eJournals Transforming cities 5/3

Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0066
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Vogelschutz in Großstädten

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Indra Starke-Ottich
Fabian Schrauth
Andreas Malten
Thomas Gregor
Eine der großen Herausforderungen der zukünftigen Stadtentwicklung ist es, menschliche Nutzungsansprüche mit dem Erhalt der Biodiversität in Einklang zu bringen. Dabei sind Vögel – genau wie andere Artengruppen – auf einen wirksamen Schutz ihrer Lebensräume angewiesen, um langfristig in unseren Städten leben und sich dort auch vermehren zu können. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Frage, welchen Beitrag Vogelschutzgehölze hierzu leisten können und wie sie zum Schutz seltener und gefährdeter Arten optimiert werden können.
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80 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Land · durchgrünte Stadt Der Vogelschutzgedanke entstand erst im Laufe des 19. Jahrhunderts, bis dahin wurden Vögel vor allem als Schädlinge in der Landwirtschaft oder auch als Nahrungsquelle wahrgenommen. Obwohl sich Vögel seither zu der Artengruppe mit der größten Lobby entwickelt haben - etwa im Vergleich zu Schnecken oder Heuschrecken - sind immer noch viele Arten im Rückgang begriffen oder sogar gefährdet. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde nach und nach deutlich, dass Städten eine besondere Bedeutung im Vogelschutz zukommt. Durch die Intensivierung der Landwirtschaft, Flurbereinigungsverfahren und weitere Veränderungen in der Landnutzung bietet das Umland heute verschiedenen Vogelarten schlechtere Bedingungen als die oft deutlich strukturreicheren Städte mit ihren Parks, Friedhöfen und Gärten. Vogelschutz in Frankfurt am Main In Frankfurt am Main werden, wie in vielen Städten, Vogelschutzmaßnahmen sowohl von amtlicher als auch von ehrenamtlicher Seite durchgeführt. Häufig steht dabei eine einzelne Art im Fokus, wie der in Hessen vom Aussterben bedrohte Flussregenpfeifer (Charadrius dubius). Ein Schwerpunkt liegt in der Regel auf der Bereitstellung künstlicher Nisthilfen, beispielsweise für den Weißstorch (Ciconia ciconia). Die Maßnahmen sind besonders erfolgreich, wenn die weiteren Lebensbedingungen im Stadtgebiet günstig für die Arten sind, wie es bei Wanderfalke (Falco peregrinus) und Mauersegler (Apus apus) der Fall ist, oder wenn zusätzlich Pflegeprogramme für den Lebensraum durchgeführt werden, zum Beispiel für den auf Streuobstwiesen lebenden Steinkauz (Athene noctua). Auch in Privatgärten ist das Anbringen Vogelschutz in Großstädten Wie effektiv sind Vogelschutzgehölze? Vogelschutz, Naturschutz, Stadtnatur, Stadtgrün, Wildtiere in der Stadt Indra Starke-Ottich, Fabian Schrauth, Andreas Malten, Thomas Gregor Eine der großen Herausforderungen der zukünftigen Stadtentwicklung ist es, menschliche Nutzungsansprüche mit dem Erhalt der Biodiversität in Einklang zu bringen. Dabei sind Vögel - genau wie andere Artengruppen - auf einen wirksamen Schutz ihrer Lebensräume angewiesen, um langfristig in unseren Städten leben und sich dort auch vermehren zu können. Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Frage, welchen Beitrag Vogelschutzgehölze hierzu leisten können und wie sie zum Schutz seltener und gefährdeter Arten optimiert werden können. Bild 1: (oben) Seit über 30 Jahren verfügt Frankfurt über ein Netzwerk aus Vogelschutzgehölzen. © A. Malten Bild 2: (unten) Neben Neubaugebiet und Bahntrasse: Wie viel Platz braucht Vogelschutz in der Stadt? © A. Malten 81 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Land · durchgrünte Stadt von Nisthilfen inzwischen sehr verbreitet. Davon profitieren vor allem häufige Arten wie Kohlmeise (Parus major) und Blaumeise (Cyanistes caeruleus). Eine andere Idee verfolgt das Konzept der Vogelschutzgehölze. Diese wurden erstmals zum Ende des 19. Jahrhunderts von Hans Freiherr von Berlepsch, einem Vorreiter des Vogelschutzes, eingerichtet. Sie sollten verschiedenen Vögeln Brutraum und Nahrung bieten, sowie Schutz und Deckung liefern [1]. Vogelschutzgehölze stellen keine offizielle Schutzkategorie im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes dar und sind auch nicht bundesweit einheitlich definiert. Es empfiehlt sich daher bei der Einrichtung von Vogelschutzgehölzen - gerade in dynamischen Städten mit wachsender Einwohnerzahl und hohem Baudruck - zu prüfen, ob andere Schutzkategorien wie „Geschützter Landschaftsbestandteil“ oder „Naturdenkmal“ angewendet werden können, um die Flächen langfristig zu sichern [2]. Wir definieren Vogelschutzgehölze als eindeutig abgegrenzte Strauch- und Baumbestände, die speziell im Sinne des Vogelschutzes ausgewiesen, gepflegt und entwickelt werden. Sie können in Teilbereichen Strukturen des Offenlandes und Gewässer aufweisen. Neben einer Förderung der Avifauna sind positive Effekte der Vogelschutzgehölze auf andere Artengruppen, zum Beispiel Fledermäuse, sowie auf das Stadtklima möglich. 1987 wurde die „Konzeption für den Vogelschutz in der Stadt Frankfurt am Main“ vorgelegt, welche basierend auf einem Gutachten von Möbus [3] ein Netzwerk aus Vogelschutzgehölzen im Stadtgebiet vorsah (Bild 1). Einige dieser Gehölze bestanden zu diesem Zeitpunkt bereits über mehrere Jahrzehnte und wurden durch ehrenamtliches Engagement gepflegt. Rund 30 Jahre später wurde das Forschungsinstitut Senckenberg vom Umweltamt der Stadt Frankfurt mit einer Evaluierung der Vogelschutzgehölze beauftragt. Dabei stellten sich unter anderem folgende Fragen: Können mit diesen Gehölzen Vögel im Stadtgebiet geschützt werden, die in anderen vorhandenen Strukturen, beispielsweise Gärten, keine passenden Lebensbedingungen vorfinden? Wie viel Raum muss die moderne Stadtplanung für den Vogelschutz vorsehen (Bild 2)? Untersuchung von Artenreichtum, Habitatausstattung und Beeinträchtigungen 2016 wurde eine Inventarisierung aller Flächen durchgeführt [4]. Dabei zeigte sich, dass die Gehölze, von denen bislang lediglich fünf durch eine offizielle Schutzkategorie dauerhaft gesichert sind, einer großen Dynamik unterliegen. Beginnend mit 20 Flächen in den 1980er Jahren, umfasste das Netzwerk 48 Flächen im Jahr 2010, allerdings waren nicht mehr alle Flächen aus der Anfangszeit darin enthalten. 2016 waren beim Grünflächenamt 46 Flächen als Vogelschutzgehölze verzeichnet. Jedoch zeigte sich bei der Inventarisierung, dass von diesen wiederum vier Flächen durch Nutzungsänderung nicht mehr den Anforderungen an ein Vogelschutzgehölz entsprachen. Aufgrund der vielen Nutzungsinteressen in Städten ist die langfristige Flächensicherung daher nicht zu unterschätzen und sollte von vornherein mitgedacht werden. Alle verbliebenen 42 Flächen wurden hinsichtlich Biotoptypenspektrum, Habitatausstattung und Beeinträchtigungen untersucht, charakteristische Pflanzenarten erfasst und eine Einstufung der avifaunistischen Wertigkeit vorgenommen. Für neun Flächen wurde die Wertstufe A (gut) vergeben, 31 der Wertstufe B (mittel) und nur 2 der Wertstufe C (schlecht) zugeordnet. Bild 3: Der Erhaltungszustand des Stieglitz (Carduelis carduelis) wird in Hessen als „ungünstigunzureichend“ eingestuft. Er brütet in einigen Frankfurter Vogelschutzgehölzen. © F. Schrauth Bild 4: Der Star (Sturnus vulgaris) wird deutschlandweit als gefährdet eingestuft. Er brütet in fast allen untersuchten Vogelschutzgehölzen. © F. Schrauth 82 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Land · durchgrünte Stadt In einem zweiten Schritt erfolgte eine Kartierung aller Vögel in 15 ausgewählten Vogelschutzgehölzen der Wertstufen A und B mit Flächengrößen zwischen 0,15 und 3,7 ha. Ein besonderer Fokus wurde dabei auf eine Reviererfassung der Brutvögel gelegt, deren Erhaltungszustand in Hessen als „ungünstigunzureichend“ oder „ungünstig-schlecht“ eingestuft wird (Bild 3), sowie aller Arten, die in Hessen oder deutschlandweit auf der Roten Liste stehen [5, 6]. In den untersuchten Vogelschutzgehölzen konnten insgesamt 56 Brutvogelarten nachgewiesen werden. Das sind rund ein Viertel der 217 in Hessen vorkommenden Brutvogelarten [5] und etwa die Hälfte der aus Frankfurt bekannten Brutvogelarten auf einer Fläche von nur 17,85 ha - das entspricht lediglich 0,07 % des Stadtgebietes! Darunter befanden sich 17 Arten mit ungünstigem Erhaltungszustand oder einer Gefährdungseinstufung in der Roten Liste. 15 Arten konnten allerdings nur in ein bis drei Vogelschutzgehölzen nachgewiesen werden. Häufig vertreten war einzig der Star (Sturnus vulgaris, Bild- 4), der deutschlandweit als gefährdet eingestuft wird und in 13 Gehölzen brütete. Darüber hinaus wurden 15 weitere Vogelarten beobachtet, vor allem als Nahrungsgäste. Einflussfaktoren auf den Artenreichtum Der Artenreichtum der Avifauna von Vogelschutzgehölzen und ihre Eignung als Habitat - insbesondere für gefährdete Arten - wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst. Setzt man die Anzahl der Brutvogelarten in Bezug zur Flächengröße, war bei den untersuchten Gehölzen eine Zunahme der Artenzahl mit steigender Fläche nachweisbar (Bild 5), wobei der Anstieg vor allem im Bereich unterhalb 1,5 ha am steilsten verlief. Die gleiche Tendenz war bei der Anzahl gefährdeter Arten im Verhältnis zur Flächengröße zu beobachten. Allerdings wurden auf Flächen mit einer Größe unter 0,5 ha gar keine gefährdeten Arten nachgewiesen. Um einen wirksamen Schutz durch Vogelschutzgehölze zu erreichen, wird daher empfohlen sich auf die Anlage und Pflege von Gehölzen mit einer Mindestgröße von 0,5 ha zu konzentrieren. In Frankfurt erreichen derzeit 24 der 42 Vogelschutzgehölze diese Größe nicht. Sie dienen hauptsächlich typischen Gartenvögeln wie Amsel (Turdus merula), Blau- und Kohlmeise als Bruthabitat, die allerdings nicht im Zentrum der Schutzbemühungen stehen, da sie auch vielfältige andere Lebensräume im Stadtgebiet besiedeln. Kleinen Gehölzen kann dennoch eine Bedeutung als Trittsteinbiotop zukommen und sie können als Lebensraum für andere Artengruppen eine Rolle spielen. Bild 5: Anzahl der Brutvogelarten in Abhängigkeit von der Flächengröße der Vogelschutzgehölze. © Senckenberg. Bild 7: Alte Bäume und Totholz als Teil der Vogelschutzgehölze fördern die ( Vogel-)Artenvielfalt. © A. Malten. Bild 6: Die Gehölze mit den meisten Brutvogelarten grenzen an Gewässer an. © A. Malten. 83 3 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbanes Land · durchgrünte Stadt Insbesondere für kleinere Gehölze, die bereits wertvolle Strukturen enthalten, wird empfohlen, diese zu erweitern, um zu einer Steigerung des Artenspektrums und zur Ansiedlung gefährdeter Arten beizutragen. Dabei zeigen die Ergebnisse, dass bereits eine Größe von 1 bis 1,5 ha ausreicht, um ein Spektrum von 25 bis 30 Arten inklusive einiger gefährdeter Arten zu beherbergen. Als weiterer Einflussfaktor auf den Artenreichtum stellte sich die Nähe zu Gewässern dar (Bild-6). So grenzten die vier Vogelschutzgehölze mit der höchsten Gesamtartenzahl und die fünf Gehölze mit der höchsten Zahl gefährdeter Arten an Gewässer. Auch bestimmte Strukturelemente können sich positiv auf den Artenreichtum auswirken. So lag die durchschnittliche Anzahl von Brutvogelarten in Gehölzen mit Altholzbestand und Baumhöhlen wie erwartet etwas höher als in Gehölzen ohne diese Elemente, was auf eine höhere Anzahl von Höhlen- und Nischenbrütern zurückgeführt werden konnte. Fazit Vogelschutzgehölze können in städtisch geprägten Lebensräumen ein wirksames Instrument zum Erhalt der Vogelvielfalt darstellen und auch das Vorkommen gefährdeter Arten fördern. Dabei ist allerdings eine Mindestgröße von 0,5 ha notwendig, damit nicht nur Vogelarten mit kleinen Territorien und geringen Habitatansprüchen profitieren, die auch in Parks und Gärten geeignete Lebensräume finden. Mit Vogelschutzgehölzen bis zu einer Größe von etwa 1,5 ha können bereits zahlreiche Arten gefördert werden. Wenn die Möglichkeit besteht, ist eine Anlage an begünstigten Strukturen wie Gewässern und das Einbeziehen von bereits vorhandenen Altbaumbeständen zu empfehlen (Bild 7), um eine höhere Habitat- und Strukturvielfalt zu gewährleisten. Um unerwünschten Nutzungen vorzubeugen und die Flächen langfristig zu erhalten, sollte zudem frühzeitig eine Sicherung durch eine Ausweisung in einer Schutzkategorie nach Bundesnaturschutzgesetz, zum Beispiel als „geschützter Landschaftsbestandteil“, erwogen werden. LITERATUR [1] Webseite vom Verein der Freunde der Vogelschutzwarte e.V. https: / / www.vogelschutzwarte.de/ dr-h-csittig-hans-freiherr-v-berlepsch.html, letzter Zugriff 21.7.2020. [2] Malten, A., Bönsel, D., Gregor, T., Starke-Ottich, I.: Vogelschutzgehölze - Raum für seltene Arten? In: Starke- Ottich, I., Zizka, G.: Stadtnatur in Frankfurt - vielfältig, schützenswert, notwendig. Senckenberg-Buch 82, 2019, S. 41 - 53. AUTOR*INNEN Dr. Indra Starke-Ottich Arbeitsgruppe Biotopkartierung Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Kontakt: indra.starke-ottich@senckenberg.de Fabian Schrauth, M. Sc. Arbeitsgruppe Biotopkartierung Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Kontakt: fabian.schrauth@senckenberg.de Dipl.-Biol. Andreas Malten Arbeitsgruppe Biotopkartierung Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Kontakt: andreas.malten@senckenberg.de PD Dr. Thomas Gregor Abteilung Botanik und Molekulare Evolutionsforschung Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Kontakt: thomas.gregor@senckenberg.de [3] Möbus, K.: Vogelschutzkonzept für die Stadt Frankfurt. Unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag des Garten- und Friedhofsamtes der Stadt Frankfurt, 1986. [4] Malten, A., Bönsel, D.: Bewertung der Vogelschutzgehölze im Stadtgebiet von Frankfurt am Main. Unveröffentlichtes Gutachten im Auftrag des Umweltamts der Stadt Frankfurt am Main, 2017. [5] Werner, M., Bauschmann, G., Hormann, M., Stiefel, D., Kreuziger, J., Korn, M., Stübing, S.: Rote Liste der bestandsgefährdeten Brutvogelarten Hessens. 10. Fassung. Staatliche Vogelschutzwarte für Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland und Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz. Frankfurt am Main und Echzell, 2014, 82 S. [6] Grüneberg, C., Bauer, H.-G., Haupt, H., Hüppop, O., Ryslavy, T., Südbeck, P.: Rote Liste der Brutvögel Deutschlands. 5. Fassung. Berichte zum Vogelschutz 52, (2015) S. 19 - 67.