eJournals Transforming cities 5/4

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0073
124
2020
54

Neue Impulse für einen nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebestand

124
2020
Alexandra Beer
Der energetische Bestandsumbau steht vor großen Herausforderungen. Integrierte Quartiersansätze bieten hier vielversprechende Möglichkeiten. Über verschiedene Veranstaltungen und Projekte ermöglicht der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung Fachakteuren hierzu einen interdisziplinären Austausch und entwickelt Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis. Die Vereinbarkeit von Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit, die Schaffung wirksamer Förderanreize, die Rolle der Kommunen oder die Potenziale von Sektorkopplung sind nur einige Themen, die dabei vertieft werden.
tc540012
12 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Unsere Gebäude verursachen gut ein Drittel der Treibhausgase. Im Vergleich zum Jahr 1990 hat sich der Treibhausgasausstoß um etwa 40 Prozent verringert. 1 Allerdings stagnieren 1 Klimaschutzplan 2050, 2016, BMWi; Klimaschutz in Zahlen. Fakten, Trends und Impulse deutscher Klimapolitik, Ausgabe 2019, BMU. seit gut fünf Jahren die energetischen Modernisierungen und damit auch die Verringerung der Emissionen. Der Fokus von Sanierungskonzepten und anderen Maßnahmen muss insbesondere auf dem Bestand liegen, da ein Großteil der heutigen Gebäude auch 2050 noch stehen wird. Doch dabei bestehen noch erhebliche Herausforderungen und Hemmnisse. Eine Möglichkeit, diesen zu begegnen, ist die Betrachtung von Quartieren anstelle von Einzelgebäuden. Über mehrere Gebäudeblöcke hinweg können sich zum Beispiel erweiterte oder kostengünstigere Möglichkeiten für eine gemeinsame klimafreundliche Energieversorgung ergeben. Ebenso lassen sich im Quartier die unterschiedlichen Gebäudeeigentümer und weitere relevante Akteure zielgerichtet für energetische Maßnahmen ansprechen und mobilisieren. In einer Reihe von Projekten versucht der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e. V. (DV), sich diesem Thema intensiver zu widmen, Akteuren aus unterschiedlichen Fachrichtungen und mit verschiedenen Perspektiven einen Austausch zu ermöglichen und neue Lösungswege zu erörtern und in die Breite zu tragen. Dialoginitiative „Runder Tisch“ - Neue Impulse zum nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebereich Im Projekt „Neue Impulse zum nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebereich“ diskutieren rund 40 bis 50 Schlüsselakteure aus verschiedenen Bereichen bei insgesamt vier eintägigen Sitzungen die Chancen integrierter Quartiersansätze für energieeffiziente Gebäudesanierung und nachhaltige Energieversorgung. Vertreten sind Wohnungs- und Energiewirtschaft, Mieterschutz, Umweltverbände und Kommunen sowie Beratung und Wissenschaft. Gefördert wird der „Runde Tisch“ vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU). Die Dialoginitiative will dazu beitragen, wirkungsvolle quartiersbezogene Lösungsansätze voranzubringen und gemeinsame Wege zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms der Bundesregierung für den Gebäudebestand zu erarbeiten. Dies erfolgt auf Neue Impulse für einen nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebestand Realistische quartiersbezogene Lösungsansätze durch interdisziplinären Dialog voranbringen Klimaschutz, energetische Sanierung, Quartier, Gebäude, Klimaziele Alexandra Beer Der energetische Bestandsumbau steht vor großen Herausforderungen. Integrierte Quartiersansätze bieten hier vielversprechende Möglichkeiten. Über verschiedene Veranstaltungen und Projekte ermöglicht der Deutsche Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung Fachakteuren hierzu einen interdisziplinären Austausch und entwickelt Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis. Die Vereinbarkeit von Wirtschaftlichkeit und Sozialverträglichkeit, die Schaffung wirksamer Förderanreize, die Rolle der Kommunen oder die Potenziale von Sektorkopplung sind nur einige Themen, die dabei vertieft werden. Bild 1: Programmflyer Auftaktsitzung. © Pixabay, EuRoB 13 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie der Basis von Erkenntnissen aus Forschung, Modellvorhaben und der aktuellen Modernisierungspraxis. Diese bringt der Partner in diesem Verbundvorhaben, das Institut für Wohnen und Umwelt (IWU), in den Dialog mit ein. Auch weitere externe Experten liefern Fachimpulse. Unter Mitwirkung von Florian Pronold, MdB, Parlamentarischer Umweltstaatssekretär, befasste sich die Auftaktsitzung im Juni 2020 (Bild 1) mit den Klimaschutzpotenzialen energetischer Quartiersansätze für kostengünstigere und sozialverträglichere Modernisierungen. Mögliche Wege zur Klimaneutralität des Gebäudebestands wurden aus der Sicht unterschiedlicher Branchengruppen aufgezeigt. Ziel der Sitzung war es, einen grundsätzlichen Überblick über das Thema zu präsentieren. Außerdem sollte herausgearbeitet werden, in welchen Punkten die Akteursgruppen übereinstimmen bzw. wo es Interessenskonflikte gibt. Das Schwerpunktthema der zweiten Sitzung im September 2020 waren die Potenziale und Grenzen versorgungsseitiger Maßnahmen im Quartier in Verbindung mit gebäudebezogenen Wärmeschutzmaßnahmen. Als Einstieg stellten die Referenten unterschiedliche Möglichkeiten zur Definition bzw. Abgrenzung von Quartieren vor - aus Sicht der Stadtplanung, der Städtebauförderung und der Energiewirtschaft. Anschließend wurden integrierte, sektorübergreifende Energieversorgungslösungen in Ergänzung zur Steigerung der Gebäudeenergieeffizienz betrachtet. Fachimpulse zu Varianten für eine grüne quartiersbezogene Wärmeversorgung sowie Praxisbeispiele lieferten zusätzlichen Input für die anschließenden Diskussionen. Die dritte Sitzung im Oktober 2020 konzentrierte sich auf die Schnittstelle zwischen Quartier und Einzelgebäudesanierung. Im Fokus standen eine CO 2 -Orientierung und geeignete maximale Wärmeschutzstandards, die CO 2 - Bilanzierung auf Gebäude- und Quartiersebene, quartiersbezogene Anforderungsniveaus wie zum Beispiel die Innovationsklausel im Gebäudeenergiegesetz (GEG) und die Problematik der Bündelung von Förderung im Quartier. Außerdem wurde das Sonderthema „Graue Energie“ und Lebenszyklusbetrachtung sowie „Cradle to Cradle“-Ansätze 2 und deren mögliche Integration in gesetzliche Anforderungen und Standards diskutiert. Zwischen den einzelnen Sitzungen vertieften kleinere Expertenrunden Spezialthemen wie den Einsatz von Wärmepumpen im Bestand, grünen Wasserstoff oder Mieterstrom. Das Thema der vierten Sitzung im Januar 2 Cradle to Cradle (C2C) strebt eine Kreislaufwirtschaft ohne Abfall an. Im Kern des Cradle to Cradle-Prinzips steckt die Idee, von Anfang an in kompletten Produktkreisläufen zu denken und auf diese Art erst gar keinen Müll im herkömmlichen Sinn entstehen zu lassen. 2021 knüpft schließlich unter der Überschrift: „Mobilisierung, Akzeptanz, Beratung und Nutzerverhalten“ an das Thema Förderung an. Dabei wird es dann um die Weiterentwicklung der bestehenden Förderung an der Schnittstelle von Mietrecht, Ordnungsrecht und Förderprogrammen im Zusammenhang mit der Akzeptanz von Maßnahmen insbesondere bei Mietern gehen. Im Anschluss werden der DV und das IWU eine Abschlussdokumentation mit konkreten Handlungsempfehlungen erstellen und - voraussichtlich im zweiten Quartal 2021 - der Fachöffentlichkeit vorstellen. Workshop „Energie-Dialog“ Der DV sieht neben Themen der Gebäudesanierung und der Fördersystematik die Vernetzung der energieproduzierenden und -verbrauchenden Sektoren als einen entscheidenden Baustein für die Energiewende und für die Dekarbonisierung aller Wirtschaftsbereiche. Im September 2020 widmete der Verband sich diesem Thema im Rahmen einer gesonderten Online-Veranstaltung (Bild 2). Genauer betrachtet wur- Bild 2: Illustration Online-Workshop © lassedesignen, fotolia.com 14 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie de vor allem die lokale Dimension der Sektorkopplung, also die Folgen für die Quartiersebene, sowie die Verknüpfung energetischer Quartierserneuerung mit klimaschonenden Mobilitätsansätzen. Dies ergänzte die Arbeit des Runden Tisches und ermöglichte eine Vertiefung sowie praktischere Ausrichtung bei einem gleichzeitig erweiterten Teilnehmerkreis von etwa 80-Personen. Der Workshop wurde mit Hilfe einer Förderung durch CIVITAS SATELLITE umgesetzt. Vertreter aus Politik, Kommunen und Wissenschaft sowie Akteure des Immobilien- und Energiemarktes beleuchteten in Fachimpulsen und durch Praxisbeispiele die Kopplung des Mobilitäts-, Energie- und Wohnungssektors auf Stadtteilebene und stellten zukunftsweisende technologische Ansätze und Konzepte vor. Die Wohnungswirtschaft stand dabei als Schnittstelle zwischen dem Mieter als Mobilitätsnutzer und dem Stromnetz sowie der Wärmeversorgung als zugrunde liegender Infrastruktur besonders im Fokus. Klar wurde, dass Themen wie Ladeinfrastruktur, Systeme zur gemeinsamen Nutzung, lokale Energieerzeugung und -verbrauch sowie die technische Integration auf Stadt-, Kreis- oder Quartiersebene nur durch ein wirksames Zusammenspiel und eine wirksame Zusammenarbeit der lokalen Akteure erfolgreich bewältigt werden können. Erneut wurde das Quartier als geeigneter Rahmen und (städtebauliche) Größenordnung für integrierte Maßnahmen benannt. Projekt „3 % plus - Umsetzung des energieeffizienten Sanierungsfahrplans für kommunale Quartiere“ Ein wesentlicher thematischer Baustein des Runden Tisches ist die Mobilisierung von Gebäudeeigentümern durch Information, Beratung und Begleitung. Dieses Thema bearbeitet der DV mit einem gesonderten Forschungsvorhaben. Das Verbundprojekt „3 % plus - Umsetzung des energieeffizienten Sanierungsfahrplans für kommunale Quartiere“ schließt die Umsetzung eines energieeffizienten Sanierungsfahrplans in Quartieren der beteiligten Modellkommunen Aachen-Brand, Ludwigsburg-Schlösslesfeld sowie in der Gemeinde Roetgen und der Stadt Eschweiler in der Region Aachen ein. Der Name des Vorhabens deutet sein langfristiges Ziel an: Das Erreichen einer Sanierungsquote von drei Prozent. Der DV untersucht in diesem Kontext, wie eine idealtypische Beratungskette (Bild 3) von der Initialberatung über die Maßnahmenplanung bis hin zur Bau- und Betriebsbegleitung aussehen sollte, welche wichtigen Akteure in der lokalen Sanierungsberatung eine Rolle spielen und wie relevante Instrumente und Formate besser und nutzerfreundlicher mit diesen verknüpft werden können. Damit wird zum übergeordneten Ziel des Projektes beigetragen, insbesondere in Quartieren mit heterogenen Eigentümerstrukturen (Wohne i g e n t ü m e r g e m e i n s c h a f t e n , Selbstnutzer, Kleinvermieter), um zum Beispiel durch gezielte Beratungsangebote neue Energieeffizienzpotenziale zu aktivieren und so die Sanierungsrate zu steigern. Partner in dem vom Bundeswirtschaftsministerium über den Förderschwerpunkt „EnEff: Stadt“ unterstützten Projekts sind die B.&S.U. Beratungs- und Service-Gesellschaft Umwelt mbH und die Hochschule für Technik in Stuttgart. Besonders in Quartieren ist die Kommune eine zentrale Handlungsebene und damit ein entscheidender Akteur für den Erfolg des Klimaschutzes im Gebäudebereich. Es geht nicht nur darum, dass Städte im eigenen Gebäudebestand Klimaschutzmaßnahmen durchführen oder über kommunale Versorger den CO 2 -Ausstoß in der Energieversorgung senken. Vielmehr müssen sie Prozesse auf Quartiersebene anstoßen und integrierte energetische Quartierskonzepte auf den Weg bringen. Dazu müssen sie verschiedene Eigentümergruppen, Energieversorger, Unternehmen und weitere Akteure mobilisieren und deren teils unterschiedliche Interessen koordinieren. Dies ist eine Managementaufgabe, die ausreichend Ressourcen benötigt und neben den kommunalen Pflichtaufgaben nur schwer zu leisten ist. Für diese anspruchsvolle Rolle benötigen die Kommunen deshalb ausreichend Unterstützung von Bund und Ländern. Ein Teilziel des Projektes ist es außerdem, einen Erfahrungsaustausch zwischen Kommunen zu ermöglichen. Zum einen erfolgt dies zwischen den am Projekt beteiligten Kommunen. Zum anderen soll aber auch ein breiterer Kreis von den Erfahrungen profitieren. Daher fand im Okto- Bild 3: Die Beratungskette der Energetischen Sanierung. © DV 2019: 3 % plus-Projekt Erstansprache und Initialberatung Konzeptorientierte Beratung Planung und Angebot Umsetzung und Ausführung Betriebsführung/ Monitoring 15 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie ber 2020 der Online Praxis-Austausch „Energetische Sanierung im Quartier - Welche Handlungsspielräume haben Kommunen? “ statt. Beim Workshop berichteten die Projektpartner zusammen mit weiteren Kommunen von ihren Erfahrungen im Rahmen des Energieforschungsprogramms des Bundeswirtschaftsministeriums. Gemeinsam diskutierten sie mit den über 80-Teilnehmern, welchen Beitrag etwa energetische Quartiersansätze, digitale Tools sowie lokale Beratungsnetzwerke zu einer höheren Sanierungsrate leisten können. Im Rahmen des „Drei-Prozent- Projektes“ ist der DV auch am Annex 75 der Internationalen Energieagentur (IEA) beteiligt, der sich mit energetischer Quartierssanierung in Kombination von Energieeffizienzmaßnahmen und dem Einsatz erneuerbarer Energien befasst. Der DV arbeitet gemeinsam mit der B.&S.U. mbH und dem Salzburger Institut für Raumordnung und Wohnen an Leitlinien für lokale „Policy Maker“. Das Ziel: Kommunen das Fachwissen der IEA besser zugänglicher zu machen. Fazit Im Rahmen der bisherigen Aktivitäten zeigt sich bereits deutlich, dass wir grundsätzlich eine andere Klimaschutzstrategie für den Gebäudebestand als bisher benötigen. Wichtig sind mehr Flexibilität und Technologieoffenheit, bessere und andere Förderanreize, ganzheitliche Beratungsketten sowie integrierte Klimaschutzansätze im Quartier. Gebäudeeigentümer sollten unter Einhaltung von Mindesteffizienzstandards flexibler wählen können, ob sie weitere CO 2 -Einsparungen über noch mehr Dämmung oder durch mehr erneuerbare Energien erreichen wollen. Die erneuerbare Energieversorgung sollte nicht nur unmittelbar am Gebäude möglich sein, sondern auch in einem größeren räumlichen Zusammenhang. … als wirkungsvolle Maßnahme gegen die Folgen zunehmender Starkregenereignisse. Mit diesem Systemaufbau, der ca. 80 l/ m 2 (bei einer Anstauhöhe von 60 mm) auf dem Dach zwischenspeichert, haben Sie das Wasser im Griff. Regenwasserbremse für die Kanalisationsnetze in unseren Städten! Wasserrückhalt via Retentions-Gründach ... Tel: 07022 9060-600 www.zinco.de/ systeme/ retentions-gruendach AUTORIN Dipl.-Ing. (FH) Alexandra Beer Projektkoordinatorin Deutscher Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung e. V., Berlin a.beer@deutscher-verband.org  Mehr Informationen zum Runden Tisch „Neue Impulse für nachhaltigen Klimaschutz im Gebäudebestand“ unter: https: / / www.deutscher-verband.org/ runder-tisch-klimaschutz  Mehr Informationen zum Forschungsprojekt „3 % plus“ im Rahmen des Energieforschungsprogramms der Bundesregierung in der Veröffentlichung „Das Quartier als Schlüssel zur Steigerung der Sanierungsrate“: https: / / www. deutscher-verband.org/ aktivitaeten/ projekte/ 3plus-projekt.html  Mehr Informationen zum Konzept des Energie- Dialogs zur Sektorenkopplung sowie das Programm unter: https: / / www.deutscher-verband. org/ aktivitaeten/ veranstaltungen/ energie-dialog INFO-BOX