eJournals Transforming cities 5/4

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2020-0081
124
2020
54

Noch immer hässlich?

124
2020
Sandra Sieber
Die Wirkung und Akzeptanz regenerativer Energieanlagen im Orts- und Landschaftsbild beschäftigt nun schon seit gut 20 Jahren die Forschung. In dieser Zeit ist eine Generation junger Menschen herangewachsen, die ihre Heimatregion teils nur noch so kennt: Mit Windkraftanlagen auf den weiten Feldern, mit Solaranlagen auf den Dächern der Scheunen und Wohnhäusern. Aber welche Sicht auf die Energiewende und ihre Technologien hat diese junge Generation? Welche Sicht haben gerade Studierende aus den Bereichen Landschaftsarchitektur und Architektur, die als Planende zukünftig Teil der Energiewende sind?
tc540047
47 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Dieser Frage wurde in einem laufenden Promotionsvorhaben 1 an der Fakultät für Architektur der RWTH Aachen nachgegangen. Im Rahmen einer Befragung wurden rund 470 Studierende aus dem Bereich der Landschaftsarchitektur (LA-Gruppe) und der Architektur (Arch.-Gruppe) zu ihren Alltags-, Sehnsuchts- und Energielandschaften befragt. Mit dieser Dreiteilung sollten gestalterische und funktionale Ansprüche bzw. Zuschreibungen an Landschaften aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden. Die Befragung erfolgte mittels Fragebogen. Es wurden Bilder zur Bewertung vorgelegt (geschlossene Fragen), aber auch um Charakterisierungen von Alltags- und Sehnsuchtsorten sowie um Einschätzungen zur Energiewende gebeten (offene Fragen). Die Befragung wurde in einem Zeitraum von 2016 bis 2019 in Form eines Lang-, eines Kurz- und eines Ergänzungsfragebogens an unterschiedlichen Hochschulen durchgeführt. 2 Anstoß zum Thema war eine Befragung von Studierenden der Landespflege aus dem Jahr 2000 [1], die zu dem Ergebnis kam, dass selbst eine geringe Anzahl von Windenergieanlagen (kurz WEA) im Landschaftsbild negativ gewertet werden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam noch 2016 eine Studie mit Ortsansässigen im Saarland, in der nur 0,9 % der Befragten ein Bild mit Windenergieanlagen als „schön“ werteten [2]. Im Jahr 2020 stellt sich das Ergebnis 1 Titel: Auswirkungen neuer Wahrnehmungsmuster im Bereich der regenerativen Energiesysteme im Orts- und Landschaftsbild und ihre Bedeutung für die räumliche Planung - Alltags-, Sehnsuchts- und Energielandschaften im Fokus. 2 FH Erfurt, HfWU Nürtingen und TU München (Studienrichtung Landschaftsarchitektur) sowie RWTH Aachen, FH Aachen und der TU Darmstadt (Studienrichtung Architektur). deutlich differenziert dar. Eine durchgehende Ablehnung von regenerativen Energieanlagen lässt sich aus den Ergebnissen der Befragung nicht ableiten. Es zeichnet sich aber eine spezifische Sicht der Befragten auf den Außenbereich ab, die Entwicklungsspielräume, aber auch weiteren Konfliktstoff bietet. Erste Unterschiede Erste Unterschiede bei den beiden befragten Gruppen zeigten sich bereits bei den Fragen zu den sogenannten Alltags- und Sehnsuchtsorten, also den Herkunfts- und Alltagsorten sowie den idealisierten Orten. Während Befragte der LA-Gruppe ihren Herkunftsort bzw. Ort der Kindheit eher als Dorf charakterisierten, nannten die Arch.-Gruppe häufiger die Großstadt. Dementsprechend hatten Spielplätze und Straßen eine größere Bedeutung als Spielorte für die Arch.-Gruppe. Auch bezogen auf den aktuellen Wohnort gab es Unterschiede. So bevorzugte die Arch.-Gruppe tendenziell Orte in der Stadt (inkl. Stadtparks) als Orte des Escapes (raus aus dem Alltag), während die LA- Gruppe häufiger Felder/ Wiesen, Wälder, Gewässer und Berge als Orte der Alltagsflucht nannte. Große Bedeutung als Lieblingsort unter der Woche hatte für beide Gruppen die eigene Wohnung. Während die Arch.-Gruppe als Lieblingsort am Wochenende eher urbane Strukturen und Familie/ Freunde nannte, hatten grünbestimmte Freiräume des Innenwie des Außenbereichs für die LA-Gruppe eine größere Anziehung. Beim Wunsch-Wohnort der Zukunft bevorzugt die Arch.-Gruppe abermals urbane Strukturen, während die LA-Gruppe zu einer dörflich-ländlichen Noch immer hässlich? Wie junge Planende regenerative Energien im Orts- und Landschaftsbild werten - Ergebnisse einer Befragung Regenerative Energien, Akzeptanz, Ästhetik Sandra Sieber Die Wirkung und Akzeptanz regenerativer Energieanlagen im Orts- und Landschaftsbild beschäftigt nun schon seit gut 20 Jahren die Forschung. In dieser Zeit ist eine Generation junger Menschen herangewachsen, die ihre Heimatregion teils nur noch so kennt: Mit Windkraftanlagen auf den weiten Feldern, mit Solaranlagen auf den Dächern der Scheunen und Wohnhäusern. Aber welche Sicht auf die Energiewende und ihre Technologien hat diese junge Generation? Welche Sicht haben gerade Studierende aus den Bereichen Landschaftsarchitektur und Architektur, die als Planende zukünftig Teil der Energiewende sind? 48 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen Umgebung tendierte. Beim Wunsch-Wohnort mit Kindern tendierten beiden Gruppen allerdings zum Dörflichen/ Ländlichen. Einer Kindheit im „Grünen“ wird offenbar eine besondere Qualität zugesprochen. Auch als Ort der Entspannung wird dem Ländlichen eine große Bedeutung beigemessen, was allerdings im Widerspruch zur realen Bedeutung baulicher Umgebungen bei den Escape- und Lieblingsorten steht. Was wenig überrascht: Die LA- Gruppe gärtnert in ihrer Freizeit deutlich lieber als die Arch.-Gruppe. Die Ergebnisse zu den Alltags- und Sehnsuchtslandschaften deuten darauf hin, dass sich die Gruppen aufgrund von Schichtenzugehörigkeit, Habitus oder Milieu bereits in ihrer „primären Landschaftssozialisation“ unterschieden. Sie nutzen grünbestimmte Freiräume in unterschiedlicher Intensität und Intension, neigen aber zu ähnlichen Überhöhungen. Diese idealisierten Vorstellungen manifestieren sich in der Beschreibung einer Sehnsuchtslandschaft: Diese ist grün/ natürlich, mit Bergen, Gewässern, Wiesen/ Feldern, Wald, Weite und Ruhe. Ein kleiner Teil der Antworten entfiel sogar auf den Terminus der „unberührten Natur“. Die Sehnsuchtslandschaft stellt sich somit als Gegenteil der (erkennbar) anthropogen geprägten Alltagsorte und -umgebungen dar. Die Energielandschaften der Befragten Im Rahmen der Befragung zu den Energielandschaften, sollten die Befragten 8 Bilder mit und ohne regenerative Energien (Bilder 1 - 8) den vorgegebenen Kategorien zuordnen: Zum einen den sogenannten landschaftsästhetischen Kategorien „Schön“, „Erhaben“, „Interessant“ und „Nüchtern“ [3, S. 38 - 43]. Zum anderen den Landschaftskategorien „Naturlandschaft“, „Kulturlandschaft“ und „technogene Landschaft“. Für keinen der Begriffe wurde eine Definition gegeben, die Befragten sollen den ihrer Meinung nach passenden wählen. Zwei weitere Bilder in der Befragung (Bilder 9 -10) konnten zusätzlich in einer vierstufigen Skala von „Gefällt mir sehr“ bis „Gefällt mir gar nicht“ bewertet werden. Bild 1 (Landstraße) wurde von den Befragten am häufigsten als „nüchtern“ bezeichnet, Bild 2 (Staudenpflanzung) markierte für die Befragten ein „schönes“ Bild (Tabelle 1). Die Wertung der Bilder mit regenerativen Energien (Bild 3, 5, 8, 9) liegen dazwischen. Die Spannbreite der Wertungen bei Bild 3, Bild 8 und Bild 9 deuten darauf hin, dass es auch Kontext und Bildaufbau (Farbigkeit, Lichteffekte etc.) sind, die bei der Bewertung eine Rolle spielen. Deutlich wird dies besonders bei Bild 3. Dieses wurde in einer Ergänzungsstichprobe (54- Teilnehmende) gegen ein Bild mit Grünland (statt kahler Ackerfläche) ausgetauscht (Bild 11). Obwohl die Windenergieanlagen im Austauschbild deutlich prägnanter sind, wurde das Bild häufiger mit „schön“ (LA-Gruppe 33 %) oder „erhaben“ (Arch.-Gruppe 31 %) gewertet. Dabei wurde es in beiden Gruppen tendenziell als „technogene Landschaft“ wahrgenommen. Es besteht also auch kein simpler Zusammenhang zwischen den Wertungen „Natur“ und „Schön“. Bild 9 (mit Windkraftanlagen) und Bild 10 (ein vergleichbares Bild ohne Windkraftanlagen) zeigen eine Naturschutzwiese im Ostwald von Darmstadt, die in lokalen Internetforen als „schöner“ Ort beschrieben wird und dem Ideal einer Landschaft (siehe oben) möglichst nahekommen soll. Beide Bilder zeigen die gleiche Wiese aus unterschiedlichen Blickrichtungen. Es ging bei den Bildern (im Gegensatz zu Bild 8 der Befragung) gerade darum, technische Artefakte (Windenergieanlagen) im Kontext einer als hochwertig klassifizierten Naherholungslandschaft zu zeigen. Die Windenergieanlagen stehen etwa 2,5 km von der Wiese entfernt und gehören nicht Bilder 1 - 4 (oben, von links nach rechts) und Bilder 4 - 8 (unten, von links nach rechts): Bilder zur Befragung (Landstraße, Staudenbeet, Acker/ Windenergieanlage (WEA), Meer/ Siedlung, Rapsfeld/ Kurzumtriebsplantage (KUP), Strommasten/ Feld Küste, Autobahn/ Windenergieanlage (WEA)). © Sieber 49 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen zum Naturschutzgebiet. Gerade diese hochwertigen Orte sollten nach Auffassung des traditionellen oder konservativen Natur- und Landschaftsschutzes frei von zeitgenössischen Artefakten bleiben. Technische Artefakte, so die Auffassung, sollten besser in räumlicher Nähe zu anderen als „störend“ klassifizierten Elementen wie Autobahnen und Stromleitungen platziert werden [4]. Windenergieanlagen gelten in dieser Sichtweise als „schädlicher“ Eingriff, in Bezug auf das Landschaftsbild werden sie als „Störfaktoren“ [5] oder „beeinträchtigende Elemente“ [3,-S.-140] gewertet. Bild 9 der Befragung müsste daher aus der Perspektive des traditionellen/ konservativen Natur- und Landschaftsschutzes eine Abwertung im Vergleich zu Bild 10 erfahren. In der Befragung wurden Bild 9 und Bild 10 jedoch mehrheitlich mit „Gefällt“ oder „Gefällt sehr“ bewertet (Tabelle 2). Die Windenergieanlagen führen in diesem Beispiel also nicht dazu, dass ein Bild weniger oder gar nicht gefällt. Deutliche Unterschiede gibt es jedoch bei der Zuordnung der landschaftsästhetischen Kategorien. Das Bild ohne Windenergieanlage wurde häufiger als „schön“ gewertet, bei dem Bild mit Windenergieanlage bleibt „schön“ die häufigste Wertung, gefolgt von „interessant“. Nohl deutet das „Schöne“ als das Vertraute, Harmonische und als Sehnsucht nach einer Einheit von Mensch und Natur. In diesem Sinne - als das Liebliche, Idyllische und Bruchfreie - scheinen die Befragten den Begriff des „Schönen“ gedeutet zu haben. Das „Interessante“ muss/ kann nicht bruchfrei sein, es darf irritieren und fordert dadurch heraus und fasziniert. In dieser Deutung erscheint die Verschiebung von „Schön“ zu „Interessant“ nachvollziehbar. Auch die Wertung von Bild 8 (Windpark an Autobahn) als „Erhaben“ und „Interessant“ überrascht in dieser Deutung nicht mehr. Zusätzlich zu den vorgegebenen Wertungen konnten die Befragten Bild 9 und Bild 10 auch kommentieren. Das Spektrum der Antworten reicht in Bezug auf Bild 9 von medial verbreiteten Phrasen (Windkraftanlagen „zerstören“ die Landschaft), über Verweise auf die heimatliche Anmutung (Wie bei mir Zuhause) bis zu echter Begeisterung (Ich finde Windkraftanlagen schön. / Ein Ort zum Chillen). Die Kommentare lieferten aber auch unerwartete Hinweise darauf, was die Befragten eigentlich sahen. Bild 10 wurde in einigen Kommentaren als „unberührte“ Natur/ Landschaft beschrieben, bei Bild 9 waren es die Windenergieanlagen, die das Bild der „unberührten“ Natur/ Landschaften störten. Positive Kommentare werteten Bild 9 als gelungene Verbindung von „Natur“ und Technik bzw. verwiesen darauf, dass die Anlagen die „Naturwirkung“ nicht beeinträchtigen würden. Bild 9 - 10: zur Befragung - eine Naturschutzwiese im Ostwald von Darmstadt, einmal mit und einmal ohne Windenergieanlagen (WEA) im Hintergrund. © Sieber Ergebnisse | Landschaftsästhetische Kategorien Bild 1-8 n=466 B1 - Landstraße B2 - Blumenwiese B3 - Acker/ WEA B4 - Meer/ Siedlung Angaben in % S E I N k.A. S E I N k.A. S E I N k.A. S E I N k.A. LA-Gruppe 1 0 4 93 1 82 4 12 2 0 10 13 36 39 2 41 23 29 5 1 Arch.-Gruppe 1 0 6 87 5 79 8 6 4 4 14 11 26 42 6 52 17 27 2 2 B5 - Rapsfeld/ KUP B6 - Strommasten/ Feld B7 - Felslandschaft B8 - Autobahn/ WEA S E I N k.A. S E I N k.A. S E I N k.A. S E I N k.A. LA-Gruppe 56 11 12 20 0 1 4 23 71 1 42 44 13 0 1 2 11 22 64 1 Arch.-Gruppe 67 15 6 9 3 3 4 20 67 6 44 39 14 0 3 1 7 19 68 4 Ergebnisse | Landschaftskategorien Bild 1-8 Kurzfragebogen, n=174 B1 - Landstraße B2 - Blumenwiese B3 - Acker/ WEA B4 - Meer/ Siedlung Angaben in % N K T k.A. N K T k.A. N K T k.A. N K T k.A. LA-Gruppe 1 31 63 5 83 13 1 3 4 53 39 3 10 63 23 4 Arch.-Gruppe 12 26 54 9 94 4 0 1 44 26 26 3 9 83 6 3 B5 - Rapsfeld/ KUP B6 - Strommasten/ Feld B7 - Felslandschaft B8 - Autobahn/ WEA N K T k.A. N K T k.A. N K T k.A. N K T k.A. LA-Gruppe 24 68 4 4 0 26 71 3 96 0 0 4 2 8 87 3 Arch.-Gruppe 72 25 1 1 3 15 79 3 97 1 0 1 0 7 91 1 Tabelle 1: Ergebnisse der Befragung zu Bild 1 bis Bild 8 (Abkürzungen für landschaftsästhetische Kategorien: S = Schön, E = Erhaben, I = Interessant, N = Nüchtern, k. A. = keine Angaben, Abkürzungen für Landschaftskategorien: N = Natur, K = Kulturlandschaft, T = technogene Landschaft, k. A. = keine Angaben) 50 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen In einer Ergänzungsstichprobe (54 Teilnehmende) wurde daher noch einmal nach den Landschaftskategorien (siehe oben) sowie zur Wertung von „Natur“ und „Landschaft“ gefragt. Tatsächlich wurde Bild 10 überwiegend als „Naturlandschaft“ gewertet, bei Bild 9 gingen die Meinungen auseinander. Gute Natur, schlechte Technik? Bei den Zuordnungen der Landschaftskategorien zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen. Wo die Arch.-Gruppe „Natur“ sieht (Zum Beispiel: Bild 3, 5), plädiert die LA-Gruppe für „Kulturlandschaft“. Diese Unterschiede deutet auf eine spezifische sekundäre Landschaftssozialisation in der LA-Gruppe hin. Oder einfacher: Die LA-Gruppe bekommt im Studium bestimmte Vorstellungen der Begriffe, „Natur“, „Kulturlandschaft“ und „technogen“ vermittelt, während die Arch.- Gruppe eher dem (gesamtgesellschaftlichen) Schema von „Grün = Landschaft = Natur“ folgt. In der Ergänzungsstichprobe war es daher auch eher die LA-Gruppe, die Landschaften als Resultat und Spiegel anthropogener Nutzungen sah (Zustimmung LA-Gruppe 28 %, Arch.-Gruppe 17 %), während für die Arch.-Gruppe Natur und Landschaft eher „unberührt“ bleiben sollten (Zustimmung Arch.-Gruppe 18 %, LA-Gruppe 9 %). Die Zuordnungen beider Gruppen deuten aber auch auf ein spezifisches Technikwie Kulturlandschaftsverständnis hin: Autobahn, Landstraße und Strommasten werden als „technogen“ gewertet, der Hafen mit pittoresken Häusern als „Kulturlandschaft“. Auch wenn es für die Begriffe „Natur“, „Kulturlandschaft“ und „technogen“ immer mehrere (legitime) Definitionen gibt, folgt diese Wertung doch einer konservativen/ essentialistischen Deutungstradition. „Kulturlandschaft“ wird dann eher historisch/ wertend gedacht und mit (historischen) Agrarflächen gleichgesetzt. Diese Deutungstradition hat sich Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts etabliert und beeinflusst noch heute die Definition von „Störfaktoren“ oder „beeinträchtigenden Elementen“. [3, 4, 5] In dieser Tradition werden (vermeintlich) „gute Natur“ und „gute Agrarkultur“ gleichgesetzt, denn sie sind „unberührt“ von (vermeintlich) „schlechter“, zeitgenössischer oder urbaner Technik/ Lebensweise. (Vermeintliche) Technik wird zu etwas, dass (vermeintliche) Natur bedroht und abwertet. Agrartechniken werden in dieser Deutungstradition aus dem Technikbegriff exkludiert. Aus dieser Perspektive kann die historische Windmühle Teil einer „Kulturlandschaft“ sein, die zeitgenössische Windenergieanlage bleibt als „technogenes“ Element ein störender Fremdkörper. Ableitungen für die Praxis? In der Praxis hat solch ein enges (Kultur-)Landschaftsverständnis durchaus Vorteile. Wo der Landschaftsbegriff wertend und bildhaft gedacht wird, können auch Qualitätskriterien aufgestellt werden (passt/ passt nicht). Landschaft ist aus dieser Perspektive planbar. Der weite Landschaftsbegriff, wie ihn beispielsweise das „Europäische Landschaftsübereinkommen“ definiert [6], umfasst auch urbane Bereiche und anthropogene Elemente, er wertet nicht und exkludiert nicht. Wenn aber alles „Landschaft“ sein und alles zu einer „Landschaft“ gehören kann, dann lassen sich Qualitätskriterien nicht mehr so einfach ableiten. „Landschaft“ hat dann einen eher partizipativen und prozesshaften Charakter. Junge Planende können vor diesem Hintergrund in einen doppelten Konflikt geraten: Einerseits ist der enge/ wertende Landschaftsbegriff, mit den Narrativen des traditionellen/ konservativen Natur- und Landschaftsschutzes institutionalisiert, er findet sich (implizit) in Lehrbüchern und Planungsverfahren. Auf der anderen Seite steht ein weiter, nicht-wertender Landschaftsbegriff, wie im „Eu- Ergebnisse | Bild 9 und Bild 10 Landschaftskategorien n=54 N K T k.A. Angaben in % B9 - mit WEA LA-Gruppe 43 52 1 0 Arch.-Gruppe 63 21 13 3 B10 - ohne WEA LA-Gruppe 75 25 0 0 Arch.-Gruppe 89 8 0 3 Ergebnisse | Bild 9 und Bild 10 Geschmackliche Wertung n=466 G.s. G. G.w. G.g.n. k.A. Angaben in % B9 - mit WEA LA-Gruppe 23 64 12 0 0 Arch.-Gruppe 23 66 9 1 1 B10 - ohne WEA LA-Gruppe 29 56 12 1 3 Arch.-Gruppe 35 56 5 1 3 Ergebnisse | Bild 9 und Bild 10 Landschaftsästhetische Kategorien n=466 S E I N k.A Angaben in % B9 - mit WEA LA-Gruppe 52 10 29 9 0 Arch.-Gruppe 60 12 17 9 3 B10 - ohne WEA LA-Gruppe 70 10 8 9 3 Arch.-Gruppe 71 10 5 10 3 Tabelle 2: Ergebnisse der Befragung zu Bild-9 und Bild 10. (Abkürzungen der geschmacklichen Wertung für: G. s. = Gefällt sehr, G. = Gefällt, G. w. = Gefällt weniger, G. g. n. = Gefällt gar nicht. Die Abkürzungen der landschaftsästhetischen Kategorienstehen und Landschaftskategorien: siehe Tabelle 1.) Bild 11: Das Austauschbild zu Bild 3 im Ergänzungsfragebogen der Befragung - Grünland statt kahler Ackerfläche. © Sieber 51 4 · 2020 TR ANSFORMING CITIES THEMA Städtische Ressourcen ropäischen Landschaftsübereinkommen“ und die subjektive Wahrnehmung, die zeitgenössische technische Artefakte sehr wohl als gelungene Bestandteile „schöner“ Landschaften werten kann. Problematisch erscheint auch der Verlust der genutzten „Kulturlandschaft“, auf den die Befragung hindeutet. Verlust nicht im Sinne von Wandel, sondern im Sinne von fehlendem Wissen und fehlender Wahrnehmung. Bild 9 und Bild 10 der Befragung zeigen eben keine „unberührte Natur“, keine Wildnis, sondern eine historische Kulturlandschaft, die zweifach artifiziell ist: Als anthropogen geschaffene(r) Wiese/ Wald und als künstlich durch Pflege erhaltene Naturschutzwiese. Die vereinfachende Gleichsetzung „Grün = Landschaft = Natur“ übersieht die anthropogene Dimension unserer (Kultur-)Landschaften und wertet diese gleichzeitig negativ, was letztlich in ein Nutzungstabu münden kann [7]. So wichtig die Sorge um (unberührte) „Natur“ ist, so fatal wäre eine Negierung des naturschutzfachlichen Potenzials von Landnutzungen/ Kulturlandschaften. (Selbst-)kritisch muss die Aussagekraft bildbasierter Befragungen gesehen werden. Wenn, wie das Spektrum der Wertungen andeutet, auch das Setting (Bildaufbau, Farbigkeit, Lichteffekte etc.) eine Rolle bei der Wertung spielen, kann weder die Wertung „Schön“, noch die Wertung „Nüchtern“/ „Hässlich“ allein auf eine Technik oder ein Artefakt bezogen werden. Ein nüchterner Bildaufbau ist auch ohne regenerative Energietechniken nüchtern (vgl. Bild 1 und Bild 6), ein spannungsvoller Bildaufbau kann auch mit oder wegen der technischen Artefakte als „schön“ oder „erhaben“ gewertet werden (vgl. Bild 3, Bild 11 oder letztlich sogar Bild 8). Seriöse Aussagen lassen sich also nur in Bezug auf die Wertung des verwendeten Bildmaterials ableiten. Ein positives Ergebnis der Befragung ist sicher die Zustimmung, die regenerative Energietechniken im Rahmen des gewählten Bildmaterials seitens der Befragten erfahren, selbst dort, wo vermeintlich „Natur“ gesehen wird. Hochwertige Landschaftsbilder und technische Artefakte schließen sich für die Befragten nicht durchweg aus. Regenerative Energieanlagen, so ein Fazit der Kommentare der Befragten, können für Heimat stehen, für das Gewohnte oder eine gelungene Verbindung von Mensch und „Natur“. Einzelne fordern mit Blick auf die Diskussion um die Vereinbarkeit von regenerativen Energietechniken und dem Landschaftsbild auch eine Neudefinition des Landschaftsbzw. Ästhetikbegriffs. Dabei stehen die Befragten als zukünftige Planende der Energiewende auch kritisch gegenüber. Der fehlende Gestaltungsansatz/ -wille im Umgang mit regenerativen Energietechniken wird durchaus kritisiert (im Innenwie im Außenbereich). Es werden mehr Doppelnutzungen von Flächen gefordert, es wird mal eine bessere (nicht näher definierte) Integration in die Umgebung gefordert, mal eine erkennbare Inszenierung, beispielsweise in Kombination mit Wanderwegen oder als regionale Attraktion. Dabei ist sich gerade die Arch.-Gruppe aufgrund ihrer fachlichen Handlungsspielräume (als Planende im urbanen Raum) des Flächen- und Gestaltungspotenzials im Innenbereich bewusst. Energie soll da generiert werden, wo sie auch gebraucht wird, innerhalb der baulichen Strukturen. Damit thematisieren die Befragten (ohne direkt darauf einzugehen) die Zielstellungen der Energiewende: Diese zielt aktuell auf großmaßstäbliche Projekte wie den Ausbau der Off-Shore-Windkraft. Lokale Ansätze oder gestalterische Spielräume sind aber aktuell kein Ansatz des EEG. Wie die Kommentare der Befragten zeigen, könnte eine Energiewende aber auch anders aussehen, als es das EEG derzeit vorgibt. LITERATUR [1] Nohl, W.: Landschaftsästhetik heute - Auf dem Wege zu einer Landschaftsästhetik des guten Lebens - Ausgewählte Aufsätze aus vier Jahrzehnten, oekom verlag, München, (2015) S. 159 - 181. [2] Kühne, O.: Landschaft und Wandel - Zur Veränderlichkeit von Wahrnehmungen, SpringerVS, Springer Fachmedien, Wiesbaden, (2018) S. 50. [3] Nohl, W.: Landschaftsplanung - Ästhetische und rekreative Aspekte, Patzer Verlag, Berlin-Hannover, (2001) S. 38 - 43. [4] Riedel, W. et al. (Hrsg.): Landschaftsplanung, 3., neu bearbeitete, aktualisierte Auflage, Springer Spektrum, Berlin Heidelberg, (2016) S. 470. [5] Wöbse, H. H.: Landschaftsästhetik: Über das Wesen, die Bedeutung und den Umgang mit landschaftlicher Schönheit, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, (2002) S. 256. [6] Europäisches Landschaftsübereinkommen, Sammlung Europäischer Verträge. Nr. 176, Artikel 1, Punkt a, und Artikel 2, https: / / rm.coe.int/ CoERMPublic- CommonSearchServices/ DisplayDC TMContent? doc umentId=0900001680080630. [7] Brämer, R.: Natur obskur - Wie jugendliche heute Natur erfahren, oekom Verlag, München, (2006) S. 96 f. Dipl.-Ing. (FH) Sandra Sieber Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachgebiet Entwerfen+Freiraumplanung an der TU Darmstadt Kontakt: sieber@freiraum.tu-darmstadt.de AUTORIN