Transforming cities
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10.24053/TC-2021-0028
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Drohnen erkunden städtische Hitzeinseln
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Tobias Weiss
Daniel Rüdisser
Im Zuge des Klimawandels werden städtische Hitzeinseln (Intra Urban Heat Islands) immer mehr zur Herausforderung für die Stadtplanung. Das österreichische Forschungsinstitut AEE INTEC hat eine Methode entwickelt, die solche Hotspots nicht nur aufspürt, sondern auch die für den Organismus wichtige „gefühlte Temperatur“ mit hoher Präzision berechnet. Durch die einfache Darstellung möglicher Veränderungen hilft „Smart City Sensing“, die besten Maßnahmen auszuwählen und so Hitzeinseln effektiv zu reduzieren.
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26 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Die Julisonne steht hoch am blauen Himmel über Graz. Eine Drohne surrt über die Touristen und die Marienstatue „Am Eisernen Tor“. Sie erfasst in einem dreidimensionalen Raster eine Vielzahl von Daten, die man für eine gründliche Analyse des Mikroklimas braucht - insbesondere die Gestalt der Gebäude und der Vegetation, die Oberflächentemperaturen und die Reflexionen der Sonneneinstrahlung auf den Oberflächen. Der Platz in der Inneren Stadt von Graz ist nicht nur zentral für das öffentliche Leben, sondern auch sehr vielseitig in seiner mikroklimatischen Struktur. Hier gibt es Grünflächen, Asphalt, Bäume und sogar einen Springbrunnen. Deshalb wählte ihn das Team von AEE INTEC für die ersten Messungen und Simulationen im Projekt Smart City Sensing. Dass es in Grünanlagen selbst bei nahezu gleicher Lufttemperatur gefühlt um mehrere Grad kühler ist als auf asphaltierten Plätzen, ist kein Geheimnis. Im Deutschen spricht man umgangssprachlich oft von „gefühlter Temperatur“, manchmal auch vom „thermischen Komfort“. Quantifizieren lässt sich das mit dem Universal Thermal Climate Index (UTCI) - ein Ausdruck, der auch die Komplexität der Fragestellung widerspiegelt. Der UTCI bildet beispielsweise die Kühlung durch den Wind ab, aber auch die Wärmestrahlung der Oberflächen und die Solarstrahlung, die aus verschiedenen Richtungen auf den Körper Drohnen erkunden städtische Hitzeinseln Klimawandel, urbane Hitzeinseln, Mikroklima, Luftqualität, Messverfahren, Drohnen, Simulation Tobias Weiss, Daniel Rüdisser Im Zuge des Klimawandels werden städtische Hitzeinseln (Intra Urban Heat Islands) immer mehr zur Herausforderung für die Stadtplanung. Das österreichische Forschungsinstitut AEE INTEC hat eine Methode entwickelt, die solche Hotspots nicht nur aufspürt, sondern auch die für den Organismus wichtige „gefühlte Temperatur“ mit hoher Präzision berechnet. Durch die einfache Darstellung möglicher Veränderungen hilft „Smart City Sensing“, die besten Maßnahmen auszuwählen und so Hitzeinseln effektiv zu reduzieren. Bild 1: SmartCitySensing verbindet Messwerte aus Drohnenbefliegungen mit detaillierten Modellrechnungen, um Mikroklimata schnell und präzise abzubilden. © AEE INTEC 27 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum einwirkt. Die gefühlte Temperatur bzw. der UTCI ist im positiven Fall ein Wohlfühlfaktor, der über die Attraktivität öffentlicher Räume entscheidet. Im negativen Fall sorgt ein zu hoher UTCI für Hitzestress im Organismus. Hitzewellen machen sich sogar regelmäßig in der Sterbestatistik bemerkbar. Die WHO empfiehlt deshalb, die Hitzebelastung in Städten gezielt zu reduzieren. Da absehbar ist, dass die Temperaturen im Zuge des Klimawandels steigen, ist der Hitzeschutz als Maßnahme für die Klimaresilienz umso wichtiger. Doch das ist gar nicht so leicht, denn dafür muss man sowohl alle Hitzeinseln in der Stadt kennen als auch die Wirksamkeit konkreter Maßnahmen bewerten können. Diese Möglichkeit bietet das Verfahren „Smart City Sensing“, das im gleichnamigen Forschungsprojekt des österreichischen Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) von AEE INTEC und Skyability aus Österreich und einem Konsortium aus dem chinesischen Guangdong entwickelt wurde. Das fertige Verfahren bietet AEE INTEC nun als Dienstleistung für Kommunen an. Mit einer Kombination aus dreidimensionalen, von Drohnen erfassten Messwerten einerseits und Simulationsmodellen andererseits können hochaufgelöste dynamische Heat Maps einzelner Plätze oder der ganzen Stadt erstellt werden. Diese Hybridlösung bildet das lokale Mikroklima weit realistischer ab als herkömmliche Mikroklimasimulationen. Gleichzeitig ist sie räumlich genauer als Messungen, in die lediglich grobe Daten von Flugzeugbefliegungen, Satellitenaufnahmen oder einzelnen Wetterstationen eingespeist werden. Durch die Drohnenbefliegung können mit geringem Aufwand deutlich größere Flächen erfasst werden als mit den bisherigen mikroklimatischen Untersuchungsmethoden. An einem Tag schaffen die Drohnen eine Stadt, ein einzelner Platz ist in wenigen Minuten überflogen. Die Veränderungen im Tages- und Jahresverlauf können ebenfalls simuliert und zusätzlich mit zyklischen Vermessungen verifiziert werden. Dafür kann man zum Beispiel einen Tag mit mehreren Flügen genauer untersuchen oder den Schwerpunkt auf die Jahreszeiten legen, die für das Mikroklima besonders interessant sind. Die Drohnen sind mit speziellen Messköpfen ausgestattet, die im Rahmen des Projektes entwickelt wurden. Dazu gehören unter anderem eine Thermografiekamera für die langwellige Wärmestrahlung, eine Multispektralkamera für die kurzwellige Solarstrahlung und bei Bedarf auch Sensoren für Luftschadstoffe (siehe Kasten). Mit den Drohnendaten lassen sich auch die Vegetation und Materialeigenschaften von Oberflächen erfassen. Weitere Daten wie Luftfeuchte und Windrichtung und -geschwindigkeit werden je nach Fragestellung per Drohne oder am Boden gemessen. Das Modell zur Berechnung des thermischen Komforts umfasst nicht nur all diese Faktoren, sondern auch die menschliche Physiologie. So trifft horizontale Wärmestrahlung zum Beispiel auf eine deutlich Bild 3: Im Webtool werden die genauen Daten für jeden Standort auf den untersuchten Plätzen angezeigt. Das Variieren der Parameter, wie die Oberflächen der Gebäude oder der Begrünungsanteil, zeigt, wie sich die Hitzebelastung am wirksamsten reduzieren lässt. © AEE INTEC Bild 2: Das Webtool zeigt eine dreidimensionale Heat Map der untersuchten Plätze an. © AEE INTEC 28 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum größere Körperfläche als senkrechte Strahlung. Bisher dient ein erwachsener Mensch als Modell. Es ist aber auch möglich, gezielt die Wirkung auf sensible Gruppen wie Kinder oder ältere Menschen zu untersuchen. So entsteht ein mit einer Heat Map überlagertes Stadtmodell in einer Auflösung von 1 x 1 m. Für Städte, die noch kein 3-D-Stadtmodell haben, kann dieses gleich mit angefertigt werden. Liegt schon ein 3-D-Modell vor, werden die neuen Mikroklimadaten dort eingefügt, zum Beispiel über CITYGML oder ArchGis. In einem Webtool kann man sich durch dieses Modell bewegen. Smart City Sensing kann jedoch nicht nur den Ist-Zustand darstellen, sondern auch simulieren, wie sich Veränderungen auswirken. So kann man Eingriffe wie Bau- oder Begrünungsmaßnahmen nicht nur qualitativ sondern auch quantitativ einschätzen. Angenommen, der heißeste Punkt auf einem Platz erwärmt sich an Sommertagen auf eine gefühlte Temperatur von mehr als 42 °C. Was muss passieren um diese auf 38 °C zu senken? Im Modell lassen sich verschiedene Maßnahmen ausprobieren: Eine begrünte Wand, neu gepflanzte Bäume, eine Rasenfläche, bauliche Maßnahmen, Verschattungselemente, Wasserflächen oder einfach ein hellerer Straßenbelag. Das Modell zeigt auch, an welcher Stelle des Platzes die Maßnahme die größte Wirkung entfaltet. Ist das Modell einmal erstellt, können die Stadtplaner*innen selbst mit dem Webtool den Ist-Zustand evaluieren und gezielt geplante Maßnahmen auf ihre Wirkung hin bewerten (siehe Link unten). Sie können zum Beispiel den Begrünungsanteil erhöhen oder die Oberflächeneigenschaften von Fassaden verändern. Dabei wird die intuitive Bedienbarkeit noch kontinuierlich erweitert. So sollen beispielsweise Bäume als vordefinierte Elemente hinterlegt werden, die sich dann per Drag&Drop in die Heat Map einbeziehen lassen. Die Stadt Graz hat sich nach dem Forschungsprojekt entschlossen, Smart City Sensing auch in Zukunft für die Stadtplanung zu nutzen. Es werden derzeit systematisch Plätze beflogen, die in den nächsten Jahren umgestaltet werden sollen. Die Ergebnisse aus der Analyse mit Smart City Sensing werden in den Entscheidungsprozess einbezogen. Weitere Informationen zum Projekt: smacise.aee-data.at Direkt zum Webtool: www.aee-data.at/ smacise/ webtool/ Während AEE INTEC aus Österreich sich vor allem mit Temperaturmodellen befasste, stand für die Projektpartner South China University of Technology, NBL Imaging System Ltd. und Yuchen Information Technology Co. Ltd aus der chinesischen Provinz Guangdong die Luftqualität im Vordergrund. Im Projekt wurden hierfür spezielle Sensorköpfe entwickelt, die unter anderem Feinstaub, Stickoxide, Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Ozon und flüchtige organische Verbindungen messen. Mit der großräumigen Messung lassen sich die eingesetzten Schadstoffmodelle präzisieren und reale Gradienten feststellen. So können zum Beispiel einzelne Schadstoffquellen aufgespürt werden, die bisher nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt wurden. SPÜRNASE FÜR LUFTSCHADSTOFFE DI Dr. Tobias Weiss Bereichsleiter Gebäude AAE INTEC Kontakt: t.weiss@aee.at DI Daniel Rüdisser Bereich Gebäude AAE INTEC Kontakt: d.ruedisser@aee.at AUTOREN Bild 4: Grazer Stadtplaner und Forscher von AEE INTEC und Skyability beim Testeinsatz der Drohne am „Eisernen Tor“. Die Stadt Graz will mit Smart City Sensing erstellte Heat Maps in Zukunft bei der Umgestaltung von Plätzen einbeziehen. © AEE INTEC Bild 5: Die Drohne sammelt Daten über dem Platz „Am Eisernen Tor“ in Graz. Innerhalb weniger Minuten kann ein Platz vermessen werden, eine Stadt innerhalb eines Tages. © AEE INTEC
