Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0055
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Regeneration ländlicher Regionen durch Natur- und Kulturerbe
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Intza Balenciaga
Die aktuelle globale Pandemie beeinträchtigt Lebensgemeinschaften weltweit. Bisher waren es im Wesentlichen Städte, die aufgrund der COVID-19-Pandemie in der Öffentlichkeit standen. Doch auch die Folgen der Krise für ländliche Regionen und Gemeinden sollten nicht unterschätzt werden. Auf der einen Seite zeichnen sich diese Regionen aus durch Solidaridät, gute Netzwerke, bessere Zusammenarbeit und Gemeinschaftssinn. Mit der Fähigkeit zur Resilienz steigern sie den Wert ihrer lokalen Resourcen, ihres Kultur- und Naturerbes sowie des menschlichen Zusammenlebens. Trotzdem kämpfen sie damit, passende Lösungen für ihre verletzlichen Lebensräume zu finden. Tendenziell verschärft wird die Situation durch eine geringere Ressourcenverfügbarkeit und größere Isolation.
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31 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Weltweit zeugen Gemeinden in ländlichen Regionen von einem jahrtausende alten Wechselspiel zwischen Natur und Mensch. Ländliche Regionen vereinen Humankapital, Kultur und Gastronomie, Herkunft und Tradition mit den Naturräumen. Dennoch steht das Land immer wieder vor demografischen und sozio-ökonomischen Problemen, wie Landflucht, Überalterung, Arbeitslosigkeit, einem reduzierten Dienstleistungsangebot sowie schlechter Erreichbarkeit. Deshalb wird im Rahmen des RURITAGE-Projekts - das sich mit der Regeneration ländlicher Regionen mittels ihres natürlichen und kulturellen Erbes beschäftigt - ein zukunfstweisendes Paradigma für ländliche Entwicklung aufgestellt. Das vierjährige Projekt startete im Juni 2018 und wird von der Universität Bologna koordiniert. Mit dem Projekt wird angestrebt, ländliche Regeneration durch den Einsatz des örtlichen Kultur- und Naturerbes zu ermöglichen. Gemeinsam mit einer Vielzahl internationaler Partner soll damit das Ziel verwirklicht werden, kommunale Entwicklung zu fördern. Ländliche Regionen sollen dabei unterstützt werden, ihre Potenziale zu erkennen und dann die Möglichkeiten zu ergreifen, die sich aus ihrem vielfältigen Natur- und Kultur-Erbe ergeben. Sechs Schlüsselthemen Im Zuge des RURITAGE-Projekts werden sechs Schlüsselthemen betrachtet, sogenannte systemische Innovationsbereiche: Wallfahrt nachhaltige Nahrungsmittelproduktion Migration Kunst und Feste Resilienz integriertes Landschaftsmanagement Diese Bereiche spiegeln wider, wie Kultur- und Naturerbe als Treiber wirtschaftlichen und sozialen Wachstums sowie als natürliches Regeneration ländlicher Regionen durch Natur- und Kulturerbe Lebensräume, ländliche Regionen, Resilienz, Stadt-Land- Gefälle, Kultur- und Naturerbe Intza Balenciaga Die aktuelle globale Pandemie beeinträchtigt Lebensgemeinschaften weltweit. Bisher waren es im Wesentlichen Städte, die aufgrund der COVID-19-Pandemie in der Öffentlichkeit standen. Doch auch die Folgen der Krise für ländliche Regionen und Gemeinden sollten nicht unterschätzt werden. Auf der einen Seite zeichnen sich diese Regionen aus durch Solidaridät, gute Netzwerke, bessere Zusammenarbeit und Gemeinschaftssinn. Mit der Fähigkeit zur Resilienz steigern sie den Wert ihrer lokalen Resourcen, ihres Kultur- und Naturerbes sowie des menschlichen Zusammenlebens. Trotzdem kämpfen sie damit, passende Lösungen für ihre verletzlichen Lebensräume zu finden. Tendenziell verschärft wird die Situation durch eine geringere Ressourcenverfügbarkeit und größere Isolation. Bild 1: Intergration von Migranten auf der Insel Lesbos im UNESCO Geopark. © UNESCO Geopark „Erhebliche Entfernungen zu den Zentren verhindern den Zugang zu vielen Angeboten und Dienstleistungen. Ländlichen Regionen mangelt es an guten Verkehrsverbindungen, diese werden entweder selten bedient, sind unregelmäßig oder fehlen ganz. Ein Ausbau des Transportwesens ist aber oft zu teuer. Auf der Suche nach besseren Jobs, zieht es die jüngere Bevölkerung in wirtschaftlich besser aufgestellte Gebiete. Denn in ländlichen Regionen sind die beruflichen Chancen meist begrenzt und auf bestimmte Berufsfelder beschränkt. Folge ist eine stagnierende Wirtschaft und eine stetig älter werdende Bevölkerung, denn die Geburtenrate sinkt, weil die jungen Leute fehlen. Gerade in Post- Covid-19-Zeiten könnten ländliche Regionen jedoch als idyllische ‚naturnahe‘ Orte für alternative Lebensstile stehen. Kultur- und Naturerbe kann inspirieren und neue ökonomische Aktivitäten anziehen und dabei eine nachhaltige Entwicklung fördern.” DR. CRISTINA GARZILLO LEEMHUIS, ICLEI: 32 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Gleichgewicht auf ländliche Regionen und ihre Bewohner wirken. Das RURITAGE-Paradigma hat zum Ziel, das einzigartige Potenzial des vorhandenen Erbes weiterzuentwickeln und so die Transformation der ländlichen Regionen zu Vorzeige-Laboratorien nachhaltiger Entwicklung anzuregen. Dabei versteht man bei RURITAGE den Begriff Natur- und Kultur-Erbe im weiteren Sinne: natürlich und kulturell sowie materiell und immateriell. Anhand bereits gesammelter Erfahrungen bei beispielhaften Projekten sollen für andere ländliche Regionen, die um ihren Handlungsbedarf wissen und die ihre Situation verbessern wollen, auf dieser Grundlage entsprechende Langzeitstrategien entwickelt und Hilfestellung bei der Gestaltung und Umsetzung gewährt werden. Mit gutem Beispiel voran Als Vorbild gelten erfolgreiche Fallbeispiele, die sich durch Einbezug des örtlichen Kultur- und Naturerbes regeneriert haben. Das Erbe war dabei möglichst ausgewogen - sowohl Treiber sozialer Inklusion als auch von Wirtschaftswachstum. Inzwischen liegt eine ganze Reihe guter Beispiele vor, die im Rahmen des Projekts dokumentiert wurden und nun anderen Regionen als Vorlage dienen können, um dort eigene Regenerations-Pläne zu strukturieren. Ein Ziel ist, ländliche Regionen darin zu unterstützen, innovative Steuerungsmodelle anzuwenden, beispielsweise Methoden der Bürgerbeteiligung, die bei der Ausbildung neuer Fertigkeiten und Kenntnisse bei der lokalen Bevölkerung hilft. Dafür ist die umfangreiche Untersuchung bestehender Geschäfts- und Steuerungsmodelle sowie der regulatorischen Rahmenbedingungen notwendig. Das Natur- und Kultur-Erbe kann nur ein starker wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Treiber sein, wenn der Wissenstransfer zwischen den Regionen als gegenseitiger Lernprozess verstanden wird. So sollten Vorbildregionen und Nachahmer ihre Erfahrungen austauschen und dabei ihre Expertise und ihre Fähigkeiten jeweils anpassen und erweitern. Erfolgsmodell Living Labs Eines der Schlüsselelemente für den Wissenstransfer ist der Aufbau sogenannter Living Labs - also Zentren für ländliches Erbe. Dort können Ideen in konkrete Aktionspläne für ländliche Entwicklung umgesetzt werden. Wesentlicher Faktor ist dabei, die gemeinsame Entwicklung als auch die gemeinsame Umsetzung von Maßnahmen zu verbinden. Dabei werden die Auswirkungen vor Ort direkt erfasst und kontrolliert. Wissenplattform im Internet Die gesammelten Informationen werden auf einer gemeinsamen Online-Plattform, dem RURITAGE Resource Ecosystem, unter www. ruritage.eu zur Verfügung gestellt. Dort zu finden sind unter anderem eine interaktive Karte der teilnehmenden Regionen, „Um den Anforderungen für lokale Nachhaltigkeit gerecht zu werden, hat sich auf europäischer Ebene in den letzten Jahren die Notwendigkeit der Zusammenarbeit von Praktikern verschiedenster Richtungen herauskristallisiert. Durch den gegenseitigen Austausch werden Strategien, Ansätze und Lösungen für eine Reaktivierung und Regenerierung ländlicher Regionen und/ oder Kulturlandschaften entwickelt, vorgestellt und dokumentiert.” DR. CRISTINA GARZILLO LEEMHUIS, ICLEI: Bild 2: Lokale Nahrungsmittelproduktion in den Fischgründen im Magma UNESCO Global Geopark. © UNESCO Global Geopark 33 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum ein digitaler Entscheidungsfinder oder eine Werkzeugkiste zur Bürgeraktivierung, das „My Cult- Rural Toolkit“. Die Informationen und Tools, Strategien und Planspiele, die auf der Webseite zur Verfügung stehen, sowie eine Reihe von Berichten über Praxisbeispiele sind eine profunde Quelle und bieten reichlich Anregungen für eigene Ideen und Projekte im ländlichen Raum. Mit dieser Wissensplattform sollen regionale, nationale, europäische und globale Richtlinien etabliert werden, um das Natur- und Kultur-Erbe in ländlichen Regionen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Als einer der zahlreichen Experten ist ICLEI Europe für die Auswertung und den Einbezug der Europäischen Richtlinien sowie internationaler Erkenntnisse verantwortlich. Darüber hinaus organisiert ICLEI den Austausch der an dem Projekt beteiligten Akteure. Resilientes Land Das Bewusstsein für die Möglichkeiten zu Veränderung im ländlichen Raum wurde gestärkt. Strategien zur nachhaltigen Regeneration von Natur- und Kultur-Erbe wurden entwickelt. Um diese vielversprechenden Ansätze zu erhalten und fortzuführen und um die weitreichenden Auswirkungen von COVID-19 so gering wie möglich zu halten, haben die Projektpartner Programme und Methoden geschaffen, die eine Umsetzung und Weiterentwicklung des Projektes einfach und für alle möglich gestalten. So initiierte RURITAGE einen öffentlichen Aufruf für einen Aktionsplan für mehr Resilienz, um ländlichen Gemeinden Rückhalt zu geben und Erfahrungen zu teilen, wie mit den Herausforderungen von Covid-19 umgegangen werden kann. Die aktuelle Krise stellt die Resilienz der Menschen und ihrer Lebenswelt auf den Prüfstand. Gleichzeitig haben sich dadurch auch Möglichkeiten für ländliche Regionen offenbart. Das RURITA- GE-Projekt hat viele Maßnahmen zur Resilienz-Förderung für länd- „Ländliche Regionen haben das Potenzial, Innovationen anzuregen. Sowohl mit relevanten Startups, kleineren Manufakturen und lokalen ‚Machern‘, als auch mithilfe der Kultur- und Kreativ-Branchen, inklusive IT-Branche, Handwerksbetrieben etc. Ein integrierter, auf Natur- und Kulturerbe basierter Ansatz verschafft ländlichen Regionen Möglichkeiten für Wachstum und nachhaltige Entwicklung und somit Akzeptanz und Verständnis für die Diversität des kulturellen Erbes. Mittels Innovationen können auch solche Gebiete Resilienz entwickeln, die mit Gefahren durch Naturereignisse oder andere plötzliche Notlagen konfrontiert sind.” DR. CRISTINA GARZILLO LEEMHUIS, ICLEI: liche Regionen aus ganz Europa gesammelt, die als Inspiration für alle ländlichen Gemeinden dienen können und die einen wertvollen internationalen Dialog ermöglichen. Weitere Schritte sind nun, aus dem Wissen und den Erfahrungen eine anerkannte Marke für die Regeneration von Kultur- und Naturerbe zu schaffen und - neben dem RURITAGE Fotowettbewerb - bald eine Sommerakademie sowie ein Masterprogramm zu starten. Intza Balenciaga Officer Governance & Social Innovation ICLEI - Local Governments for Sustainability Kontakt: intza.balenciaga@iclei.org Übersetzung: Annika Burger, ICLEI AUTORIN Bild 3: „Urzel“ inCincu, Transylvanien. © Vlad Dumitru
