Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0064
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Wie „heimisch“ können Arten sein?
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Sandra Sieber
Im Zuge des Bienen- und Insektensterbens rücken „heimische“ Pflanzenarten in den Fokus. Sie sollen bestimmten Tieren Nahrung und Lebensraum bieten, auch als Teil von innerstädtischen Freiflächen. Auf der anderen Seite erfreuen sich aber auch „Neophyten“, wie die Präriestauden, großer Beliebtheit. Die Standpunkte „NUR heimische Arten!“ und „AUCH nicht-heimische Arten!“ werden teils erbittert diskutiert. Gute Argumente finden sich für beide Positionen. Dennoch ergeben sich in Bezug auf das Konstrukt „heimische Arten“ einige fachliche und leider auch politische Fragen.
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72 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Land · durchgrünte Stadt Wovon ist hier eigentlich die Rede? Um die Begrifflichkeiten und Definitionen im Kontext von „heimischen Arten“ und „Neophyten“ verstehen zu können, braucht es einen Blick zurück, sehr weit zurück: Bedingt durch wiederkehrende Eiszeiten hat sich das Artenspektrum in Mitteleuropa immer wieder drastisch verändert und reduziert (Bild 1 und Bild 2). Nach der letzten Eiszeit, vor etwa 13 000 Jahren, mussten die meisten Arten erst wieder einwandern. Das konnte „von selbst“ geschehen, aber auch mithilfe von Tieren, die auf ihrer Wanderschaft Samen transportierten sowie, ungewollt oder bewusst, durch den Menschen. Der anthropogene Einfluss bei der Artenentwicklung in Mitteleuropa ist schwer abzuschätzen, sollte aber keinesfalls unterschätzt werden. So wird zum Beispiel davon ausgegangen, dass verbreitete Arten wie Buche und Haselnuss bei ihrer Ausbreitung deutlich vom Menschen profitierten. Leichter ersichtlich ist es bei den Ackerkulturen und ihrer Begleitflora, die sich ohne anthropogenen Einfluss deutlich später oder gar nicht etabliert hätten. [1, 2] Die frühen Siedlungsgebiete waren dabei durchaus nicht isoliert. Bereits für die Bronzezeit wird von einem weitreichenden Handelsnetz ausgegangen, das vom heutigen England bis in die heutige Türkei und Israel reichte. Die Geschichte der Arten Mitteleuropas lässt sich also durchaus als eine anthropogen beeinflusste Koevolution lesen. Auf dieser komplexen Ausgangslage aus Verdrängung, Einwanderung und Einführung bauen unsere Definitionen auf. Die oben geschilderte Ausgangslage macht bereits deutlich, dass Definitionen immer auf Rahmenbedingungen basieren: Was ist der Stand der Forschung? Wie werden historische Entwicklungen gewertet. Mit welchen Wertungen sind Definitionen insgesamt verbunden? Nach Kowarik wird international (und wertfrei) von „einheimischen Arten/ Indigenen“ (Entstehung/ Etablierung ohne anthropogenen Einfluss) und „nicht-heimischen Arten/ Neobiota“ (Entstehung/ Etablierung mit anthropogenen Einfluss) ausgegangen [3]. Davon abweichend, subsumierte das deutsche Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) in seiner Fassung von 2009 auch etablierte Neobiota unter dem Begriff der „heimischen Arten“. Diese Definition (§ 7, Abs. 2, Punkt 7 und 8) ist inzwischen entfallen. Geblieben ist nur eine Unterscheidung in seit mindestens 100 Jahren etablierte und in nicht seit mindestens 100 Jahren etablierte Arten (§ 40, Abs. 1). Weitere Begrifflichkeiten (bezogen auf Pflanzen) sind in diesem Kontext die „Archäophyten“ also „nicht-heimischen Arten“, die vor 1492 (vor der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus) in Europa etabliert wurden. „Neophyten“ wiederum werden auch Pflanzen genannt, die erst nach 1492 in Europa etabliert wurden. Es wird also zwischen älteren „Neophyten“ und neueren „Neophyten“ unterschieden, um den quantitativen Unterschied zwischen vorneuzeitlicher und neuzeitlicher Artenverbreitung zu kennzeichnen. [3] Aus gärtnerischer Sicht sind diese - eher auf die Artenentwicklung abzielenden Definitionen - nur bedingt hilfreich. Sie machen aber deutlich, dass „heimisch“ nicht mit einer Lokalisierung in modernen Territorialstaaten gleichgesetzt werden kann. Dagegen spricht schon die weite Verbreitung vieler europäischer Arten, zum Beispiel des Günsels (Ajuga reptans), dessen Verbreitung von Europa bis Nordafrika reicht. Auf der anderen Seite gibt es Arten, Wie „heimisch“ können Arten sein? Überlegungen zu einem fachlich wie politisch nicht leicht zu bewertenden Thema Städtische Freiflächen, Ökosysteme, Biodiversität, heimische Pflanzenarten, Neophyten Sandra Sieber Im Zuge des Bienen- und Insektensterbens rücken „heimische“ Pflanzenarten in den Fokus. Sie sollen bestimmten Tieren Nahrung und Lebensraum bieten, auch als Teil von innerstädtischen Freiflächen. Auf der anderen Seite erfreuen sich aber auch „Neophyten“, wie die Präriestauden, großer Beliebtheit. Die Standpunkte „NUR heimische Arten! “ und „AUCH nichtheimische Arten! “ werden teils erbittert diskutiert. Gute Argumente finden sich für beide Positionen. Dennoch ergeben sich in Bezug auf das Konstrukt „heimische Arten“ einige fachliche und leider auch politische Fragen. 73 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Land · durchgrünte Stadt die auf ein sehr begrenztes Verbreitungsgebiet beschränkt sind und gerade durch diese Spezialisierung keine oder kaum Bedeutung für die gärtnerische Praxis haben. Steiger führt hier das Edelweiß und die Strandaster als Beispiele an [4]. Relevant für die gärtnerische Praxis sind allerdings die „invasiven“ Arten. Hier nennt die „Unionsliste“ 12 Pflanzen, die in Deutschland vorkommen und als invasiv gewertet werden. Nur für die Arten der „Unionsliste“ besteht ein Besitz- und Vermarktungsverbot und ihre Ausbreitung soll mit geeigneten Maßnahmen verhindert bzw. verringert werden.-[5, 6] Um als „invasiv“ zu gelten, muss eine Pflanze ein nachweisbares, deutliches Schadenspotenzial aufweisen, denn ein Handelsverbot ist ein gravierender Eingriff in wirtschaftliche Prozesse (zum Beispiel der Baumschulen) und muss daher gut begründet werden. Die Fähigkeit zur Selbstaussaat - wie bei Cosmeen im Garten - ist noch kein Schadenspotenzial. [7] Alles kein Problem? Die politische Dimension Wer einmal in eine Diskussion zum Thema „heimische Arten“ geraten ist weiß, hier kann es hoch hergehen. Anders als es die trockenen Gesetzestexte und Definitionen vermuten lassen, ist das Thema stark emotional besetzt. Im Kern der Kontroverse lassen sich bei der Pflanzenverwendung zwei Argumente finden, die tatsächlich gegen die Verwendung neuer Arten sprechen: Sie können durch ihre Konkurrenzstärke oder ihr gesundheitliches Gefahrenpotenzial problematisch werden und sie sind für spezialisierte Tiere, die auf bestimmte Pflanzen als Nahrungsspender oder Kinderstube angewiesen sind, nicht oder nur eingeschränkt nutzbar. Hinter der Idee, (vermeintlich) „heimische Pflanzen“ einzusetzen steht immer auch der Wunsch, eine bestimmte, als „heimisch“ gedachte Artenzusammensetzung zu schützen. In einer Broschüre zum Thema heißt es dann beispielsweise: In „Naturgärten wachsen Pflanzen, die es außerhalb des Gartenzaunes kaum noch gibt, nämlich die Vielfalt der einheimischen Wildpflanzen, Lebensgrundlage für eine Fülle von heimischen Tierarten“. [8] Die Formulierung „einheimische Wildpflanzen“ steht hier für bestimmte Vorstellungen von „Natur“ und „Heimat“. Sie verweist auf etwas (vermeintlich) archaisches, das „unberührt“ ist von menschlichen Einflüssen und damit irgendwie „gut“. Diese Vorstellung einer (vermeintlich) bedrohten „unberührten Natur“ und ihrer besonderen Wertigkeit haben wir im Wesentlichen dem Konservatismus des 19. Jahrhunderts und seiner Idee organischer Einheiten zu verdanken. Tradition, Eigenart und regionale Vielfalt spielen in diesem Weltbild eine große Rolle und lassen sich durchaus auf die Suche nach nationaler Identität seit dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert zurückführen. [9] Prägend für diese konservative Auffassung von Natur- und Heimatschutz war der „Bund Heimatschutz“. Für seine Protagonisten hatte die bäuerliche, vorindustrielle Agrarlandschaft und das, was sie für Wildnis hielten, einen großen Wert. Diese „unberührte Natur“ stand unter anderem für „urwüchsige“ Tradition, lokale wie nationale Identität, aber auch für Bild 2: Die Arten und das Eis - Auswirkung der Eiszeiten auf die Artenvielfalt und -zusammensetzung in Mitteleuropa. Neben den Eismassen schränkten auch die Gebirgszüge die Wanderungsbewegung der Arten ein. © Sieber Bild 1: So stellt man sich „heimische Arten“ vor, oder nicht? © Sieber THEMA Urbanes Land · durchgrünte Stadt 74 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Land · durchgrünte Stadt eine (moralisch wie genetische) Revitalisierung des Volkes. Die Landbevölkerung wurde zum Bollwerk gegen (vermeintliche) urbane Vermassung und Proletarisierung, aber auch gegen eine als „unnatürlich“ empfundene Kultivierung und Intellektualisierung stilisiert. [10] Landbevölkerung und (Kultur-)Landschaft wurden als organische, gewachsene Einheit gedacht. Auch das Zusammenspiel der Arten und ihrer Lebensräume wird so zur organischen Einheit, mit einem gedachten Gleichgewicht bzw. Entwicklungsziel (Klimaxgesellschaften). [11] In der Pflanzenverwendung von heute heißen diese gedachten Gegenpole von „Urwüchsigkeit“ und „Über-Kultur“, „globalem Nomadentum“ und „lokaler Tradition“ dann „Wildstaude“ versus „gärtnerische Züchtung/ Auslese“, „heimische Art“ versus „Neophyt“. Auch wenn die tatsächlichen Definitionen dabei schnell verwischen (Bild 3). Problematisch ist diese Tradition des konservativen oder organizentrischen Naturschutzes nicht nur wegen ihre Zuschreibungen und begrifflichen Unschärfe. Sie bietet auch Andockstellen für rechte, bzw. neu-rechte Weltbilder. Insbesondere das Konzept des Ethno-Pluralismus ist hier hochgradig anschlussfähig [12]: So haben aus der Sicht eines organizistischen Naturschutzes alle Arten ihre Berechtigung, solange sie nicht in (vermeintlich) fremde Gebiete einwandern und die (vermeintlich) „heimische Natur“ nicht unterwandert/ verdrängt wird. Gleiches gilt im Ethno-Pluralismus: Hier haben alle Ethnien ihre Berechtigung, solange sie nicht in (vermeintlich) fremde Gebiete einwandern und das (vermeintlich) heimische Volk nicht unterwandert/ verdrängt wird (daher der Mythos vom „großen Austausch“). „Neu“ oder „fremd“ zu sein, wird in dieser Weltsicht immer zum Problem, egal ob von Geflüchteten gesprochen wird, oder von Cosmeen … Dass es sich hier nicht nur um flüchtige Ähnlichkeiten handelt [12], die mit einem „Ist doch nicht politisch gemeint“ ausgeräumt werden können, zeigt ein Blick auf alternative Naturschutzkonzepte. Im progressiven oder prozessorientierten Naturschutz existieren keine organisch gewachsenen Artenzusammensetzungen, kein statischer und damit künstlich zu erhaltender Zielzustand und auch keine Wertung bestimmter Arten/ Artenzusammensetzungen. Arten wanderten schon immer, reisten mit den Menschen, so auch heute. Es gibt keine „heimische Natur“, die Neuankömmlinge verändern könnten, da „Natur“ immer Wandel, Veränderung und auch Verdrängung bedeutet. [11] Das Nebeneinander beider Sichtweisen macht deutlich: „Natur“ ist immer ein gedachtes Konstrukt. Es gibt den Baum, den Stein und den Vogel, aber erst weltanschauliche Konzepte und Wertungen machen daraus eine schützenswerte „heimische Natur“ oder „bedrohliche Invasoren“. Die gedachte Natur ganz praktisch Für die gärtnerische Praxis ergeben sich aus diesen abweichenden Sichtweisen einige Probleme. An erster Stelle steht der unscharfe oder inflationäre Umgang mit Begriffen wie „invasiv“, „Neophyt“ und „heimisch“. In Bezug auf die politischen Implikationen bietet die „Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN)“ Informationsmaterial und Handreichungen. [13] In Planung und Ausführung fehlt zudem oft das Fachwissen im Umgang mit Arten, die gärtnerisch und gestalterisch bislang kaum beachtet wurden (Bild 4). Sind gärtnerische Experimente im eigenen Garten und bei enthusiastischen Privatkunden kein Problem, können sie beim skeptischen Unternehmen im Gewerbegebiet schnell zu Enttäuschung oder Verärgerung führen. Nicht umsonst ist der (vermeintlich) berechenbare „Schottergarten“ so beliebt. Steiger rät zum Beispiel ab von Wiesenexperimenten und empfiehlt Staudenpflanzungen, die in Erscheinung (Blühdauer und Artenzusammensetzung) und Pflege besser zu handhaben sind. [4] Dazu kommen möglicherweise fehlende Bezugsquellen, insbesondere wenn es um „gebietsheimische“ Arten und Saatgut geht, die seit März 2020 für Planungen im Außenbereich verbindlich sind (§ 40, Abs. 1 bis Abs. 3). [14] Dem skeptischen Unternehmen dürfte es zudem gleichgültig sein, ob es „heimische“ Arten oder „Neophyten“ sind, die sich in jeder Ecke des Grundstücks aussamen und so „invasiv“ werden. „Heimisch“ oder nicht, ist bei der Pflanzenauswahl immer nur ein Kriterium unter vielen. Offen ist auch, wie Züchtungen, Kreuzungen und gärtnerische Auslesen (zum Beispiel: Ajuga reptans ‚Atropurpurea‘ ), in das Konstrukt der „heimischen Bild 3: „Natur“ ist immer auch ein gedachtes Konstrukt, das - je nach Anschauung und Wertung - bestimmte Elemente inkludiert und andere exkludiert. © Sieber 75 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Land · durchgrünte Stadt Wildpflanzen“ passen. Gerade hier wird deutlich, wie sehr Wertungen und Zuschreibungen die Sicht auf Pflanzen und den Umgang mit ihnen beeinflussen. Auch Aspekte der sozialen Kontrolle und der subjektiven Sicherheit spielen eine Rolle: Ein Minimum an Gestaltung und Pflege muss ablesbar sein, damit es nicht zu Vermüllung der Flächen, fehlendem Sicherheitsgefühl oder auch der Abwertung als „Unkrautfläche“ kommt. [15] Auch die gärtnerischen Geschmäcker sind verschieden. Zudem können Zielkonflikte aufkommen, wenn etwa städtische Gestaltungsvorgaben auf vermeintlich „heimische Arten“ abzielen. Eine große Vielfalt an gärtnerisch bewährten Arten kann zu einer Begrünung vieler Flächen führen, da es sich um ein niedrigschwelliges Angebot handelt. Die Reduktion auf „heimische Arten“ kann durch fehlende Erfahrung Skepsis hervorrufen. Mangelnde Fachkenntnis bei Planung und Pflege führen schlimmstenfalls zu unattraktiven Pflanzungen, die ebenfalls nicht zur Nachahmung einladen. Hier kann der Zweck einer Fläche als Richtschnur dienen: Hecken rund um große Gewerbeflächen oder angrenzend an den Außenbereich, können sich problemlos (und kostengünstig) an Empfehlungen für „gebietsheimische Gehölze“ im Agrarraum orientieren. Für (kleine) Beete mit hoher repräsentativer Funktion können auch bewährte gärtnerische Konzepte (unabhängig von der Herkunft der Arten) eine gute Option sein und sind in jedem Fall besser als „Schottergärten“. Für Brachflächen kann auch das (kontrollierte) Belassen der Spontanvegetation infrage kommen, denn hier haben sich ja gerade Arten angesiedelt, die gut zum Standort passen. Warum nicht diese echte Wildnis zulassen und inszenieren, statt Vorstellungen einer „natürlichen Natur“ mit Bagger und Schüttgütern zu realisieren, wie Lucius Burckhardt schon in den 1980er-Jahren spitzfindig polemisierte. [16] Auch Fragen des Ressourcenschutzes stellen sich beim Thema „heimische Arten“: Sand und Kies sind global immer knapper werdende Rohstoffe. Ist es „nachhaltig“, Lebensräume im Außenbereich abzubaggern, um Trockenbeete/ Magerwiesen im Innenbereich anzulegen? Welche Transportwege/ -emissionen werden hier aufgewendet? Unter welchen sozialen Bedingungen wurden die Schüttgüter abgebaut? Erschreckend ist auch die Bedenkenlosigkeit, mit der in Bauanleitungen für Magerwiesen, der Abtrag von fruchtbarem Oberboden empfohlen wird, der vielleicht wichtigsten Ressource überhaupt. An der Konjunktur der Magerwiesen (ungeachtet der tatsächlichen Standortverhältnisse) lässt sich auch gut der Einfluss wechselnder Naturschutz-Moden bis in den Naturschutz hinein ablesen: In den 1980ern waren es die Feuchtbiotope. [16] Letztlich muss auch die Frage gestellt werden, wie „natürlich“ ein „Naturgarten“ ist, der überkommene, historische Kulturlandschaftsformen (zum Beispiel Magerwiesen als Relikt von Überweidung) nachstellt? Es sind eben gerade keine „einheimischen Wildpflanzen“, die hier präferiert und erhalten werden sollen, sondern Arten früherer Kulturlandschaften! Vom Waldsaum, über Wiese, Acker und Feldhecke bis zum vermeintlich naturnahen Wald: Sie alle sind durch anthropogenen Einfluss entstanden, ihre Artenvielfalt ist nicht „natürlich“ (in der Definition des „von selbst“ Entstandenem). Wertvoll und schützenswert können diese Arten der historischen Kulturlandschaft dennoch sein! Nur eben ohne den Mythos der „unberührten Natur“. Bild 4: Anspruch und Wirklichkeit: Auf welchen „fachlichen Standard“ (siehe oben und Mitte) bauen Freiflächengestaltung und -pflege auf und kann die „insektenfreundliche Bepflanzung“ (unten) dann wirklich besser gelingen? © Sieber 76 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Land · durchgrünte Stadt Auch in Bezug auf den Klimawandel kann nicht davon ausgegangen werden, dass vermeintlich „heimische Arten“ die zunehmenden Wetterextreme durchweg besser vertragen (Stichwort „Kleine Eiszeit“! ). Standort- und Pflanzenkenntnisse sind gefragt, wenn es um ihren Einsatz im anthropogen veränderten Innenbereich geht. Bei der Suche nach dem „Stadtbaum der Zukunft“ oder Empfehlungen für Bäume im urbanen Raum, werden daher pragmatisch Arten unterschiedlicher Herkunft getestet. [17] Ausblick Der Erhalt besonders spezialisierter Arten und das Vorsorgeprinzip beim Umgang mit unbekannten Arten sprechen durchaus für die gärtnerische Verwendung etablierter Arten. Daher zum Abschluss keine Empfehlung, sondern Fragen: Welche Erfahrungen haben Kommunen mit den „heimischen Arten“, insbesondere bei den krautigen Pflanzen (Stauden und Gräser)? Welche etablierten Mischungen/ Pflanzkonzepte gibt es bereits und wie haben sich diese in der Praxis bewährt? Damit die biologische Vielfalt im urbanen Raum in jede Richtung gedeihen kann, würde sich das Forschungsprojekt „Gewerbegebiete im Wandel“ [18] über Berichte und den Austausch positiver wie negativer Erfahrungen sehr freuen. Sie könnten die Basis für weitere gute, in Gestaltung und Pflege gelungene Pflanzungen im Stadtgebiet sein. LITERATUR + QUELLEN [1] Küster, H.: Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa - Von der Eiszeit bis zur Gegenwart, 4., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, C. H. Beck Verlag, München, 2010. [2] Poschlod, P.: Geschichte der Kulturlandschaft - Entstehungsursachen und Steuerungsfaktoren der Entwicklung der Kulturlandschaft, Lebensraum- und Artenvielfalt in Mitteleuropa, 2., aktualisierte Auflage, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 2017. [3] Kowarik, I.: Biologische Invasionen - Neophyten und Neozoen im Mitteleuropa, Ulmer Verlag, 2010, S. 21. [4] Steiger, P.: Heimische Wildstauden im Garten - Attraktiv und naturnah gestalten, Ulmer Verlag, Stuttgart, 2020, S. 11 und S. 32. [5] Amtsblatt der Europäischen Union: Verordnung (EU) Nr. 1143/ 2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten, Artikel 4, https: / / eurlex.europa.eu/ legal-content/ DE/ TXT/ PDF/ ? uri=CELE X: 32014R1143&from=EN [6] Bundesamt für Naturschutz (BfN): Unionsliste - Die Verordnung (EU) Nr. 1143/ 2014 über invasive Arten, https: / / neobiota.bfn.de/ unionsliste.html [7] von Vietinghoff, J., Kühn, N.: Präriepflanzungen in Deutschland - Ein Resümee nach 20 Jahren Erfahrungen, Stadt+Grün, Ausgabe 11 (2019), S. 29 - 34. [8] Naturgarten e. V.: Handbuch invasiver Neophyten - Erkennung, Vermeidung und Bekämpfung, Heilbronn, (2018) S. ii, https: / / www.naturgarten.org/ fileadmin/ Daten%20alte%20Website/ dokumente/ service/ Handbuch_final_weiss_drucker.pdf. [9] Kallscheuer, O., Leggewie, C., Wehler, H. U. und Giesen, B., Junge, K., Kritschgau, C., Schmidt, H. - Aufsätze in: Berding, H. (Hrsg.): Nationales Bewußtsein und kollektive Identität - Studien zur Entwicklung kollektiven Bewusstseins in der Neuzeit 2, 6. Auflage, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1999. [10] Sieferle, R. P.: Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, Verlag C. H. Beck, München, (1984) S. 167 - 173 und S. 183 - 192. [11] Voigt, A: Wie sie ein Ganzes bilden - analoge Deutungsmuster in ökologischen Theorien und politischen Philosophien der Vergesellschaftung. In: Kirchhoff, T., Trepl, L. (Hrsg.): Vieldeutige Natur - Landschaft, Wildnis und Ökosystem als kulturgeschichtliche Phänomene, transcript Verlag, Bielefeld, (2009) S. 331 - 348. [12] Sowohl der Ethno-Pluralismus wie das Konzept der organischen Einheit werden ideengeschichtlich auf Herder zurückgeführt. [13] Fachstelle Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN): Rechtsextreme Ideologien im Natur- und Umweltschutz - Eine Handreichung, 2018. https: / / www.nf-farn.de/ system/ files/ documents/ handreichung1_farn_fuer_web.pdf. [14] Plietzsch, A.: Zur Verwendung von gebietseigenen Gehölzen - Ein Ausblick aus sachverständiger Sicht, erschienen in: ProBaum, Ausgabe 1 (2020), S. 12 - 17. [15] Reif, J.: CityTrop - Projekte und Pflanzen für die grünen Städte von morgen, Ulmer Verlag, Stuttgart, (2017) S. 48 f. [16] Burckhardt, L.: Warum ist Landschaft schön? Martin Schmitz Verlag, 2. Auflage (2008), S. 47 f. [17] Forschungsprojekt Stadtgrün 2021 - Neue Bäume braucht das Land, https: / / www.lwg.bayern.de/ landespflege/ gartendokumente/ merkblaetter/ 078855/ index.php sowie Straßenbaumliste der GALK, https: / / www.galk.de/ arbeitskreise/ stadtbaeume/ themenuebersicht/ strassenbaumliste. [18] „Grün statt grau - Gewerbegebiete im Wandel“, Verbundprojekt im Rahmen des Forschungsprogramms „Nachhaltige Transformation urbaner Räume“, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, http: / / gewerbegebiete-im-wandel.de/ . Dipl.-Ing. (FH) Sandra Sieber Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachgebiet Entwerfen+Freiraumplanung an der TU Darmstadt Kontakt: sieber@freiraum.tu-darmstadt.de AUTORIN
