Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0011
35
2021
61
Pandemie als Prüfstein für das Freiraumsystem
35
2021
Maéva Baudoin
Jenny Kunhardt
Leonie Steinbricker
Felix zur Lage
Die Pandemie ist nicht nur eine gesundheitliche und soziale sondern auch eine räumliche Herausforderung. In einer dreiwöchigen Befragung im Frühjahr 2020 untersuchte das Institut für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft der Universität Leipzig die Nutzung öffentlicher und privater Freiräume vor dem Hintergrund der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen des ersten Lockdowns in Leipzig. Der ganzheitliche Blick auf das Freiraumsystem zeigt die bedeutende Leistung der vielfältigen Freiräume zur Abmilderung der pandemiebedingten Belastungen und den Beitrag zur städtischen Resilienz.
tc610034
34 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Pandemie als Herausforderung für den urbanen Raum Im Frühjahr 2020 veröffentlichte die Stadt Leipzig eine Kampagne zur Eindämmung der Corona-Pandemie mit den Hashtags: #Stayhome, #Leipzigbleibtzuhause, #socialdistancing, #wirbleibenzuhause, #coronahelden [1]. Die Schlüsselbegriffe spiegeln die (inter-)nationale Strategie wieder: Die Menschen sollen zu Hause bleiben oder einen Mindestabstand von 1,5 bis 2 m einhalten. Mit dem Appell zum Zuhausebleiben erhalten private Räume eine eindeutige Zuschreibung als sichere Orte. Die Verlagerung alltäglicher, beruflicher, kultureller und sozialer Aktivitäten in die Häuslichkeit erhöht die Relevanz dort verfügbarer Außenbereiche als Übergänge zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten und schlicht als Orte mit frischer Luft. Gleichzeitig ändert sich die Perspektive auf öffentliche Räume, die zur Verringerung des Infektionsrisikos weitestgehend gemieden werden sollen. Der Zugang zu qualitativ hochwertigen öffentlichen Freiräumen ist eine Basis für die Lebensqualität in Städten. Sie unterstützen die physische wie mentale Gesundheit und fördern soziale Kohäsion [2]. Durch die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sowie Schließung zahlreicher Begegnungsorte zur Eindämmung des Infektionsgeschehens ist die Pandemie also ebenso eine räumliche Herausforderung. Dieser Artikel gibt einen Einblick in Rolle und Funktionen von öffentlichen und privaten Freiräumen, die im Frühjahr 2020 während des ersten sogenannten Lockdowns am Beispiel der Stadt Leipzig untersucht wurden. Die Ergebnisse verweisen auf die Leistung des bestehenden Freiraumsystems für die Resilienz der Stadt. Analyse urbaner Freiräume während der Pandemie Bereits nach wenigen Monaten Pandemie veröffentlichte Gehl eine weltweite Studie zur Nutzung von öffentlichen Freiräumen [2]. Die Mehrheit der Befragten aus 68 Ländern verließ trotz des gesundheitlichen Risikos ihr Haus oder ihre Wohnung, wobei jedoch ein Drittel lediglich notwendige Besorgungen als Grund angaben. Weitere Gründe für den Aufenthalt im Freien sind Sport, Erholung und soziale Interaktion entsprechend der Empfehlungen zur Minderung des Infektionsrisikos. Insgesamt gaben zwei Drittel der Befragten an, täglich im öffentlichen Raum zu sein, wobei insbesondere Menschen, die von sozialer Isolation gefährdet sind, diese Möglichkeit nutzen. Bislang vorliegende Publikationen aus Deutschland fokussieren vor allem die verringerte lokale und überregionale Mobilität der Bürger*innen [3]. Zudem zeigt eine Umfrage im Auftrag der Initiative „Grün in die Stadt“ des Bundesverband Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V. im Juni 2020, dass für 46 % der Befragten die Bedeutung städtischen Grüns gestiegen ist und dass 25 % sich häufiger in Parks aufhalten [4]. Weiterhin erscheinen aktuell viele nationale und internationale Beiträge, die neue Erkenntnisse aus der Pandemie in die Pandemie als Prüfstein für das Freiraumsystem Leipzigs urbane und private Freiräume während des Lockdowns Resilienz, Städtebau, Leipzig, Freiraumsystem, Corona Maéva Baudoin, Jenny Kunhardt, Leonie Steinbricker, Felix zur Lage Die Pandemie ist nicht nur eine gesundheitliche und soziale sondern auch eine räumliche Herausforderung. In einer dreiwöchigen Befragung im Frühjahr 2020 untersuchte das Institut für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft der Universität Leipzig die Nutzung öffentlicher und privater Freiräume vor dem Hintergrund der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen des ersten Lockdowns in Leipzig. Der ganzheitliche Blick auf das Freiraumsystem zeigt die bedeutende Leistung der vielfältigen Freiräume zur Abmilderung der pandemiebedingten Belastungen und den Beitrag zur städtischen Resilienz. 35 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie 1km Südvorstadt Grenzen Wasser Grünanlagen, Parks Kleingartenanlagen Friedhof Brache Wald Bild 1: Freiraumsystem, Leipzig. Luftbild: © Stadt Leipzig Amt für Geoinformation und Bodenordnung 2019. Freiraumstrategie Leipzig. © Stadt Leipzig 2017. Hervorhebungen: M. Baudoin, ISB Diskussion zukünftiger Stadtentwicklung und -planung einbringen. Jedoch liegen noch keine Untersuchungen vor, welche die Verknüpfung verschiedener Freiräume in den Blick nehmen. Hier setzte das Institut für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft der Universität Leipzig (ISB) mit einer Befragung von Ende April bis Mitte Mai 2020 an. Mit Blick auf die Stadt Leipzig standen folgende Fragestellungen dabei im zentralen Erkenntnisinteresse: Haben die Leipziger*innen ihre Wohnung oder ihr Haus trotz des Infektionsrisikos verlassen? Was waren die Gründe für den Aufenthalt im Freien? Wie haben sie öffentliche Freiräume erlebt? Wie veränderte sich die Nutzung öffentlicher Freiräume und privater Außenbereiche? Mit der Befragung des ISB wurde die Vielfalt der Freiräume in Leipzig mit einem ganzheitlichen Blick untersucht, sie folgte so der weiten Definition urbaner Freiräume des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforderung [5]. Dies schließt auch Straßen sowie eine differenzierte Untersuchung hinsichtlich Zugänglichkeit, Größe und Nutzung ein. Durch die Überwindung der isolierten Betrachtung einzelner Räume wird der Blick auf die Potenziale der Freiräume als Netzwerk geschärft, welches im Folgenden als Freiraumsystem erfasst wird. Während des Erhebungszeitraums war nach den Vorgaben des Freistaates Sachsen der Aufenthalt im öffentlichen Raum nur mit triftigen Grund, vor allem Arbeitsweg, Einkaufen, Arztbesuch, Pflege von Angehörigen, Sport und Erholung und das Treffen 36 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie lediglich einer Person aus einem anderen Haushalt gestattet. Zudem führte Sachsen als erstes Bundesland bereits im Frühjahr eine (rechtliche) Diskussion um die räumliche Beschränkung der Mobilität auf das Wohnumfeld. Letztlich definierte das Oberverwaltungsgericht in Bautzen dies als „einen Bereich von etwa 10 bis 15 Kilometer von der Wohnung entfernt“, welches bis 20. April galt [6]. Während der sogenannten ersten Welle der Corona-Pandemie war Leipzig relativ wenig betroffen. So betrug im Frühjahr die höchste 7-Tage-Inzidenz 29,0 (3. März 2020). Erste Lockerungen gab es ab dem 6. Mai, als beispielsweise Spielplätze wieder genutzt werden konnten. Nach Abschluss der Befragung gab es weitere Lockerungen. Integriertes Freiraumsystem in Leipzig Im Vergleich zu anderen Großstädten in Deutschland ist Leipzig eine der grünsten Städte. Knapp die Hälfte der Fläche ist als öffentlicher Freiraum definiert [7]. Auf die Bevölkerungszahl gerechnet, stehen in Leipzig pro Person 15,9 m² öffentlicher Freiräume zur Verfügung, die sich über das ganze Stadtgebiet verteilen (siehe Bild 1). Grüne Korridore aus Wald und Parks entlang der Flüsse und Kanäle verbinden die innerstädtischen Parks und den 1 2 3 4 6 7 5 9 8 10 Kurt-Eisner-Str. Karl-Liebknecht-Str. Körnerstr. Richard-Lehmann-Str. August-Bebel-Str. Arthur-Hoffmann-Str. Schleußiger Weg Lößniger Str. 200m äußeren hauptsächlich landwirtschaftlich genutzte Grünring. Zusätzlich umgibt Leipzig durch den Braunkohleabbau in der Region eine junge Seenlandschaft. Zum Stadtbild und Selbstverständnis der städtischen Gesellschaft zählen auch die vielen Kleingartenanlagen und Gemeinschaftsgärten. Für einen ganzheitlichen Blick wurden seitens des ISB auch Straßen im Freiraumsystem berücksichtigt, die in der aktuellen Freiraumplanung lediglich hinsichtlich ihrer Stadtbäume gelistet sind. Straßen verbinden die vielfältigen Orte der Stadt und sind somit die Basis einer erfolgreichen Stadt der kurzen Wege. Über die Funktion für die Mobilität der Bewohner*innen hinaus sind es ebenso öffentliche Orte sozialer Interaktion [8]. Das Freiraumsystem der Stadt Leipzig integriert die privaten Außenbereiche der Wohnungen und Häuser, wie Balkone, Terrassen, private Gärten und zum Teil nutzbare Dächer als Schwellen zum öffentlichen Raum. Durch die Pandemie erhielten diese eine (neue) Rolle als Übergang zwischen „Privat“ und „Öffentlich“. In vielen europäischen Städten klatschten die Bewohner*innen an geöffneten Fenstern als Dank an die Beschäftigten im Gesundheitswesen oder sie sangen und musizierten gemeinsam von Balkon zu Balkon. Ergänzt werden die privaten Bild 2: Freiräume des Gründerzeitviertels Südvorstadt, Leipzig. Quelle: Luftbild © Google Earth 2018, Freiraumstrategie Leipzig 2017 © Stadt Leipzig; Hervorhebungen M. Baudoin, ISB. 1 Heinrich-Schützt-Platz 2 Alexis Schumann Platz 3 Steinplatz 4 Albrecht Dürer Platz 5 Schenkendorfplatz 6 Dürrplatz 7 Fockenberg 8 Galopprennbahn Scheibenholz 9 Clara Zetkin Park 10 Südplatz Südvorstadt Grenzen Wasser Bahnline Spielplatz Grünanlagen, Parks Kleingartenanalgen Brache Wald 37 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Außenbereiche durch geteilte private Freiräume, wie beispielsweise Innenhöfe und Gemeinschaftsgärten oder Kleingartenanlagen. Insbesondere in den Gründerzeitvierteln Leipzigs gibt es zahlreiche private und geteilte private Freiräume - jedoch nur wenige große Grün- und Freiräume mit einer Fläche von über 2 000 m². Beispielhaft dafür steht der Stadtteil Südvorstadt, welcher die niedrigste Versorgungsrate mit öffentlichen Grünräumen in Leipzig hat. Wie die Bilder 2 und 3 zeigen, sind jedoch die meisten Wohnungen mit einem Balkon ausgestattet und jeder Block verfügt über größere Innenhöfe. Die Bewohner*innen können daher von der Vielfalt privater Freiräume profitieren. Die Vielfalt Leipzigs spiegelt sich auch in den freien Assoziationen zum Begriff Freiraum wieder. Wie in Bild 4 erkennbar, nannten die Leipziger*innen zwar in erster Linie Parks und Spielplätze. Doch insgesamt gab es 60 unterschiedliche Nennungen. Leipziger Freiräume im Frühjahr 2020 - Ergebnisse einer Befragung Die Befragung des ISB erfolgte zwischen dem 27.-April und dem 16. Mai. Insgesamt haben 401 Personen, die in Leipzig wohnten und sich zum Zeitpunkt der Befragung nicht in Quarantäne befanden, an der zweisprachigen Online-Befragung teilgenommen. Die Teilnehmer*innen konnten vor allem über verschiedene universitäre und nicht-universitäre Netzwerke sowie die lokale Presse gewonnen werden. Die Reichweite war jedoch vor allem durch die hohen individuellen und kollektiven Belastungen und die dadurch verringerten Aktivitäten verschiedener intermediärer Kooperationspartner beschränkt. So ist es nicht gelungen, Bewohner*innen in modernen (Großwohn-)Siedlungen zu erreichen. Die folgende Diskussion der Ergebnisse konzentriert sich daher primär auf die Gründerzeitviertel in Leipzig, wie bereits am Beispiel des Leipziger Stadtteils Südvorstadt vorgestellt. Haben die Leipziger*innen ihre Wohnung oder ihr Haus trotz des Infektionsrisikos verlassen? Die Daten zeigen eine sehr hohe Nutzungsfrequenz für öffentliche Freiräume: Fast alle Befragten waren in den vorangegangenen zwei Wochen draußen gewesen. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben an, an mehr als vier Tagen pro Woche das Haus bzw. die Wohnung verlassen zu haben. Die Teilnehmer*innen gehören jedoch vor allem zur Gruppe junger Aktiver, die durch die universitären Netzwerke erreicht wurden. Die Altersspannweite der Befragten beträgt zwar 15 bis 74 Jahre, so liegt das Mittel mit 34,5 Jahren sieben Jahre unterhalb des städtischen Altersdurchschnitts. Die Gruppe über 65, also die vulnerabelste Gruppe, ist jedoch mit unter 5 % in der Befragung kaum repräsentiert. Die Ergebnisse verweisen zudem darauf, dass die Häufigkeit, die Wohnung zu verlassen, nicht durch die Verfügbarkeit privater Freiräume beeinflusst ist. Weder nutzten Personen ohne private Außenbereiche den öffentlichen Raum mehr, noch blieben Personen mit privaten Außenbereichen häufiger daheim. Auch konnten hinsichtlich der Haushaltsform - Single, Paar, Familie oder Wohngemeinschaft - keine Unterschiede der Nutzungshäufigkeit festgestellt werden. Die Verfügbarkeit privater und gemeinschaftlich genutzter privater Freiräume der Befragten liegt über dem nationalen Durchschnitt [9]: 94 % der Befragten hatten Zugang zu einem gemeinsamen Innenhof oder Garten (24 %) oder verfügten sowohl über gemeinschaftliche Räume als auch über einen Balkon (70 %). Lediglich 6 % gaben an, keinen Zugang zu privaten oder geminschaftlichen Freiräumen zu haben. Bild 3: Typische Nachbarschaft im Gründerzeitviertel, Südvorstadt, Leipzig. Quelle: Luftbild © Stadt Leipzig Amt für Geoinformation und Bodenordnung 2017; Hervorhebungen M. Baudoin, ISB. Grundstücksgrenzen Hofgrenzen Gemeinschaftsgärten Parking Balkon, Terrasse, Dachterrasse 38 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Was waren die Gründe für den Aufenthalt im Freien? Die Befragten nannten sehr diverse Gründe für ihren Aufenthalt im Freien: An erster Position steht erwartbar die Versorgung mit Nahrungsmitteln (n = 240), direkt gefolgt von Freizeit- und Sportaktivitäten (Sport n = 220, Erholung n = 175) und dem Treffen von Verwandten und Freund*innen (n = 116). Trotz der Empfehlungen, Homeoffice zu ermöglichen und zu nutzen, gaben 97 Befragte den Arbeitsweg an. Die Diversität der Antworten unterstreicht die Rolle öffentlicher Freiräume für die Lebensqualität und soziale Kohäsion in Städten und deckt sich etwa mit den weltweiten Ergebnissen von Gehl Architects [2]. Eine große Mehrheit der Befragten nutzte die öffentlichen Freiräume auch, um sich mindestens drei Mal die Woche mit anderen Personen zu treffen. Jedoch haben die Befragten sich dabei auf bestehende enge Beziehungen limitiert. Nur zu direkten Nachbar*innen wurden neue Verbindungen aufgebaut. Wie haben sie öffentliche Freiräume erlebt? Die Ergebnisse der Befragung zeigen weder, dass die Befragten sich in öffentlichen Räumen deutlich erleichtert noch sehr gestresst fühlten. Das gilt auch für jene, die keinen Zugang zu privaten oder gemeinschaftlichen Freiräumen haben. Lediglich weitläufige Grünräume werden eher als Orte der Erleichterung empfunden, da hier ohne Probleme die notwendige Distanz zu anderen Menschen gewahrt werden kann. Ebenso fühlen sich die Befragten in privaten und gemeinschaftlichen Freiräumen erleichtert. Dagegen werden Straßen und Plätze als relativ stressige Orte empfunden: Oft ist es hier nicht möglich, den Mindestabstand zu Mitmenschen sicherzustellen. Wie veränderte sich die Nutzung öffentlicher Freiräume und privater Außenbereiche? Die Befragten äußerten eine Kontinuität der Nutzung der öffentlichen und privaten Freiräume (siehe Bild 5). So hielten sich viele in ihnen bekannten öffentlichen Freiräumen auf. Häufiger wurden vor allem die weitläufigen Grünräume für (neue) sportliche, soziale und kulturelle Aktivitäten genutzt. Einige Befragte entdeckten zudem private Außenbereiche neu und füllten diese mit neuen Aktivitäten. Hier sind insbesondere kulturelle und berufliche Aktivitäten hervorzuheben. Auch dienten Balkone und gar Fensterbänke als Orte sozialer Interaktion - wenn auch passiv, um das Leben in Straßen und Innenhöfen zu beobachten. Aus den Ergebnissen geht deutlich hervor, dass Straßen und Plätze weniger genutzt und trotz des verringerten Verkehrsaufkommens dort keine neuen Aktivitäten ausgeübt wurden. Mit Blick auf das Wohlbefinden sind es also Orte der Erleichterung, in denen während der Pandemie Neues erprobt wurde, während es keine Bemühungen der Aneignung stressiger Orte gab. Fazit - Freiraumsystem als eine Basis für die städtische Resilienz Der Lockdown diente als Prüfstein für das Leipziger Freiraumsystem und belegte die Unterstützungsleistung für zentrale Bedürfnisse der Bürger*innen und der Stadtgesellschaft, unabhängig der strengen Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen: Die meisten Befragten änderten nicht ihre Nutzung der Park Spielplatz ClaraZetkinPark Auwald Garten Wald Kleingarten Sportplatz Straße Balkon Biergarten Rabet StünzerPark Mariannenpark Marktplatz Parks Rosenthal Grüner Hof Jahrtausendfeld LeneVoigtPark Sachsenbrücke Tischtennisplatten Zoo Augustusplatz Friedenspark Bogen Innenstadt Kanal Nachbarschaft Palmengarten Parkbank See Stadtzentrum Wiese AbtnaundorferPark BotanischerGarten BracheEisenbahstraße BracheBayrischenBahnhof BrachflächeBayerischenBahnhof Cafégarten EastPark Eisenbahnstraße Fahrradweg Fockeberg Freiplatz Friedhofsparkplatz GrünauerMarktplatz Innenhof Grünflächen Johannapark KarlLiebknechtStraße LindenauerHafen LindenauerMarkt Natur Plätze PolygraphHalle Saale Strand Terrasse VolksparkKleinzschocher Seenlandschaft 2 5 5 30 33 35 47 72 88 123 Häusliche Aufgaben Arbeiten Gassigehen Kulturelle Aktivitäten Mit Kindern (spielen) Menschen beobachten Gespräche führen Freunde & Verwandte Sport Nichts Neues WALD, SEE, PARK STRASSE, BÜRGERSTEIG BALKON, FENSTERBANK 2 4 4 6 8 16 26 24 17 166 29 33 0 57 17 46 42 20 10 147 Bild 4: Wortwolke: Welcher Ort im Freien kommt Ihnen spontan in den Sinn, wenn Sie an die Einschränkungen aufgrund der Ausgangsbeschränkungen denken? Quelle: Eigene Erhebung, Gestaltung: © F. zur Lage, ISB. Bild 5: Veränderungen der Nutzung der Freiräume. Quelle: Eigene Erhebung, Gestaltung: © M. Baudoin, ISB. 7 14 43 36 30 41 26 4 % 38 8 55 27 9 54 10 WALD / SEE PARK STRASSE BURGERSTEIG BALKON FENSTERBANK 38 37 25 35 19 1 46 GENAUSO GENAUSO HÄUFIGER HÄUFIGER SELTENER SELTENER NIE 39 1 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lehren aus der Pandemie Freiräume und verweisen somit auf eine Basis für Resilienz gegenüber den aktuellen Herausforderungen, die durch das bestehende Freiraumsystem gegeben ist. Sowohl öffentliche als auch private Freiräume unterstützen die alltägliche Versorgung, Sport, Erholung und soziale Aktivitäten. Insbesondere die in der Stadt zugänglichen großen Grünräume und die Vielzahl privater und gemeinschaftlich privat genutzter Außenbereiche zeichnen sich durch ein hohes Anpassungspotenzial aus und tragen so zu einer Abmilderung der pandemiebedingten Belastungen bei. Sie dienen der mentalen und physischen Gesundheit ebenso wie den sozialen Bedürfnissen und verhelfen somit auf einer höheren Ebene zur Resilienz der Gemeinschaft. Nach wie vor sind es Straßen und Plätze, welche durch die Bewohner*innen trotz verringerter Mobilität während des Lockdowns nicht genutzt werden (können). Als Verbindungsorte und Ausgangspunkte zahlreicher Aktivitäten sollten diese stärker und bewusst in das Freiraumsystem integriert werden, um auch beim Verlassen des privaten Raumes Stress zu mindern und Wohlbefinden zu stärken. Mit der Veröffentlichung dieses Artikels leben die Leipziger*innen ein Jahr mit ständigen Einschränkungen. In der zweiten Welle im Herbst und Winter 2020/ 2021 gibt es in Leipzig wesentlich mehr Infektionen. Die 7-Tage-Inzidenz hatte Ende Dezember einen Wert von 292,5 (27. Dezember 2020) und lag somit zehnmal höher als im Frühjahr. Der Druck auf urbane Freiräume in ihren Funktionen für die soziale Kohäsion und urbane Resilienz steigt. Es besteht somit weiterhin ein Handlungsbedarf der Städte, um den räumlichen Herausforderungen der Pandemie zu begegnen. Gemeinsam mit den Bürger*innen und der Wohnungswirtschaft müssen Lösungen für ein ganzheitliches Freiraumsystem entwickelt werden. LITERATUR [1] UN-Habitat: UN-Habitat key message on COVID-19 and public space, 2020. https: / / unhabitat.org/ sites/ default/ files/ 2020/ 05/ unh _covid-19_ ps _ key_message.pdf, zuletzt 31.01.2021. [2] O’Connor, E., Gehl, J.: Public Space plays vital role in Pandemic, 2020. https: / / gehlpeople.com/ blog/ public-space-plays-vital-role-in-pandemic/ , zuletzt 31.01.2021 [3] DLR Verkehr: Dritte DLR-Befragung: Wie verändert Corona unsere Mobilität? , 2020. https: / / verkehrsforschung.dlr.de/ de/ news/ drit te dlr-befragungwie-veraendert-corona-unsere-mobilitaet, zuletzt 31.01.2021. [4] forsa Politik- und Sozialforschung GmbH: Zufriedenheit mit den städtischen Grünflächen, 2020. https: / / www.gruen-in-die-stadt.de/ fileadmin/ CPG_ neu/ 200619_MaFo_Ergebnisse_Gruen_in_die_stadt. pdf, zuletzt 31.01.2021. [5] Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR): Urbane Freiräume Qualifizierung, Rückgewinnung und Sicherung urbaner Frei- und Grünräume, 2018. https: / / www.bbsr.bund.de/ B B S R / D E / v e r o e f f e n t l i c h u n g e n / s o n d e r v e r o e ffentlichungen/ 2019/ urbane-freiraeume-dl.pdf ? _ _ blob=publicationFile&v=1, zuletzt 31.01.2021. [6] Sächsisches Oberverwaltungsgericht: Eilantrag gegen die Sächsische Corona-Schutz-Verordnung erfolglos, 2020. Medieninformation 2/ 2020. 07.04.2020. [7] Stadt Leipzig: Lebendige grüne Stadt am Wasser, 2017. Freiraumstrategie der Stadt Leipzig. https: / / s t a ti c . l e ipz i g .d e / f il e a dmin / m e die nda te nb a nk / leipzigde / St adt / 02. 3 _ Dez 3 _ Umwelt _ Ordnung _ Sport/ 67_ Amt _fuer_ Stadtgruen _und_Gewaesser/ Freiraumstrategie/ Freiraumstrategie_Textfassung. pdf, zuletzt: 30.01.2021. [8] Gehl, J.: Cities for people. Island Press, 2010. Washington D.C. [9] VuMA Touchpoints: Verbrauchs- und Medienanalyse - VuMA 2020.; statista, 2021: Anzahl der Personen in Deutschland, die einen Balkon oder eine Terrasse besitzen, von 2016 bis 2019. https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 172077/ umfrage/ besitz-vonbalkon-oder-terrasse/ , zuletzt 30.01.2021. Englischsprachiger Report zur Befragung ab März unter: www.wifa.uni-leipzig.de/ isb Maéva Baudoin Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Inst. für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft Kontakt: maeva.baudoin@uni-leipzig.de Jenny Kunhardt, M. Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Inst. für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft- Kontakt: jenny.kunhardt@uni-leipzig.de Leonie Steinbricker Studentische Mitarbeiterin Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Inst. für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft Felix zur Lage Studentischer Mitarbeiter Universität Leipzig, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Inst. für Stadtentwicklung und Bauwirtschaft AUTOR*INNEN
