruktur einbinden und später problemlos an neue Technologien anpassen. Die Echtzeitfähigkeit des AXC F 2152 sorgt für die punktgenaue Platzierung des heißen Wassers. Auf diese Weise wird das Gleisbett bei gleichzeitigem Schutz der Natur unkrautfrei gehalten und zugleich der finanzielle und zeitliche Aufwand für die Vernichtungsaktion reduziert. Mehr Informationen: www.phoenixcontact.de/ plcnext Bild 5: Das Ecosystem PLCnext Technology setzt sich aus vier Bestandteilen zusammen. © Phoenix Contact Bei der PLCnext Technology handelt es sich um ein offenes Ecosystem, das sich aus einer Steuerungsplattform, modularen Engineering-Software, einem digitalen Software-Marktplatz sowie einer Nutzer-Community zusammensetzt. Aufgrund der einfachen Cloud-Integration, der Möglichkeit zur Verwendung von Open-Source-Software und dem Austausch mit anderen Anwendern wird PLCnext Technology allen Herausforderungen der IoT-Welt gerecht (Bild 5). Die PLCnext-Steuerungen - beispielsweise der A XC F 2152 - erlauben die Umsetzung von Automatisierungsprojekten ohne die Einschränkungen proprietärer Systeme. Entwickler können parallel in der präferierten Programmiersprache an einem Projekt arbeiten und der Code wird dann zu einem Gesamtsystem zusammengefügt. Die Software-Plattform PLCnext Engineer vereint sämtliche Engineering-Aufgaben für die PLCnext-Steuerungen in einem Tool: Konfiguration, IEC61131- und Safety-Programmierung, Visualisierung sowie Diagnose. Die Engineering-Umgebung kann zudem mit Add-ins um zusätzliche Funktionen und Schnittstellen ergänzt werden. Im PLCnext Store sind viele Software-Applikationen erhältlich, mit denen sich eine PLCnext-Steuerung einfach funktional erweitern lässt. Das Angebot reicht von Software-Bibliotheken für die schnellere Code-Erstellung bis zu fertigen Apps, die auch externe Entwickler auf dem Marktplatz anbieten können. In der PLCnext- Community werden schließlich Informationen, Support und hilfreiche Ressourcen zur Verfügung gestellt. OFFENES ECOSYSTEM FÜR AKTUELLE UND ZUKÜNFTIGE HERAUSFORDERUNGEN Marktplatz PLCnext Store auf den AXC F 2152 herunterladen. Die Cloudlösung erlaubt unter anderem die Einsatzplanung des Heißwasserspritzzugs sowie seine Erfolgskontrolle, wenn der normale Schienenverkehr zukünftig mit der Sensorik ausgerüstet ist und sich der Zustand des Unkrauts so permanent überprüfen lässt (Bild-4). Urs Thönen Product Manager Automation Phoenix Contact AG Tagelswangen, Schweiz Kontakt: info@phoenixcontact.de AUTOR Bild 3 (links): Die Entwickler können ihren Programmteil in der von ihnen favorisierten Programmiersprache erstellen. Bild 4 (rechts): Zur Cloud- Ankopplung steht neben dem A XC F 2152 ein Gateway zur Verfügung. © Phoenix Contact
