Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0075
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2020
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Innovative Lösungen zur Ressourceneinsparung
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Philipp Riegebauer
Jana Helder
Wollen wir in Zukunft in einer intakten Umwelt leben und den Klimawandel verlangsamen, muss das Abfall-und Abwasseraufkommen drastisch reduziert werden. Es gibt innovative Lösungen in Städten und Regionen, die auf nachhaltige Abfall- und Abwasserbehandlung und auf qualitativ hochwertiges Recycling setzen, wie beispielsweise durch Trennung von Abwasserströmen, Vergärung von Rest stoffen zur Biogaserzeugung oder automatisiertes Abfallmanagement. In diesem Artikel werden innovative Lösungen aufgezeigt und erforderliche Schritte zur Implementierung der Kreislaufwirtschaft in stadtplanerische Prozesse.
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20 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Innovative Lösungen zur Ressourceneinsparung Europäische Best-Practices der Kreislaufwirtschaft in der Abfall- und Abwasserbehandlung Abwassernutzung, Ressourceneinsparung, Kreislaufwirtschaft, Best-Practices Philipp Riegebauer, Jana Helder Wollen wir in Zukunft in einer intakten Umwelt leben und den Klimawandel verlangsamen, muss das Abfall-und Abwasseraufkommen drastisch reduziert werden. Es gibt innovative Lösungen in Städten und Regionen, die auf nachhaltige Abfall- und Abwasserbehandlung und auf qualitativ hochwertiges Recycling setzen, wie beispielsweise durch Trennung von Abwasserströmen, Vergärung von Reststoffen zur Biogaserzeugung oder automatisiertes Abfallmanagement. In diesem Artikel werden innovative Lösungen aufgezeigt und erforderliche Schritte zur Implementierung der Kreislaufwirtschaft in stadtplanerische Prozesse. Nutzbarmachung • Vakuumtoiletten • Sammlung von Lebensmittelabfällen Umwelttechnische Vorteile: • Erhöhung der Biogasproduktion • Energieffiziente Abwasserbehandlung • Wärmerückgewinnung • Einsatz für Kühlzwecke Ressourcenschonung: • Rückgewinnung von Nährstoffen aus dem Abwasser BIOGAS DÜNGER WÄRMERÜCKGEWINNUNG GRAUWASSER ABWASSER SPEISEABFÄLLE Bild 1: System zur Trennung von Abwasser und Abfällen in Helsingborg. © Nordvästra Skånes Vatten och Avlopp AB. 21 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Der jährliche globale Ressourcenverbrauch wird sich nach Prognosen der UN bis 2060 verdoppeln. Damit verbunden werden auch die Treibhausgasemissionen weiter dramatisch ansteigen. Gleichzeitig schätzt die Weltbank, dass die weltweiten Siedlungsabfälle bis 2050 um 70 % zunehmen werden. Wollen wir in Zukunft in einer intakten Umwelt leben und den Klimawandel abmildern, muss das Abfallaufkommen drastisch reduziert werden. Der „Green Deal“ als ein zentrales Element der Agenda der neuen EU-Kommission für die nächsten fünf Jahre hat zum Ziel, das europäische Wirtschaftssystem so umzugestalten, dass schnell und in großem Stil Treibhausgase eingespart werden können. Die Kreislaufwirtschaft spielt hier eine Schlüsselrolle und gilt auch als Lösung für das globale Abfallproblem. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft bzw. Circular Economy bietet ein Alternativmodell zum weltweit dominanten linearen Wirtschaftsmodell des Produzierens - Nutzens - Wegwerfens. Mit der Ausrichtung hin zu geschlossenen Kreisläufen erhält die Kreislaufwirtschaft den Wert von Produkten, Materialien und Ressourcen so lange wie möglich und trägt zur starken Verminderung oder Vermeidung von Abfall bei. Kreislaufwirtschaft in der Abfall- und Abwasserbehandlung Wesentliche Hemmnisse auf dem Weg zu einer kreislauforientierten Wirtschaft sind die im Vergleich zu nachhaltigem Recycling billigeren Entsorgungsmöglichkeiten wie Müllverbrennung, niedrige Preise für Primärrohstoffe sowie eine zu geringe Nachfrage nach Recyclingprodukten. Die Schließung von Deponien für nicht-vorbehandelte Abfälle sowie thermische Abfallbehandlungsanlagen zur Vermeidung entsprechender Deponiegasemissionen hat zweifellos bereits zur Verminderung des Treibhausgasausstoßes beigetragen. Nachhaltiger ist es aber, gleich so zu wirtschaften, dass weniger Abfälle entstehen und Ressourcen immer wieder verwendet werden. Eine verbesserte Abfallsammlung kann ein erster Schritt zu einer umfassenden Kreislaufwirtschaft sein. Abfallsammlung sowie Abfall- und Abwasserbehandlung sind Aufgaben der kommunalen Einrichtungen. Es gibt innovative Lösungen in Städten und Regionen, die auf der einen Seite mehr Verantwortung seitens der Produzenten anstreben und andererseits auf qualitativ hochwertiges Recycling sowie auf nachhaltige Abfall- und Abwasserbehandlung setzen - etwa auf Trennung, Vergärung und Biogaserzeugung. Folgend vielversprechende Schritte zur Implementierung der Kreislaufwirtschaft in die Stadtplanung: Helsingborg installiert drei getrennte Leitungen für Abwasser und Abfall Helsingborg ist seit vier Jahren in Folge die Nummer eins der schwedischen Kommunen in Sachen Nachhaltigkeit. Für das Jahr 2030 ist die Zielsetzung, eine Null-Abfall-Stadt zu werden. Ein solches Ziel braucht neue Lösungen. So ging der Gesamtgewinn des Smart City Implementation Award 2020 (SMAVARD 2020) an die schwedische Stadt Helsingborg für ein nachhaltiges Abwasservermeidungs-Projekt im Stadtteil Oceanhamnen. Die Vision der Stadt Helsingborg ist eine Kreislaufwirtschaft für alle. Gemeinsam mit Bürgern, Unternehmen und der Wissenschaft hat die Stadt viele verschiedene kleine und große Initiativen getestet und umgesetzt. Zu diesen transformativen Aktivitäten gehört auch die Initiative der Stadt Helsingborg und der kommunalen Abwassergesellschaft, im Stadtteil Oceanhamnen ein wegweisendes Abwassersystem aufzubauen. Das Projekt umfasst etwa 350- Wohnungen und 30 000 m² Bürofläche. Die ersten Bewohner sind im März 2020 eingezogen und die Anlage sammelt im Betrieb wertvolle Erfahrungen. Statt traditionell über eine Abwasserleitung wird über drei getrennte Leitungen entsorgt: Lebensmittelabfälle, Toilettenwasser bzw. Schwarzwasser sowie Grauwasser aus Bädern und Waschmaschinen werden in jedem Haushalt, dort, wo sie entstehen, getrennt gesammelt und abgeleitet. Diese Trennung der kommunalen Abwässer und des Küchenabfalls hat zum Ziel, mehr Wasser und Energie einzusparen, weniger Lebensmittelabfälle zu erzeugen und das Schwarzwasser umweltfreundlich zu behandeln. [1] 1. In den Küchen von Oceanhamnen werden Lebensmittelabfälle über die Spülbecken entsorgt. Sie werden kleingehäckselt und in einer separaten Leitung zur Sammelstelle geführt. Diese Lebensmittelabfälle werden dann vergoren, um Biogas daraus zu gewinnen. Aus den nährstoffreichen Gärresten wird organischer Dünger hergestellt. 2. Das Schwarzwasser aus den Toiletten wird über ein Vakuum-Entwässerungssystem abtransportiert und gesammelt. Ebenso wie die Lebensmittelabfälle dient das Schwarzwasser zur Erzeugung von Biogas. Die Reststoffe lassen sich, entsprechend behandelt, zusammen mit den anderen Gärresten zu Dünger verarbeiten. 22 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen 3. In der dritten Leitung wird Grauwasser gesammelt, das beim Waschen, Duschen und Baden anfällt. Die Wärme aus dem Grauwasser wird als Prozesswärme bei der Behandlung des Schmutzwassers genutzt. Die gewonnenen Reststoffe werden zentral in einer Anlage zur Biogaserzeugung gesammelt. Der organische Dünger aus den Gärresten entspricht den Kriterien der EU-Düngemittelverordnung. Mit der Restwärme aus dem Grauwasserstrom werden umliegende Gebäude beheizt. Das übrige vorbehandelte Abwasser aus den drei Teilströmen wird in die Kläranlage weitergeleitet. Die Herausforderung besteht vor allem darin, ein neues gemeinsames Managementsystem einzuführen, denn Abfall, Wasser und Energie unterlagen bisher verschiedenen Zuständigkeiten. Der neue Ansatz bei den Themen Versorgung und Entsorgung erfordert daher eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Stadt und Versorgungsunternehmen. Eine weitere Herausforderung besteht darin, die Anwendung von EU-Kriterien für Düngemittel aus Gärresten zu erfüllen und zudem einen traditionell konservativen Wassersektor davon zu überzeugen, dass Investitionen in nachhaltige Abwassersysteme nicht nur der Umwelt dienlich sind, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll sein können. Bürgerbeteiligung schafft Zustimmung Die Bürger haben bei verschiedenen Teilen des Projekts eine wichtige Rolle gespielt. Das Projekt wurde von Anfang an auf eine breit angelegte Partizipation von Bauherren, Bürgern und Experten der Wasser- und Abfallwirtschaft ausgerichtet. Dadurch wurde eine hohe Zustimmungsquote für das Projekt erreicht. Die Einwohner von Helsingborg sind davon überzeugt, dass es wichtig ist, die Umwelt sauber zu halten und Wasser, Energie und Nährstoffe davor zu bewahren, buchstäblich auf dem Müll zu landen. Die Umrüstung rechnet sich auch für die Bürger: Unterm Strich helfen drei Leitungen anstelle von einer, den Umgang mit Lebensmittelabfällen und Abwasser intelligenter zu gestalten. Der maximal wiederverwertbare Anteil der nicht verwendeten Lebensmittel und des gebrauchten Wassers wird wieder verwertet. Bild 2: Innovatives Abfallsammelsystem der Stadt Stockholm. © Stadt Stockholm So können die Treibhausgasemissionen um mehr als 50 %, der Energie- und Wasserverbrauch sowie Deponieabfälle auf ein absolutes Minimum reduziert werden (siehe Bild 1). Farbkodierung für Abfallbeutel in Stockholm Viele europäische Städte müssen die Recyclingraten in Mehrfamilien-Wohngebieten erhöhen. Typischerweise liegen die Recyclingraten in solchen Gebieten bei etwa 15 % oder niedriger. Um höhere Quoten zu erreichen, gilt es, mehr Platz für und besseren Zugang zu Recyclingeinrichtungen zu schaffen und das Sortierverhalten zu verbessern. In der schwedischen Hauptstadt Stockholm wurde ein intelligentes Abfallsammelsystem installiert, um die Recyclingquote in Wohngebieten zu erhöhen. Das System arbeitet mit einem optischen Sortierverfahren und einem weitgehend automatisierten Abfallsammelsystem. Zudem werden Statistiken zur Abfallsammlung der einzelnen Haushalte erstellt. Zur optischen Sortierung werden den Benutzern verschiedenfarbige Abfallsäcke zur Verfügung gestellt, entsprechend den unterschiedlichen Abfallströmen, die von der Gemeinde gesammelt werden: grün für Lebensmittel, rot für Papier und gelb für Kartonverpackungen. Die gefüllten Säcke werden mit Hilfe von Kameras mit Farbsensoren automatisch sortiert. Die farblich sortierten Abfallströme werden abgesaugt und durch ein unterirdisches Rohrleitungsnetz zu einer Sammelstation außerhalb des zentralen Stadtgebiets transportiert. Durch Kennzeichnung lassen sich Anzahl und Gewicht der nach Farben sortierten Abfallsäcke den jeweiligen Bewohnern zuordnen. 23 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Ressourcen Dr. Philipp Riegebauer Consultant BABLE Smartcities philipp@bable-smartcities.eu Jana Helder, M. Sc. Consultant BABLE Smartcities jana@bable-smartcities.eu Prinzipiell gilt, dass für die Installation von unterirdischen Abfallsammelsystemen entsprechend höhere Kosten anfallen und dass entsprechend Raum zwischen der bestehenden unterirdischen Infrastruktur zur Verfügung stehen muss. Automatisierte Abfallsammelsysteme (Automated Waste Collecting System) werden deshalb üblicherweise vor allem in Neubaugebieten verlegt, zusammen mit der anderen Infrastruktur, um so die Kosten zu senken. Automatisierte Abfallsammelsysteme sind zwar in der Anschaffung teurer als herkömmliche, bieten aber in der Nutzung deutliche Vorteile (Bild 2). Viele weitere Projekte die zeigen, wie in europäischen Städten durch innovative Technologien Ressourcen gespart werden, sind auf der Webseite https: / / www. bable -smar tcities.eu/ explore/ use-cases.html zu finden. [2] Empfehlungen für städtische Implementierung von ressourcenschonenden Maßnahmen Die Transformation von der Linearwirtschaft zur Kreislaufwirtschaft erfordert neben einem neuen Konsumentenverhalten neue Lösungen für das Recycling von Abfall in Ressourcen. Dafür werden ebenfalls neue Geschäftsmodelle benötigt. Ein Übergang zu einer anderen Wirtschaftsform betrifft viele Bereiche und somit zahlreiche Akteure in verschiedenen Sektoren und Verwaltungsebenen. Einzelne Institutionen oder Unternehmen können das Modell der Kreislaufwirtschaft nicht isoliert umsetzen. Vielmehr braucht es für eine Kreislaufwirtschaft die Kooperations- und Kommunikationsbereitschaft aller Beteiligter und eine fachübergreifende Zusammenarbeit. Städte und Regionen sollten ihr Engagement für AUTOR*INNEN eine Kreislaufwirtschaft in einem Strategiepapier festlegen. Lokale Prioritäten, geplante Maßnahmen und mögliche Unterstützung werden in dieses strategische Dokument integriert. Solche Dokumente können regionale operationelle Programme der EU, langfristige Entwicklungspläne, Umweltstrategien sowie thematische oder sektorale Strategien etwa zum Abfallmanagement enthalten. Dies ermöglicht lokalen und regionalen Akteuren, ihre Aktivitäten langfristig zu planen. Bürgerbeteiligung Eine frühe Einbindung der Bürger in den Prozess ist für den Erfolg von Projekten der Kreislaufwirtschaft von großer Bedeutung. Nur mit einer nachhaltigen Verhaltensänderung der Bewohner und dem Verständnis und Interesse aller können Projekte, wie beispielsweise in Helsingborg und Stockholm, erfolgreich sein. Finanzierung Zur Implementierung von Kreislaufwirtschaft werden neue Instrumente, spezielles Know-how und Netzwerke zur Finanzierung solcher Investitionen benötigt. Nur durch ein Bündeln der Initiativen und Mittel von Unternehmen, Branchenverbänden und des öffentlichen Sektors, beispielsweise über eine Plattform, ist ein Zugang zu Wissen und Vernetzungsangeboten und das Aufzeigen von Finanzierungsmöglichkeiten effizient umsetzbar. Informationstransfer Das Wissen zur Kreislaufwirtschaft baut auf dem Informationsfluss zwischen den verschiedenen Akteuren auf. Der Austausch von Wissen und Erfahrung ist nicht auf Städte und Gemeinden und auf deren kommunale Versorgungsbetriebe beschränkt. Der Transfer von Informationen ist auch zwischen Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen notwendig. Diese Vernetzung benötigt Plattformen zum Austausch. Durch die gemeinsame Nutzung von Wissen über Austauschportale oder die Organisation von Veranstaltungen können Städte und Regionen von den Erfahrungen anderer Akteure lernen und gezielt lokal passende Projekte initiieren und umsetzen. [3] Kontakt: BABLE : Pierre Filohn, BABLE Smartcities, pierre@bable-smartcities.eu Helsingborg: Hamse Kjerstadius, Nordvästra Skånes Vatten och Avlopp AB, hamse.kjerstadius@nsva.se Stockholm: Lisa Enarsson, Stadt Stockholm, lisa.enarsson@stockholm.se QUELLEN [1] BABLE, Use-case: Three pipes circular sewer system, 2020: https: / / w w w.bable smar tcitie s . eu/ de/ entdecken/ anwendungsfaelle/ use-case/ useCase/ threepip e s c irc ulars e wers y s tem. html [2] BABLE, Use-case: Waste heat recovery from sewage water, 2016: https: / / www.bable-smartcities. eu/ explore/ use-cases/ use-case/ useCase/ waste-heat-recover yfrom-sewage-water.html [3] URBACT, European Union, Kreislaufwirtschaft, 2020: https: / / urbac t.eu/ kreislauf wirtschaftnurein-trendthemaoderdie zukunft-unserer-st%C3%A4dte
